Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften

Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse

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Herbert Eisele (Paris) [BIO]

Zu den Begriffen der Kleinen Enzyklopädie aus sprachgrenzenüberschreitender Sicht

Einige Grundsatzüberlegungen

 

l. Einführung

Die Begriffe der Kleinen Enzyklopädie (1) könnten zu den Universalien (2) gerechnet werden. Insofern bilden sie eigentlich kein spezifisch übersetzungstechnisches Problem, wenn es darum geht, mit diesen Begriffen innerhalb des sogenannten westlichen Kulturkreises umzugehen und zwar deshalb, weil ja der Begriffsinhalt seine sprachlichen Entsprechungen im jeweiligen Sprachbereich der verschiedenen Gesellschaftskomponenten dieses Kreises zu haben scheint, denn es handelt sich im großen und ganzen um gemeinsame, weil vom selben griechisch-lateinischen Ursprung überkommene Begriffe. Gewiss obliegt es dem Übersetzer im Einzelfall zu eruieren und zu entscheiden, inwieweit das Verständnis mit der herkömmlichen Entsprechung geteilt wird.

Etwas anderes ist es, wenn Globalisierung angestrebt wird. Dann gelten nämlich Verständnisüberlegungen, die oft mühsam Wege schaffen müssen, um das Gemeinte tatsächlich an den Mann zu bringen. Dies ist keine neue Erkenntnis, um diesen Begriff aufzugreifen, wie auch «Globalisierung» nichts unbedingt Neues ist. Man denke nur an die friedlichen Bemühungen der missionierenden Kirche, die Grundbegriffe ihrer Lehre in aller Welt zu verbreiten, d.h. zu globalisieren nach heutigem Sprachgebrauch.

Dieses Beispiel ist wegweisend. Es zeigt auf 1. daß wir heute nicht umhinkönnen, global zu denken, daß wir uns damit zu beschäftigen haben, welcher Konsens zu erwarten ist, wenn wir mit solchen Begriffen weltweit handeln wollen und 2. daß dann damit auch gleichzeitig eine Lehrveranstaltung verbunden sein kann, wenn nämlich die Konsenserwartung enttäuscht zu werden droht. In anderen Worten, Globalisierung der betreffenden Begriffe kann eine missionarische Aufgabe werden. Und damit stellt sich die hinterhältige Frage, ob man damit nicht Gefahr läuft, eines Kultur-Imperialismus bezichtigt zu werden, insbesondere wenn sich herausstellt, daß die Konsenserwartung gering, gleich null oder gar negativ auszufallen droht, weil nämlich ein solcher Export ideologisch geprägt ist. Je allgemeiner die gehandelten Begriffe, wie hier, sind, desto auffälliger wird ihre ideologische Prägung. Dieser äußerst wichtige Aspekt kann nicht einfach ignoriert werden, indem man sich damit begnügt, nur Begriffsarten auseinander halten zu wollen. Doch kann auch die ideologische Komponente entschärft werden, indem man sie, wie wir sehen werden, als Datenkategorie miterfaßt.

Derjenige, der diesen internationalen Handel mit Begriffen in erster Linie auszutragen hat, ist der Sprachmittler. Deswegen obliegt es ihm auch, sich mit der Übertragbarkeit von Begriffen überhaupt und mit den uns aufgetragenen insbesondere zu beschäftigen. Ich werde hiernach nicht jeden einzelnen der Begriffe in Fn1 auf seine generelle Übertragbarkeit hin untersuchen, sondern eher paradigmatisch vorgehen, schon allein deshalb, weil der zeitliche Rahmen zu einer detaillierten Analyse nicht gegeben ist.

Zweckdienlichkeit

Alle generellen Begriffe sind kulturträchtig und politisch verwertbar und werden auch so verwendet, oft als Schlagworte oder im Zusammenhang mit «-wissenschaft», wie «Kulturwissenschaft», denn es geht erstens um deren Auslotung durch die Wissenschaft und zweitens um deren dialektische Anwendung mit möglichen verheerenden Folgen, wie man sie aus der neueren Geschichte kennen lernen mußte, und zwar weltweit. Sprache hatte schon immer ihre raison d'Etat. Wer die Macht hat, zeigt es auch in der Sprache, die er zu beeinflussen trachtet, indem er Akzente setzt, die sich auch gegen sein Bemühen richten können (3).

Die Verteilung von Macht und Reichtum hat von jeher zu Unzufriedenheit Anlaß gegeben, die dann Parolen in Umlauf setzte, um Forderungen auf Wechsel durchzusetzen. Kein vernünftiger Begriff ist vor unvernünftiger Verwendung sicher (4).

Das ist wahrscheinlich auch mit einer der Gründe, warum man vor «Globalisierung» erschrickt und versucht, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um ähnliche Ausartungen zu vermeiden. Dem Sprachmittler darf es nicht entgehen, daß ihm dabei die Verantwortung für Ausgleitungen bzw. Fehlanwendungen angelastet werden kann. Er ist zwar dafür eigentlich nicht zuständig; doch wenn ein Sündenbock gesucht wird, steht er oft da wie der Esel vor dem Gericht des Löwen.

Sprachmittler werben um Verständnis und stehen abseits in allen Fällen, wo Mißverständnis gefragt ist. Dann liegt das redliche Bemühen mit der Sprache auf falschem Fuß mit dem Gewollten. Die Aussagekraft von Wörtern ist nie eindeutig und niemand ist gegen eine falsche Auslegung gefeit. Damit kommen wir zur Beziehung von Wort und Begriff. Das Wort ist der Name, d.h. heißt der sprachliche Ausdruck des Begriffs oder Gedankens. Nun sind Gedanken meist mit Absichten geschwängert. Diese können sich in der Sprache, im Wort, klar ausdrücken; sie können aber auch sich verhehlen und sich des sprachlichen Ausdrucks als Deckmantel bedienen, nach dem berühmten Ausspruch von Talleyrand (5). Dazu auch der §133 des BGB, wonach "bei Willenserklärungen der tatsächliche Wille", d.h. die versteckte Absicht, "zu erforschen ist". Wie man sieht, bedarf schon dieser an sich klare Gesetzestext einer Auslegung (6).

Absicht ist eine Sichtweise, die selten offen zutage tritt, der Redner mag eine ausdrücken wollen, es bleibt ihm jedoch beim Reden verborgen, welche Absicht der Hörer in das Gesagte hineinlegt (7). Wenn dies schon auf eine zusammenhängende Aussage zutrifft, die durch ihren Zusammenhang eine größere Deutlichkeit gewährt als ein einzelnes Wort, um wieviel leichter entgleiten alleinstehende Begriffe dem Eindeutigkeitsbestreben. Dazu kommen unsere Begriffe als definienda in Kurs und sollen einen Sinn ergeben. Dieser braucht einen Kontext, der in jedem Fall kulturell vorgeprägt ist. Als Sprachmittler hat man sich also zu fragen, was will der Autor mit dem Wort (Begriff) aussagen, was steckt er vielleicht hinein oder bedient er sich seiner in der Zuversicht, daß es ein zündendes Wort (8) wird? Um solcher Unsicherheit vorzubeugen, kann er, der Sprachmittler, sich nicht hinter Wörterbüchern verschanzen. Diese verschaffen zwar eine allgemein gültige Auffassung des Worts (Begriffs), wie sie in der Sprachkultur des Autors tradiert ist. Diese Traditionsnorm beruht auf einem fiktiven Konsens, dem vorgegebenen Gebrauchswert (9), der aber jederzeit verlassen werden kann, besonders in den sogenannten Humanwissenschaften, wo es zur guten Sitte gehört, sich eigene Definitionen für überkommene Begriffe zusammenzubasteln. Dies wiederum führt zu einer Autorenhermeneutik, die einen Gutteil der fachbezogenen Literatur ausmacht.

Es stellt sich also die Frage der Zweckdienlichkeit definitorischer Übungen, ohne damit die Notwendigkeit von Definitionen als solcher für das allgemeine Verständnis in Frage zu stellen. Sollte unsere, d.h. die INST-Absicht tatsächlich normativer Art sein, dann wäre es angebracht, diese Absicht nicht zu verhehlen. Auch sollte der Vorbehalt angemeldet werden, daß die Normgültigkeit begrenzt ist und sie jederzeit vom Usus überholt werden kann. Dabei ist der kulturelle Kontext gebührend zu beachten. In jedem Fall ist die Zweckdienlichkeitsfrage verbunden mit dem Fragenkomplex: wer definiert was für wen und wozu? D.h. eine vereinfachte Form der sogenannten Lasswellschen Formel, aus der klar hervorgeht, daß es sich auch hier wieder um Parameter handelt, die den Definitionsinhalt in ihrer Gemeinsamkeit bestimmen und es also keine absolut ein für allemal gültige Definition gibt, da vor allem der sich dauernd ändern könnende Zweck immer fragwürdig bleibt: cui bono?

Verkehrswert der Begriffe - ihre synthetische Natur

Die Vieldeutigkeit und das breite Anwendungsspektrum, sowie die kulturellen Implizitwerte unserer Begriffe verlangen nach einer Glossographie, die den Bemühungen der Scholastik in nichts nachsteht. Aber genau dasselbe Übel wird damit heraufbeschworen, das die Scholastik als Wissenschaft des dunklen Mittelalters in eine geschichtswissenschaftlichen Schublade abgelagert hat, nämlich das der Überladung (10) bzw. der Entleerung der Begriffe, die gespalten wie die Besenstiele des Zauberlehrlings zur Überfülle Fülle schleifen; wiederum: wem zum Nutzen?

Dem Verständnissucher kann es ein Maßstab der Stärke seiner Sucht sein, wenn er auf ein Meer von Erklärungen, Erläuterungen, Hinweisen, Zitaten stößt, die ihn nicht abstoßen. Doch für den Sprachmittler, dem es um Prägnanz gehen muß - ein Wort, einen Sinn - ist damit nicht geholfen. Es ist eine bekannte Kommunikationserfahrung in jedem Fachbereich, daß lange Wörter einen geringen Verkehrswert haben. Sie sind zwar sehr präzise, je länger desto mehr, aber sie müssen in der Praxis der Verkürzung weichen, selbst auf die Gefahr hin, daß der Gebraucher nicht immer so recht weiß, womit er es eigentlich zu tun hat. Dies gilt insbesondere für Begriffe: «Vor dem Begreifen kommt die Anschauung; Begriffe gewinnen wir durch Anschauungsverzicht. Deshalb läuft, wer Begriffe verwendet, stets auch Gefahr, nicht mehr zu wissen, wovon er spricht. An die Anschauung erinnern heißt daher immer auch: Wahrung der Erkenntniskraft unserer Begriffe. Die Anschauung verhilft dem Begriff zu Inhalt und Sinn» (11). Begriffe sind deswegen griffige Verkürzungen von Denkvorgängen und Wissens- d.h. Lebenserfahrung, die durch unsere fünf Sinne und besonders durch das Auge geprägt ist.

Man sagt ja zum Verständnis, daß man sich von etwas ein Bild (12) machen kann. Die Bildung ist das Ergebnis einer solchen Bemühung. Und damit wären wir wieder beim Thema Kultur, die ja im Einzelfall mit Bildung gleichgesetzt wird. Das wiederum führt zum Image, das man kultiviert als Ausdruck seiner Persönlichkeit.

Die ägyptischen Hieroglyphen und die chinesischen und zum Teil auch noch die japanischen Schriftzeichen sind ursprünglich Bildzeichen, die den ihnen hinterliegenden Begriff verkörpern und damit verständlich machen und Mitteilung ermöglichen.

Bilder sind synoptische Aussagen einer Wirklichkeit, im Gegensatz zur Sprache, die über den Ton sequentiell wirkt (akustische gegenüber optischen Zeichen). Begriffe synthetisieren auch als Erscheinungen aus der geistigen Welt, da sie aber der Sprache bedürfen, um Gestalt zu bekommen, müssen sie sich der Begrenzung der Sprache beugen. Daher ihre schwierige Verständlichmachung und der umständliche Weg von einer Kulturszene zur andern, zumal sie in vielen Fällen das Produkt einer spezifischen Kultur sind.

Vorgehensweise

Wie bereits angedeutet, ist der pädagogische Aspekt bei jeder Bedeutungssuche umso maßgeblicher, als der Begriff erst einmal innerhalb seiner Entstehungskultur verständlich wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die ursprüngliche Konvention der Bedeutungszuschreibung des sprachlichen Ausdrucks noch immer gilt. Es geht ja dabei nicht um Etymologie, d.h. Herkunftskunde des Wortes, sondern um kulturrelevante Bezüge, die im Wort nicht zum Zuge kommen. Nehmen wir als Beispiel den Begriff der Zivilgesellschaft. Wenn man vom juristischen Begriff absieht, der ja auch gemeint sein kann, versteht wer diesen Begriff gebraucht -[und er setzt dieses Verständnis auch beim Hörer bzw. Leser voraus - und damit kommen wir zum zentralen Punkt der Verständnisschwierigkeit: das Anspielen auf eine gemeinsame Lebenserfahrung oder ein gemeinsames Wissen, was ja auch eine Kultur ausmacht- ] darunter in erster Linie eine Abgrenzung, jedenfalls in Frankreich, gegenüber der Kirche (gleichzusetzen mit laïcité), dann aber besonders in der neueren Bedeutung von Selbstbestimmung und Basisdemokratie (Bürgerinitiativen usw.) eine Abgrenzung gegenüber übermächtiger Staatsgewalt, und man gelangt dann bis zu dem aus den USA kommenden Kommunitarismus. Es wird sich zeigen, wie weit die Fiktion der Demokratie nach den jetzigen Wahlen in den USA bei einem so knappen, forcierten Ausgang sich halten kann, d.h. ob die fiktive Minderheit die fiktive Mehrheit auf die Dauer anerkennt und ob dann nicht auch die Zivilgesellschaft sich nichts mehr vormachen läßt.

Die zu behandelnden Begriffe ergeben also Fachwörter, die ausgangs in einem begrenzten Rahmen Gebrauchswert hatten, die aber wegen ihrer Griffigkeit sozusagen aus dem Rahmen ausgebrochen sind und danach allgemeinere Geltung beanspruchen und zwar durch den Usus in weiteren Fachbereichen bzw. der Allgemeinsprache. Dadurch werden sie mit neuen Bedeutungen versetzt und ufern aus in unvorhergesehene Gefilde. Nun ist zu befürchten, daß das ursprünglich Gemeinsame im Sprachgebrauch schon allein dadurch verwischt wird, daß der Begriff beim Ausbrechen aus seinem Ghetto sich Unbefugten zur Hand gibt und deren Gebrauchswert dazulädt, womit niemand mehr klarkommt.

Wie kann man dieses Glitschige wieder in den Griff bekommen?

Antwort: Über die Terminologie!. Man erstellt eine EDV-Karteikarte pro Sprache, auf der der Begriff als Haupteintrag über seinen sprachlichen Ausdruck behandelt wird. Diese Behandlung umfaßt nach Feststellung des Fachbereichs, der grammatischen Indices eine erläuternde Kontextstelle als Beleg, damit man weiß, woher er stammt und in welchem Usus er auftritt. Synonyme und Antonyme werden gleichfalls aufgeführt und auf die gleiche Art behandelt. Dann folgt eine Definition mit Beleg; es können auch je nach Bedarf mehrere sein. Sodann belegte Erläuterungen über Ursprung, Gebrauch, Entwicklung usw. des Begriffs, sowie technische Daten aus dem Sachbereich. Sollten mehrere Fachbereiche in Frage kommen für denselben Begriffsinhalt, dann ist dies ebenso in die Erläuterung einzufügen. Weitere Kontextbeispiele mit Quellen ermöglichen ein noch besseres Verständnis des Begriffs in seiner ganzen Bedeutungsweite. Alle auf der Karte vorkommenden relevanten Neben- bzw. Unterbegriffe können mittels Hypertext-Link innerhalb der Kartei aufgerufen werden. Andererseits ist eine neue Karteikarte anzufertigen, wenn der Begriffsinhalt sich mit anderen Fachbereichen ändert (Homonymie).

Die in der Karteikarte gesammelte Information vermittelt eine Kurzeinführung in die Begriffswelt, die unser Haupteintrag regiert. Dadurch, daß die Karteikarte einer ISO-Norm der Datenverarbeitung (13) entspricht, ist ein Austausch mit entsprechenden Datenträgern und -banken gewährleistet.

Wissensvermittlung und -austausch

Die in einer Ausgangssprache erstellte Karte entspricht für einen gegebenen Begriff einer in der bzw. den Zielsprachen erstellten Karte, so daß die sprachlichen und begrifflichen Entsprechungen bzw. Abweichungen von einer Karte zur andern leicht ersichtlich sind, da die Felder (Kontext, Definition, Bemerkungen) und vor allem die Eintragsnummern in jedem Fall die gleichen sind.

Es sollte dabei klar sein, daß die Begriffe nicht einfach "übersetzt" werden können. Entweder gibt es in einer anderen Sprache eine Begriffsentsprechung mit analogem Inhalt oder es gibt sie nicht. Im ersten Fall ist darauf zu achten, inwieweit eine Kongruenz besteht oder zumindest, daß Bedeutungsabweichungen markiert werden. Im zweiten Fall kommt es darauf an, was bezweckt wird: die Lokalisation eines globalen Begriffs, eine Neuschöpfung, eine Untersuchung der Rezeptionsgegebenheiten oder was immer. Jeder Sprachmittler sollte dabei auf die Arbeit des Terminologen zurückgreifen, der alle Daten insbesondere auch die kultur-relevanten zu berücksichtigen hat.

Damit sind dann die Voraussetzungen geschaffen, um Wissenserfassung im Vergleich zu gewährleisten. Es ist ein Lernprozess in erster Linie zugunsten des Sprachmittlers, der seine Dokumentationspflicht mittels Konsultieren dieser Begriffskartei erfüllt und dann seine übertragende Arbeit sachgemäß durchführen kann. Das so erfaßte Wissen steht eigentlich jedem Forscher offen. Die Kartei ermöglicht aber nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch Datenaustausch und kann damit dem Vorwurf eines Wissensimperialismus begegnen.

Bedeutungsrelativierung

Im Gegensatz zum Terminologen, dem es um klare Definitionen, d.h. einschlägige Bedeutungsfeststellungen geht, wozu auch all die zusätzlichen Angaben, Erläuterungen usw. dienen, ist der Sprachmittler von der Bedeutungserwartung seines Auftraggebers abhängig (14). Inwieweit er sich diesem Zwang unterwirft und dessen Zuträglichkeit mit seinem besseren Wissen vereinbart, kann hier nicht entschieden werden, zeigt aber ganz deutlich, daß im Handel mit Begriffen Vorsicht geboten ist und man nicht einfach annehmen darf, daß geläufige Begriffe mit geläufigen Bedeutungen gleichlaufen. Gerade das "Geläufige" mag Anlaß zu Besorgnis geben. Nur eine rigorose systematische Herbeiziehung aller verfügbaren Daten zur Begriffsbestimmung, wozu insbesondere mündliche Quellen, sprich Fachleute, eine hervorragende Rolle zu spielen haben, kann gewährleisten, daß der Begriff in allen Spielarten seiner Bedeutung ausgelotet und seinen jeweiligen Anwendungen Rechnung getragen wird. Zu betonen ist, daß in dieser Übung, soll sie aktuell bleiben, weniger auf alte Quellen Verlaß ist als auf die neuste Forschung wie sie nicht zuletzt im Internet erscheint. Dies gilt sowohl für die Ausgangssprache, in der die Begriffe ausgedrückt sind, wo sie oft auch sprachlich markiert sind, als auch für die Entsprechungen (wohlgemerkt nicht "Übersetzungen") in den anderen Vergleichssprachen.

Schüsselbegriffe, wie sie in der Kleinen Enzyklopädie auftauchen, sind ohnehin Trojanische Pferde. d.h. sie "haben es in sich"; Gefahr bedeuten sie wegen ihrer schon erwähnten ideologischen Potenz (Virtualität); dazu kommt ihre Bedeutungsvielfalt und ganz besonders der dadurch gegebene Anreiz zur Bedeutungsinnovation nach dem Goethewort "wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen", dem etwa, der mit Ungefährem ein Auskommen sucht bzw. der versucht ist, Kombinationsmöglichkeiten dieser genera ins Spiel zu bringen. (15) Begriffe, die so vieles mitschleppen, können leicht bemüht werden, noch etwas dazuzunehmen. Was sie auch "in sich haben" sind ihre phonetischen und semantischen Vernetzungen (16), sowie Gedankenanregungen (Evokationen), denen man sich oft schwer entziehen kann. Das führt zu Gedankenspielen mit den Begriffen und zu Wortspielen mit den Benennungen. Dazu kommt die Umbenennung abgegriffener, wenn nicht gar verfemter Begriffe zwecks Image-Aufbesserung (re-looking) oder Aktualisierung, wie der Philologe, der zum angelsächsischen Linguisten vertakelt wurde. Abgegriffene Münzen bleiben zwar gern im Umlauf, sie bedürfen jedoch einer Wertprofilierung, damit man sie immer noch bzw. wieder abnimmt.

"Kunst" ist ein gutes Beispiel. Ohne bei der Begriffserläuterung soweit gehen zu wollen wie Martin Heidegger in seinem "Der Ursprung des Kunstwerkes" (17), kann man nicht umhin festzustellen, daß der Begriff heutigentags mit Dingen in Verbindung gebracht wird, die mit dem Ursprung des Begriffs und seiner bisher landläufigen Bedeutung eigentlich nur noch wenig zu tun haben. Man darf sich also fragen, ob dieser Begriff dadurch einen neuen Verkehrswert bekommt. Oder anders ausgedrückt: Wird Kitsch oder ein Sammelsurium von ausrangierten Gebrauchsartikeln zu Kunst über die einfache Benennung bzw. die anmaßende Anlehnung an Stilleben ?

"Kultur" selbst veroberflächlicht zum Konsumgut im Zuge der künstlichen Bedarfseinredung immer größerer Kreise, die sich Helden und Melusinen in der Anschauung jetzt leisten zu können glauben (18), zumal der leidige Nachbar damit drängt. Es ist meist ein gutes Geschäft, das für den Freizeitmarkt beim Kultur-Management herausspringt, wenn Machtgewaltige es für gut befinden, den Wähler bei guter Laune zu halten oder vom Wesentlichen durch Belangloses abzulenken. Die Fernsehprogramme in aller Welt sind ein sprechendes Beispiel für die Bedeutungsentwertung des Begriffs Kultur durch seine Verwertung als Reklamescheinwerfer.

Wie man aus dem oben Gesagten erkennt, ist die Bedeutung eine sehr relative Angelegenheit, über die man sich hier nicht schlüssig werden kann, wenn überhaupt. Man sollte den Fragenkomplex nicht vom Tisch fegen mit der überheblichen Aussage von de Gaulle:

                 Je vous ai compris !

 

ANHANG I :

KARTEIKARTENSCHEMA (KS)
(nach ISO 17241: Computer applications in Terminology - Generic model - for SGML-based representation of terminological data)

Die Karteikartenfelder:

<TERMINUS>
Hauptbegriffsbenennung in einer Sprache, z.B. de, en, es, fr nach > ISO 690 so für einen deutschen Haupteintrag <TERMINUS> de zB HOLZLATTE. Mußeintrag - einzig
<Grammatik>
f. zb
<Abkürzung>
falls nötig
<Status>
enfällt
<KONTEXT>
Mußeintrag: Text + Quelle  kann mehrere Texte mit Quelle aufnehmen
<Geschichtsnote>
falls nötig
<Herkunft>
fakultativ + Quelle
<Sprachraum>
fakultativ + Quelle
<Gebrauch>
fakultativ + Quelle
<Synonym>
fakultativ der gesamte Block kann eben dieselben Felder wie bisher enthalten (Grammatik....bis Gebrauch)
<DEFINITION>
Mußeintrag + Quelle kann mehrere Texte m. Quelle aufnehmen
<Technische N.>
technische Bemerkung bzw. Erläuterung  erlaubt mehrere Texte m.Q.
<Terminol.N.>
terminologische Erläuterung m. Quelle
<Antonym>
fakultativ, repetitiv + Quelle
<Illustration>
Bildbeschreibung mit Verweis auf Bildarchiv, z.B. imap 3  fakult.repetitiv
<Datum>
zeigt Datum der letzten Aufbereitung der Karte.

NB:

Dieselben Felder gelten für die jeweiligen Entsprechungen, nur daß nach <Terminus> eben die entsprechende Sprache zB 'en' angezeigt wird. Der Block von `<Terminus> en' bis `<Antonym>' sowie auch der für weitere Sprachen sollte vor dem Feld <Illustration> eingefügt werden, da die Illustration ja für alle sprachlichen Benennungen gelten sollte. Ein Feld ohne Eintrag wird einfach übersprungen (gelöscht), sodaß eine Karteikarte mit 3-Sprach-Entsprechungen in den seltensten Fällen 2 Seiten übersteigt.

ANHANG II: Kurze paradigmatische Behandlung von zwei Begriffen der Kl. Enzyklopädie mittels KS

<TERMINUS>
POLYLOG
<Grammatik>
m. zb
<Fachbereich>
Dialektik
<Status>
Neologismus
<KONTEXT>
«dem jetzt zunehmend verwendeten Begriff des Polylog will man eine polyzentristisch strukturierte Situation erfassen, in der es möglich wäre, polyphonische Kommunikationsbedingungen zu schaffen, die zumindest und prinzipiell die Monopolisierung von Macht und Herrschaft (in der Form von Interessen, Prioritätensetzung, Argumentationsfluß usw.) hinterfragen und eine hinreichende und weiche kommunikative Universalisierbarkeit zulassen.» (Anil Bhatti: Internationalisierung der Kulturwissenschaften und Perspektivenwechsel in der Forschung, <http://www.inst.at/arlt/institut/studies/l_04_d.htm 04/08/99>http://www.adis.at/arlt/institut/studies/1_04_d.htm [Anm.Red.: seit 23.3.2001: http://www.inst.at/studies/l_04_d.htm]
<Geschichtsnote>
erste INST-Quelle s.Kontext supra
<Herkunft>
poly= mehrere + logos=Gespräch. Geformt nach «Dialog»=Zwiegespräch, das aber auch Wechselrede zwischen mehreren bedeuten kann (Wahrig 89, S343).
<DEFINITION>
Meinungsvielfalt, die sich im gegenseitigen Einverständnis entwickelt und sich ohne Rechthaberei behauptet <Q.s.< Kontext > supra>
<Terminol.N.>
Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser relative Neologismus durchsetzen kann.
<Datum>
28.12.2000

NB Die Entsprechung des Begriffs in anderen Sprachen folgt demselben Eintragsschema

<TERMINUS>
VIRTUALITÄT
<Grammatik>
f unzb
<Fachbereich>
Cyberspace / Kulturwissenschaft
<Status>
Begriff
<KONTEXT>
«Dem Menschen ist es eigen, daß er, bevor er eine Tätigkeit beginnt, Entwürfe des angestrebten Ergebnisses ...entwickelt, die immer wieder korrigiert werden - in der Menschheitsgeschichte und auch im individuellen Arbeitsvorgang. Zwischen den Entwürfen (Virtualität) und dem Tätigkeitsprozess (Realität) besteht ...ein Spannungsverhältnis. <http://www.adis.at/arlt/institut/ausstellung/rea_virt.htm 17/06/99> [Anm.d.Red.: seit 23.3.2001: http://www.inst.at/ausstellung/rea_virt.htm]
<Antonym>
Realität
Grammatik>
f zb
<Kontext>
s <Kontext> supra
<Herkunft>
vom lat. Vis/vir Kraft im Sinne von: das die Kraft hat, sich zu verwirklichen,d.h. Realität zu werden.
<DEFINITION>
Projekt  Wunschtraum im Entstehen begriffen und mit der Kraft der Verwirklichung ausgestattet <Q: Wahrig cit.S.1386>
<Erläuterung>
V. ist ein fundamentaler Begriff der Ethik, der den Menschen in die Verantwortung stellt, indem er, der Mensch, stets in der Spannung zwischen gut und böse steht und virtuell sowohl das eine als auch das andere bewirken kann; seine Realität ist dann das tatsächlich Vollbrachte aus dieser Virtualität heraus.< Q. Wörterbuch der Ethik, Campos Zh 1973 V.>
<Terminol.N.>
Das Begriffspaar «&Virtualität» und «Realität» ist nicht in allen Fällen antinom aufzufassen, aber es trägt zum Verständnis beider Teile bei, sie zusammen zu sehen.
<Datum>
28.12.2000

NB Die Entsprechung des Begriffs in anderen Sprachen folgt demselben Eintragsschema

 

ANMERKUNGEN

1 Nämlich culture of peace, Erkenntnis, Forschung, Information, Kultur, Kulturwissenschaft, Kunst, Polylog, Realität, Transnationalität, Virtualität, Zivilgesellschaft, Zivilisation

2 Der Universalienstreit zwischen Nominalisten und Realisten könnte auch hier wieder aufflammen, denn diese Begriffe entsprechen aufgrund ihrer generellen Natur und Abstraktion keinem handfesten Einzelding, zumal sie als enzyklopädische Wesen eher der Hydra von Lerna ähneln, der mit jedem von Occams Rasiermesser abgetrenntem Kopfteil wieder doppelt soviele erstehen.

3 Popular vs.official language. Schlimmer noch sind Minoritäten-Sprengkörper.

4 On commence par brûler des mots, on finit par brûler des hommes. Sprachghettos entäußern sich nicht immer mittels Poesie (wie yiddische Klagelieder oder Auswanderer Moritaten).

5 La langue sert à déguiser la pensée

6 è peligroso sporgersi ! Un train peut en cacher un autre !

7 meaning does not travel !

8 wie Leitkultur

9 der die Spannung vertuscht zwischen dem zwielichtigen saloppen Sprachgebrauch und der "gestylten" Sprachpflege; cf. Alain Rey qui pointe "la confusion entre le français réel, pluriel, conflictuel, mobile et le fantasme d'un français fictif, unique, apaisé et stable". Ah, le bel usage est plutôt un problème culturel, pédagogique et social. Télérama n2656, p.80.

10 was zu Occam's Razor führte

11 E. Husserl, Phänomenologie I, H.L.van Breda Hbg, 1956, S.362

12 Zwischen Bild und Wirklichkeit besteht vollständige Korrespondenz. Was das Bild darstellt, ist sein Sinn  vgl. Wittgenstein, Tractatus 2. Satz.

13 ISO Norm 12620 und 17241 cf. insbesondere Anhang I infra.

14 «awareness is one of the essential skills of translators in negotiation meaning with a target reader» in: The Translator as Communicator, Hatim/Mason, Routledge, Ld., 1997, S.126.

15 So etwa mag die "Friedenskultur" entstanden sein, als "Kleiderhaken" wie Bodenkultur.

16 Jede Bedeutung hat ihr eigenes semantisches Netz. Da die Homonymie bei unseren Kandidaten sehr ausgeprägt ist, entstehen aus der Bedeutungsvielfalt wiederum eine Netzvielfalt, die ihrerseits über den Hauptbegriff untereinander vernetzt sind. Erstaunlich ist nur, daß es z.B. im Dornseiff unter "Kultur" nur 9 Eint

17 Reclam N8446, 1999

18 La vaie France, qu'on a tort d'appeler "profonde" alors qu'elle l'est si peu (Nourissier cité dans Robert '99 sous "profonde")

 

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