Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
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Günter Grass und Yaschar Kemal . Eine regional-universale Anklage von Gesellschaft und Zeit

Dilek Altınkaya-Nergis (Universität Dokuz Eylül, Izmir)

 

ABSTRACT:

Im Rahmen dieses Beitrags sollen die beiden sich auf demselben politisch ausgerichtetem Feld bewegenden und aktiv für die internationalen Menschenrechte engagierten sowie befreundeten zeitgenössischen Schriftsteller Günter Grass und Yaschar Kemal in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext als regional-chronistische Kritiker von Zeit und Gesellschaft dargestellt werden, wobei sich der Beitrag auf die Romane "Die Blechtrommel" (1959) des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass und "Memed, mein Falke" (1955) von dem für den Literatur-Nobelpreis nominierten Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Yasar Kemal, stützen wird.

Das Ziel des Beitrages wird es sein, die erstaunlich ähnlichen Merkmale des Bundesdeutschen Günter Grass und des Türken Yaschar Kemal, die doch aus einem ganz anderem kulturellen und regionalem Hintergrund stammen, aufzuzeigen. Z.B.Günter Grass, der sich selbst als Kaschube mütterlicherseits beschreibt und dennoch "mit beschwertem Gedächtnis Deutschland verschrieben" ist. Auch Yaschar Kemal, der aus einem kleinen Dorf in Südanatolien stammt und kurdischen Ursprungs ist, hat mit seinem Werk "Memed, mein Falke", sich eindeutig der Cukurova-Ebene verschrieben.

Sichtlich handelt es sich in beiden Romanen um Landesregionen, an denen die Zeitgeschichte anhand zweier Menschenschicksale und deren Erlebnisse auf kritische Weise konkretisiert wird. Damit wissen beide Autoren genau, worüber sie schreiben und kennen sich in ihrer Geschichte sowie deren Historie aus.

Beide Autoren agieren in ihren Werken als Chronisten, die in den Einzelheiten die Zeit und Gesellschaft realistisch darstellen und kritisieren. Es werden auch jeweils Ethnien gegenübergestellt, so z.B. Türken und Kurden bei Kemal und Deutsche, Kaschuben und Polen bei Grass. Eindeutig handelt es sich bei den beiden in den 50’er Jahren entstandenen Protagonisten Oskar und Memed um Einzelgängerfiguren, die auf ihre Gesellschaften wechselweise aktiv (Mehmet) - als auch passiv (Oskar) reagieren. Weiterhin vereinen beide Autoren in ihren Werken eine Topografie des Schreckens, der Angst, der Machtarroganz und Dummheit, in der sich die Kritik an ihre Zeit und und ihre Umwelt in jeder Hinsicht widerspiegelt. Besonders in beiden Hauptfiguren drückt sich die soziale Anklage aus. Und auch wenn Grass’ Werk in der Kriegszeit Deutschlands spielt und Y. Kemal seinen Roman im Herzen Anatoliens angesiedelt hat, verfolgen beide die gleiche Absicht, nämlich ihrer Zeit und ihren Lebensumständen mittels Literatur Ausdruck zu verleihen und ihre Helden in der jeweiligen geographischen Region und Gesellschaft mitten in der Kulturdifferenz auftreten zu lassen.

Daß beide Autoren politisch engagiert sind, spiegelt sich besonders gut in diesen Werken wider. Dabei kommt es weder auf Herkunft noch Sprache an, denn Literatur hebt "Grenzen auf. Die Literatur schlägt die Brücke zum anderen, zum fremdgegangenen Ich. Sie verkuppelt uns. Sie macht uns zu Mittätern. Die Literatur zieht uns in Mitleidenschaft. Auf diese Weise, also nicht direkt, eher um drei Ecken [werden] wir […] miteinander verwandt", wie es Günter Grass in seiner Laudatio auf Yaschar Kemal anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels kund gab.


Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9. - 11. december 2005

H O M E
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