Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
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Edle Wüstenritter, verrückte Kamel-Freaks und ungläubige Super-Menschen
Wahrnehmungsunterschiede zwischen Tuareg-Nomaden, individuellen Ethno-Touristen und Gruppenreisenden in der Zentralsahara

Harald A. Friedl (FH Joanneum, Graz)

 

ABSTRACT:

Die Wüste als Gegenwelt zum europäischen Lebensraum faszinierte Forscher wie Reisenden seit jeher in besonderem Maße. In das Bild von den wogenden Dünen fügt sich auch das Image vom Tuareg-Nomaden. Es ist gleichfalls von Projektionen westlicher Sehnsüchte nach dem edlen Wilden gekennzeichnet.

Diese Sichtweisen sind unter den europäischen Reisenden aufgrund ihres gemeinsamen kulturellen Erfahrungs- und Prägungskontextes weitgehend ähnlich. Dennoch weisen individuelle "Reisende" im Gegensatz zu organisierten Gruppenreisenden - zumindest nach ihrem Selbstverständnis - etwas andere Reisemotive und Erwartungen auf. Dies zeigt sich auch in der etwas anderen Form des Reisens in die feindliche Lebenswelt der Wüste und zu ihren Bewohnern, denn bei Individualreisenden steht das Bedürfnis nach der Begegnung mit den Tuareg weiter im Vordergrund als bei Gruppenreisen, die mehr die Sehnsucht nach Dünen antreibt.

Im krassen Gegensatz zu touristischen Wahrnehmungen und Empfindungen der Sahara-Wirklichkeit stehen jene der Sahara-Bewohner, der Tuareg-Nomaden. Für sie ist das Leben in der Wüste eine alltägliche, erlernte und praktizierte Überlebensstrategie, die selten mit Idylle zu tun hat, auch wenn es ihr "Zuhause" ist.

Trotz der gravierend unterschiedlichen, teils scheinbar inkompatiblen Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster von Sahara-Reisenden einerseits und Sahara-"Bereisten" andererseits läuft der Sahara-Tourismus im Niger in einer für alle Beteiligten recht konstruktiven Weise ab. Die Europäer, so scheint es, gewinnen durch die Begegnung mit "echten Tuareg" an Befriedigung, während manche Tuareg-Nomaden durch bare Münze, manche erstaunlicherweise aber auch nur durch bloßen ideellen Austausch zu profitieren meinen.

Wie ist Begegnung oder gar Verständigung unter solchen scheinbar gegensätzlichen Voraussetzungen möglich? Welche Erklärungsansätze tragen zum besseren Verständnis von interkulturellem Austausch bei, der geprägt ist von scheinbar unüberbrückbaren Klischees? Der Fall des Tuareg-Tourismus indiziert, dass es neuer Denkansätze zum besseren Verständnis des umstrittenen Begriffs der "Völkerverständigung" bedarf, wie sie hier in Ansätzen entwickelt werden. Diese Ansätze dienten in weiterer Folge auch als Grundlage für das kybernetische Modell einer universellen Tourismusethik.

Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9. - 11. december 2005

H O M E
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