KCTOS: Knowledge, Creativity and
Transformations of Societies

Vienna, 6 to 9 December 2007

S E C T I O N S

Das Künstlerbild und das Künstlerproblem in der Ost-West Literatur
The Idea of the Artist and the Problem of the Artist in Literature, East and West

 

SektionsleiterInnen/Vorschläge, Abstracts an / Section Chair/ Suggestions, Abstracts to::

Pornsan Watanangura (Bangkok Thailand / Chulalongkorn Universität) [BIO]

Email: wpornsan@chula.ac.th

 
ReferentInnen / Speakers / Orateurs  >>

ABSTRACT:

 

Seit der Renaissance und dem Humanismus haben “Künstler“ oft eine Sonderstellung in der europäischen Gesellschaft. Das Bild vom „Staatskünstler“, das der Baseler Historiker Jacob Burckhardt in seiner Kultur der Renaissance in Italien (1860) entwirft, richtet sich in erster Linie auf Florenz und auf Machiavelli. Die Künstler dieser Zeit werden zum Bestandteil des Staates als „Kunstwerk“ gemacht. Berühmte Dichter bzw. Maler konnten sich durch ihre besondere Leistung künstlerisch als Individuum behaupten. So wird Dante noch von Napoleon als das erste Genie der neueren Zeiten gerühmt. Von ihren höfischen Auftraggebern und schon von ihren Zeitgenossen wurden sie eben aus diesem Grund als „Künstler“ geachtet. Als die europäischen Künstler bzw. Schriftsteller in der Mitte des 18. Jahrhunderts die bis dahin unerhörte Möglichkeit wahrnahmen, nicht mehr nur die Muse, sondern auch sich selbst anzurufen, war das ein historischer Augenblick.(1) Die Sonderstellung des Künstlers ist seit der Genie-Periode im 18. Jahrhundert in Deutschland zu einem besonders häufig in der Literatur behandelten Thema geworden. Seit Klopstock seinen Messias mit dem Aufruf an die eigene Seele begann, häufen sich die Berufungen auf die Autonomie der künstlerischen Einbildungskraft. Rousseau war der erste, der den „Künstler“ zum Gegenstand im Roman machte. Bei den englischen Romanciers lässt sich die Wendung vom abenteuerlich handelnden Tom Jones zum selbst reflektierenden Helden Tristram Shandy besonders deutlich ablesen. In Deutschland wurden zunächst der junge Goethe selbst und später sein Werther und sein Wilhelm Meister zum Prototyp dieser Selbstbespiegelung des Künstlers. Damit setzt Goethe Neuerungen, die Wieland in seinem Agathon eingeführt hatte, mit seinem Bildungs-, Erziehungs- und Entwicklungsroman fort, den Thomas Mann später als eine „geistige und durch und durch menschliche Kunstgattung“ kennzeichnet, und der zugleich immer auch als „Autobiographie und Selbstbekenntnis“(2) gilt. Jedoch haben sich die Akzente des Künstlerbilds bzw. des Künstlerproblems in der europäischen Literatur durch die abrupten wirtschaftlichen und sozial-politischen Änderungen in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut verschoben. Das Künstlerbild und seine Problematik werden mehr und mehr im Konflikt mit der Gesellschaft zum Thema gemacht und häufig mit politisch orientierter Gesellschaftskritik verbunden - so bei E.T.A. Hoffmann, Stendhal, Balzac, Flaubert, Dostojewski, Fontane, Zola, Thomas Mann, Joyce, und später Böll und Grass.

So lässt sich eine zeitlang in der westlichen Literatur die Abtrennung der privaten Lebensgeschichte der Künstler von der Öffentlichkeit ihrer Zeit beobachten. Das Künstlerthema konzentriert sich hauptsächlich auf die Selbstbespiegelung als Künstlerproblem, wobei die Stellung des Künstlers in der jeweiligen Gesellschaft auf unterschiedlichen Erfahrungen beruht. Gleichzeitig nimmt der Ehrgeiz der Künstler zu, zum Sprecher vieler Menschen, insbesondere der Verfolgten und Benachteiligten zu werden. Dabei kommt es unter Umständen zu einer förmlichen Identifikation des Autors mit dem Künstler.

In der Literatur außerhalb Europas – darunter in asiatischen Ländern - spielen offensichtlich noch andere Faktoren bei der Bewertung des Künstlers eine entscheidende Rolle: Religion (z.B. Buddhismus, Islamismus), die literarische Tradition im jeweiligen Kulturraum und auch der Gegensatz von Schriftkultur versus mündlicher Kultur. Nicht zuletzt gibt das Verhältnis zwischen Hof und Volk bzw. zwischen Staat und Volk der Hof (Staats)- und der Volkskultur je ein besonderes Gepräge.

Für die Sektion sind Beiträge (sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch) erwünscht, die sich mit dem Künstlerbild bzw. mit der Künstlerproblematik im westlichen und östlichen Kulturraum befassen. Eine vergleichende und kontrastive Analyse der Künstlerproblematik soll neue Ergebnisse sowie neue Ansätze des Forschungsspektrums aufzeigen.

 

Since the Renaissance and the era of Humanism, “artists” have often occupied a special position in European society. The idea of the “Staatskünstler“, illustrated by Swiss historian Jakob Burkhardt in his Kultur der Renaissance in Italien (1860), concentrates primarily on Florence and Machiavelli. The artists of that time are turned into a constituent part of the state as a “work of art”. Through their outstanding achievements, famous poets or painters could ensure their artistic individuality. So Dante is praised by Napoleon as the first Genius of the modern time. Their aristocratic patrons (and also their compatriots) considered them artists for precisely this reason. When, in mid-18th century, European artists and writers took the opportunity - unheard of until then - to call not only upon the muse, but also on themselves, this was a truly historic moment. (1) The special position of the artist became an especially popular literary topic, beginning with the period of the “genius” (Genie-Periode) in 18th-century Germany. Since Klopstock’s Messias with his calling on his own soul, artist’s appeal to lie upon the autonomy of their own artistic imagination increased tremendously. Rousseau was the first to turn the artist into the subject of a novel. The English novelists took a certain turn from the adventurous hero, Tom Jones, to the self-conscious hero, Tristram Shandy. In Germany, first young Goethe himself, then Werther and Wilhelm Meister became the proto-type of this self-reflection of the artist. Goethe continues the innovations in Wieland’s Agathon through his Bildungsroman, Erziehungsroman, and Entwicklungsroman, which Thomas Mann later characterizes as the “genre of intellectual and the genre of humanistic art”, but also seen as “autobiography and confession.”(2) However, as far as the idea and the problem of the artist in European Literature are concerned, another shift of emphasis was caused by the sudden economic and socio-political changes during the second half of the 19th and the first part of the 20th century. The idea of the artist and the related issues were more and more brought up into conflict within the framework of social questions, often in connection with politically motivated social criticism: E.T.A. Hoffmann, Stendhal, Balzac, Flaubert, Dostoevsky, Fontane, Zola, Thomas Mann, Joyce, and later Böll und Grass.

Thus, for a certain time one can observe in Western Literature the separation of the private life of the artist from the contemporary public sphere. The subject of the artist focuses mainly on the narcissistic self-illumination as the problem of the artist, with the position of the artist in his or her respective society being based on different experiences. At the same time, the ambition of the artist increased and can be recognized as spokesperson of curtain groups of people, especially of victims of persecution and disadvantage. As a result, an increasing identification of the author with the artist can possibly be recognized.

In literature from outside Europe, from Asian countries, other factors apparently play a crucial role as well: Religion (e.g., Buddhism, Islamism), the literary traditions in the respective cultures and also the contrast of the written culture versus oral culture. Last but not least, the relation between court/crown and subjects, or between the state and the people, gives the states and the people’s culture its unique character.

For this section, we are looking for contributions (both in English and German) which deal with the idea of the artist and/or with the problem of the artist as expressed in Western or Eastern culture(s). A comparative and contrastive analysis of the issue of the artist is intended to provide new insights and results as well as new research approaches.

 


Anmerkungen:

1 Siehe: Eberhard Lämmert: „Der Autor und sein Held im Roman des 19. und 20. Jahrhunderts“. In: The German Quarterly, Fall 1993, p. 415.

2 Zitiert nach Thomas Mann in seinem Artikel „Der Entwicklungsroman” in der Vossischen Zeitung vom 4. November 1916, auch in seinem Vortrag „Über die Kunst des Romans“, in: Eberhard Lämmert, (Anm. 1), S. 415 bis 416.

 

Notes:

1 See: Eberhard Lämmert, “Der Autor und sein Held im Roman des 19. und 20. Jahrhunderts.“ In: The German Quartely, Fall 1993, p. 415.

2 Quoted from Thomas Mann in his article “Der Entwicklungsroman” in the Vossische Zeitung from Nov. 4, 1916, also in his speech „Über die Kunst des Romans,“ in: Eberhard Lämmert (note 1), p. 415-416.


ReferentInnen / Speakers / Orateurs

  • Zur Lebensgeschichte des Pra-Apaimanie von Sunthorn Phu – Der Künstler an der Schwelle de Moderne
    Pornsan Watanangura (Chulalongkorn Universität, Bangkok, Thailand)
    ABSTRACT

  • From an individual interest of an artist to a general interest of contemporary art
    Branko Andric taken as a case study
    Branko Andric (Vienna)
    ABSTRACT

  • The Work of Art in the ‘Age of the Smart Machine’
    Brian Bloomfield and Theo Vurdubakis (CSTO Lancaster University)
    ABSTRACT

  • Zum Begriff des Künstlers und Dichters in der modernen Marathi Literatur
    Niteen Gupte (Universität Pune, Indien)
    ABSTRACT

  • The multidisciplinary nature of theater
    Ken Nintzel (Artist, New York)
    ABSTRACT

  • Ein Königreich für einen Elefanten
    Als österreichischer Künstler in Hollywood und Thailand
    Michael Pand (Wien)
    ABSTRACT

  • Hermann Hesses Kunst zwischen Ost und West
    László V. Szabó (Veszprém, Ungarn)
    ABSTRACT


Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007