Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive


 

Zerrissene Zeit. Ausnahmezustand als Krise der Repräsentation bei Schmitt, Agamben, Foucault und in E.L. Doctorows Ragtime

Oliver Kohns (Université du Luxembourg) [BIO]

Email: okohns@gmx.de

 


 

ABSTRACT:

Carl Schmitts politische Theologie kreist um den Zusammenhang von Ausnahmezustand, Souveränität und Repräsentation. Schmitts Angriff auf die parlamentarische Demokratie zielt auf die romantische Utopie des „ewigen Gesprächs“ ebenso wie auf die zeitgenössische (etwa durch Kelsen betriebene) Tendenz, Entscheidungen durch juristische Prozesse zu ersetzen. Dem setzt Schmitt seine Theorie der Dezision entgegen, die für Kelsen Ausnahme bleiben sollte: „Die Ausnahme“, schreibt Schmitt, „offenbart [...] die Dezision, in absoluter Reinheit.“ Als „reiner Akt“ ist die Entscheidung des Souveräns nicht nur Entscheidung „über den Ausnahmezustand“, wie Schmitts berühmte Formel aussagt, sondern sie ist selbst Ausnahmezustand. Derart kann sie als „reine“, nicht begründete und darum nicht diskursive Handlung zum „Befehl“ werden, der dem „unendlichen Gespräch“ ein Ende setzt. Schmitts Kritik der parlamentarischen Demokratie wie seine Theorie souveräner Gewalt sind als Lehren politischer Medien zu verstehen.

Eine andere Perspektive auf den Zusammenhang zwischen Ausnahmezustand, Souveränität und Repräsentation entwirft Foucaults Vorlesung „Il faut défendre la société“. Foucault beschreibt Souveränität ab dem 16. Jahrhundert als rein repräsentatives „Machtritual“, welches den Übergang der Herrschaftsausübung an eine anonyme Bürokratie verschleiert. Als „Gegen-Geschichte“ zu den Diskursen der Souveränität beschreibt Foucault die Idee eines universellen Kriegs, der unterhalb der gesetzlichen Normen weitergeführt wird. Die gesellschaftliche Realität – inklusive des Souveräns und der Gesetze – erscheint in diesem Diskurs als Täuschung über einen grundsätzlichen Bürgerkrieg.

Dieser universelle Bürgerkrieg bildet die diskursive Grundlage für E.L. Doctorows Roman Ragtime (1974). Doctorow übersetzt die Handlung von Kleists Michael Kohlhaas in die Rassenkonflikte im New York des frühen 20. Jahrhunderts. „Ragtime“ bedeutet „zerrissene Zeit“ – und zerrissen ist sie: Das Auto des schwarzen Musikers Coalhouse Walker wird von Rassisten zerstört, und er beginnt einen Rachefeldzug, der die ganze Stadt in Aufruhr versetzt. Die Eskalation der Gewalt ist jedoch nur möglich auf der Basis eines immer schon impliziten Rassenkampfs.

Mein Vortrag soll die Inszenierung des Ausnahmezustands in Doctorows Roman analysieren und in Beziehung setzen zu Schmitts, Agambens und Foucaults Konzepten des Ausnahmezustands.

 


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