Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

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Theater als Dialog, Dialog als Theater
Forumtheater als Instrument der Analyse sozialer Strukturen und als Katalysator in gesellschaftlichen Transformationsprozessen Kirgistans

Matthias Thonhauser (Art in Progress, Gmunden, Austria – Bishkek/JangyJer, Kyrgyzstan) [BIO]

Email: matthias.thonhauser@tele2.at

 


 

ABSTRACT:

In über 70 Ländern wird das in den 1970er Jahren in Lateinamerika durch die Arbeit des brasilianischen Theatermachers Augusto Boal entstandene Theater der Unterdrückten eingesetzt und weiterentwickelt. Es ist ein künstlerisches Instrument um soziale und politische Realität zu analysieren und an der Veränderung von gesellschaftlichen Strukturen zu arbeiten, die Menschen der ihnen zustehenden Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten berauben und die konkret in partikulären Situation im Dorf, in einem Stadtteil, bei Amtshandlungen, im Klassenzimmer etc. sichtbar werden.

„Create a dialog instead of monolog!“ ist ein fundamentaler Topos im Theater der Unterdrückten, ausgehend von der These, dass Beteiligung an politischer Macht nur dann möglich ist, wenn sich Menschen als handelnde Subjekte erleben und dabei Kommunikation nicht nur in eine Richtung verläuft, sondern ein Austauschprozess ist. Dieser These liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen fähig sind, aus eigenen Kräften für ihre Situation sinnvoll Lösungsstrategien zu entwickeln, in der Lage sind von struktureller Gewalt geprägte gesellschaftliche Gegebenheiten zu verändern und weiterzuentwickeln.

Das Theater der Unterdrückten eröffnet einen Diskurs im Theaterraum, in dem die Grenze zwischen Bühne und Publikum durchlässig wird, so dass alle an einem Aufführungsprozess Beteiligten gleichermaßen „actor“ als auch „spectator“ sind, zum „spectactor“ werden. Das Spiel eröffnet einen Spielraum in dem Stellungnahme, Diskussion, Erpoben neuer Handlungsweisen, Analyse von Kommunikation, Sichtweisen und strukturellen Zusammenhängen und deren Neubeurteilung durch theatrales Handeln passiert.

Seit 2005 finden in Kirgistan Workshops statt, die Methoden des Theaters der Unterdrückten weitervermitteln. Ausgangspunkt war die Einladung der im Zuge der Umbrüche im März 2005 gegründeten Jugendbewegung KelKel, die diese Methoden nutzen wollten um junge Erwachsene zu motivieren sich am Prozess der für Juli 2005 vorgesehenen Präsidentenwahlen zu beteiligen. Aus dem Folgeprojekt 2006 entwickelte sich auf Grund des Interesses von KünstlerInnen, PädagogInnen und SozialarbeiterInnen, schließlich die Idee, 2007 eine internationale Konferenz mit Workshops zu veranstalten, die der Beginn eines permanenten theaterpädagogischen Zentrums sein sollten. Die Veranstaltung fand unter dem Titel Youth and Society in Asia: Creative Paths of Democratization and Development von 2. bis 14. September in dem nahe Bishkek gelegenen Lyzeum 43 statt.(1)

Es wird eine neue Form der Theaterarbeit vermittelt, die auf Grundsätzen wie Gleichwertigkeit, Prozessorientiertheit, Partizipation und Dialog basiert. Sie trifft auf vorhandene Erfahrungen politischer und sozialer Veränderungen, Wertvorstellungen, Kommunikationsformen, Partizipationsmodellen und traditionelle und moderne künstlerische Ausdrucksformen.

Etliche Fragen und Themenfelder, die sich hinsichtlich des Austausches von Erfahrungen und Wissen aus diesem Aufeinandertreffen ergeben, werden im Folgenden kurz erläutert.

Im künstlerischen Prozess der Theaterarbeit wird Wirklichkeit sichtbar gemacht, analysiert und Verständnisweisen dieser Wirklichkeit mit ihren praktischen Handlungskonsequenzen diskutiert und erprobt.

Wie werden Begriffe wie Unterdrückung, Politik, Emanzipation, Bewegung in verschiedenen Kontexten aufgefasst, welche Konnotationen beinhalten sie auf Grund der jeweiligen regional spezifischen Erfahrungen? Wie wird Gesellschaft verstanden, welches Modell liegt dem diesbezüglichen Denken zugrunde und was ist der Sinn verschiedener Verständnisweisen?

Eine besondere Herausforderung für das Projekt sind jene Anteile in Kommunikations- und Handlungsmuster, die wesentlich in der Zeit der Sowjetunion geprägt worden sind. Insbesondere in staatlichen Institutionen scheinen diese Anteile eine wichtige Rolle zu spielen. In der bisherigen Arbeit zeigt sich, dass das Aufeinandertreffen von hierarchischen, instruktionsgewohnten Strukturen und einer auf Partizipation und Dialog basierenden prozessorientierten Theaterarbeit einiges an Reibungsfläche beinhaltet.

Inwiefern muss auch die Methode selbst zum Gegenstand des Diskurses werden, sozusagen in einen Dialog treten mit den kulturellen Gegebenheiten in Zentralasien? Eine Herausforderung dabei ist meines Erachtens, die Frage, wie es gelingen kann Theater der Unterdrückten in den eigenen Kontext hinein zu entwickeln und dabei die Grundsätze dieser Theaterform zu integrieren.

Durch die Einbindung von Experten aus Indien, der Türkei und Europa zur Vermittlung der Methode, und TeilnehmerInnen aus Tadschikistan, Kasachstan und Pakistan ergeben sich interessante Möglichkeiten des Wissenstransfers und interkulturellen Austausches. In diesem Austausch wird durch das Zusammenkommen von Menschen mit verschiedenen Wissens- und Erfahrungshorizonte Neues kreiert. Was ist das Neue und wie wird es in den konkreten sozialen und politischen Kontexten Kirgistans bzw. Zentralasiens entwickelt?

Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen werden die Möglichkeiten diskutiert, das Theater der Unterdrückten als Werkzeug gesellschaftlicher Veränderung einzusetzen, nachhaltig Diskurs- und Partizipationsformen zu stärken bzw. neue zu kreieren.

In die Diskussion miteinbezogen wird die Praxis in anderen Ländern, insbesondere Indien, wo das weltweit größte Netzwerk von Gruppen besteht, die mit Theater der Unterdrückten arbeiten.


1 Die Konferenz ist eine virtuelle Sektion der aktuellen KCTOS Konferenz.

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Wien, 6. bis 9. Dezember 2007