Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Hermeneutische und nicht-hermeneutische Zugänge zu Kulturen

Andrea Komlosy (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien)
Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Funktionsvoraussetzung des globalen Kapitalismus oder Ausdruck von Widerständigkeit?

Das Seminarthema verweist auf eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren des globalen Kapitalismus: Die Integration unterschiedlicher Weltregionen in eine ungleiche internationale Arbeitsteilung. Eine weltsystemische Definition von Kapitalismus beschränkt diesen nicht auf jene Teile der Wirtschaft, in der Lohnarbeit bzw. das Industriesystem vorherrschen. Vielmehr schließt die kapitalistische Weltwirtschaft alle Weltregionen und Produzentengruppen ein, die in ihre arbeitsteiligen Zusammenhänge eingebunden sind, sei es als Zentralräume oder als Peripherien, als agrarische oder gewerblich-industrielle oder postindustrielle Standorte, sei es als LohnarbeiterInnen oder in verschiedenen Formen un- und unterbezahlter Arbeit. Das Geheimnis der Kapitalakkumulation liegt in der Kombination dieser unterschiedlichen Formen von Arbeit, die in den verschiedenen Weltregionen ungleich verteilt und zusammengesetzt sind. So gesehen erlaubt die - immer wieder neu geschaffene - "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" den Zugriff auf so genannte Billiglohnregionen und Billiglohnarbeitskräfte. Indem diese dazu beitragen, Kosten zu sparen, erlauben sie den Transfer von Werten, die in den Peripherien geschaffen wurden, in die Zentren der Weltwirtschaft.

Dieser systemstabilisierenden Funktion der "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" steht eine widerständige Lesart gegenüber. Eine Sichtweise, die die Existenz von Unterschieden als Ausdrucksform von kultureller, regionaler oder sozialer Eigenständigkeit gegenüber der alles unter die gleiche Rationalität zwingenden, dabei aber keineswegs zur Angleichung führenden Markt- und Verwertungslogik begreift. Damit Vielfalt und Differenz ihr Eigenleben bewahren und entfalten können, müssen sie sich gegen die ständigen Vereinnahmungsversuche zur Wehr setzen, als Baustein des globalen Kapitalismus missbraucht zu werden.

Der Beitrag zeigt den permanenten Widerstreit zwischen der kapitalistischen Funktionalisierung und den widerständigen Potentialen von Differenz im Laufe der Geschichte und erwägt die Chancen system- und globalisierungskritischer Bewegung am Beginn des 21. Jahrhunderts.

DAS VERBINDENDE DER KULTUREN