Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Vom Nutzen kultureller Differenzen (Vilém Flusser)

Thomas Duschlbauer (Linz)
Vom Mangel an Überfluss zum Überfluss an Mangel. Über Differenz und Ambivalenz zweier Systeme

"Warum müssen wir immer mehr arbeiten, wenn wir doch von so vielen kompetenten und innovativen Dienstleistern umgeben sind?", habe ich mich gefragt und bin im Zuge meiner Recherchen langsam zur Überzeugung gekommen, dass es in unserem kapitalistischen System offenbar Strukturen gibt, die wir eigentlich aus der Zeit des Real Existierenden Kommunismus kennen.

Meine These lautet daher: Der Kommunismus ist nicht einfach aufgrund der enormen Veränderungsdynamik und Anziehungskraft des Kapitalismus zusammengebrochen, sondern er ist in ihm implodiert. So wird der Kommunismus heute durch den Kapitalismus lediglich dissimuliert, um weiterhin die wichtigsten Grundsäulen des Kapitalismus simulieren zu können. Daher ist es für den Kapitalismus auch durchaus dienlich, dass es noch solche Refugien des Kommunismus wie Nord Korea oder Kuba gibt, um diese Illusion eines "Anderen" - wie wir es noch von früher her kennen - aufrechtzuerhalten. Angesichts dieser These wird auch deutlich, dass die Kritik am Kapitalismus, wie sie in der Anti-Globailiserungs-Bewegung oder im Antiamerikanismus formuliert wird, nicht wirklich greifen kann, denn das "Anti" richtet sich gegen etwas, was der Kapitalismus nur augenscheinlich repräsentiert und nicht gegen das, was er eigentlich ist.

Anhand von aktuellen Beispielen werde ich bei meiner Präsentation folgende Fundamente von westlich geprägten und kapitalistischen Systemen als Mythen darstellen: Leistungs-. Und Dienstleistungsgesellschaft, Waren- und Parteienvielfalt, Freiheit.

Im Rahmen des Vortrages werde ich auch auf die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung eingehen. Eine Ursache liegt dabei in der optimistisch-naiven Annahme, dass es lediglich des Handels bedarf, um andere Systeme mit westlichen Werten zu "infizieren". Handel in Form von Austausch ist allerdings keine Einbahnstraße. Insofern haben auch die westlichen Systeme keine Garantie, nicht mit den Werten anderer infiziert" zu werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die USA beispielsweise bei ethischen Fragestellungen ähnliche Positionen einnehmen wie die Volksrepublik China oder wie islamische Staaten (Todesstrafe, Rechte von Minderjährigen etc.).

Trotz dieser Werte-Diffusion kann allerdings nicht wirklich von einem Rückfall in die Zustände einer frühkapitalistischen Zeit gesprochen werden, denn die Gegenwart ist nicht vom Mangel an Überfluss, sondern vom Überfluss am Mangel geprägt, was auch die Interpretation der Menschenrechte verkehrt. So erscheint angesichts der Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit das Recht auf Arbeit genauso paradox wie etliche andere Grundrechte. Das Recht auf Meinungsfreiheit müsste demnach heute auch ein Recht auf die Freiheit von einer Meinung sein, denn die Bürger in den kapitalistischen Gesellschaften werden durch die Markt- und Meinungsforschung permanent zur Meinungsäußerung genötigt. Ähnliches gilt auch für das Recht auf Versammlungsfreiheit innerhalb einer Gesellschaft des Spektakels und einer penetranten Eventkultur, die selbst die abgeschiedensten Orte zu Kulissen für Masseninszenierungen macht. Betrachtet man den Konsum heute ebenfalls als eine Weltreligion, dann trifft dies auch auf das Recht der Religionsfreiheit zu, denn mittlerweile ist es so, dass potentielle Konsum-Atheisten aus manchen öffentlich zugänglichen Räumen verwiesen werden können, nur weil sie nicht an den Ritualen des Kommerzes teilhaben.

Angelehnt an Slavoi Szizek kann demnach behauptet werden, dass das "Du darfst" der kapitalistischen Gesellschaften wesentlich totalitärer ist als das "Du sollst nicht" oder "Du kannst nicht" innerhalb der kommunistischen Systeme.

DAS VERBINDENDE DER KULTUREN