Das Verbindende der Kulturen

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Apocalypse Now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur

Martin Hainz (Universität Wien)
Die Enthüllung als Erfahrungskleid - Rose Ausländer und das Sinnbild der atomaren Apokalypse

Apokalypse kommt vom Griechischen, bezeichnet eigentlich ein Entbergen oder Enthüllen, ist mit einer Metaphorik von der nackten Wahrheit verbunden. Ist die Apokalypse mit der Idee eines finalen Ikonoklasmus verbunden, so ist ihr zugleich eine Rhetorik und Bildlichkeit immanent. Apokalypse meint aber natürlich mehr als Enthüllung: nämlich Weltuntergang. Beides möchte ich berücksichtigen.

"Nobody was prepared when it came",

so beginnt jenes Gedicht, dessen Verse von der Dichterin Rose Ausländer 1959 als "the most gruesome and nihilistic ones I have ever written" vorgestellt wurden: After the World Was Atombombed. Anhand dieses Szenarios kann Rose Ausländer zeigen, daß ihr tatsächlich eine Welt untergegangen ist - das kaiserlich-königliche Österreich mit seiner Multikulturalität, war diese auch das Produkt einer repressiven Ideologie, die das Habsburgreich wider - nicht zuletzt nationalistische - Freiheitsbestrebungen einte. Ihre Welt war nicht mehr, die Möglichkeit einer humanen Welt überhaupt in Zweifel gezogen.

Nun hätte Rose Ausländer ihre Apokalypse auch von der Atombombe entkoppelt präsentieren können, ginge es hier nur um zweierlei, nämlich einen Weltenbrand sowie eine Metaphysik, die von der Unberührbarkeit Gottes erzählt. Das Gedicht versinnbildlicht auch, daß Gott den Menschen, der Mensch aber den gewaltsamen Tod erdachte. Es ist ein menschliches und politisches Versagen, von dem die Verse berichten: Auschwitz. Dies jedoch ist auch schon implizit ein Einwand gegen den Versuch, in einer Apokalypse die andere lesbar zu machen. Denn die eine Vernichtung ist mit der anderen nur bedingt zu vergleichen, was ich nicht aus der Perspektive dessen behaupte, der die Verbrechen und die Opferzahlen aufrechnet. Weit eher ist das Problem dies:

"Auschwitz ist trotz der Tatsache, daß die Welt nicht durch Auschwitzs, sondern durch Hiroshimas zugrundegehen wird, moralisch ungleich entsetzlicher [...] als Hiroshima." (Anders)

Es stellen sich zwar ähnliche Fragen in bezug auf das Gedenken, dem sein Gegenstand zu Staub zerfällt - doch ist verschieden, wovon die Verse außerdem erzählen. Auschwitz war eine Industrie, nicht eine Kette von Entwicklungen, die in der punktuellen Ermordung jene moralisch überrumpelte, die einen Knopf drückend letztlich Ungeahntes auslösten. Auschwitz war ein Kontinuum der Leichenproduktion, eine stets vermehrte Schuld, integriert in so etwas wie einen Alltag der Henker. Rose Ausländers Verse sind grausig. Sie sind eine Vision der Kälte, an deren Peripherie sich die Mutterliebe als Utopie einer längst unmöglichen Metaphysik fast grotesk ausnimmt. Doch sie geben nicht das wieder, was auch wiederzugeben war: die Maschinerie.

Als ähnlich wirksamer, unerhört avancierter Einspruch Rose Ausländers gegen einen Kulturholismus als Wohnhöhle oder -hölle kann das Gedicht Rückblick gelten. Es findet sich darin etwas abgekürzt die folgende Formel zur conditio humana:

Aus dem Schönen bricht die Dichterin zu jenem durch, das zuletzt in einer barbarischen Ästhetik immer schon vorweggenommen zu sein scheint, womit Heimat hier als entzogene angesprochen ist - wer wollte heil davongekommen in den Häusern sich behaglich einrichten, deren Nähe zu den mächtigen Öfen nicht vergessen werden kann?

Kein Akt der Erinnerung kann hier rettend wirken - nicht die Erinnerung an die Toten, nicht die Erinnerung an eine einstmals heile Welt. Rose Ausländers Blick ist zu scharf für nostalgische Gefühle, die Heimat ist, seit sie selbst Kampfvokabel ihrer Vernichter wurde, auch retrospektiv gewandelt. Dies gilt umso mehr, als Rose Ausländer mit ihren Versen an einen Text anknüpft, der auf der Unmöglichkeit einer geglückten humanen Existenz basiert: an das Drama von Antigone und den von Sophokles verfaßten Chorgesang, der ob des Geschicks der Antigone den Menschen als das Schrecklichste unter allem Schrecklichen identifiziert.

Zusammenfassend ist also zu sagen: Die Apokalypse erweist sich als untauglich, die Apokalypse zu beschreiben. Das Zeit- und Weltenende ist dagegen präzise in den schönen Häusern vorgezeichnet.

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