Das Verbindende der Kulturen

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Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen

Norbert Cuypers (Ordensgemeinschaft Steyler Missionare, SVD)
Papua Neuguinea: Sprachen und Sprachaufassungen in einem Land mit 1000 Kulturen und über 700 Sprachen - eine Herausforderung für ein gutes Miteinander

Papua Neuguinea: Einheit in der Vielheit: das Land der über 700 Sprachen: Papua Neuguinea liegt nördlich von Australien als die größte Inselgruppe Melanesiens.

Es gibt über 1000 Stämme mit ihren eigenen Kulturen und Sprachen. Etwas Allgemeines über Land und Leute lässt sich deshalb nur schwer sagen, denn Küstenleute sind kulturell wesentlich anders als Hochländer. Lange haben die Menschen isoliert voneinander gelebt. Heute vermischen sich die Kulturen. Das wirkt sich auch auf die Sprache aus.

Durch die lange Isolation voneinander haben sich in Papua Neuguinea über 700 Sprachen entwickeln können. Alte Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen des Landes können sich bis auf den heutigen Tag untereinander nicht verständigen. Junge Menschen lernen in der Schule das "Tok Pidgin".

"Tok Pidgin" ("Talk Business" = Geschäftssprache) hat sich im Kontakt zu den Seefahrern immer mehr als eine verbindliche Sprache entwickelt und ist heute neben Police Motu und Englisch eine der drei offiziellen Staatssprachen.

Das "Tok Pidgin" ist eine gekünstelte Sprache, die sich hauptsächlich aus den verschiedenen melanesischen Stammessprachen, aus Englisch und aus Deutsch zusammensetzt.

Es ist eine lebendige Sprache, da sie sich derzeit noch laufend verändert. Der Einfluss von Deutsch nimmt ab; der Einfluss der englischen Sprache hingegen nimmt zu. (früher hieß "Lasset uns beten" auf Tok Pidgin: "Yumi beten". Heute sagen viele Melanesier "Yumi pre")

"Tok Pidgin" ist im Grunde eine einfache, eine "erzählende" Sprache (Ich sehe da Ähnlichkeiten zum Aramäischen, der Muttersprache Jesu). Geschichten (erfunden und/oder aus dem Leben) sind wichtiger Bestandteil. Abstrakte Ideen sind in Tok Pidgin nur schwer auszudrücken.

Man spricht sehr viel in der Gegenwartsform. Die Formen der Vergangenheit und Zukunft sind grammatikalisch zwar da, werden aber wenig beziehungsweise inkonsequent benutzt. Das entspricht dem Lebensgefühl der Menschen: man lebt im Alltag mehr im Hier und Jetzt. Sich Sorgen machen für morgen ist eher unbekannt.

Die bis heute einzige Zeitung in "Tok Pidgin" mit dem Namen "WANTOK" (= one talk = eine Sprache) wurde ebenfalls von Steyler Missionaren vor mehr als 30 Jahren gegründet. Dabei handelt es sich um eine Wochenzeitung, die alle Themen des Lebens abdeckt. "WANTOK" ist also keine reine Kirchenzeitung, wird aber von den vier großen Hauptkirchen des Landes herausgegeben. Man beachte: alle anderen Printmedien im Land erscheinen in Englisch und sind daher den Massen nicht zugänglich.

Das Wort "Wantok" bezeichnet aber auch den Menschen, der mit mir die gleiche Sprache spricht und mir ähnlich einem Bruder / einer Schwester emotional nahe steht. Dem Menschen, mit dem ich die eine Sprache teile, bin ich verpflichtet zu helfen. Er steht mir nahe und nimmt mich gerade deshalb auch sozial in die Verpflichtung. "Wantoksystem" (eine Art melanesische "Sozialversicherung") = In Papua Neuguinea geht es mir gut, wenn es dem Stamm, dem "Wantok" gut geht. Ich muss alles daran setzen, dass es Harmonie unter allen Wantoks gibt. Das "Wantoksystem" fordert mich ein - hilft mir aber auch, wenn nötig. Traditionell sehr gut, bringt es aber im Kontakt mit der "modernen Welt" die Menschen in große Gewissensprobleme (Arbeiter im Supermarkt muss unter Umständen für seinen "Wantok" stehlen).

Die Sprache eines Landes ist ein guter Indikator des Lebensgefühls und der Lebensphilosophie der Menschen, die sie sprechen. Für Papua Neuguinea und dem "Tok Pidgin" gilt das auf alle Fälle (Die Wichtigkeit der Gegenwartsform im Sprechen wurde oben schon erwähnt!). Im Tok Pidgin gibt es kein Wort für Onkel und Tanten. Sie werden genauso wie die Eltern "Papa" und "Mama" genannt und haben in der Erziehung des Kindes auch eine ähnlich wichtige Rolle zu spielen. "Brata" ist der Bruder, aber auch der Cousin. "Susa" kann meine leibliche Schwester sein, aber eben auch meine Cousine. Wenn Theologen also darüber streiten, ob Jesus Brüder und Schwestern hatte, weil es doch so in der Bibel steht, dann relativiert sich diese Diskussion, wenn wir auf das "Tok Pidgin" schauen.

Familie in Papua Neuguinea ist mehr als nur Vater, Mutter, Kind. In Melanesien gehören da die Cousinen genauso dazu wie die Tanten und Onkel (Großfamilien). Auch das ist in der Verkündigung mit zu bedenken.

"Yu go we?" = "Wo gehst du hin?" fragt der Neuguinese grundsätzlich, wenn er dich auf der Strasse trifft. Dabei will er nicht wirklich wissen, wo du hingehst. Es ist eher eine Einstiegsfrage für einen kleinen Plausch, der ein "muss" einer jeden Begegnung ist. Ohne Gruß jemanden an sich vorbeigehen lassen käme fast schon einer Beleidigung gleich. Am ehesten ist es mit unserem "Wie geht es dir?" zu vergleichen.

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