Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion I: Sprachen, Wissenschaftsterminologien, Kulturwissenschaften

Section I:
Languages, Systematic Terminologies, Cultural Studies

Section I:
Langues, terminologies scientifiques, études culturelles


Katja Sturm-Schnabl (Wien) [BIO]
Franz Miklosich - ein "Europäer" im 19. Jahrhundert

 

Im Rahmen der Salzburger Slawistengespräche bzw. im Rahmen der Salzburger Vorlesungen über vergessene euroslawische Bezeihungen befassen sich Stanislaus Hafner, Otto Kronsteiner, Herbert Arlt, Hans Goebel, Ingrid Ohnheiser und andere mit dem kulturellen Kulturraum der Habsburger Monarchie und versuchen jene transkulturellen multisprachlichen Aspekte herauszuarbeiten, die eine Modellfunktion haben könnten, und solche Fehlentwicklungen aufzuzeigen, die auch ein künftiges gemeinsames Europa gefährden könnten. Das heißt, daß es durchaus angebracht wäre, aus der Geschichte zu lernen. Bereits im 19. Jahrhundert gab es auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften Gelehrte, die die transkulturellen Verflechtungen und die sprachliche Vielfalt mit dem Ziel untersuchten, ihre gesellschaftspolitische Umsetzung zu fördern und zu ermöglichen. Ich möchte Franz Miklosich (1813 - 1891) als einen jener Männer aufzeigen, der ohne seine slowenische nationale Kultur- und Sprachidentität zu verleugenen, zu einem Europäer wurde, der die eigentliche Qualität der europäischen Kultur in der Vielfalt und in den Interferenzen der europäischen Sprachen, Literaturen und Kulturen, d.h. transkulturell, sah. Dabei behandelte er alle Sprachen, Literaturen und Kulturen, ohne Rücksicht auf ihre Quantität oder öffentliche Funktion mit gleichen Wertmaßstäben.

Zum einen hatte er als Philologe mit seiner Vergleichenden Grammatik der slawischen Sprachen die Sprachen aller slawischen Völker, sowohl die der staatstragenden, als auch die der sogenannten ahistorischen, nicht anerkannten Völker mit denselben Wertmaßstäben untersucht und deren Individualität außer Streit gestellt.

Zum zweiten begann er ebenso unvoreingenommen die Interferenzen und gegenseitigen Einflüße und Vermischungen der Sprachen auf dem Balkan zu untersuchen, so daß er einem puristischen Sprachnationalismus wissenschaftlich den Wind aus den Segeln nahm (was auch damals manchen nicht paßte).

Zum dritten befaßte er sich wissenschaftlich mit den Sprachen und Kulturen solcher Völker, die in der Wissenschaft nicht in den Genuß gekommen waren zu einer anerkannten Gruppe zu gehören, da sie sozial, politisch und wirtschaftlich von den offiziellen Machtstrukturen marginalisiert wurden. Miklosich begann z.B. die Sprache der Zigeuner (Roma/Sinti) zu studieren und widmete ihnen dieselbe wissenschaftliche Sorgfalt und Methode wie allen anderen; was aber noch wertvoller ist, Miklosich hatte bereits soziolinguistische und anthropologische Ansätze: neben den Studien der Grammatik untersuchte er auch die Migrationen und die mündlich überlieferten Sprachkunstwerke dieses Volkes und hinterließ einen Riesenkorpus an einschlägigen Publikationen. Eine weitere solche marginalisierte Sprach- und Volksgruppe, die Miklosich in seinen wissenschaftlichen Interessenskreis aufnahm, waren die Aromunen oder Walachen, deren Sprache und Migrationen er wissenschaftlich erforschte.

Auf einem Gebiet trugen gerade die letztgenannten Forschungen zu einer interessanten Zusammenarbeit bei, beziehungsweise dienten sie zur Kräftigung eines regionalen wirtschaftlichen und transkulturellen Gemeinschaftsbewußtseins, zu dem sich verschiedene Volks- und Sprachgruppen bekannten: es ging um den Versuch einer regionalen Kultur- und Wirtschaftsgemeinschaft im Raum des Küstenlandes und Istriens gegen eine bestehende deutschösterreichische und eine aufkommende italienische Dominanz.

Von der wirtschaftlichen Seite her wurde zu diesem Zwecke eine Società agraria Istriana gegründet, die die Eisenbahnlinie Triest - Pula iniziierte, die zwei große Märkte für die Agrarprodukte erschloß (und wohl nicht zufällig von den italienischen Faschisten 1936 abgebaut wurde). Die Mitglieder dieser Societá agraria Istriana werden in den Mitgliederlisten als Aromunen, Friulaner, Italiener, Slowenen, Kroaten etc. geführt. Auf der wissenschaftlichen Seite haben Männer wie Miklosich, Ascoli, Combi die Gunst der Stunde genützt und die geistigen Grundlagenfür das regionale Gemeinschaftsbewußtsein geliefert, indem sie die Sprachen und Dialekte, die im Küstenland und in Istrien gesprochen wurden gleichberechtigt zu ihrem Forschungsgegenstand machten. Ihnen verdanken wir wichtige Informationen über die sprachliche und demographische Vielfalt in dieser Region, die versucht hatte mit einem regionalen Patriotismus den Assimilationsdruck von italienischer und habsburgischer Seite zu widerstehen, ihre Vielfalt zu bewahren und die wirtschaftlichen Resourcen der Bevölkerung der Region zu erschließen



Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion I: Sprachen, Wissenschaftsterminologien, Kulturwissenschaften

Section I:
Languages, Systematic Terminologies, Cultural Studies

Section I:
Langues, terminologies scientifiques, études culturelles

© INST 1999

Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse

 Research Institute for Austrian and International Literature and Cultural Studies

 Institut de recherche de littérature et civilisation autrichiennes et internationales