Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 13. Nr. Mai 2002

Zum Kontext von Pavol Ország Hviezdoslavs "Faust"-Übersetzung

Dagmar Košt’álová (Bratislava)
[BIO]


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Als ich die Arbeit am Thema meines Beitrags begann, kannte ich kaum mehr als den von mir angegebenen Titel. Ich wusste, dass Hviezdoslav eine "Faust"-Übersetzung geschaffen hatte, die bedeutend länger ausfiel als Goethes Original. Sie wird daher in unserem Kontext positiv und negativ zugleich gewertet: als eine zwar verdienstvolle weil epochale poetische Leistung, die jedoch das Original immer wieder spürbar deformiert.

Ich selbst wollte mir durch näheres Hinschauen mehrere Fragen beantworten. Was machte Goethe und seinen Faust für den hundert Jahre später geborenen slowakischen Realisten "übersetzungsreif"? Warum in dieser ungebührlichen Form? Auch fragte ich mich - Sie werden staunen - wer dieser Hviezdoslav eigentlich war? Warum einem so wenig zu ihm einfällt? Ich denke, ich schrieb diesen Beitrag letztlich für mich selbst.

Dabei wird Pavol Orsag, der für sich den Beinamen Hviezdoslav - einer, der die Sterne besingt, die Sterne feiert - wählte, als der Klassiker der slowakischen Literatur verehrt(1). Seine imposante Statue steht im Zentrum Altbratislavas, Strassen, Plätze, Parks und Uferpromenaden in der ganzen Slowakei sind nach ihm benannt. Allenfalls zeuge dies jedoch vom Missbrauch seines Namens, meint der Literaturkritiker Alexander Matuška(2), nicht von einem vetrauten Umgang mit dem Dichter. Das Problem ist, wie nicht selten bei uns, dass die offizielle Anerkennungsgeste und der reale Tatbestand wenig miteinander zu tun haben. Einerseits sind die Gründe dafür bei Hviezdoslav selbst zu suchen, andererseits in der wandlungsreichen slowakischen Geschichte und Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert.

Ich selbst wuchs, wie viele in der Totalität, in grundsätzlicher Opposition zu allem, was von oben, von den offiziellen Stellen kam, auch zu dem marxistisch ausgerichteten Literaturunterricht. Hängengeblieben ist daher neben den sich beim Gedächtnis auf Anhieb einschmeichelnden volksliedhaften Versen unserer Romantiker eigentlich nur noch die suggestive Weltschmerzdichtung Ivan Kraskos, des Initiators der slowakischen Moderne. Hviezdoslav blieb tatsächlich als bedeutender Name hängen, nur als Name.

Umso mehr überrascht deshalb die Tatsache, dass er bereits von seinen Lehrern "ein junger Goethe"(3) genannt wurde und ihm auch die Kritik im slowakischen Literaturkontext die Rolle eines Goethe zuerkannte(4). Um welchen Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch einerseits und dessen in des Dichters unmittelbarem Umfeld in Frage kommenden Wirkungsmöglichkeiten seiner Dichtung andererseits handelt es sich bei Hviezdoslav?

Ein Hinweis auf des Dichters innerlich gespaltenes Künstlerdasein findet sich in der zusammenfassenden Bemerkung des Kritikers František Votruba, Hviezdoslavs Leben und Schaffen verliefen in anderen Bahnen, als wozu ihn sein landadeliger Ursprung und ungarische Schulen vorzubestimmen schienen(5). In die Epoche verstärkter Magyarisierungspolitik nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 hineingewachsen, lernte er in der Schule Ungarisch und begann auch auf ungarisch zu dichten. Petöfi und Madách gehörten zeitlebens zu seinen großen Vorbildern. "Die ungarische Schule täuschte mich ganz in meinem Denken", schreibt er jedoch später in einem Brief. "Ich dachte ungarisch und übersetzte, als ich slowakisch schrieb".(6) Als die eigene Mutter eines Tages in Tränen ausbricht, weil sie ihn nicht versteht, entscheidet er sich, Slowake zu bleiben und auf slowakisch zu dichten.

Von nun an ist das einfache slowakische Volk, das im Unterschied zu den zunehmend ungarisch sprechenden bürgerlichen Schichten die slowakische Muttersprache spricht, thematischer Anlass und somit auch der eigentliche Adressat seiner Dichtung. Damit gerät er allerdings, wie schon sein Vorgänger, der Romantiker Janko Král’ etwa, um ein anderes krasses Beispiel zu nennen, in einen unlösbaren Konflikt. Abgesehen von einer Handvoll gebildeter Slowaken, deren Mühen ganz dem nationalen Emanzipationsstreben gehört, bilden Hviezdoslav die besuchten Schulen (nach dem Besuch des Gymnasiums in Miskolc und Kežmarok studierte er später Jura in Prešov) in jener Zeit über sein Volk hinaus. Neben Ungarisch lernt und dichtet er auch auf deutsch. Außerdem beschäftigt er sich mit Englisch, Russisch, Polnisch und Ukrainisch. Seine Bibliothek weist auf vertraute Kenntnis und intensiven Umgang mit der Weltliteratur sowie dem damaligen Fachschrifttum hin. Seit seiner Jugend begleitet ihn Shakespeare als das künstlerische Vorbild schlechthin. Dazu kommen Schiller und stets Goethe, Petöfi, Puskin, Lermontow, Mickiewicz und viele andere. Nach Albert Pražák, dem in Hviezdoslavs Leben die Rolle Eckermanns zukam, könnte zu Themen Hviezdoslav und Shakespeare, Hviezdoslav und Goethe oder Petöfi jeweils eine eigene Monographie geschrieben werden(7). Er spricht von Hviezdoslavs "Hunger nach Weltliteratur". Wenn man sich nun im Vergleich dazu die Worte des erst 18-jährigen Dichters, gerichtet an einen Gönner, vergegenwärtigt "groß ist die Welt und doch opferst du ihre Schönheit und den ganzen Gewinn für die stille Ecke, in der du geboren bist"(8), kann man in Bezug auf Hviezdoslavs künftiges Leben und Schaffen auf Zweifaches schließen. Auf sein durchaus nachvollziehbares unermüdliches Bemühen, sich auch in jener stillen Ecke trotzdem mit dem ganzen angebildeten Reichtum der Welt - vermittelt über die Literatur - zu umgeben sowie auf die gleichzeitige folgerichtige und tragische Abgeschiedenheit dieses Mühens. Ist dem Dichter in der Horizontale kaum der ersehnte Austausch mit der Welt möglich, bleibt nur die Vertikale, der Aufstieg zu den Sternen, um von dort - über den geistigen Umgang - der Komplexität des Lebens - diese einem Stern gleich beleuchtend - zu begegnen. Diese besondere, in der persönlichen Lebensgeschichte begründete Konstellation führt in seinem Werk zu einer seltsamen Mischung des idealisch romantischen Strebens einerseits und seines zugleich nach unten, zu der eigenen Nation, zum geliebten Volk hinabgewandten realistisch, oft kritisch realistisch betrachtenden poetischen Blicks andererseits.

Slowakischer Poet -,

schreibt er diesbezüglich in der Gedichtsammlung "Dozvuky" (Nachklänge) aus den Jahren 1909-1911,

Ah!, auch er würde des Himmels glücklichen Bogen
gerne über sich wissen,
die Welt vergessen, [...]
und vom Lobpreisen der Gefühle ergriffen
die Saiten zur Huldigung der reinen Schönheit berühren.
Doch er ist zuerst ein Bote seinem Volk [...],
Er muss im Volk seine Sendung erfüllen; [...]
Er wacht wie eine Mutter über ihrem kranken Kind -
Nein, er schafft es nicht, wie eine Sternschnuppe zu wandern,

Wo er entbrannte, dort ist er verpflichtet zu erlöschen."

("Dozvuky", S. P. 1909. 646.) (9)

Dieses tiefe Verantwortungsgefühl dem eigenen Volk, der eigenen Nation gegenüber verbindet Hviezdoslav mit der slowakischen Romantik. Zugleich hat er mit deren einfachen volksliedhaften poetischen Formen nichts mehr zu tun. Während die Romantiker im nationalistischen Eifer von Herder und Goethe vor allem ihre Wertschätzung der Volkspoesie übernehmen und durch deren Pflege der neu kodifizierten slowakischen Sprache sozusagen auf literarische Beine helfen, erhebt Hviezdoslav bereits den Anspruch, seine Sprache und ihr Ausdruckspotential als mit den Sprachen Shakespeares und Goethes vergleichbar diesen an die Seite zu stellen. In seinen Erinnerungen an den Dichter schreibt Pražák vom Slowakisch jener Zeit als der Sprache der "Kutscher und einfachsten Leute", wie ihre Feinde sie nach Hviezdoslav bezeichnet haben sollen(10).

Aus dieser Sprache des einfachen Volkes will Hviezdoslav also eine Sprache der hohen Kunst machen - fähig, sein eigenes anspruchsvolles und komplexes Weltbild poetisch zu fassen sowie die bedeutendsten Werke der Weltliteratur aufzunehmen. Diesem Ziel unterordnet er von sehr früh an sein arbeitsreiches und fruchtbares Leben als Dichter und Übersetzer. Neben ungarisch als Gymnasiast eben auch schon deutsch zu dichten beginnend - in Kežmarok soll übrigens infolge der gemeinsamen Front gegen Ungarn die deutsche Bevölkerung zu den "Schlowacken" freundlicher gewesen sein(11) - bildet er sich schon damals systematisch in der deutschen Sprache weiter. Er verfertigt deutsch-ungarisch-slowakische Wörterbucher, um nach den reichsten Ausdrucksformen zu suchen, heißt es(12). Er sucht seinen Stil und die Ausdrucksfähigkeit zu verbessern. Dazu dienen viele deutsche Schulaufsätze und Gedichte, außerdem ein systematischer Sprachenvergleich, indem er etwa nach entsprechenden slowakischen Äquivalenten zu deutschen Wörtern sucht - auch am phonetischen Gleichklang interessiert - oder sich aus Schlegels Shakespeare-Übersetzung Auszüge macht. Auch versucht er sich an Übersetzungen von Schillers, Uhlands und Goethes Lyrik. Deutsche Klassiker besitzt er im Original, später des Vergleichs wegen auch auf ungarisch und tschechisch. Shakespeare liest er außerdem auf englisch.

Zusammengenommen handelt es sich bei Hviezdoslav demnach, glaube ich, um einen sehr spezifischen Fall des Heranreifens in der eigenen Mutter- und Dichtersprache. Während der Schulausbildung in erster Linie durch fremde Sprachen intensiv geprägt, mag das erst 1843 offiziell kodifizierte Slowakisch für ihn zu Beginn seines Schaffens und seinem über diese Fremdsprachen angebildeten dichterischen Anspruch gegenüber eine Art sprachliches Neuland bedeutet haben. Vermutlich ging es unseren Romantikern in dieser Hinsicht nicht viel anders, sie hatten aber ein anderes Slowakisch im dichterischen Visier und dazu nicht Hviezdoslavs übersetzerische Ambitionen. Nach Pražák vollbrachte Hviezdoslav ein Wunder mit seiner Muttersprache, indem er ihre Entwicklungfähigkeiten und literarische Berechtigung unter Beweis stellte(13). Ältere Literatur soll er nach lexikalischem Reichtum abgesucht und diesen durch Übernehmen von Fremdwörtern und durch Fabrizieren von Neologismen weiter vermehrt haben. Zur unerschöpflichen Quelle wurde auch ihm die Umgangssprache des Volkes. Trotz der Verbannung aus den Schulen und dem öffentlichem Leben wollte er die Reife und Kultiviertheit seiner Muttersprache dokumentieren und sie dadurch, wie gesagt, mit Sprachen mit einem glücklicheren Schicksal vergleichbar machen(14). Anlässlich der eigenen Hamlet-Übersetzung schreibt er in einem Sonett:

[...]
mein Hamlet [...] machte es mir zuliebe,
der Prinz, er kleidete sich in ein slowakisches Gewand!

[...]
er wusste, er wählt ein Kleid,
das auch zum Thron passt, und des Tempels des Geistes wert ist!

[...] Jeder menschliche Laut [...]
ist göttlich! [...] nach dem Himmel kann man mit ihm greifen [...]
Soll es die Sprache der Kutscher sein? [...]
Bruchstücke noch immer? Wenn es so ist: dann seid für ewig taub, stumpf
blind!
(15)

Ich glaube, nur wenn man sich alle angeführten Fakten vergegenwärtigt, wird man Hviezdoslavs sprachlicher Leistung gerecht. So sehr seine Nation zu jener Zeit von allen Seiten die Not umgab, schreibt Andrej Mráz, wollte Hviezdoslav seine Sprache in Glanz und Reichtum erscheinen lassen. Das kleine Leben wollte er in großer, monumentaler Kunst spiegeln. Er schrieb viel und weitschweifig, beschwor geradezu pompös und pathetisch, einem Hohenpriester gleich. Alle metrischen Formen der Weltliteratur suchte er im Slowakischen heimisch zu machen; ein Realist im parnassistischen Sprachgewand.

Verständlicherweise gilt dies auch für seine Übersetzungen. Auch übersetzen tut er meist über das vorgegebene Maß hinaus, das Original mit immer neuen Anläufen gleichsam umkreisend und sich stets von neuem bestätigend, dass er sich eines Shakespeare, Goethe oder Madách durchaus bemächtigen kann. So gerät ihm Madáchs "Tragödie des Menschen" um ein Viertel(16), der erste Teil von Goethes "Faust" um 833 Verse länger als das Original. Lassen Sie mich zum Letzteren kurz Näheres ausführen.

Hviezdoslavs Faust-Übersetzung ist die dritte von vermutlich fünf, von denen drei verloren gingen. Dadurch gilt sie heute als die erste von zwei bestehenden. Sie enthält allerdings nur den ersten Teil. Der "Prolog im Himmel" erschien im Jahre 1900 in einer renommierten Literaturzeitschrift (Slovenské pohl’ady), mit dem ganzen Werk soll der Dichter erst im Sommer des Jahres 1914 fertig gewesen sein(17). Er war zwar der Meinung, dass den Slowaken auch die tschechische Übersetzung von dem Dichter Jaroslav Vrchlický genügt hätte, den er selbst vor allem als Übersetzer sehr schätzte, doch er hatte eben den Ehrgeiz zu beweisen, dass seine Sprache gerade in solchen Fällen selbstgenügsam ist(18). Wie sehr ihm "Faust" außerdem als Dichtung am Herzen lag, lässt die von Pražák erwähnte Tatsache vermuten, in einem dramatischen Fragment habe Hviezdoslav auch als Dichter versucht, den Konflikt zwischen Liebe und Entfremdung von der eigenen Nation in Form eines Pakts zwischen einem jungen Burschen und Mephistopheles zu behandeln. Es blieb jedoch nur bei Plänen für insgesamt drei Aufzüge(19).

"Es gilt beinahe als Regel, dass grosse Dichter nur selten gute Übersetzer sind", bemerkt zu seiner "Faust"-Übersetzung Elemír Terray. "Je mehr er (Hviezdoslav) als Dichter zu sich selbst fand, desto stärker prägte sich sein schöpferisches Genie auch den Übersetzungen ein"(20). Hinzuzufügen wäre vielleicht, dass je intensiver ihn die Idee einer eigenen Ausgestaltung des Themas beschäftigte, desto kreativer mag er mit dem zu übersetzenden fremden Text umgegangen sein. Auf jeden Fall sei allen übersetzen Texten Goethes (neben "Faust" sind es Gedichte, 11 Balladen und "Iphigenie auf Tauris") derselbe unverwechselbare dichterische Gestus Hviezdoslavs anzumerken.

Sein grösstes Übersetzungsproblem war dabei, Goethes Sprache vergleichbar verdichtet, konzentriert und seine Ideen entsprechend konturenhaft, andeutungsweise zu übertragen. Statt dessen erklärt, parapharasiert und erweiter Hviezdoslav, woduch seine Versanzahl beträchtlich steigt. Er macht Kompromisse wegen des Reims, so dass ihm Goethes Vers- und Reimspezifik im Slowakischen immer wieder verlorengehen(21). Interessanterweise verfährt er auf diese Weise weniger in den strophisch gegliederten als in den ungegliederten Versen. Mit dem Inhalt löst er hier konsequenterweise auch die Form auf(22). Er geht frei mit der Silbenzahl um, bricht die Wirkung des anaphorischen Wortgebrauchs, und setzt Zeilensprung ein, wo er nicht hingehört. Als Erweiterungen dienen ihm synonymische Dubletten, erweiterte Satzglieder, verschiedene Einschübe zur Erhaltung des Rhythmus und Reims, sogar eingeschobene ganze Sätze mit Kommentarfunktion. Terray bemerkt in diesem Zusammenhang, dass Hviezdoslav in diesen Fällen Goethes prägnante Ausdrucksweise vielleicht weniger nicht beizubehalten vermochte als es möglicherweise nicht wollte. Er macht auch auf die Tatsache aufmerksam, dass das jambische Versmass infolge der Beständigkeit der Wortbetonung auf der ersten Silbe und der geringen Anzahl einsilbiger Wörter im Slowakischen nur begrenzte Möglichkeiten habe. Um es trotzdem einzuhalten, kreierte Hviezdoslav künstlich solche kurzen Wörter und bediente sich ausserdem oft der Inversion. Angesichts seines auch so schon komplizierten Satzbaus erschwert er dadurch zusätzlich die Verständlichkeit seiner Übersetzung(23). Befremdend wirken ausserdem seine Übertragungen von zusammengesetzten deutschen Wörtern bzw. die slowakischen Eigenbildungen nach deutschem Vorbild.

So sehr der Text jedoch stellenweise bemängelt werden mag, es komme seinem Autor, meinen die Kritiker, infolge des ausgestandenen schweren, gewissenhaften und einsamen Kampfes - eines Kampfes zweier ungleich alter Kultur- und Literatursprachen, füge ich hinzu - ein unbestreitbares Verdienst zu. Leider können die verlorengegangenen anderen Faust-Übersetzungen mit Hviezdoslavs Text nicht verglichen werden. Die letzte bzw. zweite existierende Übersetzung, diesmal des ganzen "Faust", von Móriz Mittelmann Dedinský erschien erst in den 60er Jahren (1966-68) und hält sich sehr genau an die Vorlage. Da sie, was die slowakische Kulturgeschichte angeht, in einem ganz anderen Kontext entstand, ist sie als sprachschöpferische Leistung mit Hviezdoslav ebenfalls kaum vergleichbar.

So steht er mit seinem kaum gelesenen slowakischen "Faust" in ähnlicher einsamer Verehrtheit da wie mit seinem ganzen, so umfangreichen eigenen Dichterwerk. Wir erklärten ihn für den größten, ohne zu verstehen, was ihn dazu macht, meint der Kritiker Matuška(24). Unser Verhalten entspricht damit genau dem, worunter Hviezdoslav sein Leben lang litt.

Ich bin das verwaiste Geläut eines in der Wüste rufenden,

schrieb er,

[...] ich will mich ganz meinem Volk mitteilen! [...]
Komm her, sei mein Gast!
Und doch kommt von nirgendwo ein freundliches Echo,

niemand entgegenet: ich gehe! - - niemand ist von meinem Geschlecht - -
(25).

Die letzte Feststellung: "nik mi zrodu" - niemand ist von meinem Geschlecht, ist eine die tragische Exzeptionalität dieses Dichters fundierende Aussage. Er, der sich bis zu den Sternen hinaufsehnte, der ganzheitlichste, meint Matuška, mit dem weitesten Kosmos als Dichter, er, der das meiste zu umfassen, wenn auch nicht immer zusammenzufassen und zu heben vermochte, war ein enthusiastischer Erbe fremder Kulturen. Im eigenen Kontext, den er unermüdlich zu sich zu heben versuchte, bis er gerade deshalb zum Schluss ein fremdes Element war. Dem eigenen Kulturkontext entfremden ihn nicht nur die konkreten Inhalte, die er in seinen Dichtungen und Übersetzungen zu übermitteln sucht, sondern zugleich all die von ihm angeeigneten und tief verinnerlichten fremden Kulturreichtümer, wie diese sich in den im Vergleich mit dem jungen Slowakisch fortgeschritteneren Kultursprachen spiegeln. Die ihn so bereichernde interkulturelle "Verfangenheit" macht seine gleichsam überströmende Sprache, man kann ja eigentlich sagen "Sprachen", auch im übertragenen Sinn schwer verständlich. Aus fremden Quellen genährt, spricht er anders, als ob in anderen Sprachen, und er fordert auch anderes:

heißt es in der schon erwähnten Gedichtsammlung "Dozvuky" (Nachklänge)

So fragmentarisch ich in diese Problematik hineinzuschauen vermochte, so drängt sich mir abschließend doch die Bemerkung auf: vielleicht sollten einmal Germanisten, Romanisten oder anderssprachige Literaturhistoriker die Geschichte der slowakischen Literatur schreiben und sich umgekehrt einmal Slowakisten mit einer fremden Literaturgeschichte auseinandersetzen. Vielleicht hielten wir dann andere Literaturgeschichten in den Händen als bisher. Vielleicht täte das auch den verfestigten Urteilen und den tradierten Verblendetheiten im Umgang mit der eigenen Kulturgeschichte ganz gut.

© Dagmar Košt’álová (Bratislava)

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ANMERKUNGEN

(1) Vgl. Stanislav Šmatlák: Hodnotenie Hviezdoslavovho diela v slovenskej literárnej kritike a literárnej histórii. In: Hviezdoslav v kritike a spomienkach. Sborník. Zostavil Stanislav Šmatlák. Bratislava 1954, S. 605.

(2) Vgl. Alexander Matuška: Dielo II. O literatúre v rôznych súvislostiach. Bratislava 1990, S. 135.

(3) Vgl. Albert Pražák: S Hviezdoslavom. Rozhovory s básnikom o živote a diele. Bratislava 1955, S. 93.

(4) Vgl. Albert Pražák: S Hviezdoslavom. Rozhovory s básnikom o živote a diele. Bratislava 1955, S. 93.

(5) Vgl. František Votruba: Pavol Ország Hviezdoslav. Úvod k výberu z Hviezdoslavovej lyriky "Odkazy". In: Šmatlák 1954, S. 175.

(6) Vgl. Votruba 1954, S. 176

(7) Vgl. Pražák 1955, S. 202.

(8) Vgl. Votruba 1954, S. 162.

(9) Vgl. in: Pavel Bujnuk: Sobrané kritiky I. (Hviezdoslav). Bratislava 1919, S. 12 (übersetzt von D.K.).

(10) Pražák 1955, S. 28.

(11) Vgl. Pražák 1955. S. 93.

(12) Vgl. ebd.

(13) Vgl. ebd., S. 257.

(14) Vgl. Andrej Mráz: živý básnik. In: Šmatlák 1954, S. 166f.

(15) Vgl. ebd., S. 167 (übersetzt von D.K.).

(16) Vgl. Matuška 1990, S. 138.

(17) Vgl. Elemír Terray: Goethes Werke in slowakischer Übersetzung. In: Weimarer Beiträge. Sonderheft 1960, S. 1221.

(18) Vgl. Pražák 1955, S. 92.

(19) Vgl. Pražák 1955, S. 328.

(20) Vgl. Terray 1960, S. 1221.

(21) Vgl. Pražák 1955, S. 89.

(22) Vgl. Terray 1960, S. 1222.

(23) Vgl. ebd., S. 1222f.

(24) Vgl. Matuška 1990, S. 136.

(25) Zit. aus Votruba 1954, S. 184 (übersetzt von D.K.).

(26) Zit. nach ebd., S. 185f (übersetzt von D.K.).


For quotation purposes - Zitierempfehlung: Dagmar Koštálová: Zum Kontext von Pavol Ország Hviezdoslavs
"Faust"-Übersetzung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 13/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/13Nr/kostalova13.htm.

TRANS     Webmeister: Peter R. Horn     last change: 01.05.2002     INST