Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 13. Nr. Mai 2005

Die Übersetzung als Prozess des Kulturtransfers.
Einige Überlegungen zu Victor Klemperers "LTI. Notizbuch eines Philologen"

Laura Gabriela Laza (Cluj-Napoca/Klausenburg)

 

Kultur läßt sich durch vieles vermitteln, durch Bräuche, Sitten, Gesänge, Trachten, Essen, wohl aber am besten durch Sprache. Und das nicht nur im Sinne des Erlernens einer Fremdsprache, um die Kultur derjenigen Sprachgemeinschaft besser zu verstehen. Die Sprache kann auch für sich selbst sprechen. Viele Wörter sind spezifisch für eine Kulturgemeinschaft, weil sie Phänomene beschreiben, die es nur in dieser Kultur gibt. 1947 veröffentlicht Victor Klemperer in Berlin sein "LTI. Notizbuch eines Philologen"(1), ein Buch, das Anlass gibt, nicht nur über die Sprache des Dritten Reiches nachzudenken, sondern auch über ein Phänomen, den Nationalsozialismus. "Le style c’est l’homme"- nach diesem Motto möchte Klemperer Sprache und Ideologie zusammenbringen, und impliziert auch die Kultur. Für einen Übersetzer stellt es sicherlich eine Herausforderung dar sich mit der LTI (Sprache des Dritten Reiches) auseinanderzusetzen. Indem wir versucht haben, einige Begriffe daraus zu übersetzen, stießen wir auf das vieldiskutierte Problem der Übersetzbarkeit oder Unübersetzbarkeit. Hierzu schien uns ein Artikel von Eugen Coseriu "Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie"(2) von besonderer Wichtigkeit. Mit Hilfe der Termini, die er hier aufführt, als auch des hier aufgestellten Modells, das im Zusammenhang mit seinem linguistischen System zu verstehen ist, sind wir an den Text von Klemperer näher herangegangen, und haben versucht Begriffe, die uns repräsentativ schienen, zu analysieren. Besser gesagt, es wird der Versuch gemacht, ähnliche Bedeutungen für dieselben Bezeichnungen in der eigenen Sprache- hier Zielsprache, zu finden. Übersetzen hat sicherlich nicht nur mit Sprache zu tun, sondern auch mit Kultur, da sind sich die meisten Sprach- und Literaturwissenschaftler einig. Beim Übersetzen aus der Ausgangssprache- hier Deutsch - in die Zielsprache- hier Rumänisch - mussten wir mehr als nur sprachwissenschaftliche Phänomene beachten. Zwei Kulturen trafen aufeinander. In der Zielsprache sind wir auf zwei der LTI ähnliche Phänomene gestoßen. Am 24 Juni 1927 wird auch in Rumänien eine nationalistische Organisation gegründet, zum einen nach dem deutschen Modell, da ihre Führer in Jena und Berlin studiert haben und vom deutschen Nationalsozialismus stark begeistert waren, zum anderen basierte der rumänische Nationalismus auf einer hohen Form der Religiosität. Der Antisemitismus und die "Rettung des rumänischen Volkes"(3) waren auch hier leitende Gedanken, aber der Glaube an Gott, und an die orthodoxe Religion stand über allem. Später, 1930 ließ sich die Organisation umbenennen und so entstand die Eiserne Garde, eine politische Partei, die unter dem Marschall Antonescu eine Zeit lang auch regiert hat. Einige Wörter der LTI könnten wir auch in den Reden der rumänischen Rechtsextremisten um 1935 wiederentdecken. Viele Wörter wurden aber nicht einfach übersetzt, sondern andere mit eigenen sprachlichen Mitteln geschaffen, denn diese Sprache, obwohl sie auch einer nationalistischen Ideologie diente, war eine eigene spezifische Kulturerscheinung. LTI wurde zu einer Tabu- Sprache zu DDR- Zeiten, man hat vom Nullpunkt nicht nur im Bezug auf die Literatur sondern auch im Bezug auf die Sprache geredet. Dieses Phänomen ist auch in Rumänien nach 50 Jahren kommunistischer Herrschaft zu beobachten. Wörter, die im damaligen sprachlichen Alltag unvermeidbar waren, werden heute kaum noch ausgesprochen, wie z. B. tovaras oder gospodar.

Es entsteht also beim Versuch der Übersetzung der Sprache des Dritten Reiches ein interkultureller Dialog.

I. Die Übersetzung als Prozess des Kulturtransfers und als Form der interkulturellen Kommunikation

Über die Übersetzbarkeit oder Unübersetzbarkeit eines Textes waren sich die Übersetzungswissenschaftler nie einig. Nach Coserius Ansicht, müsste, erstens ein Unterscheidung zwischen Übersetzung als rein technischer Tätigkeit, auch Übertragung genannt, und dem Übersetzen als Prozess, gemacht werden(4). Die Übersetzung ist die Technik der Feststellung von "Entsprechungen", d. h. von Äquivalenzen in der Bezeichnung; das "Übersetzen" hingegen ist eine komplexe Tätigkeit, die bei weitem nicht nur aus Übertragung besteht. Coseriu führt also diese Termini ein: Übersetzung und Übersetzen, wobei Übersetzen eine gelungene Übersetzung darstellt, die den kulturellen Aspekt dieses Vorgangs beachtet. Das, was grundsätzlich nicht "übersetzt" werden kann, wird beim Übersetzen auch nicht übertragen, im Sinne des Begriffes. Der Autor behauptet, die Übersetzung stöße leicht an ihre Grenzen und darum müßte man vom Übersetzen reden, eine Tätigkeit, die keine rationalen, sondern nur empirischen Grenzen erfährt. Die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Übersetzung und Übersetzen wurde schon von den ältesten Übersetzungswissenschaftlern angesehen, behauptet E. Coseriu. Im lutherischen "Sendbrief vom Dolmetschen" zum Beispiel, wird das Problem vom Gesichtspunkt eines Übersetzungsideals dargestellt; implizit hat Luther aber doch die Differenzierung im Sinne, und zwar je nach den Adressanten, denen man "auf das Maul sehen" müsse.

Als Textlinguist sieht Coseriu die Übersetzungstheorie als Teil der Textlinguistik, so behauptet er, das Übersetzen habe nichts mit einzelnen sprachlichen Einheiten zu tun. Übersetzen macht nur im textuellen Kontext einen Sinn. Der Autor erkennt vier falsche Fragestellungen in der Übersetzungstheorie:

  1. Die Problematik der Übersetzung und des Übersetzens wird eine Problematik, welche die Einzelsprachen betrifft.
  2. Es wird von den Übersetzungen wenigstens implizite erwartet, dass sie alles in den Originaltexten Gemeinte und durch diese Texte als gemeint Verstandene mit den Mitteln der Zielsprache wiedergeben; sie können dies aber nicht, und deshalb seien sie schon ihrem Wesen nach "unvollkommen", wenn auch praktisch notwendig.
  3. Die Übersetzung als rein einzelsprachlich bezogene Technik wird dem Übersetzen gleichgesetzt. Dies führt u. a. zu dem Paradoxon, dass die Übersetzung zwar theoretisch unmöglich, empirisch jedoch eine Realität ist.
  4. Es wird eine abstrakte optimale Invariante für die Übersetzung überhaupt angenommen.(5)

Die Problematik der Übersetzung taucht im Bezug auf das Verhältnis Ausgangssprache- Zielsprache auf. Es wird falscher Weise angenommen, dass die Inhalte zweier verschiedener Sprachen- abgesehen vom terminologischen Wortschatz- im Verhältnis 1:1 stehen müssten, so Coseriu. Aber das Verhältnis sei eigentlich "irrationaler" Natur, so dass gewisse Inhalte der Sprache A nur gewissen Inhalten der Sprache B entsprechen, die wiederum anderen Inhalten der Sprache A entsprechen und so weiter. Sehr viele Inhalte zweier Sprachen seien "inkommensurabel" behauptet E. Coseriu. Man müsse beachten, dass eine der falschen Problemstellungen der Übersetzungstheorie daraus entsteht, dass man einzelne "Wörter" nicht übersetzen kann, man spricht von "unübersetzbaren Wörtern". Nur Texte können aber übersetzt werden, sprachliche Einheiten, die nicht nur mit sprachlichen Mitteln allein, sondern im verschiedenen Maß auch mit Hilfe außersprachlichen Mitteln erzeugt werden. Dies ist, nach Coserius Ansicht, das Grundprinzip der Übersetzungstheorie. Man müsse also nicht Wörter, sondern Inhalte übersetzen, und dazu führt er drei wichtige Begriffe ein :

  1. Die Bedeutung, die jeweils einzelsprachlich ist- bezieht sich auf den gegebenen Inhalt.
  2. Die Bezeichnung, der Bezug auf den "außersprachlichen Sachverhalt" oder "Tatbestand".
  3. Der Sinn, der besondere Inhalt eines Textes oder einer Texteinheit (z. B. Aufruf, Frage).(6)

Die Aufgabe des Übersetzens sei nun, in sprachlicher Hinsicht nicht die gleiche Bedeutung, sondern die gleiche Bezeichnung und den gleichen Sinn, durch sprachliche und außersprachliche Mittel einer Zielsprache wiederzugeben. Eugen Coseriu macht eine sehr interessante Bemerkung, was die falsche Fragestellung der Übersetzungsproblematik angeht: man frage sich falscher Weise "Wie übersetzt man diese oder jene Bedeutung dieser Sprache?", die richtige Frage müsste aber heißen: " Wie nennt man den gleichen Sachverhalt bzw. Tatbestand in einer anderen Sprache in der gleichen Situation?"(7) Bedeutungen können und müssen nicht übersetzt werden, da sie einzelsprachlich sind. Es geht darum die gleiche Bedeutung in der Zielsprache zu finden, die das gleiche bezeichnen will:

(8)

Man spricht mittels der Bedeutung, man teilt nicht Bedeutung mit. Der mitgeteilte Textinhalt bestehe ausschließlich aus Bezeichnung und Sinn, behauptet Coseriu. Es ginge folglich um Äquivalenz in der Bezeichnung. Man müsse auch zwischen Bedeutung und Verwendung der Bedeutung unterscheiden. Z. B. auf Deutsch sagt man "keine Ursache!" aber im Französischen sagt man nicht "aucune cause!", sondern die Entsprechung dem Sinn und der Bezeichnung nach heißt: "Pas de quoi!"; oder "Schade!" heißt auf Portugiesisch "che pena!" also ungefähr "was für ein Schmerz!"(9).

Diese Verschiedenheit der einzelsprachlichen Bedeutungen, d. h. die verschiedene Gestaltung der Wirklichkeit durch die Einzelsprachen, ist nicht, wie man oft meint, das Problem par excellence der Übersetzung, sondern viel mehr ihre Voraussetzung, die Bedingung ihrer Existenz: gerade deshalb gibt es Übersetzen und nicht nur bloße Ersetzung auf der Ausdrucksebene.

Also heißt Übersetzen soviel wie: gleiche Bezeichnung mittels grundsätzlich verschiedener Bedeutung. Es gibt aber auch spezielle Situationen, wo bestimmte Sprachen eine bestimmte Bezeichnung einer Bedeutung nicht kennen, da spricht man von "Lehnübersetzungen": schaffen von neuen Ausdrücken und Bedeutungen mit einheimischen Mitteln. Hier führt Coseriu das berühmte Beispiel des Wortes "Schnee" ein. Bestimmte Sprachgemeinschaften kennen nämlich dieses Phänomen nicht.

Die Sprache kann aber nicht nur als Zeichensystem, sondern auch als "Realität" verwendet werden. In der Übersetzung können auch Konflikte zwischen Bezeichnung und Sinn entstehen. Z. B. die Farben weiß und schwarz rufen verschiedene Gefühle hervor, bei den jeweiligen Gemeinschaften, einmal Frieden und einmal Tod, und umgekehrt. Oder der Mond und die Sonne werden als eine männliche bzw. als eine weibliche Gestalt, im deutschsprachigen Raum gesehen. In den romanischen Sprachen dagegen, ist der Mond vom Genus her weiblich, und die Sonne männlich, also genau umgekehrt. In solchen Fällen kann sich der Übersetzer entweder für den Sinn, oder für die Bezeichnung entscheiden. Sicherlich teilt das Gesagte einer Sprache auch bestimmte Gefühle mit, oder ruft sie hervor, Gefühle die nur in der jeweiligen Sprachgemeinschaft nachzuvollziehen sind. Diese kann man auch nicht übersetzen, höchstens angeben, als Bemerkung. Da stößt das Übersetzen an seine Grenzen. Die Übersetzung als rein sprachliche Technik betrifft nur das Sprachliche, also das Gesagte und nicht das Gemeinte. "Die eigentliche rationale Grenze der Übersetzung ist also nicht durch die Verschiedenheit der Sprachen, durch die Sprachen als Bezeichnungssysteme gegeben, sondern durch die in den Texten verwendete Realität (einschließlich der Sprache als Realität)."(10)

II. Die ideologische Sprache des Nationalsozialismus. Victor Klemperers "LTI. Notizbuch eines Philologen" - ein Versuch des Übersetzens

1947 veröffentlicht der Dresdener Romanist Victor Klemperer im Aufbau-Verlag, Berlin sein schwierigstes Buch, wie er es selbst bezeichnete: "LTI. Notizbuch eines Philologen". Mehrere Auflagen des Buches sind danach erschienen 1947, 1957 und 1993 in Leipzig. Es ist auch unter dem Titel: "Die unbewältigte Sprache. Aus dem Notizbuch eines Philologen. LTI"-1966 bekannt.

Das Buch soll eine kritische Analyse der Sprache des Dritten Reiches darstellen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 und bis zum Ende des II. Weltkrieges macht sich Klemperer Notizen, denn er möchte "Zeugnis ablegen bis zum letzten", eine Aussage, die als Titel für seine Tagebücher vom Verleger übernommen wurde. Wie schon der Untertitel des Buches verrät, erhebt V. Klemperer keine hohen sprachwissenschaftlichen Ansprüche für sich, es soll nicht eine sprachwissenschaftliche Analyse sein, sondern nur Gedanken, Notizen. Was LTI eigentlich darstellen soll, erklärt er selbst im ersten Kapitel seines Werkes: "LTI: Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reiches... man könnte das metaphorisch nehmen. Denn ebenso wie es üblich ist, vom Gesicht einer Zeit, eines Landes zu reden, genauso wird der Ausdruck der Epoche als ihre Sprache bezeichnet. Das Dritte Reich spricht mit einer schrecklichen Einheitlichkeit aus all seinen Lebensäußerungen und Hinterlassenschaften: aus der maßlosen Prahlerei seiner Prunkbauten und aus ihren Trümmern, aus dem Typ der Soldaten, der SA- und SS- Männer, die es als Idealgestalten auf immer gleichen Plakate fixierte, aus seinen Autobahnen und Massengräbern. Das alles ist Sprache des Dritten Reiches, und von alledem ist natürlich auch in diesen Blättern die Rede"(11).

Die LTI ist kein Jargon der natürlichen Sprache, wie man glauben könnte, sondern die natürliche Sprache wurde einfach in ihrer Funktion umgewandelt. Denselben Worten werden andere Bezeichnungen zuerteilt. LTI ist eine Sprache die ständig der Zensur unterliegt, dadurch ist sie keine ehrliche oder freie Sprache. Sie ist auch arm, denn sie basiert auf einigen Begriffen, die sie ständig wiederholt, um sie einzuprägen. Sie ist zugleich eine öffentliche Sprache, sie hat kein persönliches Register, nach dem Motto: "du bist nichts, dein Volk ist alles". Damit sie die Massen erreicht, ist sie zugleich eine sehr einfache Sprache. Deshalb aber nicht weniger überzeugungsfähig, und deswegen bedient sie sich mehrerer Klischees. Zum einen verneint sie das Christentum, dabei verwendet sie genau dieselben Schemata (neutestamentarischer Diskurs), zum anderen verneint sie jegliche fremdsprachlichen Einflüsse, dabei will sie modern sein, und bedient sich der Fremdwörter. Sie möchte aber ein neues Kapitel in der Sprachgeschichte für sich aufschlagen, und das gelingt ihr, nicht etwa indem sie eine sehr innovative Sprache gewesen ist, sondern gerade indem sie eine "reine Sprache" vergiftet hat(12).

Das Wort der LTI par excellence war und bleibt: Führer. Hitler nannte sich zuerst auch Reichskanzler und Führer, um dann auf die erste Bezeichnung ganz zu verzichten, und nur noch Führer genannt zu werden. Das Wort wurde in vielen anderen Bereichen benutzt, jedoch nur in Komposita. Man sagte Betriebsführer aber auf keinen Fall Führer des Betriebes. Führer war nur einer, und daher bekam diese Bezeichnung in ihrer Verwendung schon Funktionen, die der biblischen Sprache ähnelten. Die Deutschen sollen nicht mehr geführt werden, sondern selbst führen, und dabei einen Führer haben, der seinen Führerwillen, wie ein Gottesgesetz durchsetzt - dies war der Sinn. Diesem Kultus des Führers begegneten die Kommunisten in der DDR durch Tabuisierung des Wortes. So sagte man Fahrererlaubnis statt Führerschein(13). Man behauptet, das Wort sei die deutsche Entsprechung des faschistischen italienischen il Duce, was einigen Wörterbüchern zufolge auch stimmt. Man muss aber aus kultureller und ideologischer Sicht einen Unterschied zwischen dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus machen, und daher auch zwischen Führer und il Duce. Beim Versuch des Übersetzens dieses Begriffes ins Rumänische haben manche Übersetzer das Wort einfach so übernommen, ohne es wenigstens an den phonetischen, graphemischen oder morphologischen Normen der rumänischen Sprache, hier Zielsprache anzupassen: Führer. Das Wort wird im rumänischen Fremdwörterbuch folgendermaßen definiert: der Name, der Hitler nach der Machtergreifung gegeben wurde, oder führende Person einer germanischen Menschengruppe(14). Zwei andere Übersetzungen kämen in Frage, und zwar das Wort conducator, also der Führer einer Gruppe von Personen, oder das Wort capitan - der Führer einer Militärgruppe. So wurde der nationalistische Führer der Eisernen Garde genannt. Wie das Wort Führer wurde dem rumänischen Wort capitan eine fast magische Bedeutung mit religiösen Anleihen zugeschrieben. Anhand dieses Beispiels kann man veranschaulichen, dass dieselbe politische Ideologie, nämlich die nationalistische, drei verschiedene Formen in derselben Zeitspanne angenommen hat, drei verschiedenen Kulturen entsprechend- der Italienischen, der Rumänischen und der Deutschen natürlich. Welche Form des Wortes würde man jedoch bevorzugen bei einer Übersetzung aus dem Deutschen ins Rumänische? Wir plädieren für das Übernehmen des ausgangssprachlichen Wortes, da wir so auch in der Zielsprache der Bezeichnung und dem Sinn treu bleiben. Die kulturspezifische Erscheinung der Ausgangssprache wird in der Zielsprache beibehalten.

Fanatismus- fanatisch sind Wörter die an ein utopisches Weltbild anknüpfen- die totale Hingabe an Gott, das Stadium einer religiösen Verzückung. Seitdem Rousseau zum ersten Mal Fanatismus benutzt hatte, im Zusammenhang mit der französischen Aufklärung wurde dem Wort eine pejorative Konnotation zugeschrieben. Die LTI dagegen erteilte dem Wort einen positiven Sinn. Fanatismus wurde zu einer Tugend, die irrationale Begeisterung wurde zu einer positiven Kerntugend gemacht(15). In dieser Form findet man die Bezeichnung nicht in der rumänischen Sprache. Das aus dem Lateinischen stammende Wort fanatism, adj. fanatic (aus lat. fanum) hatte und hat eine pejorative Konnotation. Die Definition des Wortes fanatism lautet: eine außerordentliche Verbundenheit zu einer Idee oder Person, die sich durch Intoleranz gegenüber Personen anderer Gesinnungen charakterisiert(16). In der LTI wurde nur die außerordentliche Verbundenheit zu einer Person gesehen, und die Intoleranz gegenüber anderen nicht negativ bewertet.

Anstelle Wörter deutscher Herkunft wie Begeisterung, abgeleitet vom mhd., ahd. geist(17) oder Heldentum aus dem altgerm. Substantiv "haliÞ-"(18) bedeutend "freier Mann", tauchen in der LTI Neologismen wie: Enthusiasmus und Heroismus auf, aus dem gr. enthousiasmos und aus dem gr. hērōs(19)auf. Dafür gibt es im Rumänischen Wörter gleicher griechischer Abstammung durch die französische Sprache in die rumänische gekommen: entuziasm, aus dem fr. enthousiasme (20), und eroism aus dem fr. héroïsm(21)abstammend aus dem lat. heroicus. Die Bedeutung aus der Ausgangssprache wird in der Zielsprache genau wiedergegeben, denn es handelt sich hierbei um dieselbe Bezeichnung. Sie beschreiben ein Stadium der Begeisterung bzw. ein heldenhaftes Benehmen. Der exzessive Gebrauch solcher Wörter veranschaulicht am besten, dass die LTI eine Sprache der Superlative war.

Ein gelungenes Beispiel einer Lehnübersetzung ins Rumänische stellt, unserer Meinung nach, der Begriff cel de-al treilea Reich dar. Der Begriff geht auf eine alte geschichtstheologische Theorie zurück, wonach die Geschichte nach den "Reichen" Gottvaters und Gottsohnes in das dritte Reich des Heiligen Geistes als Vollendung münden sollte. Diese ist eine der zahlreichen Religionsanleihen einer in sich atheistischen Weltanschauung. Das Dritte Reich war ein Ziel bis 1933, so sprach Hitler danach vom Großdeutschen Reich oder Tausendjährigen Reich. Vor allem nach dem Anschluss von Österreich, 1938 hat man den Namen Großdeutsches Reich als offiziellen Staatsnamen verwendet. In einer Rede, 1943 sprach er auch vom Germanischen Staat deutscher Nation in Anlehnung an das Heilige Römische Reich deutscher Nation.(22) Im Rumänischen hat man eine Teilübersetzung vorgenommen. Den ersten Teil hat man übersetzt und den zweiten übernommen. Wieso aber, da es im Rumänischen durchaus eine "Entsprechung" des deutschen Wortes Reich gibt, nämlich imparatie oder imperiu. Das bis 1806 existierende Heilige Römische Reich deutscher Nation heißt in rumänischer Übersetzung Imperiul Roman de Natiune Germana wobei das Wort Reich hier nicht mehr so belassen wird, sondern übersetzt wurde. Das Dritte Reich ist aber nicht mehr Al treilea Imperiu sondern Al treilea Reich. Das Wort wird also nicht separat vom Kontext übersetzt, sondern hier berücksichtigt man ein geschichtliches und implizite in der Ausgangssprache auch kulturbezogenes Phänomen.

Die so genannte ethnische Säuberung als Prozess hat sich mehrerer, immer wieder auftauchender Begriffe bedient, z. B. Arier- arisch- Arisierung, Rasse- Rassenschande- niederrassig oder rein.

Arier : Angehöriger einer östlichen, indogerm. Völkergruppe; aus dem sanskritischen ârje bedeutend ein Mann eines iranischen oder indischen Stammes; falscher Weise nicht semitisch(23). Im Rumänischen arian, ein Wort, das zwei verschiedene Bedeutungen und Abstammungen hat, dessen Wortlaut aber der gleiche ist. Zum einen aus dem fr. arien(24)wird es als der Name eines Anhängers der Arianismus erklärt, eine früh christliche Ideologie, deren zufolge die göttliche Natur von Jesus Christus negiert wird, und dessen Gründer der Erzbischof Arie aus Alexandria war(25). Das zweite Wort, mit dem gleichen Wortlaut aber aus dem fr. aryen(26) abstammend, steht für den alten Namen der Völker, die eine indo-europäische Sprache sprechen. Später bezeichnete der Begriff die Angehörigkeit zu einem germanischen Volk. Im 19. Jh. verengten sich die Bedeutungen des Begriffes, und er bezeichnete die Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" oder die Ahnen des deutschen Volkes(27). Die LTI übernahm das Wort, und machte aus ihm mehr als die Bezeichnung einer Zugehörigkeit, es wurde zu einer Lebensprämisse. Im Rumänischen wird das zweite Wort mit dem Bezug auf die NS-Ideologie verwendet und gibt die Bezeichnung der ausgangssprachlichen Kultur treu wieder.

Das Wort Rasse aus dem fr. race, seinerseits aus dem it. razza, ein naturwissenschaftliches Ordnungsbegriff zur Bezeichnung einer Gruppe von Individuen innerhalb einer Art, die in typischen Merkmalen übereinstimmen(28), erfuhr innerhalb der LTI eine andere Bezeichnung. Dem Wort wird einen Spezialsinn erteilt. Es bezeichnet nicht mehr eine harmlose Realität aus der naturwissenschaftlichen Welt, sondern die Angehörigkeit zu einer, oder anderen Rasse wird zu einer Lebensbedingung gemacht. Die Nachkriegszeit Sprache trat diesem Wort durch Tabuisierung entgegen. Die rumänischen Legionäre bezeichneten den Nationalsozialismus als die Rassenlehre(29), während sie ihre Lehre auf den Glauben an Gott stützten, daher bezeichnet das rum. Wort rasă mit gleicher Abstammung aus dem fr. race, it. razza(30) die simple Angehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Menschen oder Tieren. Die Übersetzung durch ein anderes Wort würde aber auch nicht zutreffen. Es gibt aber im Rumänischen das vom Wort rasă abgeleitete Wort rasism, das einen sozial-politischen Glaube beschreibt, nachdem es zwischen Angehöriger verschiedenen Menschenrassen, biologische und intellektuelle Unterschiede gibt(31). Als Rassenschande galt gemäß dem NS- "Blutschutzgesetz" von 1935 der außer-eheliche Verkehr von anderen nicht- arischen Menschen, in erster Linie Juden mit Staatsangehörigen "deutschen oder artverwandten Blutes"(32). Die nicht-jüdische Ehefrau eines Juden wurde als Rassenschänderin beleidigt. In der Form kann man auf Rumänisch keine Entsprechung derselben Bezeichnung finden. Eine Übersetzung ohne zusätzliche Erklärung seitens des Übersetzers würde sicherlich mißverstanden werden. Mit Berücksichtigung des kulturellen und kontextuellen Aspekts würden wir folgende Übersetzungen vorschlagen: necinstirea rasei,pângărirea rasei oder profanarea rasei, Begriffe, die einen fast kirchlichen Klang haben.

Rein <altgerm. Adjektiv mhd. reine, ahd. [h]reini, got. hrains, schwed. ren beruht auf einer alten Prinzipialbildung zu der Wurzelform [s]krēi "schneiden, sichten, sieben"(33). In der Zielsprache- hier Rumänisch könnte dieser Inhalt durch das Wort pur (<lat. purus(34)) wiedergegeben werden, wobei die Bezeichnung nicht dieselbe ist. Die rumänischen Legionäre sprachen eher von der Reinheit der Seele, auf einer geistlichen und seelischen Ebene, durchaus im biblischen Sinne. Der Bezug des Wortes auf das jüdische Volk kann aber nicht völlig negiert werden. Das LTI- Wort bezeichnet aber eine physische Realität, die Reinheit der Rasse wird de facto realisiert.

III. Schlussbemerkungen

Die kulturgeschichtliche Dimension der Ausgangssprache bereitet dem Übersetzer die meisten Probleme. Sie ist aber zugleich, wie Coseriu im erwähnten Artikel meint, die Voraussetzung der Existenz des Übersetzens als Prozess, sonst gäbe es nur einfache Transkription, oder computergesteuerte Übersetzung. Unsere Versuche aus dem Buch von Victor Klemperer zu übersetzen haben nachgewiesen, dass an diesem Prozess mehrere Faktoren beteiligt sind. Sprachwissenschaftliche Faktoren müssen gegenüber kulturgeschichtlichen oft zurücktreten. Die Bedeutungen spielen auf der sprachlichen Ebene eine Rolle, Bezeichnungen sind aber kulturbedingt, und daher sprechen manche Übersetzungswissenschaftler, wie z. B. Katharina Reiß und Hans J. Vermeer in ihrem Buch: Grundlagen einer allgemeinen Translationstheorie. ( Tübingen 1991 ) über die Bikulturalität des Übersetzers. Er muß oft nicht nur zweisprachig sein, sondern auch bikulturell. Um originalgerecht zu übersetzen, sollte man wissen, welche Mittel man verwenden kann, der Übersetzer muß aber zugleich die ausgangssprachliche und zielsprachliche Kultur kennen. Sprache spricht für sich, war der Leitgedanke meiner Arbeit, Sprache verrät aber auch ein Stück Kultur.

© Laura Gabriela Laza (Cluj-Napoca/Klausenburg)

TRANSINST       table of contents: No.13


ANMERKUNGEN

(1) Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen, Aufbau-Verlag, Berlin 1947

(2) Coseriu, Eugen: Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie, in Wills, Wolfram (Hrsg .). : Übersetzungswissenschaft, Darmstadt 1981

(3) siehe Zelea Codreanu, Corneliu: Pentru legionari, Bukarest 1940

(4) Coseriu, Eugen: Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie, in Wills, Wolfram (Hrsg .). : Übersetzungswissenschaft, Darmstadt 1981, S. 27 ff.

(5) siehe dazu Ebd., S. 28-29

(6) siehe dazu Ebd., S. 32-33

(7) Ebd., S. 33

(8) Ebd., S. 34

(9) siehe dazu Ebd, S. 34

(10) Ebd., S. 42

(11) Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 2001, S. 20

(12) siehe dazu Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 2001, S. 26-27

(13) Schlosser, Dieter: Lexikon der Unwörter. Berlin 2000, S. 101

(14) Marcu, Florin und Maneca, Constant (Hrsg.): Dictionar de neologisme, 3. Auflage, Bukarest 1978 , S. 475

(15) siehe Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 2001, S. 77-83

(16) Dictionarul explicativ al limbii romane, 2. Auflage, Bukarest 1996, S. 366

(17) Drosdowski, Günther (Hrsg.): Duden. Ethymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2. Auflage, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1989, S. 226

(18) Ebd., S. 278

(19) Ebd., S. 281

(20) Dictionarul explicativ al limbii romane, 2. Auflage, Bukarest 1996, S. 343

(21) Ebd., S. 342

(22) Schlosser, Dieter: Lexikon der Unwörter, Berlin 2000, S. 70 und S. 100

(23) Neues Deutsches Wörterbuch, Köln o. J., S. 65

(24) Dictionarul explicativ al limbii romane, 2. Auflage, Bukarest 1996, S. 59

(25) Dictionarul explicativ al limbii romane, 2. Auflage, Bukarest 1996, S. 59

(26) Dictionarul explicativ al limbii romane, 2. Auflage, Bukarest 1996, S. 59

(27) Ebd., S. 59

(28) Drosdowski, Günther (Hrsg.): Duden. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache", 2. Völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1989, S. 572

(29) siehe dazu: Sima, Horia: Doctrina legionara. Bukarest 1998

(30) Marcu, Florin und Maneca, Constant (Hrsg.): Dictionar de neologisme. 3. Auflage. Bukarest 1978. S. 903

(31) Ebd., S. 903

(32) Schlosser, Dieter (Hrsg .). : Lexikon der Unwörter. Berlin 2000. S. 91

(33) Drosdowski, Günther (Hrsg.): Duden. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache", 2. Völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1989, S. 583

(34) Marcu, Florin und Maneca, Constant (Hrsg.): Dictionar de neologisme, 3. Auflage, Bukarest 1978, S. 891


LITERATUR

Grucza, Franciszek : Interkulturelle Translationskompetenz: Ihre Struktur und Natur. In: Arnim, Paul Frank (Hrsg.): Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch. Teil 1. Berlin 1993.

Coseriu, Eugen: Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie. in: Wilss, Wolfram (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft. Darmstadt 1981.

Coseriu, Eugen: Limbaj si politica. In: Revista de lingvistica si stiinta literara a institutului de lingvistica si istorie a Academiei de Stiinte Moldova. Nr. 5/1996.

Dictionar explicativ al limbii romane. Bukarest 1996.

Dictionar roman-german. Bukarest 1958.

Draganovici, Mihai : Die literarische Übersetzung als sprachlicher und kultureller Transfer. Einige Überlegungen. In : Zeitschrift der Germanisten Rumäniens , 7. Jahrgang, Heft 1-2 (13-14), Bukarest 1998, S. 284-286.

Drosdovski, Günther (Hrsg.): Duden Ethymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 2. Auflage, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1989.

Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig 1975.

Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. Auflage. Berlin 1998.

Kupsch- Losereit, Sigrid: Übersetzen als transkultureller Verstehens- und Kommunikationsvorgang: andere Kulturen, andere Äußerungen. In: www.fask.uni-mainz.de

Marcu, Florin. Maneca, Constant : Dictionar de neologisme. 3. Auflage. Bukarest 1978.

Reiß, Katharina. Vermeer, Hans J. : Grundlagen einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen 1991.

Neues Deutsches Wörterbuch, Naumann &Göbel Verlag, Köln o. J.

Schlosser, H. Dieter : Lexikon der Unwörter. Berlin 2000.

Siehr, Karl-Heinz (Hrsg.): Victor Klemperers Werk. Berlin 2001.

Sima, Horia: Doctrina legionara. Bukarest 1998.

Sima, Horia: Menirea nationalismului. Bukarest 1993.

Stolze, Radegundis: Übersetzungstheorien. Eine Einführung. Tübingen 1994.

100 Wörter des Jahrhunderts. Suhrkamp Verlag Frankfurt 1999.

Witte, Heidrun: Die Kulturkompetenz des Translators. Begriffliche Grundlegung und Didaktisierung, Tübingen 2000.

Zelea- Codreanu, Corneliu: Pentru legionari. Sibiu 1936.

Zelea- Codreanu, Corneliu: Pentru legionari. Sibiu 1940.


For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Laura Gabriela Laza (Cluj-Napoca/Klausenburg): Musik als grenzübergreifendes Thema bei Ingeborg Bachmann: der Fall "Malina" In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 13/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/13Nr/laza13.htm.

TRANS     Webmeister: Peter R. Horn     last change: 03.05.2005     INST