Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

2.1. Kultur und Zivilisation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Penka Angelova (Rousse)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Die politische Kultur in Europa - Verbindendes und Trennendes

Dimiter Angelov
[BIO]

 

1. Der Stellenwert der politischen Kultur und der politischen Identität im gesamteuropäischen Kulturbegriff

Der moderne Begriff "politische Kultur" (engl. political culture) wird zum ersten Mal von Gabriel Almond im Jahre 1956 im Kontext "des Vergleiches politischer Systeme" eingeführt. Die Definition dieses Begriffes schließt in sich zwei selbständige Bereiche, die Objekt der wissenschaftlichen Forschung sein können: die Politik und die Kultur. Dies macht seine Formulierung noch komplizierter und komplexer - es ist keine Übertreibung, wenn man behaupten würde, dass jeder Autor seine eigene Ansicht über das Problem und seine eigene Definition hat ... Bei der Betrachtung einer konkreten politischen Kultur müssten wir zwei Grundtypen von Beziehungen unterscheiden, die wir ganz allgemein als politische bezeichnen können. Die Einstellung des Einzelnen oder der Gemeinschaft zu den Problemen der Politik und die Einstellung des Einzelnen und der Gesellschaft zu den Problemen der Kultur, die auch einen politischen Sinn beinhalten kann. Erst dann können wir die Frage nach der Immanenz der politischen Kultur beantworten. Mit anderen Worten, die politische Kultur füllt eine Lücke zwischen dem Einzelnen und dem politischen System aus und dient als Verbindung (connection) zwischen ihm und dem politischen System. Der Einzelne kann als aktiver oder passiver Teilnehmer an bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und Wechselwirkungen beteiligt sein - und dadurch zeigt er seine Teilnahme am gesellschaftlichen Prozess. Deswegen ist eines der wichtigen Charakteristika der politischen Kultur auch die Möglichkeit für eine individuelle Wahl, die durch den Grad der politischen Bildung und das Vorhandensein von sozialer und Lebenserfahrung bestimmt und prädestiniert wird. In diesem Sinne meine ich, dass eine gute politische Kultur der politische Ausdruck von einer gut ausbalancierten Lebensphilosophie ist, indem ich nicht der Meinung bin, dass ich dadurch ihre Wirkungssphäre einschränke. Jede individuelle Wahl spiegelt die Einstellung der Bevölkerung zum politischen System wider und betrifft die Frage nach ihrer Stabilität. Die Übergangsgesellschaften verfügen gewöhnlich nicht über die notwendige Erfahrung und Reife, um selber die adäquate politische und zivilisatorische Entscheidung zu treffen. Auf ihre Entscheidungen üben sehr oft äußere Faktoren einen Einfluss, die wenig mit der nüchternen und rationalen Einschätzung der Gegenwart und eines klaren Konzeptes für künftige Entwicklung gemein haben. Sie sollen dann durch politische Bildungsmaßnahmen aktiv unterstützt werden im Prozess dieser wichtigen Entscheidungstreffen. Das ist aber nicht das einzige Problem, das vor ihnen steht, wenn heutzutage immer dringlicher die Frage nach der Erweiterung der EU und eines vereinten Europa gestellt wird. Dabei muss die Tatsache der historisch bedingten Teilung Europas und die Unterschiede, die im Rahmen dieses "europäischen Raumes" bestehen, berücksichtigt werden. Historisch gesehen, ist keine der europäischen Regionen unberührt von den Kriegen und der Destabilisierung geblieben, und zwar aus zweierlei Gründen:

Heute hat die strenge Teilung in Ost und West auf der politischen und teilweise auf der wirtschaftlichen Ebene ihre Aktualität eingebüßt. Es setzt sich langsam eine andere Teilung durch, die sich auf folgende Prinzipien stützt:

Die regionale Entwicklung Europas vollzieht sich sowohl auf nationaler, subnationaler, wie auch supranationaler Ebene. Die unterschiedlichen Teilungen, die wir weiter oben aufgelistet haben, setzen eine gewisse Deckung und Angleichung von kollektiven Interessen und Identitätsstiftungen voraus, die auch zu multiplen Identitäten(2) führen. Die Vielfalt dieser Prinzipien setzt eine neue Diskursform des Dialogs in den europäischen Wechselbeziehungen voraus.

 

2. Die Notwendigkeit von der neuen Zeit adäquaten Parametern der politischen Kultur in Europa

Bei dieser neuen Diskursform und für die Überwindung alter Vorurteile müssten an erster Stelle die Gründungsprinzipien und Traditionen der EU überdacht und kritisch angewendet werden. In dieser Situation sind sowohl die alten, als auch die neuen EU-Bürger vor die Probe des Zusammenwachsens und einer neuen politischen Kultur gestellt. Denn mit dem Fall der Berliner Mauer als Symbol für den Eisernen Vorhang ist nicht nur der alte Feind, der Kommunismus, zusammengebrochen, sondern auch der mit seiner Gefahr rechnende und daraus profitierende "Sozialstaat" ist auf der Strecke geblieben und hat "die Waffen niedergelegt". Nicht nur die Gegenwart, sondern auch die "politische Zukunft" hat sich verändert und obwohl vor dem Fall der Mauer ein Zusammenwachsen angeblich von beiden Seiten gewünscht war, aber nie ernst bedacht wurde, ist das jetzt eine politische Gegenwart und in genau bedachten Schritten auch eine politische Zukunft, der die politische Bildung und die politische Kultur der europäischen Bürger im Westen und im Osten noch nicht gewachsen ist. Man weiß zu wenig voneinander. Zwischen der Bundesrepublik und Frankreich hat es parallel zur politischen Ebene mit Schüleraustausch in den Familien angefangen, damit die alten "Erbfeindschaften" ein Ende nehmen. Und es dauerte über zwei Generationen, bis die jungen Leute von 1990 feststellen mussten, dass ihnen Frankreich näher lag als die DDR. Und schon gar Rumänien, Bulgarien, der Ukraine usw.

Zwei getrennte Welten kommen wieder zusammen und sie verbinden sich zu einem Dritten, das es vorher nicht gegeben hat. Denn die EU der 25 ist nicht die EU der 12 und schon gar nicht die Montanunion. Zwei Systeme von politischer Kultur treffen aufeinander. Aber vielleicht sind es nicht bloß zwei Welten, sondern national- oder regionalgeprägte politische Kulturen, die zusammentreffen.

Eine solche Untersuchung sollte natürlich deskriptiv den Stand der Dinge feststellen, gleichzeitig aber auch Rücksicht auf jene Parameter nehmen, die bisher das "Verbindende" gewesen und bis in die Bildungspolitik eingedrungen sind, um dementsprechend auch gemeinsame, der neuen Zeit und den historischen Vorprägungen adäquate Parameter politischer Bildung auszuarbeiten.

 

3. Die politische Kultur- und Bildungspolitik: Problemstellung

 

4. Fallstudie aus Bulgarien

Die politische Kultur ist auch politische Identität. Das öffentliche Leben des Einzelnen beschränkt sich nicht mehr auf Entscheidungstreffen in der kleinen Gemeinschaft, in der er aufgewachsen ist und seine Bildung und Erziehung bekommen hat. Sein soziales Dasein hat eine neue räumliche Dimension bekommen, was auch mit einer anderen Verantwortung verbunden ist - nicht nur für die Region, für den Staat, sondern auch in gesamteuropäischem Maßstab. Das setzt auch die Notwendigkeit von neuen Kenntnissen bezüglich der Struktur, den Funktionen der europäischen Institutionen, das Entscheidungstreffen in der EU voraus: Ein besonders wichtiges Kriterium für die neuen Demokratien, bei denen die Herausbildung einer Bürgergesellschaft (Civil Society) und die Formierung eines demokratischen Wertesystems ein immer noch währender Prozess ist.

Welche sind die Tendenzen bei der Entwicklung der gegenwärtigen politischen Kultur in Bulgarien? In einem der wenigen Bücher, die das Problem der bulgarischen politischen Kultur in der Situation des Übergangs behandeln, "Die bulgarische politische Kultur - Traditionen und Gegenwart"(3) (2002), werden folgende Schlussfolgerungen über die bulgarische politische Kultur im Übergang gezogen:

Die Erklärung für diese Widersprüchlichkeit müsste nicht nur in der bulgarischen Geschichte und Volkspsychologie gesucht werden, sondern auch in den Eigenheiten des Übergangs vom Totalitarismus zur Demokratie - ein Übergang, den man ganz allgemein als eine konservative Revolution bezeichnen könnte. Dieser Übergang erfolgte vorwiegend von oben.

Die Autorin Blaga Blagoeva kommt zu der Schlussfolgerung, dass die bulgarische politische Kultur laut Almond/Verba eine "untertänisch-aktivistische" mit Orientierung auf eine Transformation in die bürgerliche sei. Hier möchte ich auf etwas hinweisen, was Taneva nicht bemerkt, und zwar, dass sie von einer nationalen politischen Kultur redet, wo man selbst in diesem kleinen Land unterschiedliche regionale politische Kulturen beobachten kann: z.B. in den Rhodopen, im Strandzha-Gebirge und in Nordwestbulgarien. D.h.. ich bin der Meinung, dass sie nicht einheitlich ist. An einzelnen Stellen, kann man von Ansätzen von Öffentlichkeit, wie sie Habermas versteht, reden.

Nach Aron Wildavsky ist die politische Kultur der Ausdruck für die Lebensweise, mitgeteilte Werte, die die sozialen Wechselbeziehungen legitimieren. D.h. der Inhalt der politischen Einstellungen wird sozial determiniert.(4) Demgemäß weist die bulgarische politische Kultur vorwiegend patriarchal-aktivistische Merkmale auf. (als Beispiel die letzte Wahl des königlichen Sohns zum Ministerpräsidenten).

Zwei weitere Charakteristika, der Traditionalismus (Eleaser)(5) und der Konservatismus werden durch die letzten Gemeindewahlen bestätigt (26.10-2.11.2003) An vielen Orten werden die Bürgermeister zum dritten oder vierten Mal gewählt. Dabei muss man erwähnen, dass es leider keine gesetzlichen Einschränkungen gibt, wie oft ein Bürgermeister wiedergewählt werden kann, was zu der Formierung einer neuen "Partei" der wiedergewählten Bürgermeister führt.

Die Politische-Kultur-Forschung befasst sich auch mit Eigenschaften von Gruppen , die sich in folgender Weise systematisieren lassen (Almond, 1997; S. 29);

Alles das führt uns zu der Schlussfolgerung von der Verantwortung, die vor dem einzelnen Bürger, vor der ganzen Gesellschaft, vor der Macht (legislative, exekutive, ...), der politischen Klasse usw. für die Formierung der bürgerlichen Kultur steht.

Die politische Kultur von Europa ist eine demokratische, was Pluralismus und Gleichstellung der Meinungen voraussetzt. Eine gemeinsame politische Sprache, gemeinsame Politiken und gemeinsame politische Kultur sind die Voraussetzungen für eine gemeinsame Zukunft. Zu erwarten ist eine neue ethische Formulierung der politischen Diskurse.

© Dimiter Angelov


ANMERKUNGEN

(1) Otto Schwetz: Der Donauraum und die Donau als Wasserstraße. In: Europäische Identitäten. Jahrbuch der Universität Rousse 2001, Volume 38, Book 1. 67-78. Hier S. 67.

(2) vgl. Angelova: Vom Balkan zu Europa. Multiple Identitäten und mögliche Erwartungshorizonte angesichts einer gespaltenen Zukunft. In: Ich sehe was, was du nicht siehst. Röhrig Universitätsverlag 2002. S. 105-118.

(3) Blagoeva-Taneva , Blaga: Die bulgarische politische Kultur. Traditionen und Gegenwart, Zaharij Stojanov-Verlag, Sofia, 2002, S. 135f.

(4) Aron Wildavsky, 1991, The Rise of Radical Egalitarianism. Washington, The American University Press; Laitin, D. D. and A. Wildavsky, Political Culture and Political Preferences. - In: American Political Science Review, 82, Nr. 2, S. 589-593. . Lane, R., 1992; Political Culture: Residual Category or General Theory ? - In: Comparative Politics and Political Studies, 25, Nr. 3; S. 362-387

(5) Elaser, D. J.; 1971. American Federalism: A View from the States. New York. T. W. Crowell.


2.1. Kultur und Zivilisation

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For quotation purposes:
Dimiter Angelov: Die politische Kultur in Europa - Verbindendes und Trennendes. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/02_1/angelov.htm

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