Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

3.1. Exil und Migration | Exile and Migration | Exil et migration
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Fawzi Boubia (Caen)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Ein Bericht über Exiltheater in Wien und in den USA

Massud Rahnama (Wien)
[BIO]

 

Moderator: Sehr geehrte Damen und Herren. Hiermit darf ich ihnen Massud Rahnama vorstellen, Schauspieler, Regisseur und Dramatiker mit einem Vortrag über seine Arbeit mit Exiltheater in Österreich und in den USA.

Massud Rahnama: Bevor ich über Exiltheater in Wien und in den USA spreche, möchte ich Ihnen die "Geschichte von dem Beduinen, der Sand in den Sack füllte, und dem Philosophen, der ihn dafür tadelt" von Moulana Galal ad-Din Rumi erzählen, der vor rund 800 Jahren in Persien gelebt hat.

Ein Araber belud ein Kamel mit zwei Säcken; einer war voll mit Korn. Er saß auf beiden Säcken. Ein geschwätziger Gelehrter befragte ihn. Er fragte ihn über sein Heimatland aus und brachte ihn im Verlaufe seiner Erkundigungen zum Reden. Dann sagte er zu ihm: "Mit was sind die zwei Säcke gefüllt? Sprich die Wahrheit." Er antwortete: "In einem Sack habe ich Weizen; im anderen ist etwas Sand; keine Nahrung für Menschen." "Warum", fragte er, "hast du Sand geladen?" "Damit der andere Sack nicht alleine ist", antwortete er. "Um der Klugheit willen", sagte er, "schütte die Hälfte des Weizens aus diesem Sack in den anderen, damit die Säcke leichter werden und das Kamel ebenso." Der Araber rief: "Bravo! O kluger und edler Weiser! Was für ein feines Denken und hervorragendes Urteil! Und du bist so nackt, zu Fuß und erschöpft!" Der gute Mann hatte Mitleid mit dem Gelehrten und entschloss sich, ihn auf das Kamel steigen zu lassen. Er sagte weiter zu ihm: "O redegewandter Weiser, erzähle mir auch etwas über deine eigenen Lebensumstände. Mit deiner Intelligenz und deinen Taten bist du bestimmt ein Wesir oder ein König? Sag die Wahrheit." Er antwortete: "Ich bin keines von beiden, ich gehöre zum gewöhnlichen Volk. Sieh dir mein Aussehen und meine Kleider an." Der Araber fragte: "Wie viele Kamele hast du? Wie viele Ochsen?" "Ich habe weder das eine noch das andere", antwortete er, "bedränge mich nicht." Der Araber sagte: "Welche Waren hast du in deinem Geschäft?" Er antwortete: "Wo habe ich ein Geschäft und wo einen Wohnort?" "Dann", sagte der Araber, "werde ich nach Geld fragen. Wie viel Geld hast du? Denn du bist ein einsamer Wanderer, dessen Rat wertvoll ist. Du bist das Elixier, welches das Kupfer der Welt in Gold verwandelt; in deinem Verständnis und Wissen sind Perlen versteckt." "Bei Gott", antwortete der Gelehrte, "o Häuptling der Araber, ich besitze nicht einmal die Mittel, Nahrung für die Nacht zu kaufen. Ich laufe mit bloßen Füßen und nacktem Körper herum. Wenn mir jemand etwas Brot gibt - dort gehe ich hin. Von Weisheit und Gelehrtheit und Vorzüglichkeit habe ich nichts als Phantasie und Kopfschmerzen bekommen." Da sagte der Araber zu ihm: "Entferne dich von mir, damit dein Unglück nicht auf mich fällt. Nimm deine unglückliche Weisheit weit weg von mir; deine Rede bringt dem Volk dieser Zeit Unglück. Du gehst in diese Richtung und ich in jene; wenn dein Weg nach vorne geht, gehe ich zurück. Ein Sack mit Weizen und der andere mit Sand ist besser für mich als diese nutzlose Schlauheit. Meine Dummheit ist eine sehr gesegnete Dummheit, denn mein Herz ist gut versorgt und meine Seele ist hingebungsvoll."

Moderator: Filmankündigung

[Kurze Filmeinspielung wird gezeigt.]

Moderator: Nun bitte ich sie uns etwas über Exiltheater und Migration in Wien und in den USA zu erzählen.

Massud Rahnama: Bevor ich über Exiltheater in Wien und in den USA spreche, möchte ich Ihnen die Geschichte "Wenn Blinde von der Farbe reden" von Voltaire erzählen, der vor rund 250 Jahren in Frankreich gelebt hat.

Bekanntlich wurden bei der Gründung des Blindenhospitals "Quinze-Vingts" in Paris allen Insassen die gleichen Rechte zugesprochen, und ihre Angelegenheiten sollten immer durch Stimmenmehrheit entschieden werden. Auf Grund ihres verstärkten Gefühlsinns konnten sie Kupfer- und Silbermünzen genau unterscheiden, und keiner von ihnen hätte jemals Krätzer für Burgunder gehalten. Auch ihr Geruchssinn war wesentlich ausgeprägter als der ihrer Mitmenschen, die noch beide Augen hatten. Sie urteilten durchaus vernünftig über die vier Sinne, das heißt, sie wussten soviel, wie man davon wissen darf, und sie lebten so friedlich und glücklich dahin, wie es eben bei den Blinden möglich war. Unglücklicherweise behauptete eines Tages einer ihrer Lehrer, der Gesichtssinn sei für ihn ein absolut klarer Begriff. Er hielt Reden darüber, erweckte viel Neugierde, schuf sich begeisterte Anhänger und wurde schließlich als Vorsteher der Blindengemeinschaft anerkannt. Er fing an, selbstherrlich von der Farbe zu reden, und alles andere galt nicht mehr.

Dieser erste Diktator des Blindenhospitals gründete zunächst einen kleinen Rat und ließ sich von ihm zum Almosenverwalter ernennen. Nun wagte niemand mehr, sich ihm zu widersetzen. Er legte fest, dass alle Anzüge der "Quinze-Vingts" weiß seien. Die Blinden glaubten es und sprachen nur noch von ihren schönen weißen Anzügen, obwohl nicht ein einziger davon weiß war. Alle Leute machten sich über die Blinden lustig, und sie beschwerten sich deshalb bei ihrem Diktator. Er nahm sie sehr unfreundlich auf und stellte sie als Neuerungssüchtige, Freigeister und Rebellen hin, die sich durch die irrigen Meinungen derer, die nicht blind waren, verführen ließen und an der Unfehlbarkeit ihres Meisters zu zweifeln wagten. Dieser Streit hatte die Bildung von zwei Parteien zur Folge.

Immer mehr machte man sich über die Blinden lustig. Neue Beschwerden seitens der Gemeinschaft - der Diktator geriet in Wut, die Blinden ebenfalls. Man schlug sich lange Zeit herum, und die Eintracht wurde erst wieder hergestellt, als allen Blinden erlaubt wurde, ihr Urteil über die Farbe ihrer Anzüge selbst abzugeben.

Moderator: Nun bitte ich sie uns endlich etwas über Exiltheater und Migration in Wien und in den USA zu erzählen.

Massud Rahnama: [freundlich lächelnd] spielt die Ankunftsszene am Dallas Airport.

Massud Rahnama: Wie es derzeit ist, in die USA einzureisen, wenn du Mohammed Ebrahim heißt, gleich ob österreichischer Staatsbürger oder nicht, würde den zeitlichen Rahmen sprengen.

Moderator: [verärgert] Herr Rahnama, wir haben sie nicht eingeladen, damit sie persische Märchen erzählen. Sprechen sie endlich über "Exiltheater in Wien und in den USA".

Massud Rahnama: [wütend] Ich kann über Exiltheater in Österreich nicht sprechen, da es kein Exiltheater in Österreich gibt! Zum Beispiel leben 60.000 Perser hier, sie dürfen nur arbeiten und Steuern zahlen! Sie haben kein Recht auf ihr eigenes Theater. Über andere Minderheiten will ich erst gar nicht sprechen. Jetzt zu den USA: Wie kann jemand in den USA frei Theater machen, wenn man Mohammed Ebrahim Rahnamay Nehzomi, heißt und sich im Land der Freiheit nicht einmal frei bewegen kann.

Gesamtdauer cirka 20 Minuten

© Massud Rahnama (Wien)

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For quotation purposes:
Massud Rahnama (Wien): Ein Bericht über Exiltheater in Wien und in den USA. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_1/rahnama15.htm

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