Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
 

3.5. Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Maria Klanska (Kraków)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Jüdische Übersetzer, Autoren und Kritiker als Mittler zwischen der deutschen und polnischen Literatur

Martin Pollack (Stegersbach)

 

Wer sich mit der Rezeption der deutschsprachigen Literatur in Polen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt, wird nicht umhin können, die polnisch-jüdischen Zeitungen und Zeitschriften durchzusehen, die vor allem in der Zwischenkriegszeit eine große Vielfalt erreichten. Es gab wichtige jüdische Tageszeitungen wie "Nowy Dziennik" (Krakau, 1918-1939), "Chwila" (Lemberg, 1919-1939) und "Nasz Przeglad" (Warschau, 1923-1939), große Wochenzeitungen, voran "Opinia" (Warschau, 1933-1935) und später "Nasza Opinia" (Lemberg, 1935-1939) sowie Monatszeitschriften wie etwa "Miesiecznik Zydowski" oder "Nowe Zycie", herausgegeben von dem bekannten jüdischen Historiker Majer Balaban, um nur ein paar Titel zu nennen. Daneben erschienen zahlreiche kleinere, manchmal nur kurzlebige Blätter, die dennoch oft ein erstaunlich hohes Niveau erreichten. Insgesamt ist die polnisch-jüdische Presse jedoch ein bis heute nur unvollständig dokumentiertes und erforschtes Kapitel, was nicht zuletzt mit der schlechten Quellenlage zusammenhängt: Ganze Zeitschriftenbestände wurden im Krieg vernichtet oder verschleppt, die meisten Jahrgänge sind, wenn überhaupt, in den Bibliotheken nur lückenhaft vorhanden.

Auffallend ist, daß faktisch alle hier genannten Titel einen umfangreichen Feuilletonteil und hervorragende, meist freie Mitarbeiter besaßen, die natürlich auch in polnischen Zeitungen publizierten, wobei man die Frage stellen könnte, ob so eine Einteilung, oder eher: Trennung in polnisch-jüdische und polnische Periodika, wie man sie in der einschlägigen Literatur häufig vorfindet, überhaupt Sinn macht? Radikalen polnisch-nationalen Kreisen genügte oft die Tatsache, daß in einem bestimmten Blatt auch jüdische Intellektuelle publizierten, um dieses, natürlich abwertend, als "jüdisch" zu bezeichnen (ähnliche Tendenzen finden wir in dieser Zeit natürlich auch anderswo, etwa in Österreich und Deutschland).

Wie immer man diese Blätter einordnet, uns interessiert hier vorab die Tatsache, daß sie zahlreiche Hinweise auf deutschsprachige Autoren und ihre Werke, Besprechungen von Übersetzungen und Übersetzungen selber enthalten - zahlreiche Werke erschienen zuerst als Vorabdruck in periodischen Publikationen, eine Praxis, die damals viel weiter verbreitet war als heute. Dabei konzentrierte sich das Interesse naturgemäß auf deutschsprachige Autoren und Werke, die man im weitesten Sinn als "jüdisch" bezeichnen könnte.

Daß gerade jüdische Medien und Intellektuelle eine besonders wichtige Rolle als Brückenbauer zwischen der deutschen und polnischen Literatur spielten, ist kein Zufall. In Galizien, worauf ich meine Ausführungen beschränken möchte, war das aufgeklärte Judentum geprägt durch eine enge Bindung an die deutsche Kultur im allgemeinen und die Literatur im besonderen. Bis weit herauf ins 19. Jahrhundert bekannte sich die jüdische Intelligenz in Galizien mehrheitlich zur Haskala, der jüdischen Variante der Aufklärung, die untrennbar verbunden ist mit dem Namen des Berliner Philosophen Moses Mendelssohn, der für die Gleichberechtigung der Juden und ihre Befreiung aus dem geistigen (und oft auch physischen) Getto kämpfte. Die Sprachen der Haskala waren Hebräisch und Deutsch. Das hatte zur Folge, daß die aufgeklärten Juden in Galizien von ihren traditionellen Glaubensbrüdern, nicht unbedingt schmeichelhaft, "Dajtsche" genannt wurden. Mit dem Erstarken der polnischen Autonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandten sich die aufgeklärten Juden zunehmend der polnischen Kultur zu, so daß wir in Galizien eine andere Entwicklung vorfinden als zum Beispiel in der benachbarten Bukowina, wo die jüdische Oberschicht (in den Schtetln war die Entwicklung wieder anders) bis ins 20. Jahrhundert der deutschen Sprache und Kultur verhaftet blieben. In Galizien hingegen wurden Einfluß und Bedeutung der deutschen Sprache und Kultur schrittweise zurückgedrängt - jedoch nie vollkommen verdrängt. Es kam vielmehr zu einem befruchtenden Nebeneinander der verschiedenen Sprachen und Kulturen, deutsch, polnisch, dazu selbstverständlich noch jiddisch und hebräisch. In vielen jüdischen Familien wurden Deutsch und Polnisch gleichermaßen gepflegt, es war nicht selten, daß gebildete Menschen in beiden oder auch in drei oder mehr Sprachen und damit Literaturen zu Hause waren.

Der aus relativ bescheidenen kleinstädtischen (nämlich aus Stryj) Verhältnissen stammende polnisch-jüdische Autor Julian Stryjkowski erinnerte sich, daß er bereits als Zwölfjähriger mit Begeisterung Schiller im Original las, es folgten Goethe, Kleist, Grillparzer, Heine, Jakob Wassermann, Stefan Zweig und andere.(1) Es existierte in jüdischen Kreisen so etwas wie ein Kanon der deutschen Literatur (dem wären natürlich noch Lessing und andere Autoren hinzuzufügen, darunter auch Karl May), der zu den festen Bestandteilen der Bildung eines aufgeklärten Galizianers gehörte, auch wenn er sich nicht speziell mit Deutsch und der deutschen Literatur befaßte. Stryjkowski zum Beispiel schrieb zu Beginn hebräisch(2) , später polnisch und übersetzte als Student aus dem Hebräischen und Französischen(3) .

Diese enge, emotionale Berührung mit der deutschen Literatur prädestinierte die Intellektuellen jüdischer Herkunft geradezu für ihre Rolle als Vermittler. Einer der wichtigsten war der in Lemberg wirkende Lyriker, Essayist, Rezensent, Satiriker und Übersetzer Izydor Berman, den ich in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen möchte, weil sich an seinem Beispiel die große Bedeutung aufzeigen läßt, die jüdischen Kritikern und Übersetzern in dieser Hinsicht zukam, aber auch die ganz Tragik, die damit verbunden war. Über Bermans Biographie wissen wir nicht viel, nicht einmal sein genaues Geburtsdatum ist bekannt. Ich habe in der Literatur als Geburtsjahr 1898 gefunden, allerdings versehen mit dem Hinweis "okolo" - circa"(4) . Fest steht, daß Berman Germanistik in Lemberg studierte und als Deutschlehrer an einem polnischen Gymnasium in Lemberg unterrichtete. Daneben war er journalistisch und literarisch tätig. Er war Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften wie "Chwila", "Nowy Dziennik", "Wiadomosci Literackie", "Pologne Littéraire", "Skamander", "Sygnaly", "Nasza Opinja" usw. und Herausgeber einer satirischen Zeitschrift mit dem Titel "Chochol". Uns interessiert hier zuallererst Berman als Kritiker und Übersetzer, etwa von Joseph Roth, aber auch von Ödön von Horváth und Franz Kafka.

Berman war nicht der erste, der in Polen auf Franz Kafka und sein außergewöhnliches Werk (das damals freilich nur fragmentarisch bekannt war) aufmerksam machte, aber er war der "ausdauerndste polnische Popularisator und Übersetzer des Autors", wie Eugenia Prokopówna in einem Aufsatz über Kafka in Polen in der Zwischenkriegszeit schreibt(5). Fast alle frühen Hinweise auf Kafka finden sich, wenig überraschend, in polnisch-jüdischen Zeitungen und Zeitschriften, denn er wurde zuerst als jüdischer Autor rezipiert, auch von Berman, obwohl dessen erste Besprechung (von "Amerika") 1928 in "Wiadomosci Literackie" erschien, der damals wahrscheinlich wichtigsten Literaturzeitschrift in Polen.(6) Die ersten Erwähnungen Kafkas finden sich in der polnischen Presse bereits kurz nach seinem Tod, 1924 - ein Nachruf und Erinnerungen seines Prager Freunds Oskar Baum, abgedruckt im Krakauer "Nowy Dziennik". Der Übersetzer der Erinnerungen Oskar Baums zeichnete nur mit dem Kürzel i. d-r - dahinter verbirgt sich Izaak Deutscher, der später in England als marxistischer Historiker Weltruhm erlangen sollte. Damals schrieb Izaak Deutscher, der in Krakau eine Jeschiwe, eine religiöse Schule, besuchte, Gedichte in polnischer Sprache und übersetzte aus dem Deutschen, einige Jahre später publizierte er dann radikale marxistische Aufsätze zur Literatur in jiddischer Sprache ("Literarische Bleter", "Literarische Tribune"), eine sprachliche (und ideologische) Wandlungsfähigkeit, wie sie in Galizien häufig anzutreffen war.

Viele Autoren wechselten scheinbar mühelos von einer Sprache zur anderen und oft war nur ein Zufall dafür ausschlaggebend, daß sich der Autor am Ende für diese oder jene Sprache entschied.

1929 erschien in der Tageszeitung "Nowy Dziennik" der Roman "Das Zauberreich der Liebe" von Max Brod, in der Übersetzung des Publizisten MojZesz Kanfer. Der Roman wurde als erstrangige Informationsquelle über Kafka angesehen, glaubte man doch, Brod habe die Hauptgestalt Richard Garta getreu nach dem Vorbild seines früh verstorbenen Freundes gezeichnet. In Buchform erschien der Roman drei Jahre später, allerdings in einer winzigen Auflage von 1.700 Exemplaren.(7) Kanfer arbeitete, wie Berman, mit den wichtigsten polnisch-jüdischen Blättern zusammen, in denen hitzig über die Frage diskutiert wurde, ob es eine nationale jüdische Literatur in polnischer Sprache geben könne oder ob sich die jüdischen Autoren zwischen der völligen Assimilation einerseits oder dem bedingungslosen, also auch sprachlichen Bekenntnis zum Judentum (Jiddisch bzw. Hebräisch, politisch: Bundismus bzw. Zionismus) entscheiden müßten. Mit dem Hinweis auf die "Jüdischkeit" deutscher Autoren wie Kafka, Wassermann, Feuchtwanger usw. versuchten Publizisten und Übersetzer wie Kanfer, Berman und andere ihre Argumentation zu untermauern, daß selbstverständlich eine jüdische Literatur in der jeweiligen Nationalsprache ihre Existenzberechtigung hatte. 1932 publizierte Berman in der Lemberger Tageszeitung "Chwila" einen Aufsatz über Kafkas Erzählungen, in dem er schrieb:

"In Polen weiß man nichts von ihm. Dabei sollten sich vor allem jüdische Kritiker mit diesem ungewöhnlichen Denker und Künstler befassen. Man kann getrost die Behauptung wagen, daß die Zeit kommen wird, da wir vor der Welt stolz sein werden auf Kafka, so wie auf Heine oder Spinoza. Sollte man nicht das Herannahen dieser Zeit beschleunigen?"(8)

Berman selber gab sich größte Mühe, um dieses Ziel zumindest in Polen zu erreichen. Ebenfalls 1932 publizierte er in der angesehenen jüdischen Monatszeitschrift "Miesiecznik Zydowski" einen umfangreichen Essay über den Prager Dichter, den er seinem Freund, dem Lemberger Dichter Józef Wittlin widmete.(9) 1936 veröffentlichte er neuerlich einen großen Aufsatz über Kafka, in der Zeitschrift "Skamander", sowie die erste Übersetzung eines seiner Werke in Polen: "Aufzeichnungen des Landarztes"(10) ("Studio", Nr. 9). Im selben Jahr erschien Kafkas "Prozeß", angeblich in der Übersetzung von Bruno Schulz (so steht es jedenfalls auf dem Titelblatt). Heute wissen wir, daß die Übersetzung in Wahrheit von Schulz` damaliger Freundin Józefina Szelinska besorgt wurde. Der große Dichter und Zeichner aus Drohobycz überarbeitete und korrigierte die Fassung und lieh ihr seinen damals bereits bekannten Namen und er schrieb auch das Nachwort dazu.

Mit mindestens ebenso großem Enthusiasmus wie für Kafka setzte sich Berman für den ebenfalls aus Galizien stammenden Joseph Roth ein, von dem er vier Romane übersetzte: "Hotel Savoy" (1933), "Rechts und links" (1933), "Tarabas" (1934) und "Die Geschichte von der tausendundzweiten Nacht" (1937). 1933 erschien ein Aufsatz Bermans über die Prosa Joseph Roths, der mit den Sätzen beginnt: "Joseph Roth ist 38 Jahre alt. Er ist Jude, in Polen geboren und schreibt deutsch."

Mit fast denselben Worten, die Joseph Roths Wesen auf eine kurze Formel bringen, leitete Berman auch den Nachruf ein, den er am 1. Juli 1939 in der Lemberger Zeitschrift "Sygnaly" publizierte (der Nachruf galt Joseph Roth und Ernst Toller). Aber ich greife hier vor. Der zweite wichtige Übersetzer Joseph Roths war der bereits erwähnte Józef Wittlin, übrigens ein enger Freund des Dichters. Wittlin, der aus einer völlig assimilierten jüdischen Familie stammte, übertrug fünf Titel von Joseph Roth ins Polnische: "Die Flucht ohne Ende"; "Hiob" und "Zipper und sein Vater" alle drei 1931; "Beichte eines Mörders erzählt in einer Nacht", 1937, sowie "Die Kapuzinergruft".

Wittlin war nicht nur ein begabter Übersetzer, sondern selber ein begnadeter Autor. Er hat uns einen der schönsten Antikriegsroman der Weltliteratur geschenkt, "Salz der Erde" ("Sól ziemi", 1935), in dessen Mittelpunkt der einfache Huzule Piotr Niewiadomski steht, so etwas wie ein Charlie Chaplin des Weltkrieges, wie Wittlin selber meinte.(11) 1937 erschien im deutschen Exilverlag Allert de Lange in Amsterdam die Übersetzung des Romans - besorgt von Izydor Berman, Joseph Roth schrieb ein Vorwort dazu. Noch vor Erscheinen der deutschen Übersetzung verfaßte kein Geringerer als Alfred Döblin eine lobende Besprechung des Romans, den er mit Haseks Soldaten Schwejk verglich.(12) ("Ein polnischer Soldat Schweyk. Zu Joseph Wittlins Roman Das Salz der Erde". "Pariser Tageszeitung", 1936, Nr. 139).

1937 reiste Joseph Roth noch einmal, ein letztes Mal, nach Polen, in Begleitung der jungen deutschen Autorin Irmgard Keun. Natürlich besuchte das ungleiche Paar auch Lemberg, wo Roth einen Vortrag hielt. In der Zeitschrift "Nasza Opinia", in der Berman zu jener Zeit als Redakteur tätig war, erschienen aus diesem Anlaß zwei Aufsätze Roths, über die Literatur im Dritten Reich und über die deutsche Exilliteratur - beide wurden allerdings nicht von Izydor Berman übersetzt, sondern vermutlich von Herman Sternbach, einem Germanisten aus Drohobycz, der ebenfalls polnisch und deutsch schrieb. Izydor Berman verzichtete darauf, den von ihm übersetzten und gerühmten Joseph Roth zu interviewen, er sprach lieber mit Irmgard Keun über ihre Erlebnisse in Hitlerdeutschland und die dortige Judenverfolgung. Roth mußte das zweifellos als Kränkung empfinden, die er sich allerdings selber zuzuschreiben hatte: sein enthusiastisches Bekenntnis zum Katholizismus stieß bei jüdischen Intellektuellen wie Izydor Berman auf wenig Verständnis. Die Juden in Polen sahen sich in jener Zeit konfrontiert mit einem militanten Antisemitismus, der zumindest teilweise vom katholischen Klerus getragen wurde. Teile der katholischen Kirche forderten einen organisierten Boykott jüdischer Läden und schwiegen zu den antijüdischen Ausschreitungen, zu denen es vor allem an den Hochschulen kam, wo nationalistische Studenten die Einführung eines Numerus clausus oder gar Numerus nullus oder wenigstens sogenannter "Bank-Gettos" forderten, in denen jüdische Studenten abgesondert werden sollten. Anfang 1938 bekam auch Izydor Berman die Brutalität des heimischen Antisemitismus zu spüren. Im März dieses Jahres erschien in "Nasza Opinia" ein Bericht unter dem Titel "Auge in Auge mit den Ungeheuern", in dem der Übersetzer und Kritiker schildert, wie er von einer Bande antisemitischer Schläger durch die Straßen von Lemberg gehetzt und schließlich krankenhausreif geprügelt wurde.(13)

Am 21. Februar 1938 erwähnt Bruno Schulz in einem Brief an seine Freundin Romana Halpern dieses Ereignis, das weit über Lemberg hinaus Bestürzung erregt: "Außerdem verwundert mich das Schweigen, das zum Thema ,Sanatorium` herrscht. Wie kann man sich das erklären? In einer der Lemberger Zeitschriften gab es eine lobende Besprechung von Izydor Berman, den ein paar Tage später Endecja-Studenten schwer verprügelt haben."(14)

Im selben Jahr, 1938, erschien in einem Lemberger Verlag Bermans Übersetzung von Ödön von Horvaths Roman "Jugend ohne Gott". Józef Wittlin und Herman Sternbach, um nur zwei Autoren zu nennen, begrüßten den Roman mit begeisterten Rezensionen, in denen auch die meisterhafte Übersetzung gelobt wurde. Übrigens hat auch Bermans Übersetzung von "Salz der Erde" ins Deutsche die Probe der Zeit bestanden - sie erschien nach 1945 mehrmals in verschiedenen deutschen Verlagen, zuletzt im Jahr 2000 bei Suhrkamp.

Der Name des Übersetzers findet sich, wie sich's gehört, auf dem Vorsatzblatt, doch wir erfahren leider nichts darüber, was nach 1939 mit Izydor Berman geschehen ist. Das gilt übrigens nicht nur für Berman, sondern für fast alle hier genannten jüdischen Autoren und Übersetzer, die ihr Leben der Bekanntmachung der deutschen Literatur in Polen (und, wie wir gesehen haben, manchmal auch der polnischen Literatur im deutschen Sprachraum) gewidmet haben.

In einer Broschüre mit dem Titel "Die Vernichtung der Lemberger Juden", herausgegeben im Jahre 1945 in Lódz von der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission(15) findet sich eine Liste der Vertreter von Kunst und Wissenschaft, die von den Deutschen in Lemberg ermordet wurden. Dort werden auch die Germanisten Prof. Herman Sternbach und Dr. Izydor Berman genannt, sie kamen 1942 im Janowski Lager ums Leben, zusammen mit Autoren wie Maurycy Symel, Debora Vogel (eine Freundin von Bruno Schulz), oder dem bekannten Kritiker Ostap Ortwin, der übrigens Otto Weiningers "Geschlecht und Charakter" übersetzte. MojZesz Kanfer, der Übersetzer von Max Brod, wurde im selben Jahr in Belzec ermordet, Bruno Schulz in seiner Heimatstadt Drohobycz auf offener Straße erschossen. Die Liste der jüdischen Autoren und Übersetzer, die sich um die Popularisierung der deutschsprachigen Literatur verdient gemacht haben und sozusagen zum Dank dafür von Deutschen (und Österreichern in deutscher Uniform, das soll nicht unerwähnt bleiben!) umgebracht wurden, ließe sich mühelos fortsetzen. Von vielen wissen wir heute nur mehr die Namen, sonst nichts. Wir haben keine Bilder von ihnen, keine Biographien, wir wissen nicht, wie sie gelebt haben und wie sie gestorben sind (obwohl wir gerade davon eine düstere Ahnung haben). Über das, was mit der Kultur im Dritten Reich geschehen ist, existiert eine ausführliche Literatur. Es gibt zahlreiche Arbeiten über die Literatur und das Schicksal einzelner Autoren in Nazideutschland und in der Emigration. Es werden Symposien veranstaltet und Bücher geschrieben, die sich mit der Presse in jenen Jahren beschäftigen, mit dem Verlagswesen, der Malerei, dem Film, der Musik usw. Nur über die literarischen Übersetzer, das wichtigste Bindeglied zwischen den verschiedenen Sprachen und Literaturen, wurde bisher ein dichter Mantel des Schweigens gebreitet. Dieser Zustand erscheint mir unerträglich. Ich meine, es ist höchste Zeit, daß wir uns diesem dunklen Kapitel zuwenden.

© Martin Pollack (Stegersbach)


ANMERKUNGEN

(1) Julian Stryjkowski, "Ocalony na Wschodzie", Montricher (Suisse) 1991, S. 61

(2) op. cit., S. 47

(3) op. cit., S. 65

(4) Eugenia Prokop-Janiec, "Miedzywojenna literatura polsko?Zydowska", Kraków 1992, S. 296

(5) Eugenia Prokopówna, "Kafka w Polsce miedzywojennej", "Pamietnik Literacki", LXXVI, 1985, H. 4, S. 98

(6) Eine umfassende Bibliographie der Werke Kafkas in der Zwischenkriegszeit sowie der wichtigsten Rezensionen und kritischen Beiträge über Kafka findet sich bei Prokopówna, op. cit. S. 131-132

(7) Prokopówna, op. cit. S. 100

(8) Izydor Berman, "Nowele Kafki", "Chwila", Lwów 1932, Nr. 4684, Zit. Übers. v. M.P.

(9) Izydor Berman, "Franciszek Kafka", "Miesiecznik Zydowski" 1932, H.7/8

(10) Eugenia Prokopówna, op. cit. S. 132

(11) Józef Wittlin in einem Brief an Karol Wiktor Zawodzinski, in: Józef Wittlin, "Sól ziemi", Wroclaw 1991, S. LXI

(12) Alfred Döblin, "Ein polnischer Soldat Schweyk. Zu Joseph Wittlins Roman Das Salz der Erde, "Pariser Tageszeitung", Paris 1936, Nr. 139

(13) Izydor Berman, "Oko w oko z potworami", "Nasza Opinja", Lwów 1938, Nr. 137

(14) Bruno Schulz, "Ksiega listów", Kraków 1975, S. 102

(15) Dr Filip Friedman, "Zaglada Zydów lwowskich", Lódz 1945


3.5. Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur

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For quotation purposes:
Martin Pollack (Stegersbach): Jüdische Übersetzer, Autoren und Kritiker als Mittler zwischen der deutschen und polnischen Literatur. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_5/pollack15.htm

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