Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

5.11. Das Schreiben in der Migration: Literatur und kulturelle Kontexte in der Romania
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Klaus-Dieter Ertler (Universität Kassel/Graz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Le blues tunisien - Hybride Gegenwartskultur Tunesiens im Erzählwerk Ali Bécheurs

Klaus Semsch (Heinrich-Heine Universität Düsseldorf)

« [...] la seule loi qui vaille, c'est la loi qu'on s donne à soi-même. » Tunis blues, 215.

1. Doppelkultur und Intermedialität

Ali Bécheur ist ein international noch recht wenig beachteter écrivain tunisien francophone(1). Er ist Jahrgang 1939 und hat die typische Laufbahn eines nordafrikanischen Intellektuellen durchlaufen: Kindheit, Jugend und Schulzeit in der tunesischen Hauptstadt, Studium der Jurisprudenz am dortigen 'Institut des Hautes Études', dann an der 'Faculté de Droit et des Sciences Economiques' im Paris der 60er Jahre, schließlich Rückkehr in die Heimat, wo er als Jurist am Gerichtshof von Tunis tätig ist.

Bécheur ist nie ein junger, innovativer Schriftsteller gewesen; schon der erste Roman De miel et d'aloès (1989) des damals fast Fünfzigjährigen verarbeitet aus einer autobiografischen Sicht die Erfahrung der Begegnung von nordafrikanischer und europäischer Kultur aus der Distanz dessen, der sie erst zwanzig Jahre später erzählt. Es folgen nun in recht regelmäßigen Abständen drei weitere Romane, Les rendez-vous manqués (1993), Jours d'adieu (1996) und Tunis blues (2002) sowie der Novellenband Les saisons de l'exil (1991) und ein literarischer Essay, La porte ouverte (2000)(2). 1998 erhält Bécheur den Prix de l'Association Tunisie-France und damit eine erste Auszeichnung seiner aktiven Grenzgängerschaft zwischen dem Maghreb und Europa. Dies hat unter anderem zur Folge, dass seine beiden bisher letzten Romane in Tunesien und Frankreich parallel verlegt wurden und Bécheur endlich ein breiteres Publikum findet.(3) Dies gilt vor allem für seinen jüngsten Roman Tunis blues, der im Mittelpunkt der folgenden Untersuchungen stehen soll.

Ein grundlegendes Bewusstsein von der 'double culture', der Begegnung von culture arabo-islamique und europäischer Moderne, wie sie Albert Memmi als geistigen Horizont für die écrivains maghrébins(4) konstatiert, ist auch im Falle Bécheurs vorauszusetzen. Es soll im Folgenden aber weniger um eine Evaluierung seines narrativen Werkes im Sinne der viel erörterten 'Spezifizität' maghrebinischer Fiktion in französischer Sprache gehen, die sich zumeist auf das Ausloten des sprachlichen Spannungsfeldes der präsenten Doppelkultur konzentriert. Angestrebt wird hier vielmehr eine globalere, anthropologisierte Perspektive, die der Frage nachgeht, ob nicht die mediterrane Vielvölkerkultur einen eigenen, wichtigen Diskussionsbeitrag zu leisten vermag, der das gegenüber Europa derzeit allzu positiv abgesetzte und idealisierte Modell einer karibischen Mischkultur mit den Schlagwörtern von métissage und créolité sinnvoll ergänzen, eventuell relativieren kann. Dabei fundiert sich die philologische Analyse insbesondere auf den intermedialen Vergleich von Musikalität und Narration. Diese Perspektive gewährt nicht nur die fundamentale Einbeziehung zentraler (nord)afrikanischer Faktoren wie Oralität und Lyrizität, sondern ist vor allem geeignet, die bei Bécheur eminent hohe Signifikanz der Dialektik menschlichen Affektverhaltens instrumentell beschreibbar zu machen.

 

2. Der Kulturbegriff: Emanzipierte Differenz oder Prozess der Entfremdung ?

Nostalgischer Rückblick, vor allem aber die melancholisch gefärbte Brechung des Blickes zurück prägen den Erzählton in Bécheurs ersten Romanen - in dem Wissen, dass der Schutz religiöser Rituale stets ambivalent ist, dass die kindlich reine Entdeckung von Liebe und Lust in der konkreten Begegnung von Menschen zumeist in ein entfremdetes Machtverhältnis von Herrschaft und Unterdrückung umschlägt. Als maghrebinischer Autor unterliegt er somit von Beginn an nicht dem eindrucksvollen, jedoch mystisch verklärten Gefühlsprofil der 'Afrique-mère', mit dem die schwarzafrikanische Literatur der négritude der 60er und 70er Jahre gegen die von ihr als 'rational' stigmatisierte Vaterschaft Europas rebelliert hatte.(5) Die offensichtliche Obsoletheit wichtiger islamischer Rituale, das Fantasma der einstigen Größe des punischen Tunesiens unter Hannibal(6), insbesondere sodann die jüngere tunesische Geschichte, der Zweite Weltkrieg, die französische Besatzungszeit und schließlich die Unabhängigkeit im Jahre 1956 erscheinen bei Bécheur zwar auch aus der im afrikanischen Roman beliebten Sicht eines autobiografischen Erinnerns, erklären sich letztlich aber von seiner existenzialistischen Warte nur bedingt als eine Problematik der kontinentalen Begegnung der Geschlechter und Völker. So gilt ihm von Beginn an etwa das Völkergemisch der Medina Tunis, das Miteinander von Muslimen, Juden, Berbern und Europäern als grundlegend funktionsfähig.(7) Unlösbare Spannungen entstehen dauerhaft nicht auf der ganz konkreten Ebene der direkten Begegnungen des Differenten, des situativen Streits, der vielmehr die offene Begegnung sowie Strategien des listigen Umganges miteinander fördert. Zu Problemen verhärten sich die kulturellen wie intersubjektiven Differenzen hingegen an eben jenem subtilen Grat, an dem individuelle Illusionen und Wünsche an den Nächsten sich zu abstrakten Ansprüchen einzelner Personen oder Gruppen verfestigen.

Die ersten Romane sind dabei allerdings durchaus mit einer dem roman africain d'expression française vertrauten Stilistik verbunden. Sie sind geprägt durch ein hohes Maß an szenischer Oralität und lyrischer Verdichtung des Erzählten. Das zentrale Thema der Erinnerung an die eigene Kindheit und Jugend ist für Bécheur jedoch kein Anlass, die Welt der maghrebinischen Mythen, Rituale und Zeremonien gegen das Stereotyp entfremdeter europäischer Zivilisiertheit kontrastiv und zum Zwecke dialektischer Neubesinnung ins Spiel zu bringen. Im Gegenteil: Bécheurs autodiegetische Erzählinstanzen, seine Ich-Erzähler, leiden immer am stärksten unter der Entfremdung in ihrer eigenen Kultur. Vor allem 'hilft' hier gewissermaßen Tunesiens im maghrebinischen Staatenverbund seit jeher besonders ausgeprägte Öffnung zu Modernität und ökonomischem Reichtum Europas - "la modernité à laquelle la Tunisie était ouverte"(8) - die ein einseitiges Vertrauen in die Stärke eigener kultureller Werte seit jeher als illusorische Randposition erscheinen lässt. Die Erfahrung der allgegenwärtigen kulturellen Pluralität zeigt diese im sehnsüchtigen, zornigen oder gebrochenen Blick der Tunesier nach Europa andererseits jedoch sogleich als ein problematisches ideologisches Machtspiel an und lässt so das aktuelle Theorem einer emanzipierten kulturellen Differenz kaum zu. In Tunis blues verdichtet sich dies zu dem tristen Befund der Journalistin Choucha, dass dem ökonomisch benachteiligten Tunesien nur die eklektische Ansammlung von negativen Werten bleibe. Genauer gesagt: Auf der Seite des 'Schwachen' gerät die Begegnung der Kulturen zur Verhärtung einer grundlegenden Inkohärenz, werden die tunesischen Protagonisten ansichtig als Verlierer: "Entre l'Occident et l'Orient nous dérivons en pleine incohérence, nous prenons le pire dans chaque camp [...]." (TB, 135). Die Vermittlung der Differenzkulturen Europas und Nordafrikas gelingt so meist auf die latent zynische Weise der problematischen Sehnsucht nach Aneignung symbolisch stilisierter Differenzen des Fremden. Es sind in erster Linie die allerorts aufgesetzten 'Masken des Wohlstands- und Machtstrebens', die die bei Fanon dargelegte Dialektik sozialer Entfremdung auf eine globalere Ebene heben, als es das Kontrastpaar von Schwarz und Weiß zu tun vermochte.(9) Es wird hier aber gleichsam deutlich: wo sich bereits die diversen Mischformen der vorhandenen mediterranen Lebensoptionen gemäß der Macht des 'Stärkeren' ausrichten, gilt dies nicht weniger für die in vielen Bereichen verhärtete Wertetradition der islamischen Kultur selbst.

 

3. Persönliche Entwicklungsphasen: Der Erzähler als junger Mann

Diese Erkenntnis führt bei Bécheur zu der melancholischen Aufdeckung verirrter Sehnsüchte seiner Protagonisten(10), vor allem aber zu einem profunden Misstrauen gegenüber soziopolitischen Habitualisierungsprozessen. Im Gegensatz zur Dialektik von anarchischer gegenüber staatlicher oder sozialer Gewalt erscheinen bei Bécheur allein die Affekte lebens- und läuterungsfähig. Das Gesetz, so die auch heute noch provokante Erkenntnis des Juristen Bécheur, kann als eine soziale Kraft den Bedürfnissen des Einzelnen nie gerecht werden, legislative Gewalt ist nur die Kehrseite anarchischer Auflehnung und steht letztlich mit dieser auf einer Ebene.(11) Beide kompensieren öffentlich stets den Verlust subjektiver existenzieller Bedürfnisse. Aus diesem Grunde werden die primären Bezugspersonen aus der erinnerten Kindheit seiner Erzähler vor allem in ihrem unverfälschten affektiven Profil vorgeführt und sind nur dann positiv besetzt, wenn die Hüllen ihrer jeweiligen sozialen Funktionen durchsichtig werden, wenn sie als menschliche Vorbilder und Schutzgewährende wirken und mit ihrem Leben, auch in Krankheit und Tod, die Unumgänglichkeit von Liebe, Angst und Verlust erfahrbar machen.

So wird auch das im Mittelpunkt stehende Leiden des Erzählers als junger Mann an der fast unerreichbar scheinenden Erfüllung seines wachsenden Liebesverlangens in erster Linie als ein generelles Problem der soziokulturellen Entfremdung der Geschlechterbeziehungen(12), zunächst in der islamischen Kultur selbst, gesehen. Die problematische Begegnung mit dem immer schon akkulturierten Sexus wird in den frühen Romanen wiederholt sichtbar in der tendenziell erniedrigenden Verführungsgestik der männlichen Protagonisten, in ihrem Bitten, Betteln und Flehen um die sittlich geschützte Gunst ihrer weiblichen Altersgenossen. Die jungen Frauen werden ihrerseits wiederum mit dem Gebot der Jungfräulichkeit, der fremdbestimmten Partnerwahl, der Betonung ihrer Gebärfunktion und der Praxis des öffentlichen Verbergens ihrer Weiblichkeit, etwa durch Körperverhüllung und eheliche Kasernierung, bestraft.(13) Es zeigt sich: Die auf natürliche Weise begehrliche wie angstvolle Begegnung zweier Menschen wird erst im Sozialverbund zu einer unerbittlichen und einzig deshalb unbesiegbaren Dialektik aus vermeintlicher Schuld und real auferlegter Sühne.

Dieses keineswegs neue, gleichwohl jedoch fundamentale Erleben individueller Entfremdung wird darum in den Romanen Bécheurs zum Nährboden für eine auch der europäischen Moderne vertrauten Erfahrung, nämlich die der grundlegenden ironischen Differenz des menschlichen Daseins(14). So erlebt beispielsweise der junge Protagonist in De miel et d'aloès Initiation und Offenheit der Liebe einzig bei der Prostituierten Lili, deren Status und Name für ein Höchstmaß an entfremdeter Identität stehen.(15) Aber womöglich liegt die tiefere Ironie dieses Umstandes auch eher in der Entlarvung des westlichen bürgerlichen Liebeskonzeptes, das sämtliche Bedürfnisse gegenüber dem anderen Geschlecht zur problematischen Praxis der Zweierbeziehung stilisiert hat.(16)

Bécheur versteht es erst mit dem Abstand der eigenen Migration(17) zu Studienzwecken, solch schmerzhafte kulturelle Brechungen aus der Distanz zu betrachten. Eine erste Stufe der Distanzierung der Existenzerfahrung wird auf der Ebene der ideologisierten Reflexion des nun in Paris weilenden, jungen Jurastudenten über mögliche Gesellschaftsmodelle erreicht. Der authentische Ernst der jugendlichen Diskussionswut der 60er Jahre wird nun aber in der Perspektive des erzählten Rückblickes des gereiften Erzählers erneut überhöht. So wird im Erstlingsroman die in der Pariser Studentenschaft der existenzialistischen Phase äußerst politisierte, allabendliche Kulturdebatte im Rückblick ironisiert und erscheint dem Leser als kumulativ sinnentleerte Verkürzung philosophischer Phrasen, bestenfalls als kulinarische Burleske, wenn ein studentisches Diner als parodiertes Gruppenerlebnis beschrieben wird: «On se bourra ensuite de spaghettis nappés de sauce-tomate et saupoudrés de parmesan. On s'abreuve de Beaujolais et d'exploitation de l'homme par l'homme; les plus-values et les monopoles seront servis au dessert avec le clafoutis aux pommes.» (De miel et d'aloès, 77)(18).

Drei Schritte der Erzählerentwicklung werden hier im Ansatz sichtbar. Sie wirken in den Romanen stets in narrativer Verflechtung:

1. Die erinnerte Phase jugendlicher Initiation, eine affektive Phase der direkten, spannungsreichen Reaktion auf die nordafrikanische Lebenswelt.

2. Die Migrationsphase, die die erste Phase (beim Erzähler selbst intellektuell) überhöht in der kulturellen Begegnung mit Europa.

3. Das Erzählpräsenz, das in den frühen Romanen nur selten zur erzählten Zeit wird und so die ersten beiden Phasen mehr indirekt formt, sie melancholisch einfärbt oder aber ironisch bricht.(19)

 

4. Exkurs: Die aktuelle Problematik des créolité-Konzeptes

Diese mehrschichtige Erzählhaltung ist nun zunächst einmal recht offenkundig weit entfernt von der um eindeutige Authentizität ringenden Mythologisierung der négritude-Bewegung. Sie entsagt vor allem von Beginn an der polarisierenden Indienstnahme der eigenen Kultur, wie wir sie in den 60er und 70er Jahren bei den großen schwarzafrikanischen Dichtern und Erzählern in französischer Sprache, etwa bei Césaire, Senghor, Cheik Hamidou Kane, Ousmane Sembène, vorfinden.

Bedeutsamer ist aber, dass sich das Erzählen hier auch, nuanciert aber entschieden, von der Variante der Ästhetik der Differenz zu entziehen gedenkt, wie wir sie jüngst in der Frankophonie im Bilde von der kreolischen métissage, der Mischkultur des karibischen Raumes vorfinden. Diese gilt seit den 80er Jahren als Vorbild für eine globale Vielvölkerkultur. Interessanterweise vollzieht die Entwicklung der Frankophonie ihrerseits eben jene drei Entwicklungsphasen, die wir bei Bécheur nachweisen können. So folgt hier auf die erste Phase der Beschwörung afrikanisch mythischer Einheit, die sich freilich auch für die Autoren der négritude bereits weitgehend im Status gebrochener Erinnerung zeigt, mit der 'poétique du divers'(20) eines Glissant die Absage an universelles Weltbild und 'afrikanische Metaphysik', die selbst eine Folge des Kontaktes mit Europa darstellt, sich vor allem der Rezeption der Differenzphilosophie der Dekonstruktion verdankt. Es lag in den 80er und 90er Jahren verführerisch nahe, den erneut blutleeren, weil abstrakten Gedanken einer Kultur, die sich zum Zwecke der Erneuerung ihres 'Anderen' besinnen sollte, auf die archipelisierte und gemischte Lebenspraxis des Karibikraumes und seiner Kreolsprachen zu übertragen. Die karibische Lebensweise erschien plötzlich im dankbaren Lichte einer bereits funktionierenden, offenen Mischkultur, die man nun auch diesseits aller subtilen Gedankenspiele ganz pragmatisch gegen das Gespenst einer heraufziehenden Einheitskultur der Globalisierung ins Feld führen konnte. Der Gedanke, dass die Peripherie der Weltkarte, die karibischen Randzonen, nun zum Zentrum für eine weltweit friedliche Koexistenz der Völker werden könnte, dass man, mit den Worten Glissants, eine globale Kultur auf dem zentralen Wert der 'imprévisibilité'(21) aufbauen konnte, das heißt mit dem Mut zur situativen Flexibilität angesichts per se unvorhersehbarer Entwicklungen des öffentlichen Lebens, ist die wohl jüngste Spielart utopischen Denkens. Zugleich kontrastiert sie sich allzu kritisch von der als geschlossen empfundenen, mediterranen Vielvölkerkultur(22), die jetzt in das Licht kultureller Rückständigkeit gerät. Es stellt sich in diesem Zusammenhang letztlich die kritische Frage, ob nicht eine Ideologie der Vielfalt sich der Globalisierung der Welt weniger zu entziehen vermag als dass sie sich, gerade aufgrund des historisch gesehen illusionären Status' der Idee gleichberechtigter kultureller Vielfalt, für deren Schwachstelle einer kulturellen Entgrenzungstendenz im Grunde ungewollt selbst empfänglich zeigt.

In einer dritten Phase hat man auf diese Paradoxie umgehend reagiert. Bernabé, Chamoiseau und Confiant antworten in ihrem Manifest Eloge de la créolité (1989)(23) auf den neuralgischen Punkt der Diskussion, wenn sie den positivierten Befund einer 'zergliederten' Welt ('diffraction') zwar ihrerseits auf- und annehmen, diesem aber die Verantwortung der kulturellen Einheitsstiftung ('recomposition') des karibischen Raumes im Sinne einer erneuten Sichtbarmachung der eigenen kulturellen Tiefenstrukturen auftragen.(24) Roger Toumson hat jüngst in Mythologie du métissage(25) allerdings zu Recht die hohe Ambivalenz aufgezeigt, die jeder Versuch kultureller Identitätsbildung mit sich bringt. Gleichwohl sieht auch er hierin einen nicht hintergehbaren, fundamentalen Bedarf einer gelungenen menschlichen Gemeinschaft, für den er jedoch eine dynamische Offenheit im interkulturellen Austausch anmahnt.(26)

 

5. Tunis blues: eine intermediale Lektüre

Wie stellt sich nun der Bezug von kultureller Vielfalt und persönlicher Bedürfnisstruktur bei Bécheur dar? Sein 2002 erschienener Roman Tunis Blues fällt in die Zeit der oben benannten, dritten Reflexionsphase und reagiert mit erzählerischen Mitteln auf das Bedürfnis der Zusammenfügung gebrochener Identitäten. Er greift dabei auf eine traditionelle Stärke des gesamten afrikanischen Lebensraumes zurück - auf die Musikalität des Erzählens. Diese bereits für die Autoren der négritude so zentrale Intermedialität gibt sich in der Prosa Bécheurs nun aber weniger die Tonalität folkloristischer Erinnerung und Kontrastierung, noch die komplexe, 'paralogische' Tonalität des Jazz(27), ihrerseits das komplexe Produkt emigrierter schwarzer Kultur in der Begegnung mit der westlichen Welt. Bécheurs narrative Musikalität konzentriert hingegen in wenigen, archetypischen Handlungs- und Charaktermustern eine Atmosphäre von Schlichtheit und déjà vu. Der blues tunisien setzt dem intellektuellen Fortschreiten des Jazz in Variante und Umspielung von Grundtönen die Taktik einer Differenz entgegen, die sich jedoch eher als Komplement von Rationalität im Sinne einer emotionalen Akzentuierung versteht. Nicht die bewussten Abweichungen, das 'Nicht-auf-den-Punkt-kommen-wollen' des Jazz, sondern die in Wiederholungen und parallelen Lebensläufen stets gleichen Grundbedürfnisse der Protagonisten kreieren die spezifische Atmosphäre der Einzelgeschichten. Die ganze Kunst liegt darin, die wenigen vorhandenen Töne, das heißt auch Grundbedürfnisse der Protagonisten, mit neuer Emotion anzufüllen, die sich zu einem konkreten neuen Lebenssinn auswächst. Wird die Seele des Blues wieder belebt als eine mögliche Antwort auf die utopischen Engpässe absolut gedachter Offenheit und Differenz? Stellt sie sich möglicherweise in philologischer Übersetzung als eine klassizistische Rückbindung der barockisierenden Verflüchtigungen unserer Gegenwartskultur dar?

Im Folgenden soll der suggestive Romantitel Tunis Blues an drei Grundelementen der Bluesmusik gemessen werden.

1. Hybridität/Mischform: Der Blues ist eine hybride musikalische Erscheinung, eine Mischform der problematischen Begegnung von schwarzer und weißer Kultur. Er verleiht historisch zunächst den nach Amerika verschleppten, schwarzen Sklaven eine Stimme, die von dem schlichten Bemühen um humanitäre Einheitssuche im Schmerz verlustiger Heimat, in der Erfahrung von Entfremdung, Unterdrückung und Armut kündet. Das Grundthema ausgehaltener Spaltung, der psychischen Verarbeitung von Verlust und Armut ist dabei existenzialistisch eingefärbt. Das Hybride meint hier somit nicht die psychoanalytisch fundierte, dekonstruktive These von der grundsätzlichen, pränatalen Spaltung der Identität, wie wir sie etwa in der jüngeren Diskussion um die 'Khora', bei Kristeva und Derrida(28) antreffen. Es entspricht auch nicht dem aktuellen kulturellen Topos von der offen gehaltenen Vielfalt. Der Blues lebt dem entgegen von ganz konkreten Lebenserfahrungen, die die Entfremdung spürbar, erklärbar und die Hoffnung auf eine sei es auch nur periodische Überwindung in Akten persönlicher Synthese verständlich machen.

Die fünf Figuren in Tunis Blues, die abwechselnd über ihr Leben berichten, machen dies deutlich. Der Roman beginnt mit dem typischen Schicksal des jungen Erwachsenen Jamel. Als Kind mit seinen Eltern nach Frankreich ausgewandert in der trügerischen Hoffnung auf gut bezahlte Arbeit und soziale Sicherheit, entsteht für ihn durch den Heimatverlust der entscheidende Bruch. Die Migration wird zur Reise in die Marseiller banlieue. Jamels Sozialisation wird geprägt von seinen Kumpanen, jugendlichen Kriminellen einer Vorstadtgang. Als ein Freund bei einer dieser kriminellen Aktionen von der Polizei erschossen wird, beginnt er damit, Luxuslimousinen wohlhabender Mitbürger anzuzünden. Er bannt in diesem Ritual seinen Schmerz, seinen Hass, wird darauf hin ausgewiesen, um in Tunis, als Heimkehrer wider Willen, die ihm widerfahrene Aggression weiterhin zu imitieren, als Brandstifter, auch als kaltherziger Verführer naiver europäischer Touristinnen, die in Tunesien eine Liebesbegegnung aus tausendundeiner Nacht erträumen. Jamel nennt sich fortan Jimmy, eine Geste des Zur-Schau-Stellens entfremdeter, verletzter Identität. Aus einer nächtlichen Begegnung mit Elyssa entsteht jedoch, vor allem durch das unablässige Bemühen der jungen Frau, eine hoffnungsvolle Liebesbeziehung, die es dem Kriminellen zum Schluss erlaubt, seinen eigenen Namen wieder zu sagen, ein neues Leben zu beginnen. Auch die junge Frau findet so ihre emotionale Bestimmung, nachdem sie, im Alter von zwanzig Jahren an den Sohn eines reichen tunesischen Waschmaschinenherstellers verheiratet wurde. Ihr Gatte Farouk entpuppt sich freilich als gefühlsarmer, sportiver Manager der neuen, westlich ausgerichteten Generation, als «un athlète des affaires» (TB, 56ff.). Elyssas Klage über die frühzeitige Entfremdung kann als Refrain für alle Romanfiguren stehen: «...ma vie n'est pas ma vie, on me l'a volée à la naissance et on ne me l'a jamais rendue.» (TB, 97). Die existentielle Differenz wird hier übersetzt als Tautologie der Frustration, der melancholischen Rückschau, findet aber zuletzt in der Gegenwart ihr Moment aktiv gestalteter Erlösung.

Gleiches gilt auch für die gewichtigste Stimme des Romans, für den Juristen Ismaïl, der deutliche Züge des Autors trägt und der eine soziale Öffnung der ansonsten sehr individuell erlebten Überwindungsthematik bewirkt. Ismaïls Wunde, der Initialschock für seine innere Emigration, ist der tödliche Unfall seines Sohnes Khalil, der, für einen Moment unbeaufsichtigt, auf der verkehrsreichen Straße vor dem Elternhause überfahren wird (vgl. TB, 195f.). Der tragische Vorfall führt zur Trennung Ismaïls von seiner Frau und zu einem juristisch-erzieherischen Feldzug, den er auf den Straßen der Hauptstadt Tunis gegen entfremdete Autofahrer führt, die aus seiner Sicht die geerbte aber nicht mehr praktikable Arroganz stolzer islamischer Königskinder in ein mörderisch-egoistisches Fahrverhalten auf den Verkehrsadern der Stadt umsetzen (vgl. TB, 31). Erst spät wird er sich bewusst, dass auch er selbst sich wie ein Nachfahre Attilas oder Gingis Khans verhält, dass auch er als 'verletzter Rächer' aus der Quelle einer persönlichen ohnmächtigen Wut und aus verletzter Scham auftritt und somit, wie Jimmy der Brandstifter, das erlittene Unrecht imitiert und reproduziert, indem er es sich als herrschaftliche Maske des Vertreters staatlicher Macht selbst aufsetzt.(29) (vgl. TB, 181).

Erst die Begegnung mit zwei Frauen trägt entscheidend zur Selbstbesinnung und -findung Ismaïls bei. Da ist zunächst die Seherin Lola. Mit ihren Eltern, einem Stuhlmacher und einer Stickerin aus dem Spanien Francos nach Tunis geflohen, wird sie nach deren plötzlichem Tode zur Vollwaise und von der Exilpariserin Madame Georgette in der Tuniser Medina aufgenommen. Lola verkörpert die paradoxe Erkenntnis des Lebens als 'migration clouée' (TB, 149), als beständiger Zustand der entfremdenden Bewegung. Sie zieht daraus die ironische Erkenntnis, dass die Wanderschaft keine Frage der Heimatflucht ist. Dadurch wird sie zwar zu einer nützlichen Helferin für Mitmenschen in Not, findet aber keinen Ausweg aus der Dauerkrise ihrer persönlichen Entfremdung.

Die auch dem Blues innewohnende Dialektik von Leid, Beichte und Erlösung findet der Jurist Ismaïl deshalb nicht in seiner kurzen Liebesaffäre mit Lola, sondern vielmehr in der Begegnung mit der Journalistin Choucha, deren Namen auf Aïcha, die Lieblingsfrau des Propheten verweist (vgl. TB, 170) und die sich selbst mit bitterer Note als «fruit des noces de Dieu avec les nonnes» (ebd.) bezeichnet. Frucht aus der Begegnung einer Beduinin mit einem unbekannten Soldaten, wächst Choucha in einem Kloster auf, durchläuft dann aber ehrgeizig das Lycée und die Ecole de Journalisme in Tunis. Dort schenkt sie ihre Liebe einem aufstrebenden Kommissar, der ebenfalls seine Wunden, seinen Hass in den tugendhaften Heroismus des Kriminalinspektors umwandelt. Doch der Hass sorgt stets für neue Entfremdungen, führt nie zum Kern der eigenen Identität. Erst als Choucha ihre 'blessure ancienne' (TB, 129) beichten kann, als sie ihrer Wunde eine traurige Bluesstimme verleiht, wird sie nicht nur zu einer scharfen Beobachterin der Gegenwartskultur Tunesiens, sondern öffnet sich am Ende des Romans für eine neue Liebe und wird zu einer wertvollen Lebenspartnerin für den Juristen Ismaïl.

2. Tonalität der Reduktion: Die in Tunis Blues versammelten Lebensbeichten durchlaufen in paralleler Anordnung jeweils eine zweifache Reduktionsbewegung, die eine anthropologische Spielart der antiken Metamorphose mit sich bringt. Auf die Entfremdung als Grunderfahrung wird zunächst mit einer inneren oder geografischen Migration reagiert, die jedoch ihrerseits erschreckenderweise genau dem Grundgesetz der Entfremdung selbst gehorcht, die so als Metapher für eine Flucht vor humaner Vielfalt sichtbar wird. Aus der Flucht vor dem realen Wettstreit des Lebens entstehen allererst Illusionen, Utopien und Verhaltenstugenden, die dem Existenzialisten Bécheur als gefährliche Reduktion von Lebenspraxis erscheinen.

'Reduktion von Komplexität' ist nun aber auch die zentrale Definition der Systemtheorie für das Funktionieren von sozialen Systemen schlechthin.(30) Die persönliche wie gesellschaftliche Migration bleibt solange unfruchtbar, ja gefährlich, wie sie im Zustande affektiver Kontrastierungen verweilt: Auf den erlittenen Schmerz antwortet der Hass, oft als Tugend getarnt, auf die in Tunesien alltägliche Erfahrung der ökonomischen Notlage antwortet der naive Traum von einem westlichen Lebensstil, den Bécheur beständig bloßstellt.

Entscheidend ist aber, dass hier auch die oben skizzierte Annahme einer möglichen Kreolisierung als öffnende Antwort auf die 'geschlossenen' Kulturen Europas im Lichte einer eben solchen Illusion erscheinen muss. Anders gesagt: Mag man auch zu Recht für eine Kultur ausgehaltener Differenzen plädieren, widerspricht dies doch im Kern der Erkenntnis, dass der Mensch, aufgrund seiner Sprach- wie Affektgebundenheit, eben nicht so sehr als ein Held selbstloser Öffnung zum Anderen handelt, sondern vielmehr meist aus der emotionalen Notlage der Rettungen und Beschützung seines Selbst. Erst die Erfüllung eigener Bedürfnisse bietet eine gesunde Basis für die subjektive Öffnung zum Anderen.

Wie aber gelingt in Tunis Blues die finale Öffnung der Figuren durch eine Neubesinnung - jetzt sozusagen im Sinne einer positiven 'Reduktion' - auf sich selbst? Eine mögliche Antwort weist erneut der Blues. Dessen Tonalität ist bestimmt vom Geiste einer ausgehaltenen, seriellen Reduktion. Die Pentatonik, die Fünftonleiter des Blues, zwingt die tendenziell überbordenden Affekte in eine Expressivität äußerster Schlichtheit und Prägnanz. Das ausgehaltene Leid reduzierter Entfremdung artikuliert beichtend und klagend seinen Schmerz und erreicht so schnell ein Stadium der neuen Selbstbewusstwerdung. Die Losung Ismaïls des «aller au bout de moi-même» (TB, 179) geschieht in der Begegnung des Anderen als ein Selbst, denn auch der Andere kann nur auf eine stets vergleichbare Bedürfnisstruktur verweisen wie man selbst.

Die religiöse Einsicht, dass alle Menschen Brüder und Schwestern 'im Leid' sind, nivelliert ihrerseits gefährliche soziale Differenzierungen. Sie entspricht der Ausrichtung des Blues, der sich nicht nur auf fünf Töne beschränkt, sondern auch die Grenze zwischen den Tonarten Dur und Moll, das heißt zwischen den Geschlechtern, tendenziell einebnet. Der natürliche Grundstreit des Sexus, der, wie gesehen, leicht zur sozialisierten Aggression verhärtet, wird so verlängert zu dem musikalisch androgynen Epiphanieerlebnis einer verliebten Zusammenkunft jeweils zweier Narbenträger, deren Geschlechtszugehörigkeit von dieser Warte aus gewissermaßen sekundär wird. Zur freien Neubestimmung des Menschen bedarf es nun aber zuletzt einer dritten Grundkonstante des Blues, nämlich seiner spezifischen Intonation und Rhythmik.

3. Intonation/Rhythmik: Es hat sich gezeigt: Die ausgehaltene Reduktion der kulturellen Differenzen führt in Tunis Blues letztlich zu einer neuen Selbstbesinnung und -bestimmung. Die fünf Protagonisten, die jeweils einen der fünf Töne der Bluestonleiter anstimmen, akzentuieren stets dasselbe Grundmuster schmerzhaft erlittener Lebensentfremdung. Der Erzählgang der gleichförmig-parallelen Zyklen vergleichbarer Einzelgeschichten entspricht mit diesen Merkmalen weitgehend dem Rhythmus des Blues. Auch die Aggression und Verhärtungen als Handlungsfarbe der Figuren entsprechen der 'blauen' Intonation der Bluesmusik. Auf der anderen Seite lernen sie aber auch, sich erneut mit ihren Leidensgenossen zu verbinden. Sie erscheinen am Ende auf symbolischer Ebene, wie 'Archetypen des einfachen Glücks', wie Gestrandete, die nach einer einschneidenden Erfahrung von Tod und Leid eine neue Kindheit in sich tragen.(31)

In dieser Haltung liegt ihre Öffnung aus dem Rückzug heraus begründet. Die Hauptfigur Ismaïl berichtet ganz am Ende des Romans, in der eindringlichen stilistischen Verdichtung enumerativer Parallelismen, von dieser 'Erfindung eines neuen Lebens':

Je m'arrache au déluge, un mètre puis un autre, j'avance contre le vent, contre la marée qui remue autour de moi, contre la résignation, contre le renoncement, contre les à-quoi-bon, contre les c'est-la-vie, contre les le-monde-est-fait-ainsi. Contre la mort. Titubant contre le rideau acharné de la fin du monde, j'aperçois enfin la porte qui m'attend pour s'ouvrir. Encore quelques mètres et je serai sauvé. (TB, 215)

Bécheur antwortet mit dieser Symbolik weltlicher Bescheidenheit auf die globalen Gesetze von Macht und Unterdrückung. Er vertraut nur bedingt auf friedliche Koexistenz, eher auf trefflich streitende Vielvölkerschaften. Er erinnert, dass die soziale Öffnung zuerst eine private Angelegenheit ist, dass die jüngst so oft zum Rückzug aufgeforderte Egozentrik des Einzelnen nicht von der Notwendigkeit der rigorosen Selbstbestimmung entbunden ist.

Dieser Blues erzählt ein Stück tunesische Gegenwart als 'Variation des Selben' und verläuft so gewissermaßen neben der Spur des aktuellen Lobgesangs auf die multikulturelle Vielfalt des Anderen. Narrative Innovation im dekonstruktiven Sinne eines findigen Hinausschiebens und Nicht-Abschließens(32)

standen immer schon auf der Kehrseite der Bluesästhetik. Vielleicht lässt sich die ureigene, schlichte Weisheit des Romans im hektischen Gewirr unserer Mediengesellschaften aber trotz alledem eher als ergänzende Anregung denn als kultureller Rückschritt deuten. Tunis Blues ist letztlich auch ein Roman der Globalisierung, insofern als er an die anthropologischen Grundansprüche des Menschen erinnert, jenseits aller kulturell divergenten Traditionsbildung. Vielleicht gilt es, die zweifelsohne in vielen Aspekten problematische Globalität an eben diesem Punkte ihrer Transparenz abzuholen, an dem sich nivellierende kulturelle Ansprüche nicht die Vielfalt gefährden, sondern vielmehr auf die völkerunabhängige Ähnlichkeit menschlicher Befindlichkeit und Bedürftigkeit hinweisen.

© Klaus Semsch (Heinrich-Heine Universität Düsseldorf)


ANMERKUNGEN

(1) Die Thematik des Stellenwertes der frankophonen Fiktion im unabhängigen Tunesien ist vielfach behandelt worden. Nicht zuletzt die 1985 erfolgte Revision Memmis seiner früheren (1957), kritischen Einschätzung des postkolonialen Status des Französischen als Literatursprache des Maghreb, legt derzeit für Tunesien den Eindruck einer relativ stabilen Koexistenz der literarischen Sprachenvielfalt nahe. Vgl. hierzu etwa Alek Baylee Toumi, Maghreb divers, New York u.a.: Lang 2002, Jean Déjeux, La littérature maghrébine d'expression française, Paris: PUF 1992, insbes. »52ff. und 91ff., Jacqueline Arnaud, La littérature maghrébine de langue française, 2 Bde., Paris: Publisud 1986, I, 119-127, Joan Phyllis Monego, Maghrebian literature in French, Boston (Mass.): Twayne 1984, 145ff. Zur kritischeren Sicht des 'zweideutigen Kompromisses' vgl. Jacqueline Kaye/Abdelhamid Zoubir, The ambiguous compromise. Language, literature and national identity in Algeria and Morocco, London/New York: Routledge 1990.

(2) In chronologischer Folge liegen vor: De miel et d'aloès, Tunis: Cérès 1989 ; Les saisons de l'exil, Tunis: Cérès 1991 ; Les rendez-vous manqués, Tunis: Cérès 1993 ; Jours d'adieu, Tunis: Cérès/Paris: Joëlle Losfeld 1996 ; La porte ouverte: essai sur la mémoire et l'identité. Texte remanié d'une conférence prononcée pour l'Association d'Amitié France-Tunisie, le 5 novembre 1998, au Musée Rodin (Paris), Tunis: La Nef 2000 ; Tunis Blues, Tunis: Éd. Clairefontaine /Paris: Maisonneuve Larose 2002 (Sigel im Text = TB).

(3) Zur kritischen Bewertung der rezeptiven Beschränkung der frankophonen Literatur des Maghrebs auf ein mediterran-europäisch gebildetes Lesepublikum vgl. jedoch Monego (1984), 152.

(4) Vgl. Albert Memmi, Vorwort zu der von ihm edierten Anthologie des écrivains francophones du Maghreb, Paris: Seghers 1985. Siehe auch Jean Déjeux (1992), 3ff. und 65.

(5) Vgl. die Situierung der négritude-Bewegung bei Mohamadou Kane, Roman africain et tradition, Dakar: Les nouvelles éditions africaines 1982, 50-52.

(6) Vgl. Les rendez-vous manqués, 133f.

(7) Das latent verklärte Bild einer hilfsbereiten Gemeinschaft der Medina erscheint in Tunis Blues exemplarisch in den Kindheitserinnerungen Chouchas, 117-120. Die suggestive Kraft der kulturellen Vielfalt in der Medina Tunis' ist ein zentrales Motiv des tunesischen Gegenwartsromans. So etwa auch in Emna Belhadj Yahias Roman L'Étage invisible, Tunis: Cérès/Paris: Joëlle Losfeld 1996.

(8) Vgl. Jean Déjeux (1992), 52.

(9) Vgl. Frantz Fanon, Peau noir, masques blanches, Paris: Eds. du Seuil 1952. Natürlich könnte man dies im Sinne der hegelianischen Herleitung der Fanonschen Argumentation als stimmige Konsequenz einer höheren historischen Entwicklungsstufe deuten.

(10) Vor allem sichtbar als materielle Substitutionsversuche verlustiger islamischer Identität sowie als unvermittelbare Stilisierung europäischer Lebensverhältnisse, die auch gegenwärtig weite Teile der jüngeren Generation eine Emigration in das geografisch nahe und doch so ferne 'Wohlstandsparadies Europa' anstreben lässt.

(11) Vgl. Tunis Blues, 181 sowie im Folgenden, Fußnote 29.

(12) So durchweg im ersten Teil 'Désertions' des Romans De miel et d'aloès. Abdelwahab Bouhdiba, La sexualité en Islam, Paris: PUF 1975, 2001, verteidigt hingegen die Idee einer gerade in der islamischen Kultur positiv, ja auch heutzutage wegweisend angelegten Struktur der Geschlechterbeziehung (siehe dazu zusammenfassend 281ff.).

(13) Vgl. zur Sozialisation der tunesischen Frau De miel et d'aloès, 109.

(14) Siehe zum in der europäischen Romantik neu entwickelten Begriffsverständnis von Ironie Ernst Behler, Ironie und literarische Moderne, Paderborn: Schöningh 1997 sowie Pierre Schoentjes, Poetique de l'ironie, Paris: Éd. du Seuil 2001, 100-134.

(15) Vgl. zur ausführlichen Beschreibung der Liebesinitiation im Bordell De miel et d'aloès, 34ff.

(16) Die hier angesprochene Diskussion über die europäische Liebeskonzeption findet sich etwa, mit kontrastiver Positionsbildung, in Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001 und Jean Baudrillard, De la séduction, Paris: Denoël 1982.

(17) Diese Thema wird vor allem im zweiten Teil (,La couleur de l'ombre') des Romans De miel et d'aloès, 65ff. entfaltet.

(18) Es wäre ein lohnendes Unterfangen, der Auseinandersetzung Bécheurs mit dem Existenzialismus Sartres nachzugehen, der nur in seiner ideologisierten Form ironisiert wird, ansonsten aber als positives Leitmotiv das Werk Bécheurs und insbesondere den Roman Tunis Blues durchzieht.

(19) Dominant im Sinne einer aktiv zu gestaltenden, narrativen Aufgabe wird das Erzählpräsenz bei Bécheur erst in Tunis Blues.

(20) Edouard Glissant, Introduction à une poétique du divers, Paris: Gallimard 1996.

(21) Vgl. ebd., 19.

(22) In diesem Sinne bei Glissant, ebd., 14: «Je dis toujours que la mer Caraïbe se différencie de la Méditerranée en ceci que c'est une mer ouverte, une mer qui diffracte, là où la Méditerranée est une mer qui concentre.»

(23) Jean Bernabé/Patrick Chamoiseau/Raphaël Confiant, Éloge de la créolité/In praise of creoleness, Paris: Gallimard 1989, 1993.

(24) Vgl. zum Spannungsverhältnis von Zergliederung und Rekomposition in den Kreolkulturen ebd., 16ff. und v.a. Bernabé/Chamoiseau/Confiant (1993), wo es den Begriff der 'créolité' geradezu definiert: «La Créolité, c'est 'le monde diffracté mais recomposé' [...].» (27).

(25) Roger Toumson, Mythologie du métissage, Paris: PUF 1998.

(26) Ebd., 260ff.

(27) Vgl. zum Konzept des paralogischen Denkens Jean-François Lyotard, La condition postmoderne. Rapport sur le savoir, Paris: Minuit 1979. Glissant überträgt den Derridaschen Begriff der 'Spur' dabei auf die afrikanische Jazzrhythmik und behauptet so die implizierte Vorwegnahme der dekonstruktiven Ästhetik in der schwarzafrikanischen Kultur (Glissant, 1996, 17).

(28) Vgl. Jacques Derrida, Khôra, Paris: Galilée 1993 und Julia Kristeva, La révolution du langage poétique, Paris: Éd. du Seuil 1974, 22-30. Vgl. zur antiken Vorgeschichte und Deutung der Khora auch Platon, Timaios 49a, wo diese den rezeptiv gefassten Begegnungspunkt von Sein und Existenz meint und in der Metapher der Amme erscheint, die auf neutrale Weise das 'Werdende' als ein 'Abbild' des 'Urbildes' aufnimmt und ihm einen Ort irdischen Vollzugs bereitstellt. Dieses Begriffsverständnis liegt hier näher.

(29) Vgl. Tunis Blues, 181. Die Journalistin Choucha verdichtet dies zu ihrer These von der Interdependenz von Recht und Verbrechen, Ordnung und Chaos, ebd., 145ff.

(30) Vgl. zur systemtheoretischen Grundlegung der These von der sozialen und kommunikativen Reduktion Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1984.

(31) Vgl. zu diesem spezifischen Symbolbegriff Paul Ricoeurs Gilbert Durand, L'imagination symbolique, Paris: PUF 1964, 41998, 81.

(32) Vgl. Jean-François Lyotard (1979), 99.


5.11. Das Schreiben in der Migration: Literatur und kulturelle Kontexte in der Romania

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For quotation purposes:
Klaus Semsch (Heinrich-Heine Universität Düsseldorf): Le blues tunisien - Hybride Gegenwartskultur Tunesiens im Erzählwerk Ali Bécheurs. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_11/semsch15.htm

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