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Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. März 2004
 

5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Monika Leisch-Kiesl (Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Bericht: "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation

Monika Leisch-Kiesl (Linz)
[BIO]

 

Im Zentrum der Sektion stand die Bildende Kunst. Dabei versuchten wir im Feld einer komplexen Thematik - Dialog der Kulturen - einige Fokussierungen. Wir verfolgten zwei Fäden und behandelten zwei Themenbereiche, die sich vielfach miteinander verwoben.

Faden: Codes

Dabei ging es um das Verhältnis von Bild und Sprache, die jeweils unterschiedliche Möglichkeiten der Artikulation und der Rezeption und damit der Kommunikation bieten.

Faden: Räume

In welche Beziehungen können Kunstraum und Sozialraum konkret Kunsträume und Sozialräume treten? Wie interferieren künstlerische Prozesse und Produkte einerseits mit sozialen (politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen) Problemkonstellationen, Fragestellungen und Handlungsansätzen andererseits?

Themenfeld: Migration

1. Zwei Projekte wurden vorgestellt: Erika Ducette entwickelte mit MigrantInnen, die großteils in der Sexarbeit tätig sind, "kartographische Eingriffe", ein Projekt das inzwischen in drei österreichischen Städten (Linz, Steyr, Innsbruck) durchgeführt und in mehreren Ausstellungsorten und Galerien gezeigt und auf Seminaren und Symposien diskutiert wurde. Bozo Raic arbeitete mit Jugendlichen, die sich (vielfach nach einer bereits erfolgten Ausbildung im Herkunftsland) in Österreich auf den Grundschulabschluss vorbereiten. Sie schufen Foto-Bild-Textarbeiten, in denen die Jugendlichen ihre Situation in künstlerischer Form artikulieten. Die Arbeiten wurden in der Schaufenstergalerie von Maiz (Linz) gezeigt.

Auffallender Weise wurde in beiden Projekten mit Collage-Verfahren gearbeitet.

2. In der Auseinandersetzung mit künstlerischen Zeugnissen von MigrantInnen - Positionen der zeitgenössischen Literatur (Salgado) und der Bildenden Kunst (Schwanberg) - die sich am internationalen Literatur- und Kunstmarkt positionieren, wurden eine Reihe grundsätzlicher Fragen diskutiert:

Themenfeld: Islam

Vorbemerkung: Die Auseinandersetzung mit "Islam" erfolgte als mit einem Phänomen, mit dem westliche Kultur einerseits durch Migration, andererseits durch Medienberichte über politische Konflikte konfrontiert wird. D.h., sie erfolgte aus einer westlichen Perspektive, und zwar in einer offenen Haltung des Wunsches, diese vom Islam geprägten Kulturen besser kennen zu lernen. (Leider kam es zu keiner Diskussion mit Männern und Frauen der islamischen Kulturräume; das Interesse daran bleibt aber aufrecht!)

1. Julia Allerstorfer skizzierte das durch Imperialismus, Kolonialismus und Postkolonialismus geprägte Ideologie- und Kräftefeld als Kontext jeder gesuchten Verständigung. "Okzident" und "Orient" - häufig verknüpft mit einer Exotisierung des Orients - erscheinen darin als Konstrukte, die Kontrast und Konkurrenz betonen und Denkmustern der Bipolarität folgen.

Die Betrachtung "moderner" "islamischer" Kunst - gibt es das? - zeigt die Spannung zwischen "universalen" Ausdrucksformen - z.B. im Ornament - und den je spezifischen kulturellen Codes.

Einen zweiten Rahmen bildete die Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot (Jäger) als sowohl Beschränkung als auch Ermöglichung von Kommunikation. Es ist die Konsequenz theologischer Überlegungen in Hinblick auf das Verhältnis von Gott und Welt. Vom Grundansatz her ist es Judentum, Christentum und Islam gemeinsam, die konkreten daraus gezogenen Prinzipien und Regeln unterscheiden sich zum Teil. Das Bilderverbot leistet zudem einen Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Bild und Sprache: Bildkritik evoziert Sprache, Sprachkritik evoziert die Metapher. Beide bedingen sich wechselweise - ein Prinzip, mit dem alle drei Schriftreligionen operieren.

2. Vor diesem - doppelten - Hintergrund wurden zwei zentrale Äußerungsformen islamischer Kultur präsentiert: die Kalligraphie (Swoboda) und das Ornament (Mark). Anhand ausgewählter Beispiele von Koranseiten in ihrer Entwicklung konnte das Changieren von Schrift und Bild anschaulich nachvollzogen und der Zusammenhang von Semantik und Ästhetik ansatzweise erfasst werden.

Ähnliches gilt für die Arabeske. Sie ist entschieden mehr als Dekoration. Sie ist ein Reflex kosmologischer und wissenschaftlicher Theorien und Überlegungen und sie bildet eine spezifische Ästhetik im Schaffen universaler Räumeindrücke. Eine Ausstellung in der Foundation Beyeler (Katalog 2001) stellte derartige Zeugnisse islamischer Kunst Entwicklungen der ungegenständlichen Malerei der (westlichen) Moderne gegenüber. Deutlich wurde: Die visuellen Analogien sind zum Teil faszinierend. Doch ist Vergleichbares nicht immer auf einen Einfluss zurück zu führen und kann visuell Vergleichbares in unterschiedlichen Kontexten sehrwohl andere Funktionen und Bedeutungen haben.

3. In der künstlerischen Position von Shirin Neshat (Stummer) laufen die diskutierten Fäden und Themenfelder zusammen: Sie ist Iranerin, Migrantin (New York), islamische Künstlerin, sie arbeitet mit Bild und Schrift. So "islamisch" ihre im Wesentlichen in Schwarz und Weiß gehaltenen Fotografien und Filme von Frauen im Tschador und einer strikten Separierung von Männer- und Frauenwelt anmuten, so ist doch nicht zu übersehen, dass sie für ein westliches Publikum geschaffen wurden und am westlichen Kunstmarkt reüssieren.

Knotenpunkte und lose Fäden

Kunsttheoretische Thesen und Texte von Aristoteles, Derrida und Raunig bildeten den Versuch einer zusammenfassenden Reflexion, einer Zusammenfassung mit einigen Knotenpunkten und vielen losen Fäden (Leisch-Kiesl). Dabei konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf den Begriff des "Passe-Partout" i.S. Derridas. Das Passe-Partout schafft einen Ort Da-Zwischen und erlaubt es, Rahmen zu verschieben und damit Grenzen in Fluss zu bringen. "Der Zug [i.S. v. Strich, Trennstrich, Bezug - Anm. L-K] ... situiert sich zwischen der sichtbaren Umrandung und dem zentralen Phantom, von dem her wir faszinieren. Ich schlage vor, dieses Wort intransitiv zu benutzen ..." Nach Derrida ist dies der Ort der Kunst - im Da-Zwischen, an einem des Ortes beraubten Ort -, der Ort ihrer visionären und verschiebenden Kraft.

© Monika Leisch-Kiesl (Linz)

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For quotation purposes:
Monika Leisch-Kiesl (Linz): Bericht: "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/leisch_report15.htm

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