Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | April 2004 | |
5.14. "Den Kunstbegriff
gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst
als Raum der Kommunikation Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien / Linz)
Menschen, die sich schwimmend ans Ufer zu retten versuchen. Menschen, die in Lastwägen beim illegalen Schmuggel über die Grenze ersticken, verhungern oder erfrieren. Menschen, die in Zelten auf engstem Raume hausen, in der Hoffnung auf eine neue Heimat. Alles Bilder, die aus den Medien bekannt sind. Denn illegale Migration, gekoppelt mit Menschenschmuggel und Menschenhandel, ist eines der gravierendsten Probleme, mit denen sich Europa derzeit konfrontiert sieht.
Die Öffentlichkeit wird stets anhand von konkreten Fällen mit illegaler Migration konfrontiert. Zeit für eine grundsätzliche Hinterfragung der Problematik bleibt keine. In der Kunst sieht dies ganz anders aus. Hier kann losgelöst vom tagespolitischen Geschehen die Frage nach dem "Warum" gestellt werden. Dass sich die zeitgenössische Kunst solch brisanten Themen auch tatsächlich stellt, ist spätestens seit der letzten Documenta deutlich geworden.
Abb.1: Piet den Blanken, Festung Europa, 2002 |
Abb. 2: Jacqueline Salmon, Le Hangar, 2001 |
Abb.3: Chantal Akerman, From the Other Side |
Abb.4: Ad van Denderen, Go No Go |
Abb.5: Ingrid Simon, Present Continous, 2000 |
Abb.6: Lisl Ponger, Die Papua, aus "Xenographsiche Ansichten", 1995 |
Abb.7: Lisl Ponger, Gone Native, 2000 |
Eindrucksvoll zeigt der 2003 entstandene Film "Phantom Fremdes Wien" Lisl Pongers Umgang mit dem Thema: Leicht verschwommene, dunkle Bilder schwirren über die Leinwand. In einer raschen Abfolge wird der Zuschauer mit verschiedenen Kulturen und deren Lebensweise konfrontiert. Zu sehen sind Aufnahmen von einer türkischen Doppelhochzeit, von einem Ramadanfrühstück im "Ägyptischen Klub", von einer Kimono-Ankleidezeremonie in einem japanischen "Haarsalon" (Abb. 8, 9). Untermalt werden die Szenen von Musik aus dem jeweiligen Kulturkreis. Aus dem Off ist eine Stimme zu hören. Es ist die Stimme der Wiener Film- und Fotokünstlerin Lisl Ponger. In ihrem Kommentar erinnert sich Ponger als subjektive Ich-Erzählerin an die Filmaufnahmen, sie reflektiert über die veränderte politische Situation seit der Entstehung des Rohmaterials, vor allem aber gibt sie Einblick in ihre Arbeits- und Denkweise. So bietet Ponger dem Betrachter ironisch mehrere Schlussszenen zur Auswahl an. Sie hinterfragt die Absolutheit des einzelnen Bildes - und macht deutlich, wie relativ der jeweilige, künstlerische Blickwinkel ist.
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Abb.8: Lisl Ponger, Ramadanfrühstück im Ägyptischen Klub, aus "Fremdes Wien", 1991-92/2003 | Abb.9: Lisl Ponger, Haarsalon Masayo, aus "Fremdes Wien", 1991-92/2003 |
Die Entstehung des Films "Phantom Fremdes Wien" entstand auf Initiative des Wien Museums, das Lisl Ponger einlud, ihr "Fremdes Wien" von 1991 und 1992 nochmals zu besuchen. Anfang der 90er Jahre hat Lisl Ponger eine multikulturelle Weltreise unternommen und zugleich Wien nie verlassen. Mit einer Super-8-Kamera ausgerüstet, besuchte sie Hochzeiten, Feste, Zusammenkünfte, Arbeitsplätze von MigrantInnen in Wien. Sie zeigte auf, was öffentlich nie sichtbar wird und meinte damals: "Die Stadt ist wie ein Bergwerk, auf der Straße erkennt man relativ wenig davon. Vieles spielt sich im Verborgenen ab, du gehst in einen Hinterhof, in einen Keller und kommst plötzlich irgendwo an." Pongers künstlerische Recherche wurde der Öffentlichkeit damals als Buch und in Form von Ausstellungen mit Filmstills präsentiert. Dass sie ihre eigene Arbeit mehr als zehn Jahre später noch einmal einer Revision unterzieht, zeugt nicht nur davon, dass Lisl Ponger eine der reflektiertesten Künstlerinnen dieses Landes ist, die nicht zu unrecht vor zwei Jahren auf der Documenta vertreten war und vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Ponger selbst hat vor allem politische Motive für die Hinterfragung ihrer damaligen Recherche: "Was sich damals als neu zu entdeckendes Terrain darstellte, ein 'fremdes Wien' mit seinen Minoritäten bei Hochzeitsfeiern, religiösen Festen oder Nationalfeiertagen, ist heute ein nicht mehr zeitgemäßer Blick. Die Definition der Minderheitsösterreicher nur über ihre Kultur, ihre Folklore und ihr Essen genügt in einer Zeit verschärfter Asylgesetze und staatlich verordneter Deutschkurse nicht mehr", so Lisl Ponger.
In neuen Arbeiten beschäftigt Lisl Ponger sich unter dem Übergriff "If I was ... today" (Emil Nolde, Man Ray, Michel Leiris, Leni Riefenstahl) mit der Frage, wie der westliche Künstler sich 'exotischen' Umgebungen nähert und wie Bildfindungen in diesem Zusammenhang entstehen und gelesen werden können. Sie ironisiert ihre eigene Position als westliche weiße Künstlerin.
Wenn es Kunst gelingt, soviel zum "Verbindenden" oder "Trennenden" der Kulturen auszusagen und zugleich die Kunstgeschichte kritisch zu hinterfragen, dann werden alle Zweifel an der gesellschaftspolitischen Relevanz von Kunst obsolet.
© Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien / Linz)
5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
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For quotation purposes:
Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien
/ Linz): "Künstlerische Positionen im Zwischenraum"
. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/schwanberg15.htm