Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

8.1. Intercultural Education
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Susanne Binder/Mikael Luciak (Vienna)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Antirassistische Pädagogik in Österreich: Später Paradigmenwechsel

Herbert Langthaler (asylkoordination österreich)
[BIO]

 

Rassismus ist ein gesellschaftliches Phänomen, das in verschiedenen Ausformungen entgegentritt. Maßgebliche Kreise dieser Gesellschaft sind an der Reproduktion dieser Ideologie bewusst oder unbewusst beteiligt. Es stellt sich daher die Frage, ob - wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Missständen (Drogenmissbrauch, etc.) -ausgerechnet die Schule der richtige Ort ist, gegen diese Ideologie vorzugehen, ob dem Problem durch eine Pädagogisierung beizukommen ist oder ob es sich hierbei lediglich um Alibiaktionen handelt. Ich glaube zwar, dass dieser immer wieder erhobene Einwand durchaus seine Berechtigung hat, uns aber nicht davon entbindet, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern an unseren Verstricktheiten im institutionellen und strukturellen Rassismus und an unseren eigenen Vorurteilen zu arbeiten. Das heißt, besser zu verstehen, warum wir gewisse Bilder im Kopf haben, wie und warum sie dorthin gekommen sind und warum wir Verschiedenheit so schwer aushalten, ohne Ungleichheit daraus zu machen.

Ich plädiere daher für eine antirassistische Pädagogik - und zwar als Praktiker, der sich durch die Mühen der Ebene die Sicht auf die Theorie nicht verstellen lassen will. Antirassistische Pädagogik hatte in Österreich noch nicht viele Möglichkeiten, sich zu etablieren, weder in der Praxis noch in der Theorie. Was in einem Land, wo Ungleichheit aufgrund von Herkunft in dutzenden Gesetzen festgeschrieben ist, auch nicht weiter verwunderlich ist.

Von der Ausländerpädagogik zum Interkulturellen Lernen

Ähnlich wie in der BRD liegen die Wurzeln einer antirassistischen Pädagogik in der Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Kinder von ArbeitsmigrantInnen. Die "Ausländerpädagogik" der 1970er Jahre, stand einerseits unter dem Gesichtspunkt die sogenannten Defizite der Migrantenkinder und ihre Anpassung an die Regelschule zu gewährleisten. Andererseits wurde sie von der Idee geleitet, dass die SchülerInnen wieder in die Herkunftsländer ihrer Eltern zurückkehren würden. Vom Schulsystem selbst wurde keine Anpassungsleistung verlangt. Interkulturelles Lernen setzte sich als Konzept erst dann durch, als klar war, dass die MigrantInnen, die als temporäre Arbeitskräfte geholt worden waren, mit ihren Familien in Österreich bleiben würden.

Die Überlegung, die dem Konzept des Interkulturellen Lernens zu Grunde liegt, ist die Einsicht, dass es in einer multikulturellen Gesellschaft für alle Gruppen notwendig und gewinnbringend sei, sich mit anderen Kulturen auseinander zu setzen. Die Konzepte klingen vielversprechend: So soll der Existenz einer sprachlich, kulturell und ethnisch heterogenen Gesellschaft auch in den Schulen Rechnung getragen werden. Adressaten sollen nicht nur die MigrantInnen sondern alle Mitglieder einer multikulturellen Gesellschaft sein.

Im Schuljahr 1991/92 wurde "Interkulturelles Lernen" schließlich zum Unterrichtsprinzip erhoben. Im derzeit gültigen Lehrplan der Hauptschule heißt es dazu:

"Interkulturelles Lernen beschränkt sich nicht bloß darauf, andere Kulturen kennen zu lernen. Vielmehr geht es um das gemeinsame Lernen und das Begreifen, Erleben und Mitgestalten kultureller Werte. Aber es geht auch darum, Interesse und Neugier an kulturellen Unterschieden zu wecken, um nicht nur kulturelle Einheit, sondern auch Vielfalt als wertvoll erfahrbar zu machen. Durch die identitätsbildende Wirkung des Erfahrens von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Kulturen, insbesondere in ihren alltäglichen Ausdrucksformen [...] sind die SchülerInnen zu Akzeptanz, Respekt und gegenseitiger Achtung zu führen." (BGBl. II Nr. 134/200)

Die Praxis sieht leider oft anders aus: In einer Besprechung im Rahmen unseres Projekts "Schule ohne Rassismus" an einer Wiener Hauptschule beschwerten sich SchülerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien, dass die Turnlehrerin eine muslimische Schülerin aufforderte, ihr Kopftuch abzulegen, da "wir ja in einer abendländischen Kultur" leben.

Außerdem stellt sich die Frage, ob die Fokussierung auf Kultur beziehungsweise auf "unterschiedliche Kulturen", nicht zu einer Verstärkung von den aktuellen Rassismen zugrunde liegenden Vorstellungen von Kultur führen.

Der Europarat ging schon 1992 wesentlich weiter. Gefordert wurde ein "Erziehungssystem, das Teil einer zusammenhängenden globalen Politik ist, in der das wirtschaftliche, rechtliche, politische und soziale System die gleiche Zielsetzung haben: die rechtliche Chancengleichheit für die Individuen und die Gemeinschaften". Von Chancengleichheit für alle ist die österreichische Gesellschaft weit entfernt und die Schule kann durch "Pädagogisierung" die aus der gesetzlich festgeschriebenen Ungleichheit ergebenden sozialen Problemen nicht lösen. Solange sich migrantische SchulabgängerInnen auf Jobsuche vor verschlossenen Türen wiederfinden, nutzt ihnen weder "wechselseitiges Verstehen" noch "Neugier an kulturellen Unterschieden".

Hier setzt auch die Kritik an dem Modell des Interkulturellen Lernens an. Es kann kaum etwas zu einer grundlegenden Änderung rassistischer Denk- und Handlungsweisen auf struktureller Ebene beitragen. Die Frage der Machtverhältnisse zwischen "Schwarz" und "Weiß" werden konsequent ausgeklammert. Interkulturelles Lernen kommt in die Gefahr, sich in der Rolle des sozialtechnischen Reparaturbetriebs wiederzufinden, der für die vordergründige Harmonisierung gesellschaftlicher Widersprüche zuständig ist. Darüber hinaus wird (zumindest in der Umsetzung) meist von einem statischen Kulturbegriff ausgegangen. Indem man die Kategorie der Kultur zur Beschreibung sozialer Verhältnisse benutzt, werden die zur Diskriminierung benutzten Unterscheidungen der ethnischen Herkunft bestärkt. Es soll aber dem IKL keinesfalls sein emanzipatorisches Potential abgesprochen werden. Es wirkt dem Druck zur Homogenisierung entgegen und stellt durch seinen Blick auf den vorhandenen und notwendigen Pluralismus einen Beitrag gegen den Nationalismus - als Ideologie der Einheitlichkeit - dar.

Noch etwas zu einem Begriff, den ich immer wieder abwehren muss: Toleranzpädagogik. Wir sprechen bewusst nicht von Toleranz, weil Toleranz etwas ist, was die Mehrheit, die Mächtigen, der Minderheit, den Unterlegenen, gewährt. Nach dem Motto: "Sie sollen sich anpassen - dann werden wir sie dulden." Es kann also nicht um Toleranz, sondern nur um Respekt gehen. Auch setzt sich erst langsam die Erkenntnis durch, dass Probleme mit Rassismus nicht an das Vorhandensein von MigrantInnen gebunden sind. Rassismus ist ein Problem der Mehrheitsbevölkerung. Es gibt kein "Ausländerproblem", sondern ein Rassismus-problem.

Es sei mir an dieser Stelle eine kurze Bemerkung erlaubt, warum wir im Allgemeinen nicht von "Fremdenfeindlichkeit" sondern von "Rassismus" sprechen. Es handelt sich erstens nicht nur um Ressentiments gegen "Fremde", weil ja BritInnen, US-AmerikanerInnen, JapanerInnen oder TouristInnen im Allgemeinen durchaus beliebt sind. Die Feindlichkeit richtet sich vielmehr gegen bestimmte als homogen und minderwertig oder bedrohlich konstruierte Gruppen wie "TürkInnen" "SchwarzafrikanerInnen" oder "MuslimInnen".

Außerdem muss sich Rassismus nicht unbedingt in feindlichen Einstellungen oder Handlungen manifestieren. Es gibt auch durchaus so etwas wie einen zumindest scheinbar "positiven Rassismus", wenn es zum Beispiel heißt: Afrikaner hätten den Rhythmus "im Blut" oder wären von "Natur aus" besonders gute Sportler oder Liebhaber. "Scheinbar positiv" weil sich hinter der Hervorhebung von positiv bewerteten Eigenschaften (deren "Naturalisierung" ein Merkmal für Rassismus ist) z.B. die Abwertung des Intellekts dieser Gruppe verbirgt. (Kalpaka/Räthzel 1990)

Rassismus dient sowohl der Selbst- als auch der Fremddefinition. Er hilft die eigene Position zu bestimmen und die Welt zu ordnen. Er bietet einfache Antworten auf viele offene Fragen und löst Probleme und Spannungen, die ganz andere Ursachen haben als den Kontakt mit "Fremden". Rassismus legitimiert Herrschaft und Ungleichbehandlung. Das beginnt mit dem Kolonialismus zu dessen Rechtfertigung die unterworfenen Menschen zu "minderwertigen Rassen", die Europäer zu "Herrenmenschen" konstruiert wurden. Zuletzt wurde und wird durch rassistische Konstruktionen die Ausbeutung und Ausschließung von "Gastarbeitern" und "Illegalen" legitimiert. Rassismus schafft ein Kriterium, das nicht auf Verdienst und Leistung beruht und so ungerechte Strukturen rechtfertigt. Je stärker in unserer auf Leistung und Nützlichkeit beruhenden Gesellschaft für das Individuum die Kluft zwischen dem gesellschaftlichen Ideal und der Wirklichkeit (persönliches Versagen, oder zumindest die Angst davor) auseinander klafft, desto größer ist der Bedarf sich über Ausgrenzung selbst in die idealisierte Gemeinschaft hineinzudefinieren. Schließlich werden Privilegien, die man (v.a. als weißer Mann) anderen Menschen gegenüber genießt, abgesichert, indem man sie als "normal" behauptet.

Antirassistische Pädagogik

"'Rasse' ist ein Ergebnis des Rassismus und nicht dessen Voraussetzung." (Cohen P. zit. nach "Mit anderen Augen. Neuer Rassismus in Europa" CD-Rom Wien 1996 )

Antirassistische Pädagogik vor dem Hintergrund der konkreten Situation an Österreichischen Schulen und der politischen Situationen in diesem Lande ist heute mehr denn je eine Gratwanderung: Eine Gratwanderung zwischen Empowerment von diskriminierten Gruppen und dem Versuch, die Einteilung in Gruppen entlang ethnischer Zugehörigkeiten zu dekonstruieren, zwischen Kritik an Gesetzen und Behördenpraxis und hierarchischen Schulstrukturen, wischen den Gefahren multikulturalistischer Folklore und Scheinharmonie und dem Fördern einer verschütteten Neugierde auf das "Fremde". Es kommt dabei darauf an, ob man am Land oder in der Großstadt, ob man in Schulen mit vielen MigrantInnen oder an rein "weißen/eingeborenen" Schulen arbeitet, ob LehrerInnen und SchülerInnen für das Thema sensibilisiert sind oder die Strukturen an der Schule dem gesellschaftlichen Mainstream entsprechen. Sparmaßnahmen im Bildungsbereich und die Gegenwehr der Lehrerschaft erschweren zur Zeit Projekte.

Antiessentialistisch

Entgegen einer weitverbreiteten Meinung, sind Konflikte entlang von Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit unter Jugendlichen im Schulalltag eher die Ausnahme als die Regel. Antirassistische Bildungsarbeit muss sich davor hüten, bei den eigenen Bestrebungen Rassismus zu bekämpfen, diesen zu reproduzieren, indem die Einteilung von Menschen entlang von "ethnischen" Grenzen als gegeben hingenommen wird. Vielmehr muss klar gemacht werden, dass Kultur und Identität nicht als homogen verstanden werden dürfen, sondern flexibel, temporär und vielschichtig in sich gebrochen sind. Antirassistische Arbeit muss, wie der britische Pädagoge Phil Cohen (Cohen 1994) es ausdrückt, auf der "Anerkennung der widersprüchlichen und in sich gebrochenen Aspekte gesellschaftlicher Identität" beruhen. Es ist daher auch nicht sinnvoll, stets unter dem Motto "Antirassismus" zu segeln.

Jugendliche befinden sich in einer Phase der Identitätsfindung, in der oft mangelndes Selbstwertgefühl und die Erfahrung von Ohnmacht durch die Abwertung des vermeintlich Anderen kompensiert wird. Es geht andererseits bei antirassistischer Pädagogik auch um die Stabilisierung von Identität, auch darum, den Jugendlichen Mittel an die Hand zu geben, ihr Leben für sich und ihre Bedürfnisse so zu gestalten, dass ein Rückgriff auf "Gewissheiten" einer Ideologie der Ungleichheit und Ausgrenzung nicht mehr notwendig ist. (Himmelbauer 1996) Wir müssen vermitteln, dass Rassismus nicht Stärke ist, sondern "entmächtigt". Antirassistische Pädagogik will dazu beitragen, rassistische Ausgrenzung und ihre Uraschen und Strukturen zu erkennen - mit dem Ziel diese Zustände zu ändern.

Strukturelle und institutionelle Rassismen

Wichtig ist es die alltäglichen Formen von Ausgrenzung zu thematisieren, die Verstricktheit jedes Mitglieds unserer Gesellschaft in eine Geschichte von Kolonialismus, Rassismus, Nationalsozialismus und europäischem Überlegenheitsdünkel sichtbar zu machen. Antirassistischer Pädagogik geht es nicht um eine oberflächliche Symptombekämpfung, sondern muss sich mit Ursachen und Wurzeln des Rassismus beschäftigen. Antirassistische Erziehung ist ohne Einsicht in den systembedingten Charakter rassistischer Gewalt nicht möglich. Ziel pädagogischer Bemühungen kann es nicht sein, individuelles Verhalten zu unterdrücken oder zu verbessern, sondern Einblick in Ausgrenzungsmechanismen zu erhalten und diese zu verändern.

Eine solche Vorgabe bringt antirassistische Pädagogik natürlich in Konflikt mit staatlicher Politik, ist doch die staatliche Ausgrenzungspraxis gegen MigrantInnen und Flüchtlinge der wichtigste Kristallisationspunkt, um den ein "fremdenfeindliches Meinungsklima" erzeugt wird. Es geht nicht darum, "schuldhaftes" Verhalten Einzelner zu bekämpfen, sondern Strukturen und Funktionen von Rassismus, Vorurteilen und Ausgrenzung erkennbar zu machen. Viele Lehrer konzentrieren sich im Unterricht auf Extremformen des Rassismus wie die NS-Herrschaft, das südafrikanisch Apartheitregime oder die Sklavenhaltergesellschaften des US-amerikanischen Südens. Historisierung und Beschäftigung mit Extremformen schaffen allerdings Distanz. Wichtig ist auf Alltagsrassismus, strukturelle und institutionelle Rassismen und die eigene Verstricktheit darin abzuzielen.

Methodenvielfalt

Es gibt unter den vielen Ansätzen antirassistischer Praxis sicherlich keinen "einzig richtigen". Wir plädieren daher für Methodenvielfalt, solange diese Methoden auf moralische Appelle und Schuldzuweisungen verzichten und bestehende Ungleichheiten nicht verstärken, sondern die willkürliche Einteilung von Menschen entlang von "ethnischen" oder "kulturellen" Grenzen grundlegend in Frage stellen. Für die Methoden bedeutet das, dass Frontalunterricht, Vorträge u.ä. nur ergänzend zum Einsatz kommen. Wichtig ist es, aus und mit den Erfahrungen der SchülerInnen und Schüler zu arbeiten.

Es ist manchmal schwierig, das Thema Rassismus an die SchülerInnen zu bringen, wenn es von LehrerInnen kommt. Jugendliche passen sich, bedingt durch das Machtgefälle zwischen LehrerInnen und SchülerInnen, manchmal zwar äußerlich an und zeigen sozial gewünschtes Verhalten, ohne demokratische Haltungen und Einsichten zu entwickeln. Die hierarchischen Verhältnisse in der Schule bleiben oft ein schwer zu überwindendes Hindernis und gefährden den Erfolg von antirassistischen Projekten. Dagegen stellen aktive Beteiligungsprojekte gleichberechtigte Reflexionsarbeit an den Verstrickungen in rassistische Diskurse in den Mittelpunkt. Projektunterricht oder zumindest eine kontinuierliche Beschäftigung mit den Themen Identität, Differenz und Diskriminierung ist notwendig, um soziale Kompetenz zu erhöhen, Eigenständigkeit zu fördern und Modelle von Konfliktbearbeitung zu erproben.

Projektunterricht, eigenständige Recherche, die Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensräumen, Rollenspiele, Theaterpädagogik und die konkrete Arbeit an Konflikten und diskriminierenden Strukturen sollten unserer Meinung nach im Mittelpunkt antirassistischer Pädagogik stehen. In den USA und auch in etlichen europäischen Ländern gibt es zudem vielversprechende Erfahrungen mit "peer education".

Die LehrerInnen

Erste Adressaten einer antirassistischen Pädagogik an den Schulen müssen natürlich die LehrerInnen sein. Mir ist keine Untersuchung über rassistische Einstellungen bei dieser Berufsgruppe bekannt, anzunehmen ist aber, dass diese nicht wesentlich von denen der Gesamtbevölkerung abweichen werden (15 Prozent mit klar rassistischer Einstellung, weitere 30 Prozent, die zumindest teilweise - und meist unbewusst - rassistische Vorstellungen reproduzieren). Antirassistische Pädagogik müsste also fester Bestandteil der LehrerInnen Aus- und Fortbildung sein. Wobei schon einiges getan wäre, wenn AHS LehrerInnen überhaupt mehr pädagogisches Rüstzeug vermittelt würde und in den Schulen mehr Raum für soziales, Lernen, Projektunterricht, Demokratieerziehung etc. vorhanden wäre.

Nur wenn die LehrerInnen offen mit dem Thema Rassismus umzugehen gelernt haben, eigene Erfahrungen gemacht haben und gewisse theoretische Grundlagen und ein Wissen über die Gesetzeslage in Österreich und Europa besitzen, können sie hier etwas weitergeben. Das heißt nicht, dass diese Prozesse der Aneignung von Wissen und Erfahrungen nicht auch gemeinsam mit SchülerInnen stattfinden können. Ich muss aber sagen, dass die real existierende Schule nicht wirklich ein sehr geeigneter Raum für solche Prozesse ist.

Schulen verstehen sich bisweilen immer noch als nationale Institutionen, die ihre Aufgabe darin sieht, patriotisches Bewusstsein und Identifikation mit dem Nationalstaat zu fördern. Zudem ist die Schule, wie der britische Pädagoge Gus John (1991) bemerkt, ein undemokratisches Machtgefüge, das Lebensumstände und Milieu der SchülerInnen oft nicht ernst nimmt. (Himmelbauer 1996)

Hinderlich für antirassistische Projekte sind nicht nur die verbreitet ablehnende oder ambivalente Haltung von LehrerInnen oder Schulleitung. Auch engagierte LehrerInnen können mit Überbetonung auf rationale Argumente und Verurteilung von Rassismus durch Appelle an Vernunft oder Gewissen bei den SchülerInnen massive Widerstände hervorrufen.

Angstfreies Lernen

Rassismus hat viel mit Ängsten und Unsicherheiten zu tun, Unsicherheiten denen nicht dadurch begegnet werden kann, dass dem "bösen" Rassismus eindeutig "gute" Bilder gegenübergestellt werden, sondern dass es möglich wird Indifferenz auszuhalten. Wichtig ist es, in einer angstfreien Atmosphäre möglichst unter freiwillig gewählten Bedingungen zu arbeiten. Nur so können Ängste formuliert und auf die eigenen Bilder und Erfahrungen eingegangen werden. Notwendig ist dazu, trotz einer klaren Position prinzipielle Offenheit zu bewahren. Georg Auernheimer schreibt dazu: "Die deutliche Missbilligung von rechtsextremen oder speziell rassistischen Äußerungen sollte man nicht mit der Ablehnung der Person verknüpfen, so schwer es manchmal fallen mag. Die Schüler sollen sich nach wie vor akzeptiert fühlen." (nach Himmelbauer 1996) Also ganz wichtig: kein moralischer Zeigefinger, kein Ausspielen der Überlegenheit bei Faktenwissen und Argumentation.

Ein Beispiel aus der Praxis: Schule ohne Rassismus

Das Projekt wurde in den 1980er Jahren in Belgien entwickelt und hat sich seither auch in den Niederlanden, in der BRD und in Spanien etabliert. 1998 wurde Schule ohne Rassismus von der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus in Graz nach Österreich geholt. Ein Jahr später stieg die asylkoordination österreich als Projektträger für Ostösterreich ein. Im Mittelpunkt des Projektes steht die aktive Beteiligung der SchülerIinnen. Es wird kein pädagogischer Zeigefinger erhoben, kein Lehrer diktiert, was zu tun ist, sondern die einzelnen Schulklassen müssen selbst die Verantwortung übernehmen, wie sie das Projekt gestalten wollen .

Zielsetzungen:

- Sensibilisierung von SchülerInnen für alle Formen von Diskriminierung und Rassismus
- Förderung des Engagements von SchülerInnen gegen Diskriminierung und für Integration und Chancengleichheit
- Förderung humaner und demokratischer Denk- und Handlungsmuster bei SchülerInnen
- Qualifizierung von SchülerInnen und LehrerInnen
- Nachhaltiger Abbau von Rassismus, Diskriminierung und Gewalt in unserer Gesellschaft

In einem offenen demokratischen Prozess entscheiden sich die Klassen nach eingehender Information durch die Projektträger ob sie bei Schule ohne Rassismus mitmachen wollen.

Als Einstieg wird SchülerIinnen, die sich besonders für das Projekt engagieren wollen, ein mehrtägiges kick-off-Seminar angeboten. Dabei geht es einerseits um die Sensibilisierung für Rassismus und Diskriminierung und die Vermittlung grundlegender Kenntnisse aus den Bereichen Rassismus- und Vorurteilsforschung, Migrations- und Asylwesen, andererseits um die konkrete Planung des Projekts an der jeweiligen Schule. Jede Projekt-Klasse kann aus einem breiten Angebot aus Rollenspielen, Workshops, Vorträgen, Projektideen, Ausstellungen - wir bezeichnen diese Elemente als Module - im Ausmaß von acht Unterrichtseinheiten auswählen. Darüber hinaus verpflichten sich die LehrerInnen sechzehn Unterrichtseinheiten pro Klasse dem Thema Diskriminierung/Rassismus zu widmen.

Schule ohne Rassismus bietet Module verschiedener Organisationen, Initiativen und ReferentInnen an und leistet so auch einen Beitrag zur Vernetzung antirassistischer Bildungs- und Jugendarbeit. Eine Steuergruppe bestehend aus SchülerIinnen, LehrerInnen und den Projektträgern ARGE bzw. asylkoordination koordiniert das Projekt während das gesamten Schuljahres. Am Jahresende werden im Rahmen einer öffentlichen Präsentation die Projektklassen mit dem Zertifikat Schule ohne Rassismus ausgezeichnet.

ARGE und asylkoordination bieten den LehrerInnen für die Gestaltung ihrer Unterrichtseinheiten umfangreiche Materialien, Beratung und Unterstützung.

Es stellte sich bei der Evaluierung unserer Arbeit heraus, dass der Meinungsbildungsprozess in den Klassen im Projektverlauf eine ganz zentrale Rolle einnimmt. Oft konnten sich die Befürworter des Projekts nur sehr schwer durchsetzen und waren gefordert, überzeugende Argumentationslinien zu entwickeln, um ihre Mitschüler/innen zu überzeugen. In sehr intensiv geführten Diskussionen mit den Schüler/innen und Lehrer/innen kamen auch immer wieder die grundlegenden Probleme mit der Projektarbeit in der Institution Schule zur Sprache. So können die beschränkten Mitbestimmungsmöglichkeiten von Schüler/innen und die immer noch starren Hierarchien bei der Projektarbeit nicht einfach ignoriert werden. Es gehört aber zu den demokratiepolitisch wichtigen Zielen von Schule ohne Rassismus, dass solche Probleme zumindest offen diskutiert werden können und das Projekt auch zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beiträgt. Auch Konflikte, die nicht Rassismus im engeren Sinn betreffen (wie z.B. Sexismus), kamen im Verlauf der Arbeit und der begleitenden Gespräche auf den Tisch und konnten zum Teil durch größere Gesprächsrunden, durch theaterpädagogische Interventionen oder durch den Einsatz von spezialisierten Referent/innen bearbeitet werden.

Wie kann eine Schule eine Schule ohne Rassismus werden?

1. Kontaktaufnahme mit einem der Projektträger
2. Informationsgespräch
3. Entscheidung der Schule, am Projekt teilzunehmen
4. Einrichtung einer Steuergruppe an der Schule bestehend aus Schüler/innen, LehrerInnen und einem/r Vertreter/in des Projektträgers
5. Umsetzung: Mindestens 16 Unterrichtseinheiten und 8 zusätzliche Module pro Klasse und Schuljahr zum Thema Rassismus/Ausgrenzung
6. Präsentation und Verleihung des Zertifikats Schule ohne Rassismus

 

Schluss

Macht antirassistische Arbeit an Schulen überhaupt Sinn? Was bleibt hängen, wenn nach einem Projekt die Normalität des Schulalltages wieder einsetzt? Um das herauszufinden wäre eine begleitende Evaluation antirassistischer Projekte wünschenswert. Dies ist allerdings bei den zur Verfügung stehenden Mitteln illusorisch. Inzwischen kann nur eines gesagt werden: Punktuell ist es sicher möglich, Jugendliche zu konkretem Handeln zu motivieren oder zumindest eine Immunisierung gegen rassistische Propaganda zu erreichen. Wenn sich allerdings herrschende Politik und Gesetze nicht ändern, bleiben antirassistische Schulprojekte der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißem Stein.

© Herbert Langthaler (asylkoordination österreich)


LITERATUR

Aluffi-Pentini, Anna u.a. (Hg.): Antirassistische Pädagogik. Theorie und Praxis. Klagenfurt/Celovec 1999

Himmelbauer, Markus: Antirassistische Pädagogik. Das Beispiel des "Infobus Miteinander Leben" und seine Konsequenzen für den Religionsunterricht. Dissertation Universität Salzburg 1996

Kalpaka, Anita und Räthzel, Nora (Hg.): Die Schwierigkeit nicht rassistisch zu sein. Leer 1990

Cohen, Philip: Verbotene Spiele. Theorie und Praxis antirassistischer Erziehung. Hamburg 1992

BGbl. II Nr. 134/2000 Der neue Lehrplan für die Hauptschule.


8.1. Intercultural Education

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For quotation purposes:
Herbert Langthaler (asylkoordination österreich): Antirassistische Pädagogik in Österreich: Später Paradigmenwechsel. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/08_1/langthaler15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 25.8.2004     INST