Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | August 2004 | |
10.3. Kunst und neue Medien Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Ursula Frohne (Bremen, Deutschland) [BIO]
www.iu-bremen.de/directory/faculty/00414/
Das Leben im normal gewordenen Ausnahmezustand ist das bloße Leben, das die Lebensformen in allen Bereichen von ihrem Zusammenhalt in einer Lebens-Form scheidet. Giorgio Agamben |
Als ein globales Medium wird das Internet allgemein als universales, die politischen und kulturellen Grenzen überschreitendes Kommunikationsmittel betrachtet. Potentiell eröffnet es einen unbegrenzten fluktuierenden Raum der Vernetzung und Interaktion, der seiner Struktur nach dezentral, unhierarchisch, transmedial, interkulturell und diskursiv zum Inbegriff post-nationalen Denkens geworden ist. Zweifellos ist das Internet ein ideales Instrument globalen Wissenstransfers, das einen wesentlichen Beitrag zur Anschlussfähigkeit benachteiligter Gruppierungen sowohl bildungspolitisch als auch ökonomisch zu leisten vermag. Als einer seiner ersten und emphatischen Fürsprecher hat Nicholas Negroponte einst die griffige Formel "only connect" geprägt, die sich weiterhin als eine der gängigsten Werbefloskeln konkurrierender Online-Anbieter bewährt. Damals wie heute steht diese vielversprechende Aufforderung, sich durch das Einklinken ins Netzwerk zum Mitglied der digitalen Kommunikationsgemeinschaft zu machen, für die utopische Vision der Transformationspotentiale, die durch die Nutzung digitaler Medien und insbesondere des Internets zur Grundausstattung beruflichen Erfolgs und zum unentbehrlichen Surplus aller Facetten des Alltagslebens geworden sind. Diese prinzipiell optimistische Rhetorik, die von humanistischen Vorstellungen und einem universalen Demokratisierungsgedanken geprägt ist, gehört zu den Charakteristika der internationalen Internet-Kultur. Weltweit unterstellt man den medialen Fusionen via Internet, dass sie neue Foren politischer und kultureller Zusammenarbeit und Emanzipation schaffen, öffentliche Diskurse fördern und gewissermaßen per se neue Dynamiken und Strategien der Partizipation generieren, mit denen die Zivilgesellschaft die Handlungsfähigkeit und den Aktionsrahmen ihrer Mitglieder erweitert. Das Ideal der Gleichheit, das die soziale, politische, nationale und ideologische Grenzüberschreitung anstrebt, scheint innerhalb der virtuellen Gemeinschaft im Cyberspace in greifbare Nähe gerückt und den medialen Bedingungen des Internets und dessen Nutzung inhärent.
Als Verfechterinnen solcher utopischer Gründerzeitvisionen sei an Donna Haraway und Sadie Plant als zwei der artikuliertesten Stimmen im Chor der Netzwerk-OptimistInnen erinnert, die den imaginären Raum des Cyberspace als strategisches Forum einer sozialistisch-feministischen Kultur auffassten. In ihren frühen Manifesten projizierten sie bereits Ende der 80er Jahre neue Lebens- und Interaktionsmodelle auf das Internet als eine Sphäre, in der das Individuum von den Grenzen der Geschlechteridentität befreit, alternative Identitäten erproben kann und technologische Komponenten mit menschlichen Eigenschaften unter dem Vorzeichen von Vergnügen (pleasure) und der Deregulierung (confusion) von herrschenden Identitätsvorstellungen in neuen mobilen, polymorphen und experimentellen Simulationen kombiniert. Haraway und Plant entdeckten in den rhizomatischen Strukturen elektronischer Technologien und Medienvernetzung sowohl theoretisch als auch praktisch spezifisch weibliche Arbeits- und Kommunikationsformen, die ihre Nutzerinnen in die Lage versetzen sollten, patriarchale Interessen durch strategische Interventionen zu unterlaufen. Im Cyberspace, so die Grundannahme der dissidenten Nutzerinnen, lässt sich ein Netzwerk von hierarchiefreien Diskursen errichten, in dem sich Kommunikation und Interaktion konkret in der Bildung von Interessengemeinschaften außerhalb etablierter Normen verwirklicht. Im Rückblick auf diese optimistischen Spekulationen der frühen 1990er Jahre zeigt sich exakt zehn Jahre nach Öffnung des Internets für die öffentliche Nutzung und einer parallelen Intensivierung der Mobilität durch Migration und Partizipation an virtuellen, weltumspannenden Prozessen, dass weiterhin Grenzziehungen und Sicherheitssysteme, sowohl die realen Orte als auch den Kommunikationsfluss in den virtuellen Medien kontrollieren. Obwohl Individuen immer weniger an einen Ort in geografischem und kulturellem Sinne gebunden sind, entstehen Demarkationslinien und Korridore, die den physischen ebenso wie den virtuellen globalen Transit regulieren.
Solche Phänomene machen sich in der Makrostruktur globaler Fluktuationen und Umverteilungen ebenso bemerkbar wie auf der Mikroebene der individuellen Lebensbedingungen. Sie verlangen nach einer Thematisierung der Machtstrukturen, die von der universellen Durchlässigkeit des WorldWideWeb schon überwunden schienen, die sich in Realität aber nur verlagert haben und neue Ebenen des Zusammenspiels von Geografie, Kommunikation, und Kapitalisierung entfalten. Besondere Bedeutung haben dabei Konzepte wie Grenze, Verbindung, Anschluss (connectivity) und Ausschluss (disconnected). Vom weltweiten Anwachsen der Gated Communities in den Industrienationen bis hin zum Sexual Trafficking, bei dem das Internet eine wesentliche Vermittlerrolle übernimmt, hat der Einsatz elektronischer Medien eine Vielzahl virtueller und konkreter Transitzonen geschaffen, in denen Kategorien von Gender und Ethnizitäten gerade in den transnationalen Repräsentationsräumen ständig reproduziert und reguliert - und nicht wie von den Utopistinnen des Cyberspace im Sinne emanzipatorischer Prozesse de-reguliert - werden. Räumliches und geografisches Denken hat im Sinne kartografischer Verfahren, im Sinne eines "Mapping" in der Postmoderne an Bedeutung gewonnen und ist im Zuge der Globalisierung zu einem zentralen Analyseinstrument von Verschiebungen und Transformationen geworden. In meiner Untersuchung geht es um ein "Re-Mapping", also um eine Neuvermessung des Cyberspace und eine Analyse der Antinomien, die durch die materiellen Einschreibungen der tatsächlichen Grenzziehungen in das geografische Terrain sichtbar werden.
Wie nicht zuletzt der Börseneinbruch der E-Aktien in den letzten Jahren gezeigt hat, sind gerade die neuen Technologien ein Musterbeispiel für das Ausspähen von Ressourcen in Verbindung mit der Ausbeutung billiger Arbeitskraft in den Randregionen der Industrienationen. Grenzüberschreitungen erweisen sich in diesem Kontext nicht nur als positive Kategorie, sondern im Sinne ständiger Profitsteigerung durch die Auslagerung von Produktionsschritten in die lohngeringeren Nationen sind sie auch Kennzeichen strategischer Kapitalverlagerungen. In den ökonomisch benachteiligten Regionen macht sich die technologische Revolution folglich auf ganz andere Weise bemerkbar, wenngleich nicht weniger nachhaltig als in den Industrienationen, wie beispielsweise Ursula Biemann in ihren Video-Essays mit Blick auf die High-Tech-Industrie an der amerikanisch-mexikanischen Grenze thematisiert oder das aus Delhi stammende Raqs Media Collective in seinen Installationen, die sich u.a. mit den dislozierten Arbeitsbedingungen von Data-Agents befassen. Diese wachsende Branche weltweit interagierender Online-ArbeiterInnen bildet die neue Form des digitalen Proletariats, das mit Hilfe der elektronischen Medien - beispielsweise in einem Call-Center in Indien, wo Fragen amerikanischer Kunden beantwortet werden oder Gefängnisinsassen in den USA, die telefonische Auskünfte für einen Stundenlohn von weniger als einem Dollar im Akkord vermitteln - neue Existenzformen an der Peripherie der kapitalintensiven Nationen erprobt. In diesen post-humanen Korridoren und transnationalen Freihandelszonen der neuen Ökonomie unterliegen nicht nur die basalen Lebenskonstellationen einem gravierenden Wandel, sondern auch die menschlichen Grundrechte erweisen sich als tendenziell geltungslos wie Giorgio Agambens Theorie des "homo sacer" reflektiert. Foucaults Forschung zu den subjektiven und politischen Techniken der Macht fortführend schreibt Agamben über die modernen Formen der "Ausnahmebeziehung", die er als "äußerste Form der Beziehung" bezeichnet. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie "etwas einzig durch seine Ausschließung einschließt." Diese Phänomene einer Ununterscheidbarkeit zwischen Exteriorität und Interiorität sind Kennzeichen moderner Biopolitik. Jenseits geopolitischer Grenzziehungen entstehen zwischen, oder besser inmitten der Online und Offline-Zonen einer globalisierten Ökonomie neue Identitäten, deren Lebenskonstellationen das Resultat von Machtverhältnissen sind, die auch im virtuellen Raum Nischen jener von Agamben aufgezeigten Dichotomie bilden. Im Schatten einer zunehmend weltumspannenden Kommunikationskultur entstehen neue Regionen des Ausschlusses und der ex-territorialen Internierung, die in rechtsfreien Zonen längst überwunden geglaubte Strukturen re-manifestieren, was derzeit wohl am eindringlichsten durch die Verschleppung der Gefangenen aus Afghanistan nach Guatanamo Bay belegt ist.
Der Status des legalisierten Bürgers repräsentiert nicht länger die aktuellen Lebensbedingungen eines Großteils der Weltbevölkerung. Auch die kulturellen ProduzentInnen, zu denen ich auch wissenschaftlich Arbeitende wie mich selbst zähle, gehören zu der wachsenden Gruppe derjenigen, die, um einen Ausdruck von James Clifford zu zitieren, in einer "Transit Lounge" arbeiten und logieren. Sie befassen sich in ihren Projekten mit Orten, die nicht nur durch die Menschen geprägt sind, die dort ihre kulturellen Wurzeln haben, sondern unterschiedlichen Bewegungsströmen folgend, in transnationalen, transkulturellen und ex-territorialen Zonen ihre lebenstechnischen Praktiken ausführen. Wie aber hängt die Umwälzung unserer Vorstellungen und Begriffe von Ort und Lokalität, die von der Mobilität der Subjekte im Rahmen globaler Migrationsbewegungen geprägt sind, mit der "technologischen Geografie" des Cyberspace zusammen? An welchen Punkten berühren sich die menschlichen Navigationsrouten im materiellen und elektronischen Terrain und welche sozialen Bedingungen erwachsen aus diesen virtuellen und realen Verschmelzungsregionen beider Räume zu einer globalen Geografie der Mobilität?
Der digitale Raum, der Cyberspace (virtueller Raum) und der analoge Raum sind keinesfalls neutral, sondern ebenso "soziale Kategorien", wie Henri Lefèbvre analysiert, im Sinne einer Verräumlichung sozialer Beziehungen und politischer Verhältnisse. Raum unterliegt also der Produktion, indem Subjektivität und Repräsentation sich miteinander verbinden und einen Ort materialisieren. Die Erwartung, dass der Raum klar, durchschaubar und Handlungen freie Bahn gebend ist, bleibt eine Illusion. Erst diese Illusion der Transparenz - die Lefèbvre heraus gearbeitet hat - naturalisiert die Wissens- und Machtverhältnisse zwischen den Subjekten und trägt somit zu hegemonialen Systemen und der hierarchischen Ordnung des Wissens bei. Das WorldWideWeb mit seinem Anspruch der pluralistischen Interaktion durch globale Vernetzung und den ständig sich umorganisierenden Kommunikations-Feldern zeigt, dass der Raum in einem ständigen Prozess der Herstellung und Verhandlung begriffen ist. Meine Überlegungen befassen sich daher mit den blinden Flecken der vermeintlich unbegrenzten Kartographie des Cyberspace und versuchen anhand der Video-Essays von Ursula Biemann die Geografien, Topografien und Grenzregionen dieses virtuellen Raumes beispielhaft beleuchten. Die utopische Verheißung "ein Netzwerk, eine Welt" negiert den Ausschluss der nicht vernetzten Nationen und Gruppierungen aus dem globalen Kommunikationssystem.
Folgt man den kritischen Überlegungen der Ökonomin und Soziologin Saskia Sassen hinsichtlich der Entwicklung und den Attributen ihrer globalen Expansionsbewegung, so wird deutlich, dass Vorstellungen von den subversiven Funktionen des Internets sich maßgeblich noch aus der frühen Phase dieses neuen Mediums rekrutieren. Die bis in die Gegenwart kolportierte Rhetorik einer allumfassenden Vernetzungsutopie geht in erster Linie zurück auf die Praktiken einer alternativen Hacker-Szene, die zu Anfang der 1990er Jahre die Diskussionen um die damals noch unerkannten und relativ unausgeschöpften Nutzungsmöglichkeiten des ursprünglich militärischen Entwicklungszusammenhang des Internets anführten. Sie traten für eine radikale Dezentralisierung des Mediums ein und boten Software-Programme an, die den freien und anonymen Netzzugang künftiger User garantieren sollten. Auch Künstler wie der Amerikaner Paul Garrin schlossen sich dieser Interessenvertretung an. Sein Versuch, Mitte der 1990er Jahre, in einem durch mehrere Instanzen geführten Prozess die Freigabe der User-Domains gegen die kommerziellen Interessen der Provider zugunsten der Nutzer durchzusetzen, scheiterte bezeichnenderweise an den politisch-ökonomischen Interessen des Konzernlobbyismus, was Garrin an den Rand des existentiellen Ruins brachte.
Grenzüberschreitungen sind daher nicht nur positiv belegt, sondern im Sinne ständiger Profitsteigerung durch die Auslagerung von Produktionsschritten in die lohngeringeren Nationen auch Kennzeichen strategischer Kapitalverlagerungen. In den ökonomisch benachteiligten Regionen macht sich die technologische Revolution folglich auf ganz andere Weise bemerkbar, wenngleich nicht weniger nachhaltig als in den Industrienationen, wie Ursula Biemann in ihrem ersten Video-Essay "Performing the Border" (1999) eindrucksvoll thematisiert. So konzentriert sich die Produktion der Maschinen, die den Cyberspace technisch erst möglich machen in den mexikanischen Grenzorten entlang des Rio Grande, in Nachbarschaft der US-Stadt El Paso. In diesen US-amerikanisch geführten Maquiladoras arbeiten vor allem junge Frauen, die zu Hunderten aus den ländlichen Regionen Mexicos an die Fließbänder der High-Tech-Industrie der US-Großkonzerne strömen, unter extremen Bedingungen. Während die arbeitsintensiveren Betriebe auf der mexikanischen Seite angesiedelt sind, befinden sich die kapitalintensiven Zweige der Kommunikationsindustrie jenseits der Grenze, auf dem Boden der Vereinigten Staaten. Biemanns Video setzt sich mit den existentiellen Aspekten der Grenze als ein metaphorischer und konkreter Ort der Ausbeutung auseinander. Die Grenze bestimmt das Leben der Frauen in dieser Region, die unter den Bedingungen der Massenbeschäftigung einen radikalen Wandel der Sozialstrukturen erlitt und Auswirkungen auf Identität, Sexualität und eine zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Frauen in einem Land bewirkt hat, in denen die Machtverhältnisse entlang der traditionellen Gender-Rollen definiert sind. Im Kontext der neuen internationalen Arbeitsteilung formiert sich eine "Technologie der Geschlechter", wie die Theoretikerin Teresa de Lauretis bemerkt, die einsteht für "die ständige Rekonstruktion der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, für die Konsolidierung der Macht, Subjektivität und Identität in einer Welt der Cyborgs." Die neuen Technologien sind von diesen Bedingungen nicht ausgeschlossen, sondern, wie Biemanns Video zeigt, manifestieren sie diese regional, da diejenigen, die unter Einsatz ihrer körperlichen Arbeitskraft die technologischen Komponenten der neuen Kommunikationsmittel herstellen, gerade nicht zur Gruppe der Nutzer gehören, deren "Ermächtigung" durch das Internet so hartnäckig beschworen wird.
Jedes Einwählen in den Cyberspace gleicht folglich einer digitalen Grenzüberschreitung, die ebenso ethnografisch wie sozial kodiert ist; den Netscape ebenso mit den Bedingungen des generellen Einschlusses und potentiellen Ausschlusses belegt wie den realen Raum. Dies gilt ebenso für die Segmentierungen innerhalb des virtuellen Raumes, in dem Informationen und Individuen zirkulieren, die sich zu virtuellen Gemeinschaften verbinden, die wiederum nach Identitätsbildern und Interessen gruppiert sind. In dem Maße aber, wie sich die Kommunikationsintensität dieser unterschiedlichen Fraktionen im Netz ausbreiten und an kultureller und gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen, sind sie effektiv an der Marginalisierung derjenigen beteiligt, die außerhalb dieser inklusiven Netzpraktiken existieren. So sehr das Netz eine Matrix weltweiter Verbindung bzw. ihrer kulturellen Konsequenzen bildet und als magischer Korridor gehandelt wird, durch den sich immer mehr User in die scheinbar grenzenlose Sphäre freier Identitätswahl und Interaktion aufmachen, so sehr entpuppt sich die soziale Wirklichkeit der Nichtvernetzten, die im Cyberspace nicht vorkommen, als blinder Fleck der liberalen Netzgemeinschaft.
Das revolutionäre Pathos, mit dem der Cyberspace zum Inbegriff einer neuen Ära der Dezentralisierung von Macht und globaler Demokratisierung erhoben wurde, erweist sich in seiner bis heute nahezu ungebrochenen Affirmationshaltung als nostalgische Zukunftsprojektion, die davon profitiert, dass häufig in Fixierung auf die technischen Optimierungsmöglichkeiten die sozial-politischen Voraussetzungen ausgeblendet werden. Die heutige Realität sieht anders aus und steht in deutlichem Kontrast zu den Pioniertaten an der in den Anfängen des Mediums noch offenen "new frontier", die der Cyberspace zu Beginn der neunziger Jahre symbolisch verkörperte: Zunehmend ähnelt das Netz einem Schlachtfeld konfligierender Machtinteressen und massiver Segmentierungsbemühungen, sowohl auf der Seite der Telekommunikationsindustrie als auch auf der Seite der User, die sich ihrerseits in unterschiedlichen Fraktionen organisieren. Saskia Sassens Analyse der Netzwerkentwicklungen in Synchronisation mit den übergreifenden Globalisierungsphänomenen belegt, "daß der elektronische Raum nicht nur ein Kommunikationsmittel darstellt, sondern auch zum zentralen Schauplatz von Kapitalakkumulation und der Kapitaleinsätze des globalen Marktes geworden ist."(1) Insofern erweist sich der Cyberspace als utopische Projektionsfläche für Vorstellungen von einem universellen grenzenlosen Raum der "romantischen Flucht vor Unterdrückung und Armut", der de facto aber ein ökonomisch begehrtes Territorium darstellt, das unter der Übermacht der hierarchisierenden Interessen der Konzerne eine Umwälzung seiner charakteristischen operativen Strukturen innerhalb nur weniger Jahre durchlaufen hat. Das Ausagieren der rivalisierenden Marktinteressen, die auf der Seite der Anbieter immer aggressiver verfolgt werden, indem sie durch den kostenfreien Zugang zum Internet Abhängigkeiten auf der Nutzerseite schaffen und hierdurch noch effizienter die Kontrolle, Privatisierung und Kommerzialisierung vorantreiben, lässt keinen Zweifel daran, dass die virtuellen Bedingungen im vernetzten Raum zunehmend von realen Kapitalinteressen eingeholt und diesen bedingungslos unterworfen werden.
So sehr das Internet eine Matrix weltweiter Verbindung bzw. ihrer kulturellen Konsequenzen bildet und als magischer Korridor gehandelt wird, durch den sich immer mehr User in die scheinbar grenzenlose Sphäre freier Identitätswahl und Interaktion aufmachen, so sehr entpuppt sich die soziale Wirklichkeit der Nichtvernetzten, die im Cyberspace nicht vorkommen, als blinder Fleck einer (neo-)liberalen Netzgemeinschaft. Aus dieser Problematik der Sichtbarkeit/Angeschlossenen bzw. Unsichtbarkeit/Ausgeschlossenen und Nicht-Repräsentation ergeben sich Fragen nach den ideologischen Bedingungen eines Netzwerkes, das als Repräsentationsebene "einer Welt" wahrgenommen und genutzt wird. So wird zu fragen sein, in wie weit sich Ausschlusspraktiken womöglich durch die zunehmende Schnelligkeit des Informationsflusses und die Kapitalumverteilungen via Internet als eine der wichtigsten Quellen globaler Machtkonzentration intensivieren und die Kluft zwischen den Angeschlossenen und Ausgeschlossenen vergrößert. Sind Tendenzen wie diese nicht der eigentlich markante Charakterzug einer Globalisierungsbewegung, die ihrem Wesen nach nur eine andere Spielart der absoluten Verwestlichung der Welt darstellt? Vielleicht können künstlerische Simulationsmodelle dazu beitragen, Alternativen aufzuzeigen, die sich von dogmatischen Anti-Globalisierungskampagnen unterscheiden, indem sie brauchbare Handlungsmodelle zur Integration und Partizipation durch neue Medien entwickeln.
© Ursula Frohne (Bremen, Deutschland)
ANMERKUNG
(1) Siehe Saskia Sassen, "Digitale Netzwerke und Macht". In: Globalisierung und Demokratie. Hrsg. Von Hauke Brunkhorst und Matthias Kettner, Frankfurt am Main 2000, S. 330-346, hier S. 330.
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