Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Ein Gemeinsames der Kulturen: Die Sprache

Peter Horn (INST/University of Cape Town)

 

Ich freue mich, Sie alle hier im Namen des Instituts zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse bei der Konferenz "Das Verbindende der Kulturen" in Wien begrüßen zu dürfen. Mit dieser Konferenz setzt das INST seine wichtige Rolle in transnationalen Prozessen fort. Ich verweise auf die Übergabe einer Resolution an die damalige EU-Kommissarin Edith Cresson 1996, unser Auftreten vor dem Kulturausschuss des Europäischen Parlaments 1998 und 2001, unsere Mitarbeit an dem UNESCO-Buch "Knowledge for Sustainable Development" 2002 (der Encyclopedia of Life Support Systems). Nach Jahren intensiver Vorbereitungen durch rund 100 SektionsleiterInnen und die Co-Koordinatoren Prof. DI Jeff Bernard (Wien), Univ. Prof.Dr. Anil Bhatti (New Delhi), Univ. Prof. Dr. Gerhard Fröhlich (Linz), Univ. Prof. Dr. David Simo (Yaounde), die ÜbersetzerInnen Univ. Prof. Dr. Donald G. Daviau (Riverside/Wien), Univ. Prof. Dr. Gertrude Durusoy (Izmir) und den Wiss.Dir. Dr. Herbert Arlt, ist es endlich so weit.

Der Konferenz , die als offene Plattform gedacht ist, ging eine Vorbereitung voraus, in der wir über das Internet eine einmalige Kommunikationsstruktur benutzen konnten, in der die SektionsleiterInnen eine entscheidende Rolle spielten. Offene Plattform heißt ein Versuch, das zu verwirklichen, was Anil Bhatti 2001 kommunikative Toleranz genannt hat, der Versuch eines wirklichen multikulturellen Polylogs. Ich danke Ihnen allen, daß Sie den weiten Weg nicht gescheut haben, um an dieser wichtigen Konferenz teilzunehmen, und ich hoffe, daß Sie am Ende der Konferenz mit neuen Ideen und neuen fruchtbaren Kontakten nach Hause gehen werden.

Das Kernelement dieser Konferenz ist daher die Kommunikation, und daher möchte ich die Konferenz auch mit Reflexionen über ein zentrales Elementes der Kommunikation beginnen. Was alle Menschen gemeinsam haben, was alle Kulturen verbindet, ist die Tatsache, daß wir sprechen können. Zwar trennt uns die Tatsache, daß alle Kulturen verschiedene Sprachen sprechen, aber wir können die Sprache der anderen lernen. Zwar zeigt uns die Sprachwissenschaft, daß jede Sprache auch eine ganz eigene Form des Denkens enthält, und daß Sprachen nicht ohne weiteres übersetzt werden können, aber trotz Whorf: auch eine Sprache, die ganz anders denkt als meine kann ich lernen. Wenn das nicht so wäre, dann hätte Whorf ja nicht einmal beweisen können, daß die andere Sprache ein anderes Denksystem enthält, denn er hätte sie prinzipiell nicht verstehen können.

Auch dann, wenn wir eine der großen Weltsprachen - Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch, Arabisch oder Deutsch - als lingua franca benutzen, um uns über die Sprachverschiedenheiten hinweg zu verständigen, da ja niemand all die tausenden Sprachen lernen kann, die auf der Welt gesprochen werden, denken wir oft noch in unserer eigenen Sprache, und das, was wir sagen, klingt unserem Gesprächspartner eigenartig, fremd, ja unverständlich. Ein Kongreß wie dieser konfrontiert uns also mit Sprach- und Denksystemen aller Art, auch wenn wir scheinbar eine gemeinsame Sprache sprechen, die wir alle verstehen.

Wir sprechen alle nicht die gleiche Sprache, selbst dann, wenn wir die 'gleiche' Sprache sprechen. Das trifft noch verschärft zu, wenn wir uns im Zuge der Globalisierung in einer der 'Weltsprachen' als gemeinsamer lingua franca verständigen. Die jeweils lokalen Dialekte des Englischen z.B. sind oft kaum untereinander verständlich, und das nicht nur wegen der differierenden Phonologie, sondern vor allem auch wegen der Semantik, die sich je kulturell verschieden der 'gleichen' Wörter bedient. Als "fremd" wird dann oft empfunden, was auf den ersten Blick als "eigen" erscheint.

Das Problem der Über-Setzung ist nicht in erster Linie ein technisch-terminologisches, linguistisch-begriffliches Problem. Es handelt sich um eine politische Frage, d.h. eine Frage, die von den Machtverhältnissen abhängt, wobei es für den einen Teil um die Fähigkeit geht, sich durchzusetzen, für den anderen um den Zwang, sich anzupassen. Was richtiges Englisch ist, wird in London und New York bestimmt, was richtiges Französisch ist, in Paris, und wenn man in Neu Dehli oder Kapstadt oder Yaounde lebt, ist man gehalten, sich an diese "Richtigkeit" zu halten, wenn man verstanden werden will. Die Globalsprachen können nötigenfalls Ideen und Ausdrücke der Peripherie entlehnen, sie müssen aber in ihr eigenes Begriffsfeld passen. Um Mythen, Verwandtschaftslinien, Codes der Aggression oder der Selbstverteidigung zu verstehen, erarbeitet der Theoretiker zuerst einen begrifflichen Bezugspunkt, dem er alles unterordnet, auch die entlehnte Terminologie - aber: könnte er denn anders, da doch schon seine Verstehensmittel dafür konstitutiv sind.

Übersetzung ist in erster Linie eine Übung in Bescheidenheit. Während Wissenschaft Gewißheiten haben will, ist Übersetzung eine Kunst. Es geht ihr nicht um Bedeutungen als ein Ziel an sich, sondern um Möglichkeiten, Bedeutungen aus einer Sprache in eine andere zu transportieren - auf den öffentlichen Verkehrsmitteln der Metaphern. Wo uns das nicht gelingt, wo unsere Übersetzung "keinen Sinn" ergibt, kann es zur Aggression, zum Krieg kommen. "Mißverständnisse" passieren nicht einfach - sie werden oft bewußt produziert, um interkulturelle und interreligiöse Konflikte zu legitimieren. Penka Angelova z.B. hat sich mit solchen Geschichtskonstruktionen beschäftigt. Das Europäische Parlament ist sich durchaus bewußt, daß solche Mißverständnisse tragische und manchmal weltweite Folgen haben kann. Interkultureller Dialog ist zwar kein Allheilmittel, wenn man Konflikte vermeiden will, aber Kultur ist doch ein wichtiger Faktor.

Wir sind heute immer in eine Spannung eingebunden, die Simo als Lokalität und Globalität verortet hat, ob wir nun im selbsternannten Zentrum leben oder an den Rändern der Welt, in der Arktis oder der Karoo, ob wir Bürger der Vereinigten Staaten oder Slowenen oder Buschleute in Botswana sind.

Die Frage ist, ob wir in dieser Situation, in der wir miteinander sprechen müssen, auch sprechen wollen - den anderen verstehen wollen, oder ob es bequemer ist, die anderen als "fremd" und "unverständlich" zu sehen. Ob Hermeneutik als Methode dazu ausreicht, oder eine neue Nicht-Hermeneutik der Schlüssel ist, wie Anil Bhatti meinte, ist zu diskutieren.

Auch kulturelle Güter unterliegen einer Ökonomie, doch verfügt diese über ihre eigene Logik. Wenn wir dennoch von einer Art kulturellem Kapital sprechen, das, da ungleich verteilt, automatisch Distinktionsgewinne abwirft, müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß wir metaphorisch sprechen. Analogien sind nicht zu übersehen: Das Modell reiner und vollständiger Konkurrenz ist hier wie anderswo gleichermaßen irreal: Auch der Markt für symbolische Güter weist seine Monopole und Herrschaftsstrukturen auf.

Dennoch ist die Struktur der symbolischen Kräfteverhältnisse nicht einfach gleichzusetzen mit oder linear abhängig von der Struktur der politischen oder ökonomischen Kräfteverhältnisse. Im Grunde weiß das die koloniale und die postkoloniale Macht auch ganz genau: ständig steht ihr das Schreckbild der "Schurkenstaaten" vor Augen, ständig ertönt der Ruf "Die Barbaren kommen". Und ständig versucht man das "wilde Denken" der "Eingeborenen" zu verstehen, und weiß doch, daß man es nicht versteht.

Eben um jenes "wilde Denken" zu "verstehen" braucht die Macht die Ethnologen, die Kulturwissenschaftler des "Fremden", die sich unter Berufung auf die Tugenden der wissenschaftlichen Distanz als unparteiische Beobachter empfinden, eine Distanz, die dazu verführt, jede Realität und jede Praxis, einschließlich seiner eigenen, wie ein Schauspiel zu erfassen. Allerdings befinden sich die Ethnologen in der Lage eines Reisenden, der ein Land anhand einer Landkarte zu erforschen versucht, und der, da ihm die praktische Beherrschung fehlt, die allein der Einheimische aufweist, mittels eines Modells aller möglichen Wegstrecken das ihm zur Orientierung Fehlende sich hinzudenkt.

Die besondere Beziehung, die der Ethnologe mit seinem Gegenstand unterhält, schließt in dem Maße auch die Möglichkeit einer theoretischen Verzerrung ein, wie ihn seine Stellung als Dechiffreur und Interpret zu einer hermeneutischen Repräsentation der gesellschaftlichen Praxisformen neigen läßt, die dazu verführt, alle gesellschaftlichen Beziehungen auf solche der Kommunikation und alle Interaktionen auf symbolische Tauschbeziehungen zu reduzieren.

Am Beispiel von linguistischen Forschungen, hat man zu bedenken gegeben, daß sie, je nachdem, ob sie sich der Muttersprache oder fremden Sprachen zuwenden, unterschiedliche Wege einschlagen, und im weiteren den Hang zum Intellektualismus hervorgehoben, der darin impliziert ist, Sprache vom Standpunkt des hörenden statt des sprechenden Subjekts, d. h. als Decodierungsinstrument statt als "Handlungs- und Ausdrucksmittel" verstehen zu wollen. Solange er die Beschränkungen ignoriert, die seiner Perspektive auf den Gegenstand innewohnen, verurteilt sich der Ethnologe dazu, im günstigsten Fall eine "Rolle" zu erfassen, d. h. ein vorbestimmtes Programm aus Diskursen und Handlungen.

Sprache als Handlungsmittel funktioniert entweder auf der Ebene der Strategien (z.B. einer Epistemologie, die von vornherein festlegt, worüber wie gesprochen werden darf) oder auf der Ebene der Taktik, die alle solchen "Vor-Urteile" zu unterlaufen versucht. Wo der Stärkere Strategien einsetzen kann, den großen Plan, der alles umfaßt, greift der Schwächere auf die Taktik zurück, wie schon Clausewitz bemerkt hat. Je größer eine Macht ist, desto weniger kann sie es sich leisten, Teile ihrer Mittel in den Dienst der Täuschung zu stellen, denn es ist gefährlich, große Kräfte nur zum Schein zu entfalten. Macht braucht Sichtbarkeit. Wie der Witz (der ja auch den Schwächeren zugeschrieben wird) ein Taschenspielertrick im Bezug auf Ideen ist, so ist die Taktik ein Trick im Hinblick auf Taten. Beiden gemeinsam ist der Effekt der Überraschung. Die Kunst des Tricks beruht auf einer Fähigkeit, die Gelegenheit zu ergreifen. Freud hat anhand des Witzes gezeigt, daß sie eine Taktik verschiedene Elemente in gewagter Weise in Verbindung zu setzen ist, und daß dies zu einem blitzartigen Erkennen neuer Zusammenhänge führt. Dagegen kann der so (taktisch) Angegriffene sich nur wehren, indem er den Witz als "unanständig", die Taktik der Argumentation als "unwissenschaftlich" oder "unlogisch" zurückweist.

Wir sind als Kulturwissenschaftler, wenn alle den lukrativeren Wissenschaften zuströmen, die von der politischen und ökonomischen Macht honoriert werden, die Schwächeren. Gerade deswegen müssen wir das noch nicht Gedachte als Möglichkeit eines anderen Umgehens miteinander zu denken versuchen. Das sollte am Ende dieser Konferenz in ein Memorandum zu transnationalen Prozessen und kulturwissenschaftlichen Forschungen eingehen, ein Versuch, auf die Kulturpolitik Europas und der UNESCO Einfluß zu nehmen durch noch nicht gedachte Ideen, ein Versuch, einen europäischen und einen weltweiten Forschungsraum zu schaffen. Kultur könnte zu einem der entscheidenden Faktoren des 21. Jahrhunderts werden. Die Voraussetzung dafür ist daher, die Vielfalt nicht nur zu dulden, sondern sie als die Basis für gesellschaftliche Gestaltungen zu nutzen. Eine Kulturwissenschaft, die auf der Basis neuer Methodologien, mit neuen Kooperationsstrukturen die heutigen Prozesse begleitet, wird für die Zukunft unverzichtbar sein. Für die gesellschaftliche Bedeutung der Kultur wird aber auch entscheidend sein, welche Rolle die Kunst spielen kann. Gerade von ihr ist zu erwarten, daß sie wesentlich zur Herausbildung einer humanen Zivilgesellschaft beiträgt.

Lassen Sie mich am Schluß noch all denen danken, die diese Konferenz möglich gemacht haben, und da darf ich vor allem die SektionsleiterInnen, ReferentInnen, KünstlerInnen und unsere MitveranstalterInnen und Förderer hervorheben: Sie zeigen, dass das Verbindende der Kulturen Realität ist.

© Peter Horn (INST/University of Cape Town)

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For quotation purposes:
Peter Horn (INST/University of Cape Town): Ein Gemeinsames der Kulturen: Die Sprache. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/horn15DE.htm

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