Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | November 2003 | |
Plenum | Plenary Session | Séance plénière | DEUTSCH | ENGLISH | FRANCAIS |
Anton Pelinka (Innsbruck)
[BIO]
Ein Versuch in 20 Paragraphen
1. Demokratie wurde als ein Begriff des Staates entwickelt. Von der "polis" in Athen an gab der Begriff der Demokratie dem Staat eine spezifische Ordnung und Regeln: Teilnahme und Mitbestimmung durch alle, die zum "Volk" gehörten in allen Staatsangelegenheiten.
2. Die Definition eines Staates schließt zwei notwendige Elemente ein: Territorium und Bevölkerung. Ein Staat regiert das "Volk" in seinem Territorium "souverän".
3. Genau dieses Verständnis von Souveränität wird aber durch die Realität der Globalisierung geschwächt. Die Ökonomie kennt keine Grenzen - und die Kultur (Medien, Unterhaltung) ebensowenig.
4. Die Globalisierung hat die Bedeutung von Staat und nationaler Souveränität ausgehöhlt. Dadurch hat die Globalisierung die Bedeutung der Demokratie ausgehöhlt, solange der Begriff Demokratie auf der Existenz von traditionellen und souveränen Staaten gegründet ist.
5. Der Niedergang der Vorstellungen von Wohlfahrt, die auf dem Nationalstaat beruhen, ist die Folge dieser Entwicklung. Da der Staat die Macht seiner Souveränität verliert und speziell die Macht die Ökonomie zu kontrollieren, wird der Wohlfahrtsstaat absterben.
6. Der Niedergang des Staats bedeutet einen Niedergang der Demokratie, solange die Demokratie nicht vom Staat gelöst wird - von einem Nationalstaat in dem Sinne einer souveränen Einheit mit völliger (souveräner) Kontrolle über die Bevölkerung und das Territorium.
7. Um die Demokratie zu retten, ist es notwendig, ein post-, trans-, sub- and inter-nationales Verständnis von Demokratie zu entwickeln. Demokratie wird jenseits des Nationalstaats möglich sein - oder Demokratie wird überhaupt nicht mehr möglich sein.
8. Demokratie wird immer einen Konsens über den "Demos" brauchen: wer sind die Menschen, die - direkt oder indirekt - über ihr eigenes Schicksal entscheiden, indem sie als Freie und Gleiche an dem Entscheidungsprozeß teilnehmen. Wer ist eingeschlossen, wer ist ausgeschlossen von dem "Demos"?
9. Demokratie wird immer einen Konsens über die Macht brauchen, die der "Demos" ausüben darf: Was ist Teil des Bereichs der Politik - was ist von der Politik ausgeschlossen? Welche gesellschaftlichen Bereiche sind legitim "politisch" - und welche sind jenseits der Politik?
10. Die gegenwärtige Demokratie ist auf die Macht, die ein eng umschriebenes "Demos" ausüben darf, beschränkt - über einen eng umschriebenen Bereich von Politik und über ein begrenztes Territorium. Um die Demokratie neu zu erfinden, ist es notwendig diese Beschränkungen zu überschreiten.
11. Im Wesen der Demokratie liegt es, daß eine ethnische (oder religiöse) Definition des Volks die Realität widerspiegelt - aber nicht eine Notwendigkeit. "Demos" ist nicht eine von Gott gegebene Natürlichkeit, sondern eine historisch entwickelte kulturelle Sache, die sich ständig weiterentwickelt.
12. Die Entstehung eines "Demos" jenseits der traditionell verstandenen Ethnizitäten widerspricht weder den Prinzipien der Demokratie - noch ist es einfach reines Wunschdenken, wie das Beispiel von Indien und (in einem minderen Maße) die Beispiele der Vereinigten Staaten und Kanadas zeigen.
13. Die Entstehung eines europäischen "Demos", der die noch existierenden traditionellen nationalen Identitäten integriert (und nicht ausschließt) ist eine mögliche - noch nicht existierende - Antwort, die den Begriff einer Demokratie mit eine transnationalen Perspektive zur Verfügung stellt.
14. Die Folge eines europäischen "Demos" wäre eine europäische Demokratie, auf einer transnationalen europäischen Identität begründet, die eine Auswahl politischer Instrumente benutzen könnte, die in den nationalen Demokratien entwickelt wurden, wie es in der europäischen Konvention diskutiert wird.
15. Eine europäische föderale Demokratie wäre das wichtigste Laboratorium für eine transnationale Regierungsform. Ihre Ergebnisse würden die notwendige Erfahrung für die Entwicklung einer globalen demokratischen Regierungsform liefern.
16. Transnationale demokratische Regierungsformen - europäisch, global - ist die einzige Möglichkeit transnationale ökonomische Macht auszubalancieren. Aber transnationale demokratische Regierungsformen können nicht von oben dekretiert werden - sie müssen aus einer weithin akzeptierten Notwendigkeit entstehen, aus dem Interesse der ökonomischen Macht eine politische Macht entgegenzusetzen.
17. Dieses Interesse kann in der Tradition einer "grass-roots" Demokratie artikuliert werden im Begriff einer kommunitären Demokratie und durch die "beste Praxis" von selbstorganisierenden Gesellschaften und Teilgesellschaften, die handeln, ohne auf den Staat zu warten.
18. Kommunitäre Demokratie betont, daß Demokratie jenseits des Staates sowohl Demokratie über als auch unter dem Staat sein kann. Da der Staat immer weniger nichtstaatliche Macht kontrollieren kann, muß Demokratie auf verschiedenen nichtstaatlichen Ebenen etabliert werden.
19. Um die Demokratie der Zukunft zu entwickeln - die nur eine Demokratie sein kann, die sich mehr und mehr vom Nationalstaat löst, müssen die Interessen, die für die Demokratie arbeiten, mit einer Methode des Experiments leben. Da wir kein Vorbild einer nicht-staatlichen Demokratie haben, braucht eine solche Demokratie Zeit, um aus der Erfahrung heraus zu wachsen.
20. Die demokratische Antwort auf die Globalisierung kann nicht sein, auf einem Modell zu beharren, das auf dem Nationalstaat des 18. und 19. Jahrhunderts aufbaut, sondern auf den nicht-, inter-, sub- und transnationalen Bedingungen des 21. Jahrhunderts.
Bibliography
© Anton Pelinka (Innsbruck)
Plenum | Plenary Session | Séance plénière
Inhalt | Table of Contents | Contenu
For quotation purposes:
Anton Pelinka (Innsbruck): Demokratie jenseits des Staates. Über
die (Un-)Möglichkeit einer transnationalen Demokratie. In:
TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No.
15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/pelinka15DE.htm