Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Rassismus und Antirassismus als Verbindendes zwischen den Kulturen

Doron Rabinovici (Wien)

 

Wer wollte es leugnen, Rassismus ist nichts, was auf eine Weltgegend, auf eine Kultur oder Nation beschränkt werden kann. Der Rassismus ist der wahre Beweis der Globalisierung, und diese Tatsache dient zumeist der Rechtfertigung von Ressentiment und Diskriminierung. Woanders wäre es doch auch nicht besser, versetzen dann jene, die nichts wissen wollen von den Unerträglichkeiten, die vor ihrer Nase geschehen. Ob ich denn glaube, werde ich gefragt, dieses Land sei das rassistischste der Welt. Dann wird auf das Unrecht im Ausland verwiesen. Rassismus ist keine so sportliche Disziplin, daß darin internationale Wettbewerbe, Olympiaden des Hasses, abgehalten werden sollten.

Rassismus ist die Biologisierung des Sozialen, aber gemieden wird heute eine Wortwahl, die an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnert, von Kultur wird gesprochen, als wäre sie eine biologische, genetische, naturgegebene Konstante. Das Wort "Fremdenangst" verschleiert hierbei mehr als es enthüllt. Wie fremd ist etwa eine Enkelin türkischer Migranten, die in Deutschland geboren wurde? Hat zudem ein Skinhead Angst vor ihr, wenn er sie niederschlägt, oder ist es nicht eher sie, die blanke Angst haben muß vor ihm? Das Gerede von der Xenophobie und von der Toleranz vertuscht, worum es geht. Über Rassismus gilt es zu sprechen, über jene Gesinnung, die gegen Zuwanderer hetzt, doch ebenso über eine Geschäftspraxis, die Migranten schätzt, solange sie von ihrer Rechtlosigkeit profitieren kann.

Das Konzept vom Fremden unterscheidet zwischen Inländern und Staatsangehörigen, trennt Bodenständige von Eingebürgerten und gar Einheimische von hier Geborenen, deren Geburtsland nicht ihre Heimat sein soll. Es verhext den Staat, verwandelt ihn in ein Spukreich, wo Angst herrscht vor Menschen, die unter uns leben wie Gespenster. Die Ausgegrenzten, Papierlosen sind es, die im Schattenreich der Angst leben. Sie dürfen nicht auffallen, ihre Zimmer liegen im Dunkel des Souterrain, ihre Kinder haben im Park leise zu spielen, ihre Sprache muß verstummen, ihre Speisen dürfen keinen Geruch hinterlassen. Die sogenannten Illegalen sind Schemen unseres Wohlstands, sind Unsichtbare.

Selbst jene, die sich nach einem sogenannt echten Österreich sehnen, können und wollen darin ohne Dasein der Zugewanderten keine Sekunde leben. Das Konstrukt des echten Österreich ist ein Wolkenkuckucksheim, ein wackliges Geistergebäude in den Lüften, das auf nichts ruht außer auf der Ohnmacht, der Langmut, und dem Fleiß jener vielen, die hier zuhause, aber nicht daheim sein dürfen.

Vor Fremden wird seit Jahren gewarnt, ja vor einer Flut des Fremden. 1993 wurde "Überfremdung" in Deutschland zum Unwort des Jahres erklärt, doch 1999 konnte mit dem Slogan "Stop der Überfremdung" in Österreich ein erfolgreicher Wahlkampf geführt werden. Das Wort Überfremdung ist kaum übersetzbar, denn das Deutsche kennt nicht die Differenzierungen des Englischen, Italienischen oder Spanischen zwischen dem Unbekannten und dem Ausländer, zwischen dem "stranger" und dem "foreigner". In den anderen Sprachen schwingt nicht mit, was das Deutsche meint, wenn es davon redet, irgendetwas sei so fremd, daß einem ganz eigen werde. Vor Fremden sollen sich bereits die Kinder fürchten. "Geh nicht mit dem Fremden", wird den Kleinen eingebleut.

"Echte" Österreicher wurden hierzulande auf Plakaten angepriesen, wodurch ausgemacht scheint, daß es auch unechte Österreicher gäbe. Viele dieser vermeintlich falschen, vorgeblich virtuellen Landsleute mögen zwar hier wohnen, arbeiten und Steuern zahlen, ja die Staatsbürgerschaft besitzen, doch sie sind nicht gemeint, wenn vom echten Österreich gesprochen wird, vom Bodenständigen, da ihr Namen, ihre Religion, ihr Hautteint, ihre Augenfarbe, ihre Kleidung fremd erscheinen. Mehr noch: ihr bloßes Dasein wird geleugnet und verdrängt, denn viele Politiker, aus den verschiedensten Parteien, sind sich einig, die Welt ist ein Ausland, der Rest ist Österreich und dieses ist kein Einwanderungsland; aller Tatsachen zum Trotz.

Dem sogenannt Fremden kann angelastet werden, was bedrohlich wirkt. Selbst wenn vom Haß auf diese Menschen gesprochen wird, ist von der "Fremdenfeindlichkeit" und vom "Ausländerproblem" die Rede, als wären sie das Problem, nicht der Rassismus, als läge die Lösung nicht im Sozialen.

In diesem Sommer wollte ein österreichischer Richter keine Verletzung der Menschenwürde darin sehen, als ein Polizist einen Afrikaner als "Scheißneger" bezeichnet hatte. Zuweilen scheint es, als würde Afrikanern in Österreich ohnehin keine Menschenwürde zugebilligt werden, weshalb sie praktischerweise auch gar nicht mehr verletzt werden kann. Wie sollte sonst erklärt werden, wie im Falle von Cheibani Wague vorgegangen wurde? Niemand habe auf Cheibani Wague gestanden, hatte die Exekutive erst behauptet. Dann war das Video zu sehen gewesen, Wague in seiner Ohnmacht, auf ihm die Füße der Beamten. Wie ist es möglich, daß die Polizisten bis heute nicht suspendiert wurden? Die Mindeststandards von Menschenwürde und Pietät scheinen hierzulande nicht zu gelten, wenn der Tote ein Afrikaner ist.

Ich kann nicht anders als zwischen der allgemeinen Sprachpraxis, dem Richterspruch und dem Fall Cheibani Wague einen Zusammenhang zu sehen. Die Sprache spiegelt die Wirklichkeit und die Machtverhältnisse wider, aber gleichzeitig verfestigt sie die gesellschaftliche Realität. Die soziale Situation prägt die Vorurteile, aber ebenso bestätigt sie das Feindbild. Wem keine legale Arbeit zugetraut wird, gerät leichter ins Kriminal. Wer ausgegrenzt wird, beginnt dem Stereotyp des Ausgestoßenen zu ähneln. Wer wiederum dem Klischee gleicht, wird nicht mehr als eigenständiger Mensch wahrgenommen; so jemandem wird Mitmenschlichkeit eher verweigert. Wer von Vorurteilen heimgesucht wird, verliert sich bald selbst in Paranoia, denn wer verfolgt wird, leidet, ehe er sich versieht, unter Verfolgungswahn, aber bloß, weil er ein Realist ist. Es ist ein teuflischer Kreislauf, in dem die Macht das Vorurteil nährt, das Vorurteil die Angst, und die Angst wieder die Macht und das Vorurteil.

Es gibt Menschen in dieser Stadt, die versuchen, gegen Angst und Vorurteil anzukämpfen. Von diesen Einzelnen, Vereinzelten will ich reden. Da ist eine Gruppe von wenigen, die es schaffen, in diesem Land vieles zu bewirken. Manche von ihnen wurden hier geboren, andere nicht. Ich spreche von dem Verein ZARA. ZARA ist ein Team aus sozial und juristisch geschulten Beratern, die auf Information und Intervention bei rassistischen Diskriminierungen spezialisiert sind. Zeugen und Opfer können sich hier informieren und beraten lassen. Rechtliche Schritte, Intervention, Begleitung durch den Prozess der Fallklärung oder durch ein Verfahren sind nur einige der Möglichkeiten, die dieser private Verein anbietet. Er dokumentiert systematisch alle Vorfälle, die von Zeugen gemeldet werden, bietet zudem Schulungen über Rassismus an. Obgleich ZARA in Österreich einzigartig ist, wird sein Bestehen von staatlicher Seite nicht ausreichend gefördert.

Wie bereits erwähnt; es sind nur wenige Menschen, die nicht achtlos schweigen zu den Diskriminierungen, auf die wir täglich stoßen. Im Rassismus Report dieses Vereins lese ich, bemerke ich erst, was um mich herum geschieht. Wir gehen achtlos vorbei an den Schmierereien, die in Wien etwa verkünden: "TÖTET NEGER". Wir essen fremde Speisen in feinen Lokalen mit exotischen Namen und kümmern uns nicht darum, daß jene Menschen, die wissen, was diese Namen bedeuten, nicht eingelassen werden.

Es gibt keine ethnisch oder kulturell vorbestimmte Antwort auf die Politik der Ressentiments. Hier muß jede Person eigene Entscheidungen treffen. Dabei ist noch relativ leicht, kein Rassist sein zu wollen, aber was Antirassismus sein soll, darüber läßt sich lange streiten. Antirassismus ist kein geschlossenes Weltbild, sondern allenfalls ein Bemühen um eine Haltung, eine tagtägliche Anstrengung.

Antirassismus wird nicht genetisch vererbt - wie etwa Sommersprossen. Wen stört, daß einer, der Flüchtlingen hilft, der Enkel eines Kriegsverbrechers ist? Wesentlicher ist, ob sich jemand für Opfer von Diskriminierung einsetzt oder gegen sie, und das ist keine Frage der Abstammung und keine des Volksbrauchs, sondern eine, die jeder für sich alleine bloß klären kann. Zum Rassisten taugt jeder Mensch, egal woher er stammt. Wenn das kein Trost ist ...

In diesem Sommer beteiligte ich mich an einem Lokaltest des Vereins ZARA. Ich nahm einen dunkelhäutigen Libanesen im Auto von einer Diskothek zur anderen mit, weil wir prüfen wollten, ob er abgewiesen wird. Auf unserer gemeinsamen Fahrt von einem Ort zum anderen sprachen wir, der Jude und der Araber, nicht über Österreich. Der Konflikt im Nahen Osten trieb uns um. Wir wurden uns nicht einig, aber er erzählte mir, daß er bisher mit keinem Juden, schon gar nicht mit einem, der in Tel Aviv geboren wurde, je in Kontakt gewesen war. Uns einte nicht die selbe politische Meinung, nicht eine Vorliebe für Essen, Musik oder Folklore. Was uns in dieser Nacht verband und anfreunden ließ, war nichts als der gemeinsame Kampf gegen die Unkultur, die universalistische Ablehnung von grenzenlosem Rassismus.

Wer hören will, kann diesen Ton gegen Haß und Barbarei in jedem Land und zu jeder Zeit vernehmen. Ich erinnere mich einer anderen Nacht vor einem Dutzend Jahren auf einem fernen Erdteil. Ich stand mit Freunden vor einem Restaurant in Brooklyn. Der große schwarze Kellner an der Tür fragte uns: "Tell me, what's the capital of Austria", worauf eine, die sich ihres amerikanischen Landsmannes schämte, versetzte, ob er denn nicht wisse, "Vienna" sei die Hauptstadt. Habe er nichts gehört vom "land of music", von "Mozart".

Amadeus sei nicht sein Fall, meinte er: "I'm not so much into Mozart. I love the Duke. Ellington. But", fuhr er fort: "the Duke loved Mozart", und dann nach einem langen Blick: "and I tell you something, Mozart would have loved the Duke too."

© Doron Rabinovici (Wien)

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For quotation purposes:
Doron Rabinovici (Wien): Rassismus und Antirassismus als Verbindendes zwischen den Kulturen. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
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