Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. August 2006
 

1.3. Instabilität und Zerfallsformen gesellschaftlicher Zusammenhänge: Soziale Ungewissheit, Unsicherheit und Prekarisierung
Herausgeber | Editor | Éditeur: Rolf-Dieter Hepp (Berlin)

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Soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität im Managementdiskurs

Alexander Sieg (Freie Universität Berlin)
[BIO]

 

 

Zusammenfassung

Die Thesen und Untersuchungsergebnisse von Boltanski & Chiapello in "Der neue Geist des Kapitalismus" sind Ausgangspunkt der Analyse der Wirtschaftszeitung Handelsblatt hinsichtlich der Problematisierung und Diskussion der zunehmenden sozialen Unsicherheit und gesellschaftlichen Instabilität in der Bundesrepublik Deutschland, die das Management als soziale Gruppe auch selbst betrifft. Da der "neue Geist des Kapitalismus" potentiell alle Erwerbstätigen zu Führungskräften erklärt, erhalten die aus dem "Managementdiskurs" über soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität abgeleiteten Praktiken für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft einen richtungweisenden Charakter.

 

Ausgehend von der im Jahre 1999 im Pariser Verlag "Editions Gallimard" erschienenen Studie von Luc Boltanski & Ève Chiapello "Der neue Geist des Kapitalismus", die seit 2003 auch in deutscher Sprache vorliegt, und am Beispiel der Analyse der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" (Dezember 2004 - November 2005) möchte ich im Folgenden darstellen, wie innerhalb des so genannten "Managementdiskurses" die zunehmende soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität, die das Management als soziale Gruppe auch selbst betrifft, problematisiert und diskutiert wird.

Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich in zwei Teile: im ersten Teil werde ich wesentliche Grundgedanken und Ergebnisse der Studie von Boltanski/Chiapello (2003) zusammenfassen und im zweiten Teil werde ich auf der Grundlage dieser theoretischen Vorlage meine ersten Ergebnisse hinsichtlich des aktuellen Managementdiskurses in der Bundesrepublik Deutschland vorstellen.

Zunächst möchte ich jedoch noch ein paar Anmerkungen zum Begriff des Managements vorausschicken:

Das aus dem angloamerikanischen stammende Wort "Management" transportiert im Gegensatz zum deutschen Wort Unternehmensführung nicht nur das "Leiten", sondern die Betonung liegt stärker auf "etwas Handhaben". Dabei wird der Begriff institutional im Sinne der Kategorisierung einer Unternehmenshierarchie verwandt und auf alle Personen oder Personengruppen bezogen, die innerbetriebliche Entscheidungs- und Anordnungsbefugnisse besitzen. Funktional bezeichnet es alle Aufgaben, die zur "Steuerung des Leistungsprozesses" als notwendig erachtet werden. In der betriebssoziologischen Sprache unterteilt sich das Management in das Top Management (umfasst den Vorstand bzw. die Geschäftsführung), das Middle Management (mittlere Führungsebene: Werksleiter und Abteilungsleiter) und das Lower Management (Meister, Gruppenleiter). Das Management befasst sich idealtypisch einerseits mit der Planung, der Entscheidung, der Organisation und der Kontrolle von ökonomischen Prozessen, andererseits mit dem Einkauf, der Produktion und dem Verkauf von Produkten (Vgl.: Dichtl/Issing (1993), Staehle (1993), Steinmann/Schreyögg (1993)).

Wenn hier vom Management gesprochen wird, bezieht es sich vorrangig auf den ökonomischen Bereich, obwohl auch im wissenschaftlichen, politischen oder künstlerischen Feld zunehmend mit Managementmethoden aus dem ökonomischen Bereich gearbeitet wird. Manager sind im Gegensatz zu den selbstständigen Unternehmern Angestellte eines Unternehmens. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ca. 36 Millionen Erwerbstätige, davon sind, je nach Schätzung, 800 000 bis 1,2 Millionen Manager. Als "Managementdiskurs" bezeichne ich in Anlehnung an Boltanski/Chiapello (2001, 2003) diejenigen Diskussionen, die sich in der Fachliteratur bzw. in an Manager gerichtete Literatur mit aktuellen oder zukünftigen Problemen des Managements beschäftigen.

Das Management ist in sehr starker Form, der Logik der ständigen Gewinnmaximierung unterworfen und ist somit gezwungen, permanent offen für Innovationen zu sein. Die im Managementdiskurs vergangener Dekaden positiv gewürdigten und als zentral anerkannten Gegenstände und Probleme sind stets ein Indikator für Entwicklungen gewesen, die mit Verzögerung die gesamte Arbeitsgesellschaft betrafen. Somit kann der "Managementdiskurs" als ein Seismograph für Entwicklungen, welche die Zukunft der gesamten Arbeitswelt bestimmen, gesehen werden.

 

I

Nach den unzähligen öffentlichen Debatten in den letzten Jahren über die Folgen einer Globalisierung liegt es nahe, auch über Veränderungen des Verhältnisses von Ökonomie, Kultur und sozialer Kohäsion nachzudenken. Der französische Soziologe Luc Boltanski und die Wirtschaftwissenschaftlerin Ève Chiapello haben in ihrer Studie "Der neue Geist des Kapitalismus", die durch die Verbindung von Empirie und stringenter Argumentation besticht, eine Vorlage erarbeitet, die der Auseinandersetzung über soziale Unsicherheit und soziale Instabilität eine Grundlage bietet.

Boltanski/Chiapello interessiert in ihrer Studie nicht, wie ökonomische Prozesse kulturelle und soziale Kontexte überformen, sondern sie stellen - ganz in der durkheimschen Tradition - die bei der Formation ökonomischer Institutionen wirkenden kulturellen und sozialen Faktoren in das Zentrum ihres Interesses. Die Autoren haben darüber hinaus die Absicht aus der Verbindung einer "kritischen" und einer pragmatischen Soziologie eine "Soziologie der Kritik" zu entwickeln, um letztlich wiederum die Grundlagen der Kritik zu stärken. Ziel der Untersuchung war es somit, einerseits "die Rolle der Kritik in der Dynamik des Kapitalismus zu erarbeiten und andererseits ein Modell normativer Veränderungen zu konstruieren." (Boltanski/Chiapello 2001: 461). Um dieses Ziel zu gewährleisten, war eine Grundannahme der Untersuchung, die moralischen Werte, "die normativen Prinzipien und die Ideale ernst zu nehmen", die die Autoren der Managementliteratur für sich proklamierten, ohne diese als bloße ideologische Masken oder als Ausdruck falschen Bewusstseins zu denunzieren (Boltanski/Chiapello 2001: 460).

Der "Managementdiskurs" ist für Boltanski/Chiapello aktuell die Form, in welcher der Geist des Kapitalismus verankert und transportiert wird (Boltanki/Chiapello 2003: 51). Er richtet sich in erster Linie an - wie es Boltanksi/Chiapello ausdrücken - die "Kinder der Bourgeoisie", die gewissermaßen das natürliche Rekrutierungsfeld der Führungskräfte sind. Das erforderliche hohe Niveau der Einsatzbereitschaft und der Identifizierung kann jedoch nicht erzwungen werden (Boltanski/Chiapello 2003: 51). Wenn es keine plausiblen Legitimationen über die materiellen Vorteile hinaus für die Abkömmlinge des Bürgertums gibt, sich dem Kapitalismus anzuschließen und zu verpflichten, besteht die Gefahr, wie nach 1968, dass große Teile des Rekrutierungspotentials gegen die augenblickliche Verfasstheit des kapitalistischen Systems rebellieren. Sie leisten passiven Widerstand, üben Kritik von Innen heraus, versuchen die kapitalistische Ordnung zu unterminieren oder ziehen sich in Berufsfelder wie Kunst, Wissenschaft oder öffentlicher Dienst zurück, die den Logiken des kapitalistischen Prinzips nur bedingt folgen.

Boltanski/Chiapello gehen davon aus, dass eine erfolgreiche kapitalistische Akkumulation eine permanente Mobilisierung einer großen Anzahl von Personen erfordert, deren Profitchancen jedoch äußerst begrenzt sind. Die modernen Wirtschaftssysteme fordern dementsprechend insbesondere von den höheren Angestellten ein hohes Engagement und eine starke Identifizierung mit der Arbeit. Um die Menschen nun für ein starkes Engagement zu gewinnen, muss, so die Autoren, neben dem eigentlichen Zweck der jeweiligen Arbeit, der Profitmaximierung, eine Idee existieren, die den Handelnden einen übergeordneten Sinn und Identifikation mit ihrer Tätigkeit verleiht. Diese Idee bezeichnen die Autoren in Anlehnung an Max Weber als den Geist des Kapitalismus.

Boltanski/Chiapello arbeiten somit heraus, dass es - insbesondere für junge Menschen -handfeste Gründe geben muss - also einen positiven Geist -, um sich dem Kapitalismus anzuschließen. Dieser Geist müsste dem gesellschaftlichen Gemeinwohl dienen, attraktive Lebensperspektiven eröffnen und die sozialen Sicherheitserwartungen des Einzelnen erfüllen.

Der Managementdiskurs ist somit stark in einem Legitimationsdiskurs eingebunden. Die Legitimationskriterien nehmen die Protagonisten des Managementdiskurses einmal aus der ökonomischen Theorie: So wird argumentiert, dass der Kapitalismus der Inbegriff des Fortschrittes in technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht ist, dass durch das Konkurrenzsystem eine hohe Effizienz entsteht und dass der moderne Kapitalismus in hohem Maße individuelle und politische Freiheiten stärkt. Andere Formen der Legitimation müssen diese Ideen unterstützen. Den Beteiligten müssen also insbesondere persönliche Lebensperspektiven, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit in Hinblick auf das Gemeinwohl geboten werden.

Im Hinblick auf die Rekrutierung der kommenden Generation erneuert der Kapitalismus sein Legitimationssystem in gewissen Abständen, indem er Elemente der Kapitalismuskritik absorbiert. Dieses wird durch den Managementdiskurs in den einschlägigen Publikationen transportiert. Boltanski/Chiapello unterscheiden zwei fundamentale Kritikformen: die Sozialkritik und die Künstlerkritik. Die Sozialkritik, die seit dem 19. Jahrhundert sich herausgebildet hat, betont die sozialen Ungleichheiten, die Ausbeutung, die Armut und das egoistische Prinzip in den gesellschaftlichen Verhältnissen, die den Individualismus im Gegensatz zur Solidarität fördern. Der Träger dieser Kritikform war die Arbeiterbewegung. Dem gegenüber betont die Künstlerkritik, die sich zunächst in Künstler- und Intellektuellenkreisen entwickelt andere Züge am Kapitalismus. Sie kritisiert die Unterdrückung in der kapitalistisch verfassten Gesellschaft, insbesondere die Herrschaft des Marktes, die Disziplin in der Fabrik, die Uniformierung in einer Massengesellschaft und die Transformation aller Gegenstände in Waren. Die Künstlerkritik tritt für individuelle Autonomie und Freiheit, für Einzigartigkeit, Kreativität und Authentizität ein (Boltanski/Chiapello 2001: 468).

Die empirische Basis für ihre gesellschaftlichen Diagnosen und Prognosen von Boltanski/Chiapello ist der Vergleich der Managementliteratur der 1960er Jahre mit der Managementliteratur der 1990er Jahre, der von den Autoren so genannte "Managementdiskurs".

Boltanski/Chiapello konstatieren für den Zeitraum 1965-1975 eine starke kritische Bewegung und eine Krise des Kapitalismus. Der Zeitraum von 1975 bis Ende der 1990er Jahre wird als eine Phase der Veränderung und der Wiederbelebung des Kapitalismus bezeichnet. Seit den 1990er Jahren setzte sich ein neuer normativer Bezugspunkt durch.

Um weiter existieren zu können, muss der Kapitalismus immer wieder kritische Impulse seiner Gegner aufnehmen und die Fähigkeit entwickeln, sie in ihrem Sinne zu transformieren und dadurch zu entschärfen. Somit verändert sich der "kapitalistische Geist" für Boltanski/Chiapello nicht durch objektive ökonomische Zwänge, die etwa eine wie auch immer geartete Ideologie der Globalisierung fordern würde, sondern durch von spezifischen Kritiken geforderte Veränderungen.

Als Reaktion auf den Mai 1968 entsteht das so genannte New Management. Dieses zeichnet sich dadurch aus, entscheidende Elemente der Künstlerkritik in den neuen Unternehmensstrategien aufgegriffen zu haben. Darin findet sich ein Echo der antiautoritären Kritik und der damit verbundenen Autonomiewünsche. Die sozialen Beziehungen sind durch die Netzwerkmetapher gekennzeichnet.

Die Aufnahme der Forderungen der Künstlerkritik geht einher mit dem sukzessiven Abbau der vormals von der Sozialkritik erstrittenen sozialen Errungenschaften. Autonomie wurde im Tausch gegen soziale Sicherheit erlangt. Autonomie heißt in der wirtschaftlichen Praxis eben nicht nur die Abschaffung der Fabrikdisziplin, sondern heißt auch keine geregelte Arbeitszeit. Die für das Management als Arbeitsform immer gewichtiger werdende Projektarbeit führt oft zu prekären oder unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, zur Zunahme von Teilzeitarbeitsverträgen und befristeten Arbeitsverträgen, die nur für den Zeitraum eines bestimmten Projektes gelten.

 

II

Um grundlegende Tendenzen des aktuellen Diskurses über gesellschaftliche Instabilität und soziale Unsicherheit aufzuspüren, untersuchte ich unter dem Eindruck der Konzeption des Managementdiskurses und seiner theoretischen Implikationen von Boltanski/Chiapello das Handelsblatt in Hinblick auf Artikel die sich explizit und implizit mit diesem Themenkreis befassten. Das von Montag bis Freitag erscheinende Handelsblatt wurde von Dezember 2004 bis November 2005 bearbeitet. Die Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" wendet sich an ein über die Fachgrenzen hinausgehendes Publikum, wobei es gleichzeitig einen fachspezifischen Anspruch besitzt und dadurch beispielsweise Studenten der Wirtschaftswissenschaften als Zielgruppe einschließt. Die verbreitete Auflage des Handelsblattes betrug im dritten Quartal 2005 146 606 Exemplare. Es dient den Lesern nicht nur als eine Informationsquelle für den beruflichen Alltag, sondern darüber hinaus auch als Orientierung hinsichtlich sozialer und kultureller Fragen der Profession.

Das Handelsblatt gilt als die Wirtschafts- und Finanzzeitung der Bundesrepublik Deutschland, die auch einem breiteren Publikum zugänglich ist. Hier werden allgemeine Nachrichten aus einer ökonomischen Perspektive kommentiert. In den übergeordneten Zeitungsteilen werden gesamtgesellschaftliche soziale Problemfelder ausgiebig auf einer sehr allgemeinen Ebene erörtert, ohne jedoch die spezifischen Auswirkungen auf das Management zu betrachten. Dies prädestiniert das Handelsblatt im Gegensatz etwa zum "Managermagazin"(1) als einen geeigneten Untersuchungsgegenstand. Von Montag bis Donnerstag werden im Handelsblatt unter den ganzseitigen Rubriken "Profil" oder "Report" nationale und internationale als besonders erfolgreich geltende Manager wie etwa der Vorstandschef Antonio Perez von Kodak, Gerhard Zeiler von RTL oder der British Airways Chef Willie Walsh porträtiert. Diese Porträts sind positiv überzeichnet und stellen den Idealtypus des Managers bzw. des erfolgreichen Unternehmers in den verschiedensten Facetten dar. Die Mittwochausgabe des Handelsblattes präsentiert spezielle Seiten zu den Themen Recht und Steuern und Familienunternehmen. Regelmäßig werden hier Probleme des Arbeitsrechtes aus der Perspektive von Managern pragmatisch verhandelt und auf spezifische Risiken hingewiesen.

Unter den wenigen Berichten auf den Seiten, die speziell den Familienunternehmen gewidmet sind und die sich gleichzeitig mit dem Thema soziale Unsicherheit und Instabilität beschäftigen, werden vereinzelt Themen wie der demographische Wandel, auf denen die meisten Familienunternehmen sich noch nicht eingestellt haben, soziale Sicherheit bzw. Unsicherheit im Alter und die gesellschaftlichen Zwänge, die für Frauen hinsichtlich ihrer Ausbildung und Fähigkeiten bestehen, diskutiert.

In der gemeinsamen Freitag/Samstag/Sonntag- Ausgabe des Handelsblattes gibt es einen speziellen Teil der sich Problemen und Fragestellungen aus dem Bereich des Managements widmet. Hier werden am häufigsten und konsequentesten explizit und implizit Themen aus dem Bereich soziale Unsicherheit und soziale Instabilität in Bezug auf das Management verhandelt und diskutiert. Insgesamt nimmt dieser Diskurs jedoch nicht mehr als etwa 7 Prozent des Anteils der spezifischen Berichterstattung über das Management ein. Der Managementdiskurs über soziale Unsicherheiten und soziale Instabilität ist auch qualitativ sehr zurückhaltend. Der Diskurs über die Auswirkungen von erhöhter sozialer Instabilität und soziale Unsicherheit muss hinsichtlich seiner quantitativen und qualitativen Dimension noch einmal in Artikel über soziale Instabilität und über soziale Unsicherheit unterteilt werden.

Die Diskussion über soziale Instabilität und deren spezifische Auswirkungen auf das Management im Handelsblatt ist marginal. Beispielhaft wird sie innerhalb der Rezension des neuen Buches des publikumsträchtigen Soziologen Ulrich Beck (2005 "Was zur Wahl steht") präsentiert. Becks düstere Gegenwartsdiagnose, die von Angstszenarien, der "Gesellschaft des Weniger", von Entgrenzungen in allen Gesellschaftsabläufen, von Delegitimierung und Destabilisierung spricht und in der Beck nüchtern feststellt, dass Normalität nicht länger Normalität sei, das Ausnahmen nicht länger Ausnahmen, sondern die Regel sind, mit erhöhten Unsicherheiten für die Arbeitsformen, die Biographie und die Lebensplanung. Beck analysiert, dass die höhere Dosis an der "neoliberalen Medizin" nicht dafür tauge, um die erkrankte deutsche Gesellschaft zu kurieren. In der Rezension wird zwischen den Zeilen Beck das Mittel der Übertreibung und Überzeichnung unterstellt.

Das Thema soziale Unsicherheit hingegen, so der Befund, wird innerhalb des Managementdiskurses im Handelsblatt als zunehmend relevant eingeschätzt. Innerhalb der Reportagen, Berichte, Erörterungen und Diskussionen über die Auswirkungen von sozialen Unsicherheiten auf das Management dominieren drei große Themen. Diese sind Outplacing, Alter und Arbeitslosigkeit.

 

1 Outplacing

Innerhalb des Diskurses über soziale Unsicherheit dominiert die für deutsche Verhältnisse relativ neue und als innovativ erfahrene Strategie des Outplacements. Der Begriff des Outplacement beinhaltet, dass ein Angestellter einer Firma außerhalb der Firma "neu platziert" wird, sozusagen auf eine sanfte Art hinausplatziert wird. Das Outplacement wird idealtypisch von einer unabhängigen Outplacement-Beratungsfirma übernommen. An dem Prozess sind also drei Parteien beteiligt. Die Firma, die die Kündigung veranlasst hat als Auftraggeber, die Outplacement-Firma als ausführende Institution und der gekündigte Manager bzw. die gekündigte Managerin. In größeren Unternehmen wird das Outplacement auch von internen Beratungszentren übernommen, da die Kosten bei einem externen Outplacing-Beratungsunternehmen für eine unbefristete Einzelberatung im Durchschnitt ca. 23000 Euro betragen. Parallel zu den Outplacement-Unternehmen bieten auch in Zeiten verstärkter Arbeitslosigkeit Headhunter, Personal- und Berufsberater ihre Dienste in diesem Bereich an. Immer öfter wird diese Dienstleistung zu veränderten Konditionen auch Angestellten aus dem Middle und Lower Management angeboten. Die Idee kommt aus den USA und ist im Gegensatz zu den Niederlanden, Belgien und Frankreich in der Bundesrepublik Deutschland noch relativ wenig verbreitet.

In den Artikeln wird Outplacement im Grundtenor als ein Verfahren beschrieben, dass die professionelle Beratung und Betreuung von gekündigten Führungskräften mit dem Ziel einer fairen Trennung und der Neuplatzierung auf dem Arbeitsmarkt beinhaltet. In der Bundesrepublik beträgt das durchschnittliche Alter derjenigen, die durch Outplacement erfolgreich "neu platziert" werden konnten bei Männern 43,5 Jahre und bei Frauen etwas über 40 Jahre. Es ist also in erster Linie noch ein Instrument, um ältere Führungskräfte, die eine längere Verweildauer im Unternehmen hatten, bei der Suche nach einer adäquaten Position in einem anderen Unternehmen in jeglicher Hinsicht zu unterstützen. In den Diskussionen wird betont, dass die Strategie des Outplacements umso wichtiger wird, je stärker die traditionellen sozialen Sicherungssysteme abgebaut werden. In den Beiträgen wird immer wieder insbesondere unter Bezugnahme auf den Arbeitsmarkt in Deutschland darauf hingewiesen, dass es ein gravierender Unterschied ist, ob sich jemand aus einem Arbeitsverhältnis heraus bewirbt oder ob der- oder diejenige schon arbeitslos ist. Deshalb ist es bei den Outplacement-Unternehmen in Deutschland das vorgegebene Ziel, Arbeitslosigkeit mit allen Mitteln zu verhindern. Nahezu Dreiviertel der Gekündigten, die von einem Outplacement-Unternehmen beraten und betreut wurden, bekommen, wie berichtet wird, noch vor Ablauf der Kündigung eine zumeist gleichwertige neue Stelle. In den Outplacement-Unternehmen arbeiten Teams, die sich in der Regel aus Psychologen, Pädagogen und ehemaligen Personalleitern zusammensetzen.

Die Outplacment-Techniken wurden im Verlauf der Zeit immer ausgefeilter und professioneller und bauen aufeinander auf bzw. greifen ineinander. In einem ersten Schritt werden die Manager auf emotionaler Ebene und im weitesten Sinne psychosozial betreut. In einem nächsten Schritt lernen die Manager sich selbst zu vermarkten. Parallel dazu werden die Netzwerke der beratenden Firma genutzt, um die Kandidaten zu vermitteln.

Das strategische Signal, das dabei an die verbliebenen Mitarbeiter laut und deutlich ausgesendet wird, ist: auch in schwierigen Zeiten übernimmt die Firma Verantwortung und geht respektvoll mit den Mitarbeitern um. Das schafft für die verbleibenden Mitarbeiter eine nicht zu unterschätzende Motivation und erzeugt, wie aus Mitarbeiterbefragungen hervor geht, eine positive Grundstimmung. Outplacement ist letztlich eine Demonstration von Fürsorge und Verantwortung des Unternehmens für die Mitarbeiter und beeinflusst auch nachhaltig das Bild der Entlassenen von der ehemaligen Firma, was wieder für eventuelle Weiterempfehlungen und Kontakte wichtig sein könnte.

 

2 Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit als dauerhaftes soziales Phänomen wird zwar innerhalb des Diskurses nicht ignoriert, jedoch tun sich die Journalisten schwer aus der Perspektive der Manager zu berichten. Arbeitslosigkeit ist etwas, was anderen widerfährt. Paradigmatisch für diese Perspektive ist eine Reportage über einen Hausbesuch in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft, in dem der Bedarf von Langzeitarbeitslosen nach der Reform vom 1.1.2005 überprüft wird. Dieser Reportage haftet etwas Exotisches bzw. Kurioses an, ein Bericht aus einer fernen Welt mit großer Distanz, als etwas, was es auch gibt.

Anders als etwa in Südeuropa oder Skandinavien wirkt sich Arbeitslosigkeit bei Managern im deutschsprachigen Raum ausgesprochen dramatisch auf den weiteren Karriereverlauf aus. So wird in einem Artikel etwa der Chef der Personalberatung IfP Köln Jörg Will zitiert: "Wer in Deutschland einmal arbeitslos war, für den ist keine Spitzenposition mehr drin" (Handelsblatt 18./19./20. 2. 2005). Nach spätestens sechs Monaten Arbeitslosigkeit, so ein anderer Personalberater, sind Manager ohne Beschäftigung nicht mehr hoffähig.

An verschiedenen Stellen wird kritisiert, dass für Managerarbeitslosigkeit keinerlei exakte Statistiken existieren. Einen Anhaltspunkt für die Arbeitslosigkeit liefere allenfalls die Akademikerarbeitslosigkeit, die seit dem Jahre 2000 um rund 50 Prozent gestiegen, allerdings nur etwa die Hälfte der durchschnittlichen Arbeitslosenrate beträgt (4,6 Prozent, 2003). Es wird berichtet, dass arbeitslose Akademiker über 44 Jahre, also potentielle Führungskräfte, inzwischen 40 Prozent der Betroffenen ausmachen. Zehn Jahre zuvor waren dies noch 26 Prozent. Viele Manager mit Kündigung tauchen in den Statistiken gar nicht erst auf. Sie kommen oft vor Ablauf der relativ langen Kündigungsfrist, wie beschrieben wird, mehr recht als schlecht irgendwo unter.

In einem Artikel wird eine Studie der Zeitarbeitsfirma Randstad Deutschland vorgestellt, die 331 Personalentscheider befragten, wie lange ein Bewerber für das mittlere Management maximal arbeitslos sein darf. 58,3 Prozent der Personalentscheider befanden, das 6 Monate Arbeitslosigkeit das Maximum für eine Einstellung wäre, für nahezu 10 Prozent der Personalchefs waren bereits mehr als ein Monat Arbeitslosigkeit ein Grund den Bewerber abzulehnen. Arbeitslosigkeit wird somit nach wie vor wie eine Auszeit, wie eine selbstverschuldete Tatsache behandelt, auch wenn die Akzeptanz für kurzfristige Arbeitslosigkeit gestiegen ist (Handelsblatt 18./19./20. 2. 2005).

Implizit und zwischen den Zeilen findet sich in den Beiträgen im Handelsblatt eine vorsichtige Akzeptanz dafür, dass Managerarbeitslosigkeit mehrheitlich ein Produkt von Fusionen oder Insolvenzen und nicht eine persönlich verschuldete Angelegenheit ist.

Ein weiteres Problemfeld im Umkreis des Themas Arbeitslosigkeit ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, der sich negativ auf das Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter auswirkt. Die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes demotiviert Mitarbeiter und macht sie krank; dadurch entstehen für die Unternehmen jährlich Verluste in Milliardenhöhe. So wird etwa in einem Bericht das Meinungsforschungsinstitut Gallup zitiert, welches zu dem Ergebnis kommt, dass Unsicherheit und Stress sich direkt auf die Mitarbeiterproduktivität, in Form von schwindender Motivation und psychischer Erkrankungen auswirkt.

Weiterhin wird auf eine Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse verwiesen, die zeigt dass Mitarbeiter aus Unternehmen, in denen entlassen wurde, deutlich öfter über Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörung und Konzentrationsprobleme klagen. Jeder zweite aus Betrieben mit Personalabbau klagt über Lustlosigkeit und fühlt sich ausgebrannt. Die Angst um den Arbeitsplatzverlust hat zwar den Krankenstand durchschnittlich um ein Zehntel reduziert, jedoch andererseits dazu geführt, dass Krankheiten verschleppt und Ängste geschürt werden, was sich direkt auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Beispielhaft für diese thematische Diskussion ist der Verweis darauf, dass sich die Fehltage durch psychische Erkrankungen zwischen 2000 und 2004 in der Bundesrepublik Deutschland um 42 Prozent erhöht haben und damit psychische Probleme an vierter Stelle aller Fehlzeitenauslöser stehen. Als Ursache dafür werden die Veränderungen in der Arbeitswelt benannt, die Arbeitsverdichtung und der Zeitdruck, der dadurch entsteht, dass die Zurückgebliebenen die Arbeit der Entlassenen miterledigen müssen. Als weiteres Problem werden die Arbeitsplatzunsicherheit und die fehlende Transparenz bei anstehendem Arbeitsplatzabbau angegeben.

 

3 Alter

Der Umstand, dass einerseits die Bevölkerung zunehmend überaltert, andererseits die Unternehmen weiterhin das Bild und die Praxis des jüngeren dynamischen Managers pflegen, ist ein weiteres thematisches Problemfeld. So erfolgen zunehmend Warnungen vor finanziellen, sozialstrukturellen und psychosozialen Folgen dieser Entwicklung.

Der jugendzentrierten und alterseliminierenden Personalpolitik wird meist die kommende demographische Entwicklung vorgehalten. Aber auch das ungenutzte Potential der über 45jährigen. Explizit und implizit wenden sich Elemente der Beiträge gegen die Vorurteile der vermeintlich verminderten Leistungsfähigkeit im Alter, dass ältere Arbeitnehmer häufiger krank werden und dass ältere Mitarbeiter wesentlich teurer als jüngere Mitarbeiter wären. In den Diskussionen werden Parallelen zwischen geschlechtsselektiven und altersselektiven Diskriminierungen gezogen. Die Journalisten plädieren dafür, die Vorteile der älteren Führungskräfte wie Arbeits- und Berufserfahrung, Urteilsvermögen, Zuverlässigkeit, Kundenorientierung und Durchsetzungsfähigkeit zu würdigen. Ebenso neigen die Beiträge dazu, für eine Bündelung der Qualitäten von jungen und älteren Führungskräften einzutreten, um diese gegen die vermeintliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise zu wenden.

Beispielhaft für die soziale Auseinandersetzung über die Verwendbarkeit älterer Führungskräfte ist ein Artikel im Handelsblatt vom 21./22./23.1. 2005. In diesem Artikel wird der Widerspruch offenbart, der einerseits zwischen dem "Ranking" der für die Personalberater wichtigen Eigenschaften und der tatsächlichen Einstellungspraxis besteht. Die dabei verwandten Daten beruhen auf einer Befragung der Vergütungs- und Unternehmensberatung Towers Perrin (Frankfurt am Main), der Fachzeitschrift "Personal" und dem Handelsblatt. Daraus geht hervor: obwohl Kundenorientierung für die Firmen das höchste Ziel ist und diese eher älteren Führungskräften attestiert wird, bevorzugen Personalberater bei der Einstellung eindeutig jüngere Kandidaten. Der Faktor Mobilität, der von den Personalentwicklern älteren Führungspersonal so gut wie gar nicht zugestanden wird und für den jüngere Führungskräfte prädestiniert sind, erhält bei den Einstellungskriterien der Befragten Personalchefs einen der hinteren Ränge. Die Gehaltsvorstellungen, die oft als Grund für die Nichteinstellung älterer Führungskräfte angeführt werden, sind in der Aufstellung, worauf es den Personalentwicklern bei der Einstellung ankommt, an letzter Stelle zu finden. Den Personalchefs wird von den Journalisten somit irrationales Handeln unterstellt bzw. gemutmaßt, dass die Entscheidungen der Personalchefs sich nicht mit den Interessen der Unternehmen decken. Was als Grund für eine Nichteinstellung übrig bleibt ist dann lediglich das Kriterium Alter, ähnlich dem Kriterium Geschlecht oder Ethnie.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass ein vorsichtiger, sensibler Diskurs über soziale Unsicherheiten existiert, der allerdings bis auf die Strategie des Outplacements keine Lösungswege bzw. Visionen entfaltet. Die Beiträge über die Thematisierung der Arbeitslosigkeit von Managern und über die Einstellungspraxis gegenüber älteren Führungskräften enthalten implizit ein "Drängen" auf eine Veränderung der gegenwärtigen Praxis.

Da der "neue Geist des Kapitalismus" potentiell alle Erwerbstätigen zu Führungskräften erklärt, erhalten die aus dem "Managementdiskurs" über soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität abgeleiteten Praktiken für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft einen richtungweisenden Charakter. So lassen sich nach der Analyse des Handelsblattes hinsichtlich des Diskurses über soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität im Management drei Thesen bzw. Prognosen ableiten, die für eine zukünftige Entwicklung zur Disposition stehen:

1. Um von ihren Mitarbeitern ein optimales Engagement, ein starke Identifizierung mit den Zielen und eine hohe Arbeitsmotivation zu erreichen, sind die Firmen in Zukunft stärker als aktuell verpflichtet bzw. stehen stärker in der Verantwortung, um Anschlussprojekte für ihre Mitarbeiter zu vermitteln bzw. eine adäquate Beschäftigung zu organisieren. Dadurch werden Institutionen wie die Bundesagentur für Arbeit immer mehr ihre Bedeutung bei der Arbeitsvermittlung verlieren.

2. Es wird eine weitere Entstigmatisierung von Arbeitslosigkeit bei hochqualifizierten Angestellten einsetzen, da eine kurz- oder längerfristige Arbeitslosigkeit durch die Zunahme von zeitlich begrenzter Projektarbeit überproportional zunehmen wird.

3. Ältere und alte Mitarbeiter werden in der Zukunft schon allein durch den demographischen Faktor in der Arbeitswelt eine größere Rolle als bisher einnehmen

Am Ende der Erörterung bleiben vor dem Hintergrund der Analysen von Boltanski/Chiapello (2001, 2003) viele Fragen für weitere Betrachtungen offen. Beispielhaft könnten diese lauten: Warum existiert kein Diskurs über die Gefahren und Auswirkungen von Autonomie und Flexibilisierung? Warum wird die Frage der Prekarisierung, die durch die Aushöhlung und Unterminierung des Arbeitsrechtes entsteht, nicht thematisiert? Wo ist die Kritik? Welche Rolle könnten potentielle Kritiker einnehmen? Verläuft die historische Entwicklung von der Sozialkritik zur Künstlerkritik und wieder zurück?

© Alexander Sieg (Freie Universität Berlin)


ANMERKUNG

(1) Das mit einer geringeren Reichweite ausgestattete und monatlich erscheinende "Managermagazin" beschreibt, diskutiert und illustriert in den Ausgaben von 2005 zum Beispiel in den Rubriken "Trends" und "Karriere" soziale Aspekte des Managerlebens. Typische Inhalte sind hier etwa die soziale Verantwortung der Konzerne oder ein Kommentar zur falschen Illusion deutscher Auswanderer auf einen gesicherten Arbeitsplatz im Ausland. Die Texte besitzen in der Regel nicht die analytische Schärfe und die soziologische Tiefe der Betrachtungen des Handelsblattes.


LITERATUR

Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.

Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2001): Die Rolle der Kritik in der Dynamik des Kapitalismus und der normative Wandel. In: Berliner Zeitschrift für Soziologie , 459-477.

Dichtl, Erwin/ Issing, Otmar (Hrsg.) (1993): Vahlens Großes Wirtschaftslexikon. Band 2. München.

Staehle, Wolfgang H. (1993): Management. München.

Steinmann, Horst/Schreyögg, Georg (2005): Management. Wiesbaden.


1.3. Instabilität und Zerfallsformen gesellschaftlicher Zusammenhänge: Soziale Ungewissheit, Unsicherheit und Prekarisierung

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For quotation purposes:
Alexander Sieg (Freie Universität Berlin): Soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Instabilität im Managementdiskurs . In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/01_3/sieg16.htm

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