Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | Februar 2006 | |
3.4. Sind die Weltreligionen friedensfähig? |
Hannelore Röggla (Wien)
[BIO]
Das Thema meines heutigen Referats ist die Frage, warum die Macht zwischen Männern und Frauen bisher so und nicht anders verteilt wurde. Warum Männer in unserem patriarchalen System nach wie vor Frauen unterdrücken und welcher Zusammenhang zwischen inneren Vorgängen und äußeren patriarchal und religiös motivierten Machtstrukturen besteht. Das Referat ist im Wesentlichen eine kurze Zusammenfassung meiner Thesen, die ich in dem Buch: "Die geheime Angst des Mannes" dargelegt habe. Das Buch ist heuer im März (2005) im Kreuzverlag erschienen und in allen Buchhandlungen erhältlich.
Wenden wir uns als erstes dem Bild zu, das wir alle von Männern haben:
Von Filmleinwänden, von Werbeplakaten, aber auch aus Fernsehen, Zeitungen oder Schulbüchern blicken sie auf uns herab, die Männer, die "richtigen Männer". Denn ein "richtiger" Mann ist stark, groß und übermächtig. Mit dem Ausdruck "richtiger" Mann beschreiben wir die Tatsache, daß wir bestimmte Vorstellungen davon haben, wie Männer sein sollten. Diese Vorstellung entspricht - positiv formuliert - dem Idealmann, so wie wir - sowohl wir Frauen ihn, als auch die Männer sich - gerne sehen und haben möchten. Wir gehen im Allgemeinen davon aus, daß diese Vorstellung dem Norm-Mann, also dem durchschnittlichen Mann auf der Straße entspricht.
Dem Männerideal entsprechend hat der Mann, so heißt es, folgende Eigenschaften:
Er ist stark und mutig, beherrscht und emotionslos, vom Verstand bestimmt, unabhängig, aktiv und dominierend, objektiv.
In manchen Bereichen finden sich allerdings auch schon bei oberflächlicher Betrachtung gewisse Widersprüchlichkeiten. Auch wenn zum Idealbild vom Mann u.a. Mäßigung und Selbstbeherrschung gehören, weiß jeder, daß ein Mann seine sexuellen Wünsche z.B. nicht beherrschen kann. Ein Seitensprung, eine Nebenbeziehung, Sex mit Prostituierten, all das tut seiner Männlichkeit keinen Abbruch.
Das Stereotyp des Mannes ist (wie auch das weibliche Stereotyp) nach soziologischen Erkenntnissen erst etwa in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in dieser Form entstanden und bestimmt bis heute das Bild, das wir alle von Männern im Allgemeinen haben. Ein Stereotyp oder Klischee bedeutet, daß wir ein bestimmtes inneres Bild von einer Sache, in diesem Fall dem Mann, haben und daß wir erwarten, daß der Mann so sein wird wie unser Bild von ihm. Es ist eine Art Vorurteil. Alles, was diesem Bild entspricht, wird unser vorgeformtes Bild bestätigen und alles andere, was ihm widerspricht, stufen wir als Ausnahme ein.
Diese inneren Bilder haben großen Einfluß auf unsere Sicht der Realität. Durch sie sehen wir oft nur das, was wir sehen wollen. Und, wir sehen auch nur mehr, was wir sehen sollen. Ein Stereotyp, ein Klischee, will uns weismachen, daß das Klischee selbst die Realität ist. Es trübt unseren Blick. Wir glauben, wenn wir nicht Acht geben, mehr an das Klischee als an die Realität. Das Klischee wird dadurch zur allgemein gültigen Regel, zur unumgänglichen Norm, wie etwas zu sein hat.
Wenn wir die Charakterzüge dieser Männerklischees genauer unter die Lupe nehmen, fallen uns mehrere Aspekte auf. Der eine ist die Idealisierung des Mannes in einer ganz bestimmten Richtung. Alle Eigenschaften, die zu diesem Bild des Mannes gehören, werden in unserer Gesellschaft positiv bewertet: Stärke, Größe, Klugheit, Unabhängigkeit, Dominanz, Leistung, Selbst- und Fremdbeherrschung. Es gibt faktisch keine negativ bewertete Eigenschaft. Ein Mann scheint nur positive Eigenschaften zu haben. Ein weiterer auffälliger Aspekt ist der häufige Vergleich mit Frauen. Der Mann ist stärker als Frauen, größer, gescheiter, beherrschter, besser. Obwohl er an sich so positive Merkmale zu haben scheint, ist es ihm offenbar wichtig, sich deutlich vom Weiblichen abzugrenzen. Zudem, und das ist ein wichtiger Aspekt, hat die idealisierte Beschreibung etwas Verpflichtendes: Ein Mann muß alle diese Kriterien erfüllen, um als "richtiger" Mann zu gelten, wenn nicht, wird ihm die Männlichkeit aberkannt.
Diese drei Teilaspekte - Idealisierung, Abgrenzungsbedürfnis und Unbedingtheitsanspruch - bilden bei genauer Überlegung einen ziemlichen Kontrast zu dem eigentlichen Bild. Das Bedürfnis sich selbst so großartig darzustellen, als idealer Mensch sozusagen, würden wir bei einem einzelnen Menschen eher als Zeichen seines geringen Selbstbewußtseins interpretierten, als überhöhtes Selbstbild, um ein brüchiges, schwaches Ich zu verdecken.
Der Wunsch, sich von seinem Gegenüber, in diesem Fall dem weiblichen, strikt zu unterscheiden, auf keinen Fall etwas gemeinsam zu haben, würden wir als Angst vor Verschmelzung, als Sorge um die eigene Autonomie, also als Unsicherheit der eigenen Identität begreifen. Und der Unbedingtheitsanspruch -nur mit allen diesen Eigenschaften ist ein Mann ein "richtiger" Mann - muß zumindest verwundern. Wäre es nicht logischer und einfacher, den biologischen Hintergrund, also die eindeutig männlichen Geschlechtsmerkmale, als Grundkriterien zu verwenden, und alles andere als Beiwerk zu betrachten?
Warum braucht ein Mann alle diese beeindruckenden Eigenschaften, um sich wirklich in seiner Rolle als Mann wohl zu fühlen und sich stolz zum Mannsein bekennen zu können?
Die älteste uns bekannte Erzählung, die unser Weltbild von Mann und Frau beeinflußt hat, ist wohl die Geschichte von Adam und Eva. Sie ist Teil der Genesis, der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments und bildet die Basis für einige grundlegende Vorstellungen der christlichen Morallehre. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei handelnde Personen und seltsamerweise ein Tier, die Schlange. Die Geschichte scheint zunächst klar: Die Schlange verführt Eva und diese Adam. Und sie schieben einander auch gleich die Schuld zu. Die Schlange bleibt stumm. Adam und Eva müssen die Last der Verantwortung, die Vertreibung aus dem Paradies, gemeinsam tragen.
Für die Kirchen"väter", die Interpreten des Alten Testaments, schien die Geschichte noch klarer. Das gängige Erklärungsmuster der Kirche findet nicht drei, sondern eine Hauptschuldige an dieser folgenschweren Übertretung des Gebotes Gottes. Eva habe Adam zu dieser Tat verführt, die Schlange blieb bei diesem Schuldspruch unberücksichtigt. Die Frau wurde zur Verführerin des Mannes erklärt. Sie sei schuld an dem ersten Fehltritt, hieß es. Demgemäß wurde ihr immer wieder, vor allem im Mittelalter, die Rolle der bösen Verführerin zugeteilt, derjenigen, die den "unschuldigen" Mann zur Sünde verführen will. Der Mann schaffte es gleichzeitig, sich einerseits als unschuldig verführt darzustellen, und sich andererseits im Kontrast zur Frau als willensstark und charaktervoll zu präsentieren. Es ist kein Geheimnis, daß diese Auslegung den männlichen Kirchenfürsten diente und sie in ihrer Macht stärkte. Wer aber die Schlange ist und woher sie kam, blieb weitgehend ungeklärt. Niemanden scheint das je ernsthaft interessiert zu haben.
Betrachten wir die Geschichte auf der Ebene der Symbole und stellen wir uns die Frage:
Was oder wer lockt eigentlich wen? Der Baum kann hier als Symbol sowohl für einen Mann als auch für eine Frau stehen, also sowohl für Adam als auch für Eva. Als Baum mit Früchten symbolisiert er die Verlockungen der Liebe und das erotische Verlangen nach dem anderen Geschlecht. Der Baum ist "lieblich anzuschauen und begehrenswert", heißt es in der Genesis im Kapitel 3,6. An diesem Punkt kommt die Schlange ins Spiel. Sie ist listiger als alle anderen. Sie wendet sich zielstrebig Eva, der Frau, zu. Wenn wir uns nun nicht verwirren lassen und unser Wissen um die Symbolik der Schlange sinnvoll anwenden, ergibt sich als Neuinterpretation ein völlig logisches Bild. Die Schlange im Zusammenhang mit einer Frau stellt den männlichen Part dar. Sie repräsentiert also hier den Penis des Mannes, der mit seiner Lust die Frau verlockt. Sein Glied reagiert schneller und unmittelbarer als sein Kopf, der sich - noch - dem Gebot Gottes verpflichtet fühlt. Seine Geilheit, symbolisiert durch den verlangenden Schlangen-Penis, richtet sich an die Frau, von der er sich - nicht zu Unrecht - Befriedigung erhofft. Listig und trickreich muß er sein, um auch sie das Verbot Gottes vergessen zu lassen und sich selber und das eigene Schuldgefühl Gott gegenüber zu überlisten.
Die Frau erliegt seiner erotischen Verlockung. Sie kann seinem Verlangen nicht widerstehen. Auch in der Frau regt sich durch seine Werbung um sie ein entsprechendes Gefühl. Die bei ihr ausgelöste Lust wird durch den wohlschmeckenden Apfel des Begehrens und der Sinneslust symbolisiert. Diese verführt nun über die Steigerung des Gefühls in der Gemeinsamkeit der körperlichen Empfindung auch die gesamten Sinne des Mannes, seinen ganzen Körper und seinen Geist.
Damit verärgerten sie Gott Vater aufs äußerste. Seine Strafe war hart, - fast so, als ob er gehofft hätte, dadurch den Menschen die Freude an der sexuellen Lust gänzlich auszutreiben. Das aber ist, wie wir wissen, bis heute nicht gelungen. Eines aber hat erstaunlich gut funktioniert, nämlich die Verschleierung der Tatsache der aktiven Beteiligung des Mannes. Seine phallische Verlockung, sein männliches Glied, das so unbeherrscht reagiert hat und die Frau aus ihrer kindlichen Naivität gelockt hat, - seine Schlange der Verführung, - blieb den Lesern und Leserinnen der Geschichte bisher gut verborgen. Seine Penis-Schlange, sein verführerischer Aspekt, der vom göttlichen Vater verdammt und abgelehnt wurde, verkroch sich auf göttliches Geheiß verschämt im Staub und ward nicht mehr gesehen. Noch raffinierter, - denn völlig ignorieren konnte man die Beteiligung der Schlange wohl kaum: "Mann" hat sie - zumindest im Deutschen - verweiblicht: "die" Schlange. So wurde er, der Penis, unter dem weiblichen Mäntelchen gut versteckt. Trotz des Zornes des Vaters auf den "Sohn" Adam siegte die männliche Solidarität gegen den weiblichen Teil der Schöpfung und mit diesem wunderbaren, fast genialen Trick, auch den Schlangen-Penis zu verweiblichen, wurde die ganze Schuld Eva und den Frauen angelastet. Der Mann stellte sich geschickt dumm und gab vor mit der ganzen Sache nichts, fast nichts zu tun zu haben. Als scheinbar "unschuldig" Verführter ließ und läßt er bis heute, wie ein Unbeteiligter, die Frauen gern mit den Folgen der sexuellen Lust allein.
Warum, sollten wir uns fragen, war es für ihn so wichtig seine Beteiligung zu verbergen?
Wir kommen damit noch einmal zu den schon vorher gestellten Fragen, nämlich:
Warum brauchen Männer alle die beeindruckenden Eigenschaften des sogenannten Männerideals und welche Art der Unsicherheit steckt hinter diesem grandiosen Männlichkeitskonstrukt? Bei einer vorsichtigen Annäherung an diese spezifischen männlichen Ängste merken wir bald, daß das Männlichkeitsbild selbst schon große Ängste beim einzelnen auslösen kann. Es ist zwar bestimmt schön, sich als Mann so groß und stark, gescheit, beschützend und gleichzeitig unabhängig zu fühlen und dafür bewundert zu werden, aber was ist, wenn das nicht bzw. nicht immer der Fall ist? Ähnlich wie beim weiblichen Stereotyp schränkt auch das Männerklischee den einzelnen Mann ein. Ein Mann hat keine Angst, heißt es, außer der Angst, kein Mann zu sein. Je größer und großartiger das Vorbild, desto schwerer ist es zu erreichen. Der Widerspruch zwischen der Forderung dieses Ideals und der täglichen oft entgegengesetzten Realität ist für den einzelnen Mann ständig spürbar und kann ziemlich belastend sein.
Wenn wir den Schritt wagen, dieses grandiose Bild der Männlichkeit in Frage zu stellen, ist die Suche nach der Schwachstelle, dem wunden Punkt, eigentlich nicht mehr so schwierig. Das nahe liegende ist es wohl zum Kern der Männlichkeit durchzudringen, dem "Ding", das seine Männlichkeit tatsächlich ausmacht - zum äußeren Zeichen seines männlichen Geschlechts.
Sein erster Makel, stellen wir fest, ist, daß es nicht auszureichen scheint, einen Mann als Mann zu definieren. Dieser Tatbestand trifft zwar auch auf die weiblichen Geschlechtsorgane zu. Denn auch einer Frau gesteht man Weiblichkeit nicht automatisch zu, bloß weil sie Brüste und eine Gebärmutter besitzt. Bei Frauen sind Mängel allerdings nichts Ungewöhnliches und passen durchaus ins Bild ihrer angeblichen Schwäche. Wie ist das nun aber mit seinem Geschlechtsorgan und seiner Sexualität? Welches Bild haben Männer da von sich, und genügt es diesem Männlichkeitsanspruch von Größe, Stärke, Unabhängigkeit und Beherrschbarkeit?
Beginnen wir zunächst mit der Schwäche, die sich nicht verbergen läßt, zumindest der jeweiligen Sexualpartnerin gegenüber nicht. Seine Stärke, nämlich seine Größe, die in der Erektion erreicht wird, ist - wie könnte es anders sein - gleichzeitig seine Schwäche. Nichts ist schlimmer und peinlicher für einen Mann, der mit einer Frau schlafen will, als wenn sein Penis nicht nach Wunsch funktioniert, wenn er gar nicht steif wird oder zu früh wieder zusammenschrumpft. Jeder Mann - und jede Frau - weiß, daß dieser Vorgang nicht seinem aktiven Willen unterliegt. So sehr der Mann versucht das Bild von sich, daß er Herr über seine Gefühle sei, zu erhalten, hier zeigt sich schonungslos, daß er es eben doch nicht ist. Sein wichtigster und männlichster Körperteil gehorcht ihm nicht.
Impotenz heißt das Schlagwort und trifft ihn im tiefsten Inneren seiner Männlichkeit. Da Potenz, die sexuelle Leistungsfähigkeit, sein männliches Markenzeichen sein muß, bedeutet Impotenz völliges Versagen seiner Männlichkeit. Gerade in diesem heiklen Bereich spürt jeder Mann, auf welch unsicheren Grundfesten seine männliche Stärke und Potenz aufgebaut ist. Nicht nur, daß sein intimster Teil ihm nicht gehorcht, sondern der ganze Vorgang ist auch noch mit Gefühlen verbunden, die ebenso nicht beherrschbar und nicht verläßlich planbar sind. Und das vielleicht Schlimmste für ihn ist, daß es auch mit dem weiblichen Gegenüber zu tun hat und daher seine Unabhängigkeit bedroht.
Überhaupt ist es mit der Verläßlichkeit und Beherrschbarkeit seines männlichen Organs nicht weit her, obwohl Beherrschung doch sein männliches Markenzeichen sein sollte. Nicht nur, daß "er" nicht steht, wenn sein Besitzer es will, nein ich behaupte noch etwas zweites, nämlich daß er auch reagiert, wenn es seinem Besitzer gar nicht recht ist. Unverfroren reagiert er auf alle möglichen Außenreize mit Anschwellen und Größerwerden, sichtbar und spürbar für ihn, und theoretisch auch für andere. Attraktive Frauen, die vorbeigehen, mit ihm reden, aber auch Bilder oder Assoziationen, Erinnerungen, alles mögliche kann eine Reaktion bei ihm hervorrufen. So unangenehm schon das erste Problem für ihn ist, nämlich das Nicht-Reagieren, die Impotenz, noch viel unangenehmer scheint das zweite, das nicht erwünschte Reagieren zu sein. Bei Durchsicht zahlreicher Fachbücher und Beratungsbücher für Männer finden sich keine Angaben zu dieser Problematik. Erst in der neuesten Literatur gibt es vorsichtige Hinweise darauf, daß dies ein Problem sein könnte. Gerade noch für heranwachsende Buben (dürfen die dieses Problem noch haben?) gibt es Informationen zumindest darüber, daß es nächtliche Samenergüsse gibt, der Rest wird schamhaft verschwiegen.
Diese beschränkte Beeinflußbarkeit ist sicher auch ein Grund für die eigentlich seltsame Tatsache, daß Männer dazu tendieren, "ihn", den Penis, wie ein eigenständiges Wesen zu beschreiben. Da er manchmal scheinbar unabhängig von ihnen agiert und reagiert, kann es sein, daß sie ihn wie ein zweites, fremdes, nicht eigenes Wesen wahrnehmen und seine Reaktion nicht eindeutig sich selbst zuordnen können. So wie in der Geschichte von Adam und Eva, wo der Penis als Schlange der Verlockung im Baum des Paradieses der Einfachheit halber und um von sich abzulenken, der Frau zugeschrieben wurde. Auf einer subtileren Ebene behauptet der Mann auf die Art, "damit", nämlich mit dem, was in der Lust mit seinem Penis passiert, nichts zu tun zu haben. Sie, die Frau, habe mehr Einfluß auf "ihn" als er selbst.
Und hier schließt sich der Kreis. Denn ein Mann mit diesem beeindruckend starken Selbstbild hat natürlich größtes Interesse daran, diese unangenehme und peinliche Schwäche seines wichtigsten Organs zu verbergen. So blieb bis heute die Unkontrollierbarkeit seiner Lust und seines Penis hinter all den Männeridealbildern verborgen. Es wurde zu seinem bestgehüteten Geheimnis, obwohl es eigentlich niemandem wirklich unbekannt ist.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich nun eine wichtige Erkenntnis und eine wichtige Schlußfolgerung. Die Erkenntnis ist, daß wir ausgerechnet im zentralen Bereich der eigentlichen Männlichkeit, beim männlichen Geschlechtsorgan, Eigenschaften finden, die dem Männlichkeitsideal völlig entgegengesetzt sind. Diese Eigenschaften sind Unverläßlichkeit, Schwäche, Unkontrollierbarkeit und Ausgeliefertheit an Gefühle und andere Menschen. Die Schlußfolgerung, die sich angesichts dieser Tatsachen und unserer bisherigen Überlegungen aufdrängt, ist die, daß dieses beeindruckende Männlichkeitsbild vielleicht hauptsächlich den Zweck haben könnte, die Schwäche und Verletzlichkeit der Männer zu verbergen oder zumindest zu verschleiern.
Der Gegensatz zwischen männlichem Anspruch und Realität wird gerade dort besonders deutlich, wo es um Lust und Begehren geht. Die Intensität des Gefühls des Begehrens widerspricht genaugenommen schon seinem Männlichkeitsanspruch von Unabhängigkeit von Gefühlen und Unabhängigkeit von anderen Menschen. Je stärker die Lust ist und je starrer er glaubt, dem Männlichkeitsideal genügen zu müssen, desto größer wird der Zwiespalt seiner Gefühle. Über die mögliche Ablehnung durch die begehrte Frau wird ihm seine Schwäche, die er unter dem großartigen Idealbild verbergen muß, unangenehm bewußt. In dieser Situation dringen alle seine mühsam verdrängten Selbstzweifel und Ängste an die Oberfläche.
Diese unangenehmen Gefühle versucht er, möglichst schnell wieder los zu werden. Das Muster, das er anwendet, ist das gleiche wie bei der Auslegung der Geschichte von Adam und Eva. Das Problem, das er nicht haben will, wird der Frau zugeschoben. Nicht er hat ein Problem mit seiner unkontrollierbaren Lust, sondern sie ist das Problem. Nicht er will sie, sondern sie lockt ihn. In kindlich magischer Weise will er seine Lust an sie delegieren. Projektion nennen wir das in der Tiefenpsychologie, der Lehre von der Struktur der Psyche. Jemand, der z.B. eine Eigenschaft an sich selbst ablehnt, verleugnet sie einfach. Er tut so, als sei sie bei ihm nicht mehr vorhanden oder gar nie vorhanden gewesen. Seltsamerweise findet er sie dann bei anderen wieder. Er projiziert die Eigenschaft, wie man ein Dia an die Wand projiziert, in andere Menschen hinein. Die anderen sind es, die viel trinken, nicht man selbst. Wir versuchen auf diese Art das Störende loszuwerden, finden es dann aber ärgerlicherweise bei den anderen wieder. Die abgelehnte Eigenschaft, die wir nicht mehr haben wollten, stört uns nun am Gegenüber und erinnert uns außerdem auch noch versteckt daran, daß wir diese Eigenschaft auch haben. Daher finden wir sie am anderen nun noch viel störender als vorher an uns. Durch die Projektion wird das Problem logischerweise nicht gelöst. Wir tun nur so, als ob wir damit nichts zu tun hätten.
So geht es auch dem Mann, der seine Lust verleugnet. Das Begehren, das er an sich selbst ablehnt, glaubt er in der Frau wiederzufinden. Der Penis, der sich nicht täuschen läßt, verunsichert den Mann aber weiter durch seine nach wie vor ungehemmte Reaktion. Da der Mann sein eigenes Lustempfinden nun aber nicht mehr als eigenes akzeptiert, wird sowohl die Lust als auch die körperliche Reaktion als fremd und feindlich erlebt. Die Frau in ihrer erotischen Anziehung wird nun zu einer potentiellen Bedrohung für ihn und seine körperliche Integrität. Sie weckt eine Lust in ihm, die er nicht wahrhaben wollte. Und sie scheint zusätzlich auch noch magische Gewalt über seinen Penis zu besitzen. Da sie aus dieser verdrehten Sicht den Penis beeinflussen kann und ihn zu unerwünschten Reaktionen veranlassen kann, erlebt der Mann es als Inbesitznahme durch die Frau.
Diese Situation macht ihn vom Gefühl her "ohnmächtig", hilflos ausgeliefert und kommt, emotional gesehen, symbolisch einer Kastration gleich. Die Frau, alle Frauen, werden auf diesem Irrweg vom begehrten Lustobjekt zu bedrohlichen kastrierenden Amazonen, vor denen "mann" sich schützen muß.
So beeindruckend einerseits der "Trick" sein mag, mit dem er sein Problem der unerwünschten Lust losgeworden ist, so fatal sind auf der anderen Seite die Folgen. Durch die Projektion ist das Problem nicht kleiner, sondern größer geworden. Nicht nur, daß er sich und seine Lust nicht beherrschen kann, nun ist zusätzlich seine Unabhängigkeit bedroht. Zu der Abhängigkeit von ihrer Reaktion auf seine Liebeswerbung kommt die Gefahr, daß sie bei ihm körperliche Reaktionen auslöst, die er nicht verhindern kann. Statt schwach zu sein, wie er sie sich wünscht, hat sie nun ihn und seine körperliche Reaktion in der Hand. Er muß sich nun auch noch vor den Frauen und der möglichen Auswirkung auf ihn und seinen Körper fürchten.
Die Kränkung, die er bei einer möglichen Ablehnung seiner Liebe durch sie erfahren hätte, nimmt auf diese Weise überdimensionale Ausmaße an. Sie bestätigt ihm, daß Gefühle und Begehren äußerst gefährliche Dinge sind, und sie verstärkt in ihm das ohnehin latent vorhandene Mißtrauen gegenüber Frauen.
Fassen wir zusammen, was alles zu seinem Geheimnis gehört. Es umfaßt im Prinzip alles, was er gerne vor ihr verbergen möchte. Alle Bereiche seines Wesens, die er als "unmännlich" abqualifiziert hat und die er daher nicht nur vor den anderen, sondern auch vor sich selbst verbergen will. Im Zentrum steht die Unkontrollierbarkeit seines Geschlechtsorgans und seines Begehrens und die damit verbundene Abhängigkeit vom begehrten Objekt Frau. Eigenschaften, die seiner fantasierten, idealisierten Vorstellung vom "Mann an sich", vom fiktiven Idealbild "Mann" widersprechen und die er als Schwäche und Unzulänglichkeit empfindet. Er versucht die Existenz dieser unerwünschten Aspekte geheimzuhalten. Durch die Ablehnung und sein Versteckspiel wird dieser Teil zu einem Dasein im Verborgenen verurteilt.
Wir können ihn uns als eine Art Schattenwesen vorstellen, als sein "verborgenes Ich", sein gut gehütetes geheimnisvolles "anderes Ich". Dadurch wird uns bewußt, daß er in Wirklichkeit aus zwei Teilen besteht. Aus dem Teil, den er vor sich herträgt, wie ein Schild oder eine Maske. Dem "Vorzeigemann". So wie er sich wünscht, daß er sein sollte und so wie er gern gesehen werden möchte. Und daneben, dahinter oder in ihm versteckt ist sein "anderer Teil", sein Schatten. Dieser hat alle seine persönlichen Eigenschaften, die er verbergen will.
Wenn wir diesen Teil als fiktives zweites Wesen betrachten, wird klar, daß auch dieser Schatten männlich ist, und wir können ihn unabhängig von allen Projektionen sehen, über die er versucht hat zu behaupten, "er" sei in Wirklichkeit weiblich. Schwäche und Unkontrolliertheit seien "von Natur aus weiblich", hat er uns durch Jahrhunderte hindurch eingeredet. Ein "Mann" habe immer alles unter Kontrolle. Wenn wir aber seinen verborgenen Teil aus dem Versteck geholt haben, können wir ihn auch in Zukunft leichter und schneller als "männlich" und als "sein" Problem enttarnen.
Sein "bestgehütetes Geheimnis" ist also die Existenz dieses "anderen Mannes" in ihm, die Kehrseite des offen zur Schau getragenen Bildes von idealisierter Männlichkeit und sein Zwiespalt, in dem er sich durch dieses Versteckspiel befindet. In der Öffentlichkeit bestimmt der sogenannten "Idealmann" unser Leben. Er lächelt als Supermann von Werbeplakaten. Er blickt ernst als Staatsmann von Fernsehschirmen. Er erklärt uns die Welt, wie sie und wir zu sein haben. Er ist Held und Regent und Abenteurer, je nachdem, was er gerade für nötig hält. Der "Andere" bleibt versteckt. Es gibt ihn offiziell gar nicht. Wenn er doch einmal nicht zu übersehen ist, wird er geleugnet. Er wird zur Ausnahme erklärt, zum Irrtum, zur Abweichung von der Norm, und möglichst schnell wieder zugedeckt.
Die Verleugnung des "anderen" Mannes in ihm führt zu einem gespaltenen Weltbild. Weil er sich selbst nicht vollständig wahrnimmt, tendiert er dazu, auch die anderen nach diesem Muster einzuteilen. Das beginnt bei seinem Gegenüber Frau. Auch sie soll, passend zu seinem "Vorzeigemann", eine Art "Vorzeigefrau" werden und ebenfalls alle von ihm unerwünschten Seiten unterdrücken. Auf keinen Fall darf sie "männliche" Züge tragen, denn die hat er für sich gepachtet. Sie muß "anders" sein und das nennt er dann "weiblich". Sie soll alle Eigenschaften haben, die er angeblich nicht hat und nicht haben will, und soll zu seinem Gegenstück werden. Und so haben sich durch die Gespaltenheit des Mannes auch gespaltene Frauen entwickelt, die genauso wie er einen Teil von sich ständig verleugnen müssen.
Das gilt jedoch nicht nur für Frauen. Das gesamte patriarchale Weltbild wird von Verleugnung, Projektion und Schuldzuweisung an andere bestimmt. Das Muster, das sich der Mann als Schutz vor der fantasierten Bedrohung durch die Frau ausgedacht hat, beeinflußt nun uns alle und hat zu einer Verwirrung unseres Denkens geführt. Wir bilden uns oft ein richtig zu sehen, sehen aber nicht die Wirklichkeit, sondern nur vorgefertigte Muster. Diese wirken sich wie eine farbige Brille aus. Die Welt wird "umgefärbt", passend zu seinen patriarchalen Vorstellungen, mit "blinden Flecken" für alles Unerwünschte. Gegensatzpaare, die einander ausschließen, bestimmen unser Weltbild, Mann - Frau, stark - schwach, Held -Versager, links -rechts, weiß - schwarz, ... , die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Es ist ein Gegensatzdenken, das jedes Miteinander erschwert. Die künstliche Trennung von bestimmten Wahrnehmungsbereichen führt zu einer "Fragmentierung" unserer subjektiven Wahrnehmung. Wir sehen und hören nur Stückwerk. Uns fehlt der Überblick und der Zusammenhang. Wir sehen und hören nicht das, was ist, sondern das, was wir sehen und hören sollen und wollen. Was wir oder "mann" erwartet, daß wir sehen und hören sollen. Klischees und Ideologien bestimmen unsere wahrgenommene Realität. Durch unsere gestörte Wahrnehmung können wir ihnen nichts entgegensetzen. Der Mann, der versucht hat, die begehrte Frau zu verwirren, damit sie nicht auf sein Geheimnis stößt, wurde dadurch selbst "verwirrt" und "blind".
Auch er wird von den Folgen seines eigenen Fantasiekonstruktes beherrscht. Anonyme und abstrakte Begriffe, wie Wirtschaft, Geld, Macht und Ideologien zählen mehr als der Mensch und seine Zufriedenheit. Unsere Welt wird immer noch von "Vätern", von "Patriarchen", bestimmt. Es sind keine liebevollen Väter, die das Wohl der ihnen Anvertrauten im Sinn haben, sondern Männer, die rücksichtslos und eigenmächtig nur ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Sie sind Männer, für die Macht und Geld und deren uferlose Vermehrung offenbar der einzige Sinn ist, den sie im Leben finden können.
Wenn wir aufhören würden, ihre Macht und ihren scheinbaren Glanz zu bewundern, könnten wir besser hinter ihre prunkvollen Kulissen schauen und würden dort, wie bei jedem Mann, den "anderen Mann" entdecken. Wir würden sehen, daß hinter all den glänzenden Fassaden, die sie um sich herum errichten, ihr Begehren nach den Frauen und ihre Angst vor dem eigenen Versagen, vor ihrer Impotenz, versteckt sind.
Bei der Analyse der biblischen Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva wurde deutlich, daß die im Christentum übliche Auslegung keineswegs die einzig mögliche ist. Die Schuldzuweisung an Eva verdeutlicht die Absicht der Verfasser des alten Textes und die der späteren Interpreten. Im Zentrum der Geschichte steht ein allmächtiger Gott, der Gehorsam fordert und der durch Verurteilung der körperlichen Lust die Menschen zu einem Leben mit der Erbsünde, einer nicht wieder gut zumachenden Schuld verdammt. Die Verantwortung dafür wird einer Frau bzw. tendenziell allen Frauen zugeschoben und ihre soziale Stellung dadurch schon sehr früh als dem Mann untergeordnet definiert.
Wenn wir von einzelnen Christen heute ausgehen, scheinen das Christentum und die Kirche moderner geworden zu sein. Nicht nur Martin Luther, auch viele andere haben immer wieder Reformen erzwungen. Wenn wir aber die Situation z.B. der katholischen Kirche, die hier in Österreich die wichtigste religiöse Kraft darstellt, genauer betrachten, stellen wir fest, daß sich die meisten Dogmen von damals bis heute erhalten haben. Die kirchliche Ehe unterliegt genaugenommen fast den gleichen Regeln wie damals. Sexualität ist aus kirchlicher Sicht nach wie vor ausschließlich zur Zeugung von Kindern da, Verhütung vom Papst verboten, Sexualität im Allgemeinen und Ungehorsam gegen päpstliche und kirchliche Vorschriften Sünde. Auch die Erbsünde lastet weiter auf uns bis zum jüngsten Gericht.
Das einzige, was sich wirklich entscheidend geändert hat, ist der Einfluß der Kirche. Nicht einmal die Christen selbst kümmern sich noch wirklich um die detaillierten Vorschriften der Kirchenobrigkeit. Großzügig läßt man einfach die nicht brauchbar erscheinenden Vorschriften, wie z.B. das Verbot der Verhütung, weg und zimmert sich ein Glaubensgebäude nach eigener Facon. Doch wir sollten uns nicht täuschen oder täuschen lassen. Dieses selbstgebastelte Glaubenskonstrukt entspricht in keiner Weise der Realität und der Tradition des römisch-katholischen Glaubens oder anderer christlicher Traditionen. So eine lange Geschichte der Frauenfeindlichkeit und des Kampfes gegen Andersdenkende kann nicht so einfach weggewischt werden. Der männliche Gott wird nie weiblich werden und die christliche Entstehungsgeschichte der Menschheit im Alten Testament, die Sexualität mit Erbsünde und Schuld verbindet, wird immer als Glaubensgrundlage des Christentums bestehen bleiben.
Das gleiche gilt im Wesentlichen für alle monotheistischen Religionen. Die fantasierte Allmacht Gottes steht für das Allmachtstreben aller Männer und für ihren Wunsch durch Identifikation mit dem männlichen Gott auf alle Frauen herabblicken zu können. Alle monotheistischen Religionen waren und sind wichtige ideologische Stützen des Patriarchats und haben meiner Meinung nach wenig Interesse an einer Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter. Ihr Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben ohne Hierarchie der Geschlechter wird daher immer halbherzig bleiben. Wir können froh sein, daß die Trennung von Staat und Kirche die Macht kirchlicher Institutionen einschränkt, und hoffen, daß keine fundamentalistischen Strömungen die Oberhand gewinnen.
Äußerer Frieden hängt von innerem Frieden ab und der wurde schon viel zu lange durch Geschlechterhierarchisierung negativ beeinflußt. Wir sollten weniger auf religiöse Ideologien vertrauen, die diese Hierarchisierung miterfunden und unterstützt haben, und statt dessen noch viel entschiedener auf allen Ebenen gemeinsam gegen jede Diskriminierung von Frauen und jede Idealisierung von Männerbildern auftreten und eine fantasierte, unrealistische und trennende Geschlechtsrollendefinition ablehnen.
© Hannelore Röggla (Wien)
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