Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. August 2006
 

3.4. Sind die Weltreligionen friedensfähig?
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Vera Zingsem (Tübingen)

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Religiöser Fundamentalismus und politischer Islam in Deutschland - ihr Einfluss auf Frauenrechte und Frauenbild

Collin Schubert (Tübingen)
[BIO]

 

TERRE DES FEMMES ( TDF )- Erde, die auch den Frauen gehören soll, ist eine gemeinnützige Frauenrechtsorganisation in Deutschland mit Sitz in Tübingen. Wir arbeiten durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, sind international vernetzt und unterstützen Frauenhilfsprojekte in vielen Ländern außerhalb Europas.

TDF entstand aus der Erkenntnis heraus , dass Frauen weltweit oft nur deshalb diskriminiert werden, WEIL sie Frauen sind!

  1. Sie leiden im privaten Bereich unter häuslicher Gewalt

  2. Sie leiden unter struktureller, staatlicher Gewalt

  3. Sie leiden durch Sanktionen, die speziell gegen sie als Frauen gerichtet sind, zum Beispiel in einigen islamischen Ländern unter einer Familiengesetzgebung nach dem Scharia-Recht.

  4. Sie sind Leidtragende nach Kriegen und in postwar-Situationen

  5. Sie erdulden religiös-legitimierte Menschenrechtsverletzungen und sind Opfer frauenfeindlicher Traditionen wie Zwangsheirat und Ehrenmorden.

Es gibt viele Formen von Gewalt die eine Herrschaft des Mannes über die Frau legitimieren.

Ziele von TDF sind: Frauen sollen auf der ganzen Welt ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde führen können, unabhängig von ihrer Ethnie, staatlicher Zugehörigkeit oder Religion.

(Ist das eine Utopie? Ohne Visionen und die Hartnäckigkeit engagierter Frauen, für sie zu kämpfen, kann nichts erreicht werden.)

TDF, wurde 1981 gegründet. Das war eine heute schon als historisch zu bezeichnende Aufbruchzeit für die Frauenpolitik.

Internationale Abkommen, vor allem 1979 die CEDAW-Konvention zur "Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau" sicherten Frauen international zum ersten Mal umfassende Rechte zu. TDF wurde von dieser Aufbruchswelle mitgetragen, so entstand aus dem kleinen Gründerinnen-Verein bald eine Organisation, die heute erfolgreich mit Politik und Medien zusammen arbeitet und beachtliche Erfolge erzielt. Wir bedauern, dass in den letzten Jahren Frauenpolitik, Frauenthemen wieder mehr marginalisiert werden .

Wo liegen nun die Schnittstellen zwischen TDF als unabhängiger "säkularer" Organisation mit teils praxisorientierter Arbeit und dem Thema der Sektion:

"Sind die Religionen friedensfähig?"

1. Viele Frauenrechtsverletzungen stehen in engem Zusammenhang mit religiösen Vorstellungen von der Natur der Frau, von ihren Aufgaben und Pflichten. Erfolgreich Projektarbeit zu leisten bedeutet auch, diese Zusammenhänge zu berücksichtigen.

Ein Beispiel: Am Anfang eines TDF-Engagements gegen Genitalverstümmelung in Afrika steht die Aufklärung und Sensiblisierung von

Imamen, Ärzten und Beschneiderinnen. Erst wenn die religiöse Führung davon überzeugt ist, dass FGM keine religiöse Vorschrift ist und diese Überzeugung auch nach außen vertritt, sind auch die betroffenen Familien bereit sich umzustellen.

2. Berührungspunkt ist der Einfluss von Religion auf die Politik.

Seit der iranischen Revolution 1979 ist eine neue Art von religiösem Fundamentalismus aufgetreten, der, ausgehend von Iran, auch in anderen islamischen Staaten und in westlichen Ländern sichtbar wird.

Der Islam wird verstärkt für politische Ziele missbraucht. Dieser islamische Fundamentalismus ist durch Migration, Globalisierung und Fluchtbewegungen auch nach Europa gekommen. Er versucht Teile der muslimischen Gesellschaft schleichend zu unterwandern und wirkt sich besonders negativ auf die Lebenssituation von Migrantinnen aus.

Ca 20-30% der Migranten leben in den großen Städten von Deutschland nicht nur in ganz spezifischen türkischen oder arabischen communities, in denen vorwiegend die Heimatsprache gesprochen wird, sie leben auch in parallelen Welten. Das ist lange Jahre weder von der Öffentlichkeit noch von der Politik thematisiert worden. Hier werden teilweise überkommene Traditionen

gepflegt, die im Widerspruch zur demokratisch-freiheitlichen Werteordnung stehen. Im Extremfall werden im Namen von politisierter Religion und Tradition Ehen erzwungen und Ehrenmorde verübt.

Der politische Islam zeigt sich durchaus zwiespältig, was die Legitimation von Gewalt an Frauen betrifft. Frauen sind in Ländern, in denen der politische Islam sich in den letzten Jahren verstärkt hat, besonders vielen und heftigen Gewaltformen ausgesetzt. Auch Studien in Deutschland ergeben, dass Gewalt bei sehr vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die im Einflussbereich islamistischer Organisationen sind, in der dritten Zuwanderergeneration zu- und nicht abnimmt.

Was ist das Spezifische am islamischen Fundamentalismus? Ich möchte betonen dass Islam und Islamismus zu trennen sind.

Ebenso wie das Christentum ist der Islam eine monotheistische Schriftreligion, im Gegensatz zum Christentum heute wurde bislang aber in keinem islamischen Land eine Trennung von Staat und Religion vollzogen. Deshalb stehen sich Islam und Moderne oft fremd gegenüber.

Das islamische Weltbild ist ganzheitlich und geht von der Vorstellung aus, dass alle Bereiche des Lebens Teile der göttlichen Ordnung sind. Im Islam wird die kollektive Identität betont, in der nicht das Individuum zählt sondern die Gemeinschaft, die Umma.

Der Koran ist die einzige verbindliche Rechtsquelle, die Scharia mit den islamischen Rechtsvorschriften wird daher für streng gläubige Muslime zur Grundlage des islamischen Wertesystems. So wird verständlich, dass in vielen islamischen Ländern jedes säkulare Recht dem religiösen nachgeordnet sein muss. Zum Beispiel findet in Afghanistan die neue säkulare Verfassung nur dann Anwendung, wenn das entsprechende Gesetz den "Vorschriften des heiligen Islam nicht widerspricht". (Verfassung Afghanistan 2004). Diese Widersprüche ergeben sich aber ständig im Hinblick auf Frauen. So wurde Frauen 2005 das Singen im afghanischen Fernsehen verboten, weil dies nicht mit dem Islam vereinbar sei.

Der Islamismusinstrumentalisiertdas ganzheitliche Weltverständnis für politische Ziele. Der Koran dient als Quelle für politische Anschauungen.

Der politische Islam ist eine moderne Ideologie mit totalitären Zügen: antiwestlich, antisäkular, antidemokratisch. Das Feindbild sind dabei nicht die christlichen Religionen, sondern die säkularen Gesellschaften der westlichen Demokratien.

Zur Wesensart dieser neopatriarchalen Ideologie gehören Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus. Auch in Europa fordern Islamisten seit einiger Zeit, ihre islamische Identität und Ordnung ausleben zu können. Langfristig wird sogar eine Islamisierung der westlichen Gesellschaften angestrebt. Eine der Strategien, dies zu erreichen, ist die "Verstellung": "Wenn der Glaube nicht offen verbreitet werden darf, ist auch Verstellung erlaubt". Viele Islamisten geben sich in der Öffentlichkeit unpolitisch, in ihren Organisationen und Vereinen aber betreiben sie politische Propaganda: liberale westliche Gesellschaften werden verachtet und ein Elitebewusstsein gepflegt, das auf Überlegenheit und Abgrenzung aus ist.

Der politische Islam in Deutschland ist schillernd und heterogen. Von seinen Vertretern sagt der Islamwissenschaftler Heribert Müller: "Sie schwimmen wie Fische im Wasser." Zur Führungselite gehören keine auffälligen Bartträger sondern Intellektuelle, die zum Teil westliche Hochschulen besucht haben.

Die Betreiber der Homepage "Muslim-Markt" sind promovierte Naturwissenschaftler.

Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen die weltweite Vernetzung, erst durch sie konnte der Islamismus zu einer globalen Bewegung werden, die Menschen in Indonesien genauso erreicht wie in Europa.

Man bedient sich also ohne Hemmung westlicher Technologie, um eine rückwärtsgewendete, die Vergangenheit idealisierende Ideologie zu verbreiten. Männer und Frauen sollen gottgewollte Geschlechterrollen akzeptieren. Eine buchstabengetreue Koraninterpretation verpflichtet, die koranischen Anweisungen, die als offenbartes unveränderbares Wort Gottes gelten, in den modernen Alltag umzusetzen.

In den letzten Jahren ist innerhalb des Islam allerdings eine Frauenbewegung entstanden. Muslimische Wissenschaftlerinnen bemühen sich um eine feministische Interpretation relevanter Textstellen. Doch häufig sind sie dem Vorwurf ausgesetzt, Häretikerinnen zu sein. Viele von ihnen arbeiten und veröffentlichen deshalb von westlichen Ländern aus.

Zum Jihadismusbegriff: Der Islamismus hat auch den Gedanken des Jihad hervorgebracht, nämlich, einen gerechten Krieg im Namen Allahs gegen Andersdenkende führen zu können. Trotz Ausnahmen, hat der Jihad-Gedanke in westlichen Ländern wenig Bedeutung. Hier ist es der legalistische Islamismus, der sich mit den vorhandenen Gesetzen scheinbar arrangiert und die Veränderung der Gesellschaft eher subversiv betreibt.

Der politische Islam tritt zum ersten Mal in den 1920-er Jahren auf den Plan.

Der Theologe Hassan Al Banna gründete in Ägypten die Muslimbrüderschaft als Antwort auf eine von Krisen erschütterte muslimische Welt. Diese Bewegung erfasste viele arabische Länder, zog sich aber wieder zurück nach dem Ende der Kolonialzeit und mit der Verbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen. Sozialistisches Gedankengut spielte eine Rolle bei den Staatsgründungen in Ägypten (Nasser), Libyen (Gaddafi ),Tunesien (Bourguiba),Türkei (Atatürk) und Afghanistan (Amanulla).

Im Jahr 1979 beginnt die Wiederbelebung des religiösen Islamismus mit der islamischen Revolution in Iran. Sie wandelte das Land, das durch den Schah in die westliche Moderne hineingepeitscht worden war in einen Gottesstaat. Ayatollah Khomeini übernahm die staatliche und religiöse Führung. Seine erste Amtshandlung war, die säkulare Verfassung zu eliminieren und das islamische Recht einzuführen, das zum Beispiel bis heute die Steinigung von Frauen erlaubt. Der jetzige ultrakonservative Staatspräsident Ahmadinejad hat Ende 2005 ein Gesetz erlassen, das alle künstlerischen Werke, die mit Feminismus in Verbindung gebracht werden können, verbietet. Internetseiten, auf denen Worte wie Sex und Gender erscheinen, wurden gesperrt.

Für viele islamische Länder wurde der Iran Vorbild. Dass es gelungen war, ein korruptes säkulares Regime zu stürzen und dem Islam wieder zur Geltung zu verhelfen, half ihnen nach Jahren der gefühlten Unterdrückung durch Kolonialmächte und später durch westlichen Wirtschaftsimperialismus, ein neues Selbstbewusstein zu finden. Diese Haltung ist zwar verständlich, doch leider ging es in den meisten islamischen Ländern nicht um eine Rückbesinnung auf den volksgläubigen, moderaten Islam. Auch liberale islamische Länder wie Indonesien ließen sich von fundamentalistischen Ideologien vereinnahmen.

Die menschenrechtliche Situation von Frauen ist heute in der gesamten islamischen Welt schlecht.

Zur Zeit haben fundamentalistische Bewegungen weltweit Auftrieb.

In Saudi-Arabien finanzieren wahabitische Islamisten mit Petrodollars Koranschulen, Moscheen und islamische Internate, die nach Scharia-Regeln geführt werden, im Kosovo, in Usbekistan und in Deutschland. Bekanntestes von den Saudis finanziertes Internat ist die König Fahd Akademie in Bonn.

Das Kopftuch, der Tschador, die Djaballah sind in vielen Ländern zum Symbol des politischen Islam und einer daraus hervorgehenden islamisistischen Frauenbewegung geworden. In Ägypten trugen vor 10 Jahren weniger als die Hälfte der Frauen in Kairo das Kopftuch, heute verhüllen sich etwa 80%.

In Deutschland trugen vor 8 Jahren 20% der Muslima Kopftuch, heute sind es 45%. Der Anpassungsdruck ist groß.

Bassam Tibi beschreibt in seinem Buch: "Mit dem Kopftuch nach Europa" den Aufstieg neuer islamistischer Eliten unter der Erdogan-Regierung.

Frauen stehen im Zentrum dieser Bewegungen, denn der politische Islam kreist wie ein Rad um die Achse Weiblichkeit und Sexualität. Frauen sind zwar Opfer, spielen seit einiger Zeit aber auch als Akteurinnen eine Rolle.

Ich will beide Aspekte am Beispiel Deutschland kurz darstellen.

I ch erwähnte bereits, dass sich die soziale Lage von Menschen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren wesentlich verschlechtert hat: Sprachbarrieren, hohe Arbeitslosigkeit, sozio-ökonomische Probleme führten zur Bildung von Parallelgesellchaften, in denen sich die Betroffenen häufig von der Mehrheitsgesellschaft abschließen und vermehrt religiösen Vorstellungen zuwenden. (Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien 2005) Es geht dabei keineswegs nur um eine Hinwendung zum volkstümlichen Islam. Frustration, Angst, die Identität zu verlieren, machen Migranten auch empfänglich für die Botschaft der Islamisten.

Diese stärken zuerst einmal das Selbstwertgefühl ihrer Anhänger, indem sie postulieren : "Der Islam ist das beste Lebensmodell und allen anderen überlegen. Kehrt zu Euren Wurzeln zurück, grenzt euch ab, schließt Euch ein."

Ein weiterer Anreiz besteht darin, durch soziale Angebote Gemeinschaftsgefühl herzustellen. Auf der Alltagsebene engagieren sich islamistische Gruppen in den communities, bieten Frauen Koch- und Nähkurse an, gestalten die Freizeit von Jugendlichen, unterhalten Koranschulen und machen Beschäftigungsangebote für arbeitslose Familienvorstände. Gleichzeitig wird starke Kontrolle ausgeübt. Es ist zwar leicht, sich einer islamistischen Organistion anzuschließen, aber nicht, wieder aus ihr heraus zu kommen.

Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem Mädchen und Frauen. Denn in diesem konservativ-patriarchalischen Milieu wird eine Frauenrolle propagiert, die rückwärtsgewendet ist und von gesellschaftlicher Chancengleichheit ausschließt. Sie werden von klein an zu Fügsamkeit erzogen, sich sollen sich islamisch kleiden, keusch bleiben bis zur Heirat und die gottgewollte Superiorität des Mannes anerkennen. Dafür wird der Koran, Sure 4, Vers 33 herangezogen.

Theorie und Praxis von Fundamentalisten und Traditionalisten kreisen um den weiblichen Körper, der Reinheit und Verführungsmacht zugleich symbolisiert.

Das traditionelle Konzept von Familienehre, - Ehre muss erhalten - Schande muss abgewehrt werden - findet deshalb auch Zustimmung in fundamentalistischen Kreisen. Frauen werden instrumentalisiert, um traditionelle und religiöse Ehrvorstellungen aufrecht zu erhalten.

Ehrenmorde treten dann auf, wenn sich die Familie durch das Verhalten ihrer weiblichen Familienmitglieder in der Ehre verletzt sieht.

Um die Familienehre zu erhalten, sind viele junge Frauen aus diesem Milieu, sobald sie ihre Wohnung verlassen, ständiger Kontrolle unterworfen. Aufgabe der Brüder ist es, ihre Schwestern zu überwachen, damit der gute Ruf der Familie keinen Schaden nimmt. Junge Männer kompensieren ihre Frustrations- und Minderwertigkeitsgefühle, die durch den Zusammenstoß mit der westlichen Wertegesellschaft entstehen, häufig mit Machismo und Gewalt gegenüber den jungen Frauen.

Viele junge Frauen werden zerrieben im Spagat zwischen zwei Welten. Einerseits wollen sie von ihrer traditionell denkenden Familie akzeptiert werden, andererseits aber auch ein Teil der Mehrheitsgesellschaft sein und so leben wie die Mehrheitsgesellschaft - eine traumatisierende Situation.

Weil die elterliche Autorität einen hohen Stellenwert hat, und die Familienmitglieder eng aufeinander bezogen sind, besitzen nur wenige Mädchen Selbstwertgefühl und Mut, einen eigenen Weg einzuschlagen. Denn dieser führt in der Regel zur Loslösung von der Familie und zu einer anonymen Existenz. Alle Bindungen an die Familie werden abgeschnitten, das ist für die jungen Frauen sehr schwer zu ertragen. Viele Mädchen fügen sich daher in die von den Eltern bestimmte Rolle und akzeptieren die arrangierte oder gar erzwungene Ehe.

Der politische Islam zementiert die traditionelle Frauenrolle - wie steht es aber mit den Akteurinnen, den Profiteurinnen dieser Bewegung? Im Widerspruch dazu können Frauen seit einiger Zeit auch als Akteurinnen eine Rolle spielen.

In vielen islamischen Staaten, auch in Deutschland, wird eine Elite junger Frauen herangebildet, kompetent, eloquent, perfekt indoktriniert, sogenannte "Nadelstreifenislamistinnen". Man findet sie als Gesprächspartnerinnen oder Referentinnen bei Dialogveranstaltungen, als lebhafte Diskutantinnen nach Podiumsdiskussionen zum Thema Islam. Nach außen präsentieren sie sich als unpolitische Vertreterinnen des Islam, sehen im Kopftuch Emanzipation und Selbstbestimmung, ("ich trage es freiwillig für Allah, ich bin glücklich") in ihren communities werben sie jedoch für das konservative Frauenbild das sich vom westlichen deutlich abheben soll.

Sie organisierren Rechtsanwälte, die muslimischen Eltern helfen sollen, ihre Töchter vom Sport- und Biologieunterricht abzumelden. Sie initiieren Hijab-Kampagnen im Internet. Hier können junge Frauen lernen, im "feindlichen Umfeld" das Kopftuch zu verteidigen. Das Kopftuch, das im politischen Islam durchaus eine abgrenzende Funktion hat.

Doch auch die Akteurin und intellektuelle Muslima hat keine Chance, in echte Führungspositionen aufzurücken. Islamistische Frauen sind Bodentruppen und leisten als Kopftuchträgerinnen propagandistische Dienste. Trotzdem wächst die Schar der Frauen, die selbstbewusst die Ziele des politischen Islam verteidigen, beständig. Gemeinsame Arbeit für die Organisation zu leisten, bedeutet ein Stück Teilhabe an Emanzipation.

In fast allen Städten in Deutschland existieren islamistische Infrastrukturen. Die Organisationen sind schillernd und heterogen. Und es geraten immer mehr gläubige Muslime in den Einflussbereich der Islamisten.

Hier liegt ein gewaltiges Konfliktpotential und es wäre falsch, sich nicht einzumischen. Um den Preis kurzfristige Harmonie würden sich islamitische Parallelgesellschaften weiter verfestigen. Islamisten würden ihrem Ziel näher kommen, unter anderem in säkulare Verwaltungsstrukturen einzudringen und diese schleichend zu unterhöhlen.

Es zeigt sich aber, dass die Mehrheitsgesellschaft in letzter Zeit sensibler geworden ist. In Deutschland, Holland und England ist man dabei, sich vom naiven, kaum etwas in Frage stellenden Multikulturalismus der Vergangenheit zu verabschieden. Das bedeutet nicht nur tragfähige Integrations-Konzepte zu entwickeln, sondern auch Immigranten mehr als früher Pflichten aufzuerlegen.

Das Motto ist fördern und fordern. Neben Sprachkenntnissen wird auch ein klares Bekenntnis zu Werten der westlichen Demokratie verlangt.

Reicht das aus? Die Konfliktlinien verlaufen ja nicht nur zwischen Islam und säkularer Gesellschaft, sondern zwischen Fundamentalisten und Aufgeklärten allgemein und zwar quer durch alle Gesellschaftsformen. Weltweit haben unterschiedliche fundamentalistische Kräfte an Boden gewonnen. Sie alle treten für Rückschritte in der Frauenpolitik ein.

Das wurde sichtbar auf einer der Veranstaltung "Frauenrechte im Kreuzfeuer der Fundamentalismen" der Heinrich-Böll-Stiftung in Stuttgart im Juni 2005. Franziska Brantner, ehemalige Beobachterin bei UNIFEM, der Frauenvertretung der UN, hat beschrieben, wie internationale fundamentalistische Gruppierungen Koalitionen herstellen, um schon einmal erreichte Rechte für Frauen wieder auszuhebeln oder einzufrieren.

Diese Vorgänge laufen weit gehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ab.

Ich fasse die Beobachtungen von Frau Brantner kurz zusammen:

Während die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und die Bevölkerungskonferenz in Kairo 1994 den Frauen weitreichende Frauenrechtsdokumente lieferte, sah die katholische Kirche, in diesen Aktionsplattformen das Ende der Familie heraufziehen. Der Vatikan entschied sich für einen Gegenangriff, den er effektiv gestalten konnte, denn er besitzt als einzige Weltreligion einen Beobachtersitz bei der UN im gleichen Status wie die EU.

Parallel dazu fand in den USA unter Bush eine "Kulturrevolution" statt, die US-amerikanische Protestanten auf einen radikal-reaktionären Kurs bringen sollte.

Es wurden Mehrheiten für die konservative Interpretation von Familie und gegen Frauenrechte mit Hilfe breit angelegter Öffentlichkeitsarbeit organisiert.

Die Stuttgarter Zeitung vom 25.11.2005 berichtet:

Wenn heute in den USA ein Medien- oder Filmpreis verliehen wird, danken alle Stars erst einmal Gott: "Ich bin nur dank Gottes Gnaden hier. Alles, worum ihr bittet, wird erhört werden"

In einer unheiligen Allianz arbeiten katholische und evangelikale Lobbyisten eng zusammen und scheuen sich nicht, mit Ländern zu kooperieren, die von der Bush-Regierung als die Achse des Bösen bezeichnet werden. Sudan, Iran und Pakistan werden zu nützlichen Alliierten im Engagement gegen Frauenrechte und Fortschritt:

Die Frauenrolle soll wieder auf Gebären und Haushalten reduziert und patriarchaler Kontrolle unterworfen werden. Homosexualität wird abgelehnt, AIDS wird als gerechte Strafe für freizügige Sexualität gesehen, finanzielle Unterstützung gibt es nur für Abstinenz-Beratung aber nicht für Verhütungsmittel, die Pro-Life-Bewegung wächst.

Diese einflussreichen Gruppen haben bereits eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Um massive Rückschritte zu verhindern und aus der Angst heraus während der Amtszeit von Präsident Bush nur an Rechten verlieren zu können, sprachen sich die EU, progressive Regierungen und internationale Frauenrechtsorganisationen gegen eine Peking+10 Nachfolgekonferenz aus.

Die internationale Frauenrechtsbewegung ist sich zudem bewusst, dass sie im Moment geschwächt und strategiearm ist.

Ist das kein Thema für die europäischen Länder? Bei uns gehören die "born again" noch zu einer Minderheit und die Evolutionstheorie darf im Gegensatz zu manchen Orten in den USA unwidersprochen gelehrt werden. Die ganze Wahrheit ist es trotzdem nicht.

Im Europäischen Parlament hat eine radikal konservative Abgeordnete den Vorsitz des Frauenrechtsausschusses. Die Slowakin Anna Zaborska ist häufig zu Gast bei Pro Life Veranstaltungen, sie ist der Meinung dass AIDS eine gerechte Strafe Gottes für Homosexualität ist und Abtreibung selbst nach Vergewaltigung abzulehnen sei. Während der UN-Frauenrechtskommission 2005 berichtete sie über die täglichen Arbeitsergebnisse direkt in die USA.

Einflussreiche Lobbyarbeit macht auch die Bischofskonferenz der Europäischen Gemeinschaft . Sie erreichte z.B. mit Unterstützung von Helmut Kohl 1997, dass der Amsterdamer Vertrag um die 11. Erklärung zum Status der Kirchen ergänzt wurde: "Die EU achtet den Status der Kirchen den sie nach ihren Rechtsvorschriften genießen..."

Im Klartext bedeutet dies: Die Kirchen genießen Sonderrechte, vor allem in Deutschland. Sie müssen sich nicht an die allgemeine Arbeitsgesetzgebung halten, sondern dürfen nach ihren eigenen Regeln einstellen und entlassen.

Sie haben das Recht, die sexuelle Orientierung ihrer MitarbeiterInnen zu überprüfen.

(Muslimische Organisationen fordern die Gleichstellung mit christlichen Kirchen. Doch welcher Islam ist damit gemeint? Der tolerante, volksnahe Islam oder diejenigen, die Europa als Missionsfeld betrachten und Frauenrechte ablehnen ? )

Opus Dei ist eine kapitalstarke ultrakonservative katholische Organisation mit vielen Mitgliedern aus den Reihen aus Politik und Wirtschaft. Opus Dei, die auf selber Linie wie der Vatikan liegt, hat sich gemeinsam mit der Organisation "Kirche in Not" die Neukatholisierung Osteuropas zum Ziel gesetzt.

Leider werden diese relevanten Themen von den Medien totgeschwiegen. Der schlechte Informationsfluss zieht es nach sich, dass fundamentalistische Angriffe gegen Frauen weitgehend ohne Echo verhallen. Dabei könnte das Wissen um diese Gefahren eine neue Frauenbewegung ins Leben rufen, eine international vernetzte Frauenbewegung die gute Lobbyarbeit macht.

Die Frauenbewegung war allzu lange mit sich selbst beschäftigt oder hat es sich in Nischen bequem gemacht.

Europa braucht die Auseinandersetzung mit dem internationalen religiösen Fundamentalismus, das Bekenntnis zu den Werten der Aufklärung und eine klare Absage an totalitäre Ideologien. Kulturrelativismus auf Kosten von Frauen und eine Toleranz, die zur Wertebeliebigkeit verkommt, darf bei uns keinen Platz haben.

© Collin Schubert (Tübingen)


3.4. Sind die Weltreligionen friedensfähig?

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For quotation purposes:
Collin Schubert (Tübingen): Religiöser Fundamentalismus und politischer Islam in Deutschland - ihr Einfluss auf Frauenrechte und Frauenbild. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/03_4/schubert16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 11.8.2006     INST