Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Februar 2006
 

5.2. Innovation and Reproduction in Austrian Literature and Film
Herausgeber | Editor | Éditeur: Donald G. Daviau (University of California/Wien)

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Goran Rebic's "Donau, Duna, Dunaj ..."

Gerlinde Ulm Sanford (Syracuse University, New York)
[BIO]

 

Das Thema dieses Aufsatzes ist der Film "Donau, Duna, Dunaj, Dunay, Dunava (bulgarisch) Dunarea". Dies ist der Titel des Films, und zugleich sind dies die verschiedenen Namen der Donau auf ihrem langen Weg durch mehrere Länder von ihrem Ursprung im Schwarzwald bis zu ihrer Mündung ins Schwarze Meer.

Dieser Film hat großes Interesse erregt und wurde auch schon an verschiedensten Orten der Welt auf Filmkonferenzen gezeigt. Der Film wurde verglichen mit dem Genre der sogenannten Roadmovies. Aber er ist eben kein Roadmovie, sondern ein Rivermovie. Während der Dreharbeiten wohnten die Schauspieler auf einem Hotelschiff, welches das alte Schiff 'Donau' auf seiner Fahrt begleitete. Die Schauspieler kommen aus verschiedenen westlichen und vor allem östlichen Ländern, sie sprechen alle Deutsch, einige sprechen mit Akzent, was den relativ sparsamen Dialog des Films farbig und interessant gestaltet. Es sprechen nicht nur die Schauspieler, sondern eine weibliche Stimme fügt an einigen Stellen des Films einen nachdenklich stimmenden Kommentar hinzu. Der Film zeigt wunderbare Aufnahmen von den Landschaften entlang der Donau. Schwärme von Vögeln, watschelnde Enten, Pferde.

Goran Rebic, der Regisseur und auch Drehbuchautor wurde 1968 in Vrsac im ehemaligen Jugoslawien geboren. Er lebt heute in Wien und hat bisher schon zahlreiche Preise erhalten für seine verschiedenen Dokumentar- und auch Spielfilme. Für den hier zu besprechenden Film hat er 2003 den Audience Award Preis erhalten, wurde 2004 nominiert für den Golden Olive Tree Preis und bekam dafür 2005 auch den Silver Rosa Camuna Preis zugesprochen.

Der Titel des Films drückt schon in etwa eines der Hauptanliegen des Films aus: Auf einem alten Schiff, das nach diesen verschiedenen Namen der Donau benannt ist, führt uns der große Strom durch verschiedene Landschaften, Sprachen, Nationen. Menschen steigen ein und steigen wieder aus. Wir besuchen mit ihnen die eine und andere östliche Stadt. Wir erleben die wechselnden Donaulandschaften, wir sehen die Zerstörungen, welche die Kriege vergangener Jahre hinterlassen haben. Vor allem aber erfahren wir, daß diese östlichen Länder-trotz ihrer Armut, trotz der auch heute teilweise noch immer vorhandenen politischen Probleme-sehr liebenswerte Züge haben, daß die Menschen auch dort freundlich sind, daß man auch dort leben kann, daß man auch dort glücklich sein kann.

Der eigentliche Anlaß für diese Reise von Wien nach Sulina, dem Ort, wo die Donau ins Schwarze Meer fließt, ist makaber. In Wien bittet ein Junge (gespielt von Robert Stadlober) den Kapitän des Schiffs (gespielt von Otto Sander), den metallisch glänzenden Sarg seiner Mutter Mara auf seinem Schiff donauabwärts bis zum Eisernen Tor (Porta Orientalis) zu transportieren. Dort wollte sie im Donaustrom bestattet werden. Mara hat ihn zu dem Kapitän des Schiffs geschickt, den der Junge für seinen Vater hält. Der alte und mürrische Kapitän Franz ist zuerst abweisend. Aber schließlich gelangt der Sarg Maras doch auf das große alte Schiff, und die Fahrt zum Eisernen Tor, bzw. dann weiter bis zur Mündung der Donau in Sulina, beginnt. Von Wien bis nach Sulina sind es 1927 Kilometer. Das Eiserne Tor befindet sich laut Goran Rebic bei Kilometer 1001, eine Zahl die uns vielleicht an die Märchen von Tausend und eine Nacht erinnern soll, wie Goran Rebic in einem Interview sagte.

Im Laufe der Schiffsfahrt verfolgen wir Ausschnitte aus den Schicksalen mehrerer Menschen. Teilweise erfahren wir oder können wir wenigstens vermuten, wie ihr Leben vor der Reise verlief und wie es vielleicht weitergehen wird, teilweise bleiben sie nicht genauer bestimmbare Charaktere, von denen wir nur wenig wissen. Vom Schicksal des Zigeuners Rom und seiner drei sogenannten Schwestern z. B. wird uns nur ein kurzer Ausschnitt geboten.

Die beiden Hauptcharaktere sind Franz, der Kapitän des Schiffes, und Bruno. Goran Rebic sagt über diesen Strang der Handlung, daß sie mythologische Züge habe. Brunos Namen hören wir erst ganz am Ende des Films zum ersten Mal. Er ist der Junge mit dem Sarg, der seine Mutter am Eisernen Tor beisetzen will und der seinen Vater sucht-den er im Traum für einen großen Kapitän hält, der auf weiten Meeren schifft. Vielleicht hat Goran Rebic mit seiner Bemerkung, daß dieser Handlungsstrang mythologische Züge habe, an Telemach gedacht, der seinen Vater Odysseus sucht. Franz schifft zwar nicht auf weiten Meeren, wohl aber Odysseus, und Bruno träumt von einem Vater, der ein großer Kapitän ist. Am Schluß des Filmes scheint das Schiff interessanterweise auch nicht wieder die Donau stromaufwärts zurückzufahren, sondern das letzte Bild läßt in uns den Eindruck zurück, daß sich das Schiff hinaus ins weite Meer bewege.-Bruno muß im Laufe der Reise erfahren, daß Mara nicht seine Mutter und Franz nicht sein Vater ist. Franz und Mara nämlich hatten einen Sohn namens Michael. Um Mara, die berühmte bulgarische Olympiasiegerin im 200 Meter Brustschwimmen zu zwingen, immer wieder nach Hause zurückzukehren, verweigerte die Regierung ihrem Sohn Michael immer wieder die Ausreise in den Westen. Die schließlich veranstaltete Flucht schien gut zu verlaufen, ja Mara war der Meinung, daß das Schiff schon die österreichische Grenze überfahren hatte. Aber Franz fürchtete, Michael könnte knapp vor der österreichischen Grenze noch entdeckt werden. Er befahl daher seinem Sohn, die letzten 30 Meter zu schwimmen und warf ihn aus Angst, der Sohn könnte gefaßt werden, in die Donau. Michael war ein guter Schwimmer, und es waren höchstens noch 30 Meter bis ans sichere Land. Michael aber geriet in einen Wasserstrudel, und Franz, der sofort nachsprang, als er seinen Sohn in Not sah, konnte ihn nicht mehr retten. Mara jedoch hatte recht gehabt, das Schiff hatte eigentlich die Grenze schon passiert. Nach diesem Unglück konnte Mara keine Kinder mehr bekommen, und die Beziehung zwischen Franz und Mara ging wohl auseinander. Mara aber adoptierte Bruno, was sie diesem jedoch nicht mitteilte. In Maras Tagebuch kann Bruno eine Legende aus dem Kaukasus lesen, die besagt, daß es bei den Osseten im Kaukausus üblich sei, die Söhne von früheren Feinden zu adoptieren. Bruno dürfte also ein Wiener Waisenkind sein, das von der aus Sulina in Bulgarien stammenden Mara adoptiert wurde.

Nachdem Bruno diese schmerzhaften Wahrheiten erfahren hat und sehr enttäuscht und niedergeschlagen ist, nimmt er nicht teil, als am Eisernen Tor schließlich das Flußbegräbnis Maras stattfindet. In der nächsten Stadt flußabwärts findet gerade ein Maskenfest statt. Bruno geht an Land, ohne sich zu verabschieden. Franz folgt ihm und stellt ihn deshalb zur Rede. Er schlägt vor, daß Bruno mit ihm zusammen nach Sulina fahren solle, um dort die Verwandten Maras kennenzulernen. Auch das von Bruno auf der Straße gefundene kleine Kätzchen darf mit auf das Schiff. Auf der weiteren Donaufahrt nähern sich beide einander. Franz behandelt Bruno fast väterlich. Er zeigt Bruno sogar, wie man das Schiff steuert. Bruno zeigt ihm, daß er sich ein Abbild des Schiffes von Franz auf den Oberarm hat tätowieren lassen. Die Tätowierung ähnelt einer Zeichnung des Schiffes, die dort in Franzens Kajüte eingerahmt hängt und dessen kindliche Darstellung darauf schließen läßt, daß es wohl von Michael gezeichnet worden war. Franz und Bruno scheinen Zuneigung zu einander gefaßt haben, und sie verhalten sich nun eigentlich wie Vater und Sohn. Da erleidet Bruno eine Herzattacke und ertrinkt in der Donau. Sein Leichnam kann trotz intensiven Suchens nicht mehr gefunden werden.

Mag sein, daß Maras Wunsch, am Eisernen Tor beigesetzt zu werden, eine Geste der Versöhnung sein sollte. Der Donaufluß hatte ihren Sohn verschlungen. So war sie wieder mit ihrem Sohne vereint. Und nun nach dem Tode Franzens sind wohl alle drei wieder heimgekehrt in den Strom, der schließlich in das Schwarze Meer mündet. So wie gemäß verschiedenen Mythen das Leben aus dem Meer entsteht (denken wir z. B. an die Geburt der Göttin Venus aus dem Meerschaum) so kehren nun auch diese drei Leben wieder in den Schoß des Meeres zurück.

Nicht ganz klar ist, weshalb Mara am Eisernene Tor beigesetzt werden möchte. Warum nicht dort, wo Michael umgekommen ist, also wahrscheinlich nahe der österreichischen Grenze, oder warum nicht an der Mündung der Donau, wo die Donau heimkehrt in den Schoß des Meeres?-Eine Erklärung dafür wäre folgende: Als Michael umkam, war wahrscheinlich der zirka 1971 fertiggestellte Staudamm am Eisernen Tor noch nicht gebaut. Mara darf darum wohl annehmen, daß Michaels sterbliche Reste langsam den Flußlauf hinunter und ins Schwarze Meer gewandert sind. Dies mag ein guter Grund sein, weshalb es ihr letzter Wunsch ist, hinter dem Eisernen Tor begraben zu werden.

Nach dem Tode von Franz fährt Bruno dennoch weiter nach Sulina, um dort Maras Verwandte kennenzulernen. Die Empfangsszene bei der Familie ist sehr ergreifend. Zahlreich sind sie zusammengekommen und erheben feierlich ein Glas Wein auf die verstorbene Mara und auf Franz, der ihr so schnell in den Tod gefolgt ist. In Bruno erkennen sie Franz und Maras Sohn, er sieht Mara und Franz so ähnlich, so finden sie. Wahrscheinlich aber wissen sie von Michaels Tod, denn Michael wäre zu dem Zeitpunkt doch einige Jahre älter als Bruno. In dem Zimmer, das Bruno zugewiesen wird, hängen Bilder von Mara und Franz und Michael.

Über Brunso weiteres Schicksal erfahren wir zwar nichts Genaues, doch könnten wir spekulieren. Eine der sogenannten drei "Schwestern" des Zigeuners Rom entzündet in Bruno, vielleicht zum ersten Mal, Liebesgefühle. Wie weit die Beziehung während der Schiffsfahrt geht, bleibt unklar. Aber als die drei "Schwestern" zusammen mit dem Zigeuner Rom das Schiff wieder verlassen, verabschiedet sich die Geliebte Brunos mit dem Zeichen der geöffneten Faust. Während die geballte Faust Haß, Wut und Zorn bedeuten kann, bedeutet die geöffnete Faust Entspannung, Frieden, Offenheit und hier vielleicht Liebe.

Im Schlußbild des Filmes sehen wir Bruno, auf einer Mole stehend unter dem Kilometerzeichen NULL: 0. Er steht da in einer Pose ganz ähnlich wie Mara auf einem der Fotos, die in dem Zimmer hängen, das Bruno von den Verwandten Maras in Sulina zugewiesen worden ist. Vielleicht dürfen wir annehmen, daß die Liebe zwischen Bruno und dem Mädchen wachsen wird und vielleicht vergleichbar sein wird mit der großen Liebe zwischen Mara und Franz.

Ein anderes Schicksal, das unsere Teilnahme erzwingt, ist das von Mathilda und Mircea. Sie ist eine schwarze Frau mit hellem Teint.-Gespielt wird diese Rolle von Annabelle Mandeng, die 1971 in Göttingen als Tochter eines kameruner Regierungsbeamten und einer deutschen Diplom-Kauffrau geboren wurde. Sie wuchs unter anderem in Togo/ Westafrika und Pakistan auf. Schon in frühester Kindheit wurde sie vertraut mit verschiedensten Kulturen. Sie spricht neben Deutsch fließend Englisch und Französisch.-Über das frühere Schicksal Mathildas erfahren wir nur, daß sie ihre große Liebe bei einem Autounfall verlor. Wahrscheinlich ist ihre Drogensucht eine Folge dieses Unglücks. Wir sehen Sie zuerst in ihrer Wohnung. Großaufnahmen einer Drogeninjektion, die sich sich selbst verabreicht. Ein Vogel erregt Mathildas Aufmerksamkeit. Es ist ein Grus Grus, ein grauschwarzer Kranich. Wir sehen den Vogel und dann eine fantastische Aufnahme ihres Auges, wo sich dieser wunderbare Vogel in ihrer Pupille reflektiert. Gleich danach schwenkt die Kamera über die Häuser der Stadt und zeigt ein Gebäude, auf dem ein großes Auge mit einer großen Pupille abgebildet ist. Mathilda folgt nun diesem Vogel, der offenbar eine magische Wirkung auf sie ausübt und ihrem Gefühl der Verlorenheit ein Ziel setzt. So gelangt sie auf das Schiff von Franz, der sie zuerst nicht mitnehmen will, doch schließlich doch an Bord gehen läßt. Als das Schiff dann bei Bratislava die slovakische Grenze passiert, wird Mircea (gespielt von Fiorin Persic Jr.), der versucht, illegal in den Westen zu schwimmen, vor dem Ertrinken gerettet und an Bord gebracht. Als man ihn entkleidet, findet sich auf seinem Körper aus Algen gebildet der Umriß eines schwarzen Vogels, der einem Grus Grus ähnlich sieht. Mircea war "Kindermann" in Deutschland, war jedoch deportiert worden, da er keine Papiere besaß. Mathilda hilft ihm, den Schock des Ertrinkens zu überwinden. Als Mircea zitternd und noch mit dem Tod ringend in der Schiffskajüte liegt, sagt er zu Mathilda: "Geh' nicht!" Mathilda bleibt und rettet ihm durch ihre Anwesenheit und körperliche Nähe das Leben. Später, als Mircea Mathildas Drogensucht entdeckt hat, wirft er ihre Drogen in die Donau. Mathilda erliegt danach fast einer Entzugsattacke. Da richtet sie an Mirca die selben zwei Worte: "Geh' nicht!" Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen ihnen.

Die Krise dieser Beziehung tritt ein, als der oben erwähnte Zigeuner Rom mit seinen drei angeblichen "Schwestern" an Bord kommt. Nachdem die Zigeuner das Boot wieder verlassen haben, findet Mathilda das Kind des einen Zigeunermädchens vor ihrer Kajütentür. Mircea will das Kind zur Polizei bringen. Mathilda aber will es behalten. Bruno, der inzwischen erfahren hat, daß Mara nicht seine wirkliche, sondern nur seine Ziehmutter ist, warnt Mathilda: "Behalte das Kind nicht, wenn du dir nicht sicher bist, daß du es wirklich willst". Mathilda aber behälte das Kind. Franz, der Schiffskapitän, wäre bereit, auf einem Taufschein zu bezeugen, daß er der Vater ist. Dies ist vielleicht schon das erste Zeichen dafür, daß er auch bereit sein wird, für Bruno die Vaterstelle anzunehmen. Aber Mathilda wendet sich an Mircea: "Wenn ich im Taufschein deinen Namen angebe, dann bist du der Vater. Und wenn wir heiraten, dann kannst du wohnen, wo du willst". Sie bietet Mircea damit theoretisch die Möglichkeit, wieder nach Deutschland zurückzukehren, obwohl er deportiert worden war. Bald darauf zeigt die Kamera ein Gruppenbild: Mircea und Mathilda mit dem Kind halten eine Geburtsurkunde für das Kind und eine Heiratsurkunde hoch. Franz und Bruno und der ukrainische Schiffsmaschinist Giorgi stehen dahinter. Als das Schiff in Rumänien ankommt, gehen Mircea, Mathilda und das Kind von Bord und fahren mit einem Taxi in den Heimatort Mirceas. Sie werden hocherfreut empfangen von einer alten Frau, die vielleicht Mirceas Mutter ist, und von anderen freundlichen Verwandten. Mathilda scheint sich wohl zu fühlen. Die Kamera zeigt eine liebliche Landschaft. Wir dürfen vielleicht annehmen, daß Mircea, Mathilda und das Kind nun dort bleiben und sich zu Hause fühlen, daß Mircea nicht mehr in den Osten flüchten will. Die Nachrichten im Radio, deren Inhalt wir den englischen Untertiteln entnehmen können, sprechen von einer positiven Zukunft des Landes. Vollends überzeugt uns, daß diese drei Menschen hier ein glückliches Ziel erreicht haben, als diese Episode endet, indem Mathilda sieht, wie die alte Frau an eine Wand des Hauses eben den geheimnisvollen schwarzen Grus Grus malt, dem zu folgen Mathilda beschlossen hatte.

Auch von Schicksal der Schiffsköchin Tanja (gespielt von Denisa Der) und des 1. Matrosen Nikola (gespielt von Svetozar Cvetkovic) erfahren wir gerade genug, um Anteil daran nehmen zu können. Tanja ist eine schöne Ungarin, doch hinkt sie mit einem Bein. Sie liebt den Serben Nikola, der aus seinem Land in den Westen geflüchtet ist und ebenfalls an Bord arbeitet. Sie möchte mit ihm in seine Heimat gehen und seine Verwandten kennenlernen. Als Nikola sagt, er kann nicht mehr in Serbien leben, schlägt sie vor, in ihre Heimat nach Ungarn zu gehen. Aber Nikola will auch dort nicht leben. Tanja dagegen wäre bereit, überall zu leben: "Mit dir kann ich alles!" sagt sie leidenschaftlich zu Nikola. Schließlich gesteht Nikola Tanja: "Ich kann dich nicht heiraten." Auf ihre Frage: "Warum nicht?" antwortet er nur mit einem leidenschaftlichen Kuß. In Dunaszeszkö, ihem Heimatort, verläßt Tanja daher das Schiff, um zu ihrer Schwester zu gehen. Wir wissen nicht genau, ob sie dort bleiben wird. Franz sagt zwar: "Wir holen dich hier wieder ab". Doch Franz stirbt am Ende der Reise. Am Strand des Flusses schnattern watschelnde Gänse, Tanja ihrerseits watschelt hinkend einen sanften Hügel hoch, und wir erfahren nichts Weiteres über sie. Nikola sieht traurig und nachdenklich, wie sie verschwindet.

Die dann und wann im Verlaufe des Films zu vernehmende kommentierende Stimme spricht an dieser Stelle davon, daß ein Schiff einer Zeitmaschine zu vergleichen sei. Die Menschen auf dem Schiff sind dem Leben und dem Ablauf der Zeit irgendwie entrückt. Sowie der Mensch an Land geht, wird die Landschaft wieder scharf und das Leben erfaßt den Menschen wieder.

Das Schiff gelangt nach Serbien. Am Ufer ziehen schöne alte aber bombenzerstörte Häuser vorüber. Bei Novi Sad zeigt die Kamera eine riesige bombardierte Autobahnbrücke, die halb im Strom hängt. Doch das Leben geht weiter. Jugendliche benutzen diese herabgefallene Brücke als Sprungrampe für ihre BMX-Räder. Nikola geht in Belgrad von Bord. Im Taxi fährt er nach Hause. Die hier im Radio zu hörenden Nachrichten sind ebenfalls ermutigend. Es geht vielleicht doch wieder bergauf auch in diesem Lande. Nikola ist verheiratet-darum konnte er Tanja nicht heiraten-und er sucht nun seine Frau in der Weinfabrik, wo sie arbeitet. Er trifft sie dort, während sie gerade ein schweres Transportvehikel schiebt. Sie ist zuerst sehr böse. Er ist geflüchtet, als die politische Situation in Serbien schwer wurde. Frau und Kinder mußten zurückbleiben. Nicht einmal zum Tode seiner Mutter konnte er zurückkommen. Nikola fragt nach den Kindern. Die Frau lacht bitter, und wir erfahren, daß alle Kinder unter dem Druck der politischen Lage und unter dem Krieg gelitten haben, eines nimmt Drogen, ein anderes raucht, ein drittes schrickt bei jedem Geräusch wie bei einem Bombenangriff zusammen. Aber auf die Frage, wo die Kinder jetzt seien, antwortet die Frau: "In der Schule, wo sollen sie sonst sein!" Das ist wieder positiv. Nikola und seine Frau sitzen dann nebeneinander, und als die Frau bemerkt, daß Nikola heiße Tränen weint, streichelt sie ihn tröstend. Sie wollen eine Flasche von dem besten Wein drinken. Cabernet Sauvignon. Wir dürfen denken, daß sich die politische und ökonomische Situation weiter bessert, daß Nikola nun bei seiner Familie bleibt, und daß alles gut endet.

Die an bestimmten Stellen des Films eingesetzte weibliche Stimme kommentiert am Ende der Szene zwischen Nikola und seiner Frau, daß die eigene Geschichte den Menschen irgendwann stillschweigend wieder aufnehme, während die Reisenden auf dem Schiff sozusagen zeitlos existieren und warten würden, bis der Fluß sie wieder freilasse, damit ihr Leben weitergehen könne.

Eine Kombination von Eigenschaften macht diesen Film interessant und neuartig: 1. Es handelt sich um das relativ seltene Genre eines "Rivermovies". 2. Die Passagiere auf dem Boot kommen aus verschiedensten sprachlichen Hintergründen, dennoch aber findet eine Verständigung untereinander statt-ein sehr aktuelles Thema in unserer Zeit. 3. Der Osten wird nicht dargestellt als furchterregend, sondern als freundlich helles weites Gebiet, als der Bruder Osten, als etwas, vor dem man keine Angst zu haben braucht. 4. Die von Goran Rebic verwendete mosaikartige Darstellung erweist sich als wirkungsvoll und entspricht der Realität des Lebens. Er bietet uns ein lückenhaftes Mosaik, in dem viele Steine fehlen, so wie ja auch das wirkliche Leben oft nur bruchstückartige Einblicke in menschliche Schicksale bietet. 5. Der Film behandelt eine Mischung von gewöhnlichen menschlichen Problemen, doch gewinnt dieser Film durch die Verwendung von eindrucksvollen Symbolen (z. B. das eiserne Tor, der geheimnisvolle Vogel Grus Grus) auch phantastische, märchenhafte Aspekte.

Die innere Einheit des Films wird gewährleistet durch den gewaltigen Fluß und das Boot, auf dem alle Passagiere sozusagen zeitlos leben und erst wieder zurückkehren in ihre individuellen Schicksale, wenn sie sich an Land begeben.

© Gerlinde Ulm Sanford (Syracuse University, New York)


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For quotation purposes:
Gerlinde Ulm Sanford (Syracuse University, New York): Goran Rebic's "Donau, Duna, Dunaj ...". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/05_2/sanford16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 16.2.2006     INST