Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Februar 2006
 

6.1. Modalitäten von Kulturkontakt
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gertrude Durusoy (Ege Universität, Izmir/Turkei)

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Bericht: Modalitäten von Kulturkontakt

Gertrude Durusoy (Ege Universität, Izmir/Turkei)
[BIO]

 

Die Sektion 6.1 "Modalitäten von Kulturkontakt", für die sich zwanzig ReferentInnen angemeldet haben, hat den TeilnehmerInnen aus elf verschiedenen Ländern die Gelegenheit geboten, aus ihrer eigenen Perspektive die Beührungspunkte der Kulturen zu erforschen und sie anhand von konkreten Darstellungen darzubieten und zur Diskussion zu stellen. Beiträge wurden auf Deutsch, Englisch und Französich präsentiert, so dass die Sektionsleiterin jeweils eine Kurzfassung der Referate in einer anderen als der vorgetragenen Sprache machte, um Fragen und Kommentare zu ermöglichen.

Mehrere Kulturen in einem Menschen: Als Impulsreferat hat Gertrude Durusoy Das Verwachsensein mehrerer Kulturen in einem Menschen - das Werk Francesco Micielis behandelt. Dabei wurde versucht zu zeigen (und zwar anhand der Trilogie des Autors, die reichlich autobiographisch ist), wie es möglich war, als Italiener albanischer Abstammung (Arbresch) ein Schweizer Schriftsteller deutscher Sprache zu werden. Das Anderssein des Einzelnen im Umfeld des Alltags in verschiedenen Regionen (Kalabrien/Emmental) bringt die Konfrontation zum Ausdruck, die durch die Wahrung der Identität und das Sich-Einleben in eine andere Sprache und Heimat zustande kommt, aber im Falle Micieli erfolgreich gemeistert wird. Das Referat von Günseli Sönmez İşçi der Ege Universität Izmir bewegte sich in einem anderen geographischen Rahmen und einem anderen historischen Kontext. Sie hat nämlich von der Autobiographie Mary Antins The Promised Land ausgehend die Verarbeitung zu Beginn des 20. Jahrhunderts von sehr verschiedenen Kulturelementen in einem heranwachsenden jüdischen Mädchen, das mit seiner Familie aus dem russischen Polotzk 1894 nach Amerika emigrierte. Der Kontakt mit der neuen kulturellen Umwelt führt zu einer äußeren aber auch innerer Entdeckung, so dass diese Berührung im Alltag sowohl Fragen aufwirft als auch Verhaltensweisen verlangt. Das Referat analysiert, inwiefern die erste Kultursituation nun in der fremden Umwelt standhalten kann bzw. die Kunst, beide Kulturen aufzunehmen. Dilek Direnç ihrerseits hat in Maxime Hong Kingston’s The Woman Warrior: Moving Between Cultures im Rahmen einer anderen Konstellation den Fall einer in Amerika geborenen Chinesin untersucht, die andauernd Auseinandersetzungen führt, da sie sich weder in der Kultur ihrer Eltern noch in der Kultur der umgebenden Gesellschaft zurechtfindet. Der Weg zur eigenen Identität, d.h. die Erlebnisse zur Erlangung der Zweisprachigkeit wie auch der Doppelkultur zeugen von den Potentialitäten im Menschen, kulturell seinen Platz zu finden.

Nach dieser pluralistischen Symbiose bzw. dem Verwachsensein mehrerer Kulturen in einem einzigen Menschen haben sich die Referate auf einer viel breiteren und sowohl räumlichen als auch zeitlichen Ebene gestaltet.

Erweiterter Kulturkontakt in und durch Literatur: Mohammad Ziar von der Azad Islamischen Universität Teheran hat anhand einer vier Jahrhunderte lange währenden Zeitspanne die literarischen Austäusche zwischen Persien und Frankreich gründlich erforscht und auf Französisch präsentiert. Besonders betont wurden die Beziehungen, die zum Kulturkontakt geführt haben, so z.B. als mit der Renaissance die Beziehungen mit den europäischen Ländern zunahmen, aber besonders seitdem Schah Abas der Grosse im 17. Jahrhundert den katholischen Missionen Niederlassungen in seinem Reich erlaubte und die westlichen Reisenden sowie die Händler zunahmen, wuchs das Interesse für die persische Sprache, was wiederum zur Entdeckung einer reichen Literatur führte, welche hauptsächlich ins Französische übertragen wurde, so dass nachgewiesen wurde, wie La Fontaine, Diderot, Hugo , Gide u.a. den persischen Einfluss verarbeiten haben. Es wurde im Referat weiter gezeigt, dass im Laufe der Jahrhunderte der westliche Einfluss im Iran besonders die literarischen Gattungen betrifft; dort wo man früher nur den Roman in Versen kannte, verbreitet sich der Roman in Prosa oder die Gattung der Novelle. In der zeitgenössischen Lyrik eines Nimayouschidsch könne man sogar eine Abweichung des traditionellen Versmasses feststellen. Thanomnuan O’charoen der Chulalongkorn Universität in Bangkok hat deutlich gezeigt, wie schwierig es für die Thai Mentalität ist, sich mit deutschen literarischen Werken auseinanderzusetzen, die " solche Themenkomplexe wie Krieg, Tod, Angst, Individualität, Unterdrückung, Metaphysik, Kulturgeschichte oder Vergangenheitsbewältigung" behandeln. Die Referentin hat anhand eigener Praxis gezeigt, wie Texte von Kafka, Goethe oder Thomas Mann nicht nur durch Übersetzungen ins Thailändische, sondern durch eine kommentierte Ausgabe in der Muttersprache ein besseres Verständnis der deutschsprachigen Kultur erreichen. Faranak Haschemi der Allameh Tabatabai Universität in Teheran hat Die Auswirkung des "Kalila und Dimna" auf die Fabeldichtung der deutschen Aufklärung untersucht, indem sie den didaktischen und z.T. moralisierenden Aspekt dieser Epoche hervorhob, die sich mehr als eine andere der Fabel als Gattungsart reichlich bediente. Nachdem die Referentin den Einfluss von La Fontaine auf die deutsche Aufklärung erwähnt hat, zeigt sie , dass er nicht nur durch Aesop, sondern auch durch die indischen Fabeln geprägt wurde. Anhand von gut ausgesuchten Beispielen wird gezeigt, wie Gellert, Lessing und Pfeffel von der persischen Vorlage "Khalila und Dimna" Gebrauch gemacht haben, die seit dem Mittelalter bis 1996 in verschiedenen deutschen Fassungen vorhanden war und die sie auf den Alltag oder auf die Zeitgeschichte hin orientiert umgearbeitet haben. Die Textauszüge spachen von selbst, so dass sich eine Diskussion erübrigte. Zahra Behfar der Universität Teheran hat die Literatur als den Ort bezeichnet, wo man interkulturelle Einflüsse ablesen könne. Dadurch hat sie ihre Ansicht am Beispiel der Werke des persischen Dichters Dschalaleddin Mohammad Rumi und des deutschen Romantikers Novalis entwickelt und begründet. Am Auffallendsten tritt die gemeinsame Auffassung der "Wiedervereinigung durch den Tod" hervor, wobei die Referentin Textstellen anführt, die bei beiden Autoren die menschliche Seele und ihre Sehnsucht aus derselben Perspektive betrachten. Diese Gemeinsamkeiten in verschiedenen Kulturen solle vielmehr ausgearbeitet werden, damit die Komplementarität der Menschen durch die Kulturen in den Vordergrund trete. Dilek Nergis aus der Dokuz Eylül Universität in Izmir vergleicht Die Blechtrommel und İnce Memed (Werke aus den 50er Jahren) deshalb, weil die inzwischen befreundeten Autoren Günter Grass, kaschubischen Ursprungs, und Yaschar Kemal, kurdischen Ursprungs, jeweils Deutsch und Türkisch zu ihrer literarischen Sprache gemacht haben und thematisch sich mit der Umwelt ihrer Protagonisten auseinandersetzen. Hier werden die Kulturdifferenzen hervorgehoben und analysiert sowie die Formen von Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft diskutiert. Aniko Zsigmond hat auch anhand der Untersuchung eines literarischen Werkes - und zwar Die Wellen des Balaton - von Siegfried Lenz gezeigt, dass eine Sprachgemeinschaft immer noch nicht eine Kulturgemeinschaft bedeutet. Die Protagonisten bewegen sich je nach Herkunft in der westdeutschen und ostdeuschen Kultur während eines Urlaubs in Ungarn in den 80er Jahren. Die Berührung der drei Kulturen wirft Fragen der eigenen kulturellen Identität auf, die geprägt durch Lebensstil und politische Umwelt kaum zum Anderen findet.

Religion, Kultur und Mythologie: Gerhard F. Strasser von der Pennsylvania State University hat das Ergebnis seiner Forschungen über Erste Versuche von Jesuiten, das religiöse Brauchtum des tibetischen Lamaismus in Lhasa mit katholischen Riten in Einklang zu bringen auf Deutsch dargestellt - und zwar wurde das Publikum ins 17. Jahrhundert versetzt und mit einigen erstaunlich ähnlich angelegten Riten des Lamaismus im Vergleich zum katholischen Gebrauch konfrontiert. Diskutiert wurde die Stellung der Kirche als Hüterin des reinen Glaubens und die oberflächliche Annäherung der Missionare an das fremde Volk, wobei Rom letzten Endes diese Missionare, die das Land und die Riten seiner Religion erkunden konnten, in ein anderes Gebiet versetzte, wo sie als Feldkaplane an der Front am westlichen Rande des Osmanischen Reiches wirken sollten. Sitten und Riten, Traditionen und Religionen scheinen eine sehr sensible Berührungszone der Kulturen darzustellen. Parvaneh Sohrabi aus der Universität Teheran behandelt in ihrem Beitrag die Mythologeme, indem sie die Frage stellt, ob es sich um Prismen des Kulturaustauschs handeln könnte. Nachdem sie in der persischen und der nordischen Mythologie, die sie als " geprägt von einer naiven Anschauung der Natur und der Verehrung der Naturelemente" betrachtet, die Bedeutung von Licht und Finsternis hervorgehoben hat, schildert sie kontrastiv Aspekte wie Urquell der Götter, Entstehung der Welt, Urmenschenpaar, Weltenbaum, Gottheiten der Fruchtbarkeit, Feuergott und Ende der Weltperiode. Diese Schilderung zeugt von einem erstaunlichen Parallellauf der Motive, der interkulturell ausgewertet wird. Elham Rahmani Mofrad aus Teheran hat sich vorgenommen, die mystischen Elemente des alten indischen Glaubens - wie ihn Hermann Hesse in Siddhartha schildert - der islamischen Mystik eines Djellaleddin Rumi, eines Molla Sadra oder Sohrewardi gegenüberzustellen und nachzuweisen, dass in der Seele die Suche nach einer Wiedervereinigung des Ursprungs die Grundhaltung darstellt. In den beiden orientalischen Religionen treten Grundbegriffe wie Erwachen und Wiedergeburt, Liebe, Einheit und Vielfalt sowie der Wille auf und bestimmen das Handeln der Menschen. Hesses Reise nach Indien vor dem I. Weltkrieg bedeutet auch ihm eine Auseinandersetzung mit sich selbst nach dem intensiven Kontakt mit der anderen Kultur.

Wechselbeziehungen Kultur-Sprache: Hilda Matta von der Universität Kairo hat auf Deutsch in ihrem Beitrag Sprachkontakte über die Jahrhunderte. Eine Darstellung der interlingualen und sprachlichkulturellen Beziehungen zwischen dem Arabischen und den europäischen Sprachen mit sehr gut gewählten Beispielen die Geberrolle des Arabischen an verschiedene europäische Sprachen und umgekehrt sehr überzeugend präsentiert. Hier können nicht einzelne Beispiele angeführt werden, aber die Referentin hat sowohl Datierungen erwähnt als auch auf welchen Umwegen die Kulturen in Kontakt gekommen sind, um derart aufeinander zu wirken. Es wurde noch einmal deutlich, welche entscheidende Rolle jede Sprache beim Kulturkontakt spielt. Hubert Bergmann von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien hat sich einem spezifischen Begriff in seiner lexikographischen Untersuchung gewidmet und zwar den Bezeichnungen Russe, russisch und Russland in den Varietäten des Deutschen als Spiegel von Kulturkontakt und Vorurteil. Anhand von vielen Beispielen wurde gezeigt, dass diese Bezeichnungen des Russen bzw. Russischen auf historische Momente des Kulturkontakts zwischen den Menschen und in gewissen Regionen beruhen, dass aber auch Klischees, Vorstellungen bzw. Vorurteile vehikuliert werden, ohne je in Kontakt gewesen zu sein. Der Referent hat auch nebenbei bemerken, dass ähnliche Feststellungen zur Bezeichnung Türke nachweisbar wären. Die angeführten Belege stammen manchmal aus Jahrhunderte langen Eintragungen besonders in Dialektlexika. Diese Form von historischer Kulturwissenschaft wurde als sehr bereichernd eingeschätzt.

Kultur im Alltag, früher und heutzutage: Sedat İşçi von der Ege Universität in Izmir hat in seinem Beitrag einen Einblick in seine Forschungsarbeit über die ersten Immigrationen von Türken in die USA in der Osmanischen Zeit und zwar zwischen 1860 bis 1924 geliefert. Betroffen waren um die 60.000 Menschen, die hauptsächlich aus ökonomischen Gründen auswanderten, und sie stellt zum ersten Mal die Ansiedlung von Muslimischen Migranten dar. Der Reed-Johnson Immigration Act von 1924 bremste dieses Einreisen. Das Referat zeigte, wie die Anpassungsversuche besonders im beruflichen Leben und im Alltag überhaupt manchmal zu Konflikten manchmal zu einer engen Zusammenarbeit führten. Es wurde betont, wie die ersten Generationen an ihrer eigenen Kultur, ihrer Religion und ihren Traditionen hingen, bei der nächsten aber eine viel größere Öffnung an die Umwelt festzustellen war, was als Ergebnis das Einleben in die neue Gesellschaft mit dem eigenen Anderssein hatte. Mariya Bagasheva-Koleva von der Universität Neofit Rilski in Blagoevrad hat die Auswirkungen einer Fremdsprache auf die Nationalsprache in ihrem Heimatland Bulgarien untersucht und zwar das Aufkommen der englischen Sprache in den letzten sechzehn Jahren und deren Einfluss zuerst auf den Wortschatz. Anhand vieler Beispiele wurde gezeigt, wie dieser fremde Wortschatz des Alltags auch neues Benehmen, neue Beziehungen sowohl auf der kulturellen wie sozio-ökonomischen und politischen Ebene des Lebens überhaupt hervorgerufen hat. Die dominante Fremdsprache Englisch habe sogar die Kultur Bulgariens ganz schnell beeinflusst. Thanh-Van Ton That , vietnamesischen Ursprungs, tätig an der Universität Orléans, hat anhand des 2004 erschienenen Romans Le riz noir von Anna Moï das literarische Schaffen vietnamesicher Frauen in der Diaspora kurz geschildert, bevor sie auf die kulturelle Thematik des Romans anging, der zwischen 1963 bis 1968 in Vietnam handelt, in einer Zeit als Japan, Frankreich und Amerika ihren Einfluss ausbreiten wollten. Es mischen sich Realität und Fiktion, indem die Widerstandsbewegung aus der Perspektive von zwei Schwestern - noch im Gymnasiumsalter sich befindend - geschildert wird. Das ermöglicht der Autorin die Stellung der Frau in der eigenen Kultur darzustellen und all ihre Versuche, zu beweisen - besonders durch Teilnahme an Widerstandsaktionen - dass sie innerhalb der Gesellschaft dieselben Bürgerrechte wie Männer innehaben . Als sie festgenommen und gefoltert wurden, wollen sie nur deshalb am Leben bleiben, um selbst Leben weiter zu spenden, durch Geburt, denn das bringe Ewigkeit und gebe dem Leid seinen Sinn. Diese asiatische kulturelle Perspektive hat die Teilnehmer sehr angeregt. Triantafillia Papazioga hat sich in ihrer Untersuchung der Notwendigkeit zu einer innovativen Sprachpolitik innerhalb der heutigen demokratischen Kultur gewidmet, da 2005 von der EU zum Europäischen Jahr der Demokratieerziehung ausgerufen worden ist. Die Referentin unterstreicht ausserdem und nach dem Zustandekommen des "Contrat social" die Notwendigkeit einer metademokratischen Kultur in den Gesellschaften und besonders in der EU, wo Mehrsprachigkeit und Sprachenrechte neuer Erweiterungen bedürfen. Auch Lenka Kucirkova aus Prag hat, nachdem sie den immer grösseren Umfang der Kulturkontakte in unserer Zeit betont hat, den Schwerpunkt auf den Kontakt der unterschiedlichen Kulturen gelegt, indem sie an den Universitäten die positiven Auswirkungen der EU-Programme wie Socrates/Erasmus hervorhob und die Rolle ihrer Institution in dem Fremdsprachunterricht Tschechisch für die Austauschstudenten anderer Länder. Dabei wurde betont, wie die Sprachkentnisse zur Kenntnis anderer Kulturen und Menschen am schnellsten führen können. Oya Dinçer hat den letzten Film des in Deutschland geborenen Türken Fatih Akın Gegen die Wand in Hinsicht auf Verschiedenheit von kultureller Herkunft in einer ethnisch anderen Umgebung hin untersucht. Das Merkwürdige, was sie dabei entdeckt hat, besteht aus der Tatsache, dass Identitäten nicht ein für alle Male da sind, gegeben sind, sondern dass sie auch ergänzt werden können, dass sie sich anpassen können und den Menschen fähig machen, sowohl in Berlin als auch in Istanbul oder Mersin zu leben.

© Gertrude Durusoy (Ege Universität, Izmir/Turkei)


6.1. Modalitäten von Kulturkontakt

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For quotation purposes:
Gertrude Durusoy (Ege Universität, Izmir/Turkei): Bericht: Modalitäten von Kulturkontakt. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/06_1/durusoy_bericht16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 16.2.2006     INST