Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. März 2006
 

6.2. Die Entdeckung der Welt in Literatur und Wirklichkeit / The Discovery of the World: Fiction and Reality
Herausgeber | Editor | Éditeur: Helmut F. Pfanner (Nashville, Lochau)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Die Rolle des Kulturbildes im interkulturell motivierten Deutschunterricht am Beispiel des Iran

Mohammadreza Dousteh Zadeh (Universität Teheran, Iran)
[BIO]

 

1. Einleitung

Der Vortrag basiert auf meiner Dissertation über die "Interkulturelle Kommunikation an iranischen Sprachinstituten und Universitäten". Er setzt sich zunächst mit den Vorstellungen über die Kultur des deutschsprachigen Raums im Iran und dessen Reflexion in Unterrichtsprozessen auseinander. In diesem Zusammenhang wird die Rolle der Beziehung zwischen Kultur und Sprache im Fremdsprachenunterricht herausgearbeitet. Daher steht die Beschäftigung mit Kulturfragen im Mittelpunkt. Es handelt sich dabei vor allem um zwei typische Beispiele für "interkulturelle Missverständnisse", die bei iranischen Deutschlernenden in ihrem Verständnis der deutschen Kultur sehr häufig vorkommen. Zwei weitere Beispiele werden gezeigt, in denen die kontrastierten Kulturen miteinander übereinstimmen und somit eine feste und unproblematische Grundlage für den Umgang miteinander darstellen.

Im Folgenden soll die Rolle der Deutschlehrer und der institutionellen Bedingungen im Unterricht analysiert werden. Gerade der Deutschunterricht in islamischen Ländern ist darauf angewiesen, dass der Lehrer Sprachsituationen bereitstellt, anhand derer er versucht, die von der Ausgangsgesellschaft stammenden interkulturellen Konflikte aufzugreifen und letztlich zu bewältigen. Meine Unterrichtsanalysen zeigen, dass diese Vorgehensweise der Lehrer ohne Steuerung der Institution nicht möglich ist. Da die interkulturell motivierte Deutschvermittlung institutionelle Voraussetzungen verlangt, stellt der Vortrag auch die Frage, ob eine regionale von den beiden Regierungen unabhängige Institution für die Beschäftigung mit den möglichen interkulturellen Konflikten notwendig ist und warum sie bis jetzt nicht zustande gekommen ist.

Trotz der neusten politischen Bemühungen um die kulturellen Annäherungen zwischen beiden Ländern gelten immer noch beide Kulturen als "kontrastiert". Der Deutschunterricht in der iranischen Gesellschaft kann diese Kluft nur dann schmälern, wenn die Deutsch anbietenden Institutionen inter- und transkulturelle Aspekte stärker berücksichtigen.

 

2. Das Kulturbild und dessen Bedeutung im Fremdsprachenunterricht

Die Angehörigen eines Kulturkreises haben in der Regel bestimmte Vorstellungen und Bilder von anderen Kulturen und ihren Menschen. Solche Bilder haben oft eine lange Geschichte und bleiben meistens unbewusst. Erst durch die Erfahrung von Gegebenheiten, die nicht in diese Bilder passen, setzt oft ein Prozess der Bewusstwerdung ein. Ein solches Bild von einem anderen Kulturraum setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: der Zeit, die den Alltag gliedert; den Orten, an denen die Menschen leben und sich bewegen; und sozialen Normen bzw. Konventionen, die sagen, was innerhalb einer Gesellschaft erlaubt oder verboten ist und was als normal bzw. abnormal verstanden wird.

Um zu zeigen, ob und wie die in der Mehrzahl nicht bewussten Vorstellungen der iranischen Deutschlernenden im Deutschunterricht mitwirken, sollen hier vier Beispiele herangezogen werden. Sie entstammen meiner Dissertation, die die situativen Rahmenbedingungen des Unterrichtsgeschehens im Iran mit Ton- und Videoaufnahmen und mithilfe der Ansätze zur Gesprächsanalyse und interkulturellen Kommunikation untersucht, sich mit den Problemen des Deutschangebots didaktisch auseinandersetzt und versucht, konstruktive Vorschläge zur Verbesserung des Angebots zu machen.

Aus der Analyse der interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschen und Iranern werden die Schwierigkeiten der Verständigung zwischen Menschen, die bezüglich ihres kulturellen Hintergrunds frappierende Unterschiede aufweisen, besonders deutlich. Im Folgenden soll auf Konzepte interkultureller Kommunikation eingegangen werden, um deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszustellen, so dass ihr jeweiliges Verständnis von ”interkulturell” verdeutlicht werden kann.

 

3. Das Kulturbild und interkulturelle Missverständnisse

Als typische Fälle für interkulturelle Missverständnisse können die in der internationalen Gesamtschule Teheran untersuchte Deutschstunde, in der es um den Getränkekonsum geht, und der am Deutschen Sprachinstitut Teheran aufgezeichnete "Deutschunterricht", in dem Höflichkeitsformen im Mittelpunkt stehen, gelten.

3.1 Die Internationale Gesamtschule Teheran (Mädchenschule)

In dieser Schule werden iranische Schülerinnen zusammen mit ausländischen Kindern, die sich aus welchem Grund auch immer im Iran aufhalten, unterrichtet. Der Fremdsprachenunterricht wird in diesen wie in anderen iranischen Schulen entsprechend der Nachfrage der Schüler angeboten. Da relativ viele iranische Kinder aus Deutschland und Österreich kommen, ist der Deutschunterricht zum festen Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts geworden. Viele der Schüler können bereits Englisch und wählen sehr häufig Deutsch als weitere Fremdsprache.

Bei dem folgenden Gesprächsausschnitt handelt es sich um Getränke und die Verwendung von Maßangaben dafür. Analysiert wird die Verwendung von Alltagsbegriffen im interkulturellen Kontext anhand der sprachlichen Formen, die darüber Aufschluss geben können.

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  1. L: was trinken sie?
  2. S1: ich trinke eh (-) eine cola;
  3. L: sie trinkt auch eine cola (-) jetzt fragen sie weiter;
  4. S2: ich trinke ein bier-
  5. L: ein bIER? Aha/
  6. SS: (Lachen)
  7. L: aber ohne alkohol;
  8. S3: ich tri[nke;]
  9. S2: [nEIn] mit eh-
  10. SS: (Lachen)
  11. L: mit alkohol ja es ist kein Ma(.)ashaier ja?
  12. S3: ich trinke ein glas cola,

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Allgemein lässt sich zu dieser Sequenz sagen, dass die Gesprächspartner sich im Wesentlichen in der Weise aufeinander beziehen, dass sie Elemente des zuvor Gesagten aufgreifen und eigenes Wissen hinzufügen. Auf dieser Grundlage wird erklärt und verglichen.

Das Gespräch wird von der Lehrerin mit der Äußerung "was trinken Sie?" eingeleitet. Sie formuliert ihre Frage sehr gelenkt und steuert so anschließende Äußerungen zum angesprochenen Thema auf eine Verwendung des Akkusativs. Das Bemühen der Lehrerin um eine solche Ausrichtung der Satzformulierung der Schülerinnen auf eine bestimmte grammatische Form wird aus ihrer Unterrichtsgestaltung deutlich erkennbar. Ohne gefragt zu werden, erklärt S2, dass sie ein Bier trinkt, was die anderen Kursteilnehmerinnen zum Lachen reizt. Die Reaktion der Lehrerin auf diese Äußerung kann als ein Bemühen um Differenzierung von Ausgangskultur und Zielkultur interpretiert werden: Sie strengt sich an zu verdeutlichen, dass sie die achtjährige Schülerin korrigieren will und fragt, ob sie Bier ohne Alkohol meint. Aber die Schülerin unterbricht die Äußerung ihrer Mitschülerin und erklärt, dass sie Bier mit Alkohol gemeint hat, woraufhin das Lachen der Kursteilnehmerinnen endet. Die Lehrerin ignoriert die Schüleräußerung und setzt ihre Äußerung mit "mit Alkohol, ja es ist kein Maàshaír"(1) fort. Die Betonung der Schülerin von Bier mit Alkohol in einem Land, in dem der Genuss von Alkohol streng verboten ist, kann unter zwei Aspekten betrachtet werden:

Zum einen lässt sich eine Verbindung zu Adlers Theorie über den Kulturschock, besonders in seiner zweiten Phase erkennen. S2, eine iranische Schülerin, die aus der Schweiz gekommen ist und für die der Iran mehr oder weniger zum Neuland bzw. Zielland geworden ist, könnte ihre Äußerung unter dem Einfluss der Desintegration gemacht haben, was zunächst einen depressiven Rückzug in die Herkunftskultur zur Folge hätte und weiter zu Misstrauen, Feindseligkeiten und Verengungen im Denken führen würde. Nach Adlers Auffassung ist ein solches Verhalten eine Form der Selbstbehauptung und kann daher auch den Weg für einen Rückgewinn des Selbstbewusstseins frei machen. Die Überwindung dieser Phase gelingt, wenn man auf dieser Basis zunehmend eine interkulturelle Sensibilität und die Fähigkeit entwickelt, in der Zielgesellschaft erfolgreich zu kommunizieren und zu handeln. Eine achtjährige Schülerin ist dabei jedoch sehr auf eine Unterstützung aus ihrer Umgebung angewiesen. Sie allein wäre damit überfordert, diese schwierigen Phasen aus eigener Kraft zu bewältigen. Eine intensive Beschäftigung der Deutschlehrerin mit der aus der Sicht der Schülerin fremden Kultur und Gesellschaft könnte daher gerade bei der Bearbeitung solcher Phasen hilfreich sein (vgl. Göhring, 1980, S.78f). So gesehen ist das Verhalten der Lehrerin der Schülerin gegenüber angebracht: sie versucht mit dem Hinweis auf "Maáshaír" gelassen und tolerant zu reagieren.

Zum anderen ist eine achtjährige Schülerin gar nicht in der Lage, unterschiedliche Werteorientierungen in der Zielgesellschaft und der Herkunftsgesellschaft fundiert zu verstehen und zu beurteilen. In diesem Zusammenhang kann Searles Theorie zur Klassifikation der Sprechakte aufschlussreich sein. Für Searle ist es eine Voraussetzung für den Vollzug eines Sprechaktes, dass der Sprecher ihn auch handelnd nachvollziehen kann. Demnach kann dieser Sprechakt nicht verbindlich sein, weil die Schülerin nicht fähig ist, ihn auch praktisch umzusetzen. Ihre Äußerung kann daher in ihrem propositionalen Gehalt nicht ernstgenommen werden. Auch unter diesem Aspekt ist die Reaktion der Lehrerin gegenüber der Schülerin berechtigt; sie geht in einer nicht weiter ernst zu nehmenden Weise darauf ein.

3.2 Das Deutsche Sprachinstitut Teheran

"Das Deutsche Sprachinstitut" ist eine Einrichtung in Teheran, die von der deutschen Botschaft in Teheran finanziert wird. Seit der Schließung des "Goethe-Instituts" in Teheran im Jahre 1987 wird das "Deutsche Sprachinstitut" von vielen als quasi Nukleus eines autonomen "Goethe-Instituts" angesehen.(2) Zu Beginn der Stunde sollen die Kursteilnehmer die Fehler in vorgegebenen Sätzen, die bewusst falsch formuliert wurden, herausfinden. Bei dieser Übung lernen sie auch, warum manche Wörter klein- und andere groß geschrieben werden. Jeder soll eine Übung vorlesen und die richtige Lösung nennen. Nach dem Lösen einer Aufgabe bestimmt der betreffende Kursteilnehmer die Person für die nächste.

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  1. L:gut nächste person (.) wer macht weiter/
  2. S1:herr Hossein-
  3. L: hERR, wieso hErr Hossein (.) herr und frau gehören zum fAmilienname
  4. S1:ja-
  5. L:aber Hossein ist frEUndlich ohne herr und ohne frau
  6. S1:das ist (-) das ist hoflich-
  7. L:das ist ganz freundlich auf pErsisch in Iran-
  8. S1:ja-
    L: AUf deutsch ist vorname allein (-) das ist freundlich (-) das ist wirklich freundlich nicht unhöflich;

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Der Umstand, dass der Lehrer auf die Äußerung von S1 eingeht, gibt den Kursteilnehmern die Möglichkeit, mit einer Höflichkeitsform des Deutschen vertraut zu werden. Dieser Hinweis bestätigt die Annahme, dass hinter dem orthographischen Unterrichtsinhalt neben der bloßen Vermittlung der deutschen Sprache auch gesellschaftliche Konventionen des Ziellandes mit einfließen können. Als Grund für die Verwendung des Begleitwortes "Herr" gibt S1 an, dass er damit Höflichkeit ausdrücken wollte, wird aber vom Lehrer auf die richtige Form verwiesen. Der Lehrer weist darauf hin, dass diese Höflichkeitsform im Iran eine gesellschaftlich akzeptierte Form ist, eine ähnliche Form im Deutschen aber nicht existiert. Er erklärt weiter, dass die Anrede "Herr" im Deutschen nur mit dem Nachnamen und nicht mit dem Vornamen vorkommt. Die Fokussierung des Lehrers auf diese Höflichkeitsform, die er durch die Verwendung von "wirklich" verstärkt hat, wird dabei durch "freundlich nicht unhöflich" intensiviert.

Höflichkeitsformen werden im Iran häufiger benutzt als in Deutschland, was der Lehrer auch mit der sprachlichen Formulierung von S1 zu erkennen gibt. Die Aufklärung der Deutschlernenden über die gesellschaftlichen Verhältnisse im Zielland muss ohne Zweifel zu den vorrangigen Zielen von Deutsch anbietenden Institutionen gehören, damit die Lerner sich in den Umgangsformen des Ziellandes angemessen bewegen können. Allein anhand der Tatsache, dass der Lehrer die Höflichkeitsformen mit der Geographie des Ziellandes in den Aufgabenstellungen verknüpft, lässt sich zeigen, dass die institutionelle Zielsetzung für den Unterricht nicht nur auf eine Vermittlung der grammatischen Form ausgerichtet ist.

4. Das Kulturbild und kulturelle Übereinstimmungen

Das Korpus, das diesem Teil zugrunde liegt, besteht aus einer am Österreichischen Kulturforum aufgezeichneten Unterrichtseinheit zum Thema "Mozart" und einer am "Iran Language Institute" untersuchten Unterrichtseinheit zum Thema "Urlaub machen". Es wird versucht, daran exemplarisch zu zeigen, wie die theoretischen Erkenntnisse und Ansprüche an interkulturelle Kommunikation in die DaF-Unterrichtspraxis einfließen.

4.1 Das Österreichische Kulturforum

Das "Österreichische Kulturforum" (ÖKF) wurde 1958 gegründet. Seit der Eröffnung sind viele kulturelle Veranstaltungen, Ausstellungen, wissenschaftliche Vorträge und Lesungen organisiert und durchgeführt worden, wobei von 1972 an die Sprachabteilung des Kulturinstituts aktiv an solchen Programmen mit beteiligt ist. Diese wurde nach der Schließung des Goethe-Instituts im Jahre 1987 zur meist besuchten Sprachschule im Iran.

In diesem Gesprächsausschnitt geht es um die Gegenüberstellung von Verkleinerungsformen "Leila und Leili" im Persischen und "Wolfgang und Wolferl" im Deutschen:

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  1. L: gut (.) der gute bubjunge. des; österreichs;ein bUb heisst jUNge und noch
    ein=en nAme hat er?
  2. S1: Wolfeld;
  3. L: Wolfel genau Wolferl von? wie hEIßt das genau?
  4. S2: (am)(.) (am) Wolfgang, Amadeus, Mozart-
  5. L: ja genau Wolfgang Amadeus MOzart und Wolferl ist der klEIne Wolfgang so wie (--) ihr macht auch was von persisch was ist die kleine Leila (.) Leili ist die kleine Leila? tschIK oder wie
  6. S3: ja;
  7. L: ja? oder womit mAcht ihr das? oder Erfan wie hEIßt, der kleine Erfan?
  8. SS: (lachen)
  9. L: (lachend) Erfani was ist?
    S3: wir sagen ZOhre ZAri.
    L: ZarI also ein kleiner Wolfgang ist ein Wolferl-

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S1 beantwortet die Frage der Lehrerin mit "wolfeld", von der Lehrerin beiläufig zu "wolferl" korrigiert. Die weitere Reaktion der Kursteilnehmer auf diesen Vergleich zeigt, wie Kenntnisse einer Lehrerin bzw. eines Lehrers in der Herkunftssprache für das Verständnis der Kursteilnehmer hilfreich genutzt werden können. S3 meldet sich daraufhin mit einem Hinweis über Verkleinerungsformen im Persischen und zwar "Zohre" und "Zari". Der Gehalt der Äußerung von S3 ist mit dem von S2 deckungsgleich. Es werden also bezüglich der Aufgabe, das Deutsche mit dem Persischen zu vergleichen, und ihrer Lösung innerhalb der gesamten Sequenz inhaltlich zwei Durchläufe des Frage-Antwort-Musters vollzogen.

Hier zeigt sich, dass es neben der offen gelassenen Aufgabenstellung, die den ersten Muster-Durchlauf dominiert, noch eine verdeckte Handlung gibt, die institutionell befürwortet und von der Lehrerin implizit verbalisiert wird. Sie besteht darin, die Basis für einen interkulturellen Zugang bei den Kursteilnehmern zu entwickeln. Die Gegenüberstellung der Verkleinerungsformen "Leila und Leili" im Persischen und "Wolfgang und Wolferl" im Deutschen kann zwar hilfreich für das Verstehen der Grammatik der Zielsprache sein, in diesem Fall ist der Vergleich jedoch nicht als adäquate grammatische Erklärung zu akzeptieren, und zwar aus zwei Gründen: Erstens: Die Verkleinerungsform "Wolferl" ist nicht typisch für das Deutsche. Sie existiert nur in Österreich und in Süddeutschland. Ein Deutscher z. B. in Hamburg benutzt diese Verkleinerungsform nicht. Als typisch wären z. B. "Hans" und "Hansi" zu vergleichen gewesen. Zweitens: In der Verkleinerungsform "Wolfgang" zu "Wolferl" ist eine semantische Modifikation, auch im Sinne einer Verniedlichung, zu erkennen, was bei "Leila" und "Leili" nicht der Fall ist.

Aus diesen Gründen muss dieser Vergleich problematisiert werden, wenn auch die dahinter stehende Absicht, das interkulturelle Verständnis für sprachliche Formen und deren Bedeutung zu wecken, erstrebens- und anerkennenswert bleibt.

4.2 "Iran Language Institute"

Das "Iran Language Institute" ist eine halbstaatliche Einrichtung(3), die vom Ministerium für Bildung und Erziehung verwaltet wird und seit 1995 für die Durchführung des Deutschunterrichts mit dem Carl-Duisburg-Zentrum und dem Goethe-Institut in Deutschland aktiv zusammenarbeitet. Nach der Islamischen Revolution wurden alle Tätigkeiten im öffentlichen Dienst nach islamischen Prinzipien geregelt. Dazu gehörte auch die Trennung der Kursteilnehmer an staatlichen und halbstaatlichen Sprachinstituten nach Geschlechtern.(4). Am "ILI" wird wie an allen Sprachinstituten diese Gesetzgebung streng eingehalten, obwohl sie keine absolute Verpflichtung für die DeutschlehrerInnen darstellt(5).

Im letzten Beispiel geht es um "Urlaub machen" im Iran und in Deutschland:

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  1. L: na gut hEUte wollen wir etwas über rEIse sprechen ja? gut wohin können wir zum beispiel am wOchenende fahren? für zwei tAge oder drei tAge immer am nachmittag
  2. S1: nach Chalus-
  3. S2: oder nach Karaj-
  4. L: nach Chalus sEhr schön- wohin? nach Karaj sehr gut-
  5. S1: man muss lust haben-
  6. L: und sie?
  7. S3: nach Chalus-
  8. L: nach ChAlus
  9. S3: ja-
  10. L: gut aber jetzt stellen sie sich vor dass sie allein in Deutschland wohnen na? EIn gutes gefÜhl wohin fahren sie dann im sommer? Norden? Süden?osten, oder westen?
  11. S1: welches teil;
  12. S2: sÜden ist warm-
  13. S1: welches tEIl ist in Deutschland im juni oder juli nicht warm als andere tEIle?
  14. L: denken sie daran wohin mÖchten sie dann normaler weise im sommer fahren?
  15. S2: nach nordenen-
  16. S3: nach süden-
  17. L: nach süden ja ist wärmer aber warum?
  18. L: warum?
  19. S1: weil sie-
  20. S2: weil,
  21. S1: see (-) see-
  22. L: aha ja rIchtig dann kann man kann man nach einem see: fahren am see: kann man dann cAmping machen oder man fÄhrt nach sÜdeuropa

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Hier geht es vor allem um Ferienziele der Kursteilnehmer im Iran. "Chalus"(6) ist für alle Iraner ein besonderer Ort für einen kurzen Urlaub, weil man dort einen Sommerurlaub am Kaspischen Meer verbringen kann. Das Wetter im Nordiran ist vergleichbar mit dem in Deutschland. Aus diesem Grund haben die Kursteilnehmer Chalus als mögliches Urlaubsziel genannt. Temperaturunterschiede sollten hier als wichtige Differenz bei der Wahl der Urlaubsorte für die Kursteilnehmer deutlich werden, da sie für die nächste Etappe, nämlich bei der Vorstellung von einem Aufenthalt in Deutschland, als Grundlage erforderlich sind. Dann geht es um das Hineinversetzen in einen Deutschlandaufenthalt. Diese Vorstellung bietet eine sehr interessante Gelegenheit, die Kursteilnehmer mit den Urlaubsgewohnheiten der Deutschen bekannt zu machen, vorausgesetzt dass der Lehrer seine Rolle als Themenmoderator erfüllt. Die häufigsten Urlaubsziele der Deutschen liegen außerhalb Deutschlands. Eine Auslandsreise kommt aber für nur wenige reiche Iraner in Frage. Daher sollte der vergleichsweise überdurchschnittliche Wohlstand der Deutschen als einer der Gründe für einen Urlaub in ferneren wärmeren Gebieten erwähnt und deutlich werden. Anderenfalls fällt es den Kursteilnehmern wohl schwer, sich vorzustellen, sie seien in Deutschland und könnten außerhalb Deutschlands Urlaub machen.

 

5. Das Resümee

Anhand der vorausgegangenen Detailsanalyse von Sprachinstituten und Unterrichtssequenzen sollen abschließend zwei allgemeinere Aspekte erörtert werden, die für die Thematik des Vortrags und im Hinblick auf die kulturelle Zusammenarbeit der Staaten relevant sind:

Der institutionelle Apparat muss dafür sorgen, dass die Lehrer dazu eine Abgrenzung zwischen einheimischer und fremder Kultur mit Hilfe ihrer Kenntnisse vornehmen können, auch wenn es um die Gemeinsamkeiten zweier Kulturen geht. Aus soziologischer Sicht liegt eine Differenzierung von gesellschaftlichen Gruppen bzw. Subkulturen nahe, die sich je nach Sprach-, Regional-, Schichten-, Berufsgruppen- oder Geschlechterzugehörigkeit konstituieren. Diese Abgrenzung muss den Lernenden zeigen, dass beim Fremdsprachenerwerb nicht nur sprachliche Defizite und Kompetenzen relevant sind, sondern dass mit der Verschiedenheit der Sprachen auch eine der Kulturen verbunden ist, aus der interkulturelle Konflikte resultieren, die das Fremdsprachenlernen blockieren können. Eine weitere Aufgabe des institutionellen Apparats, besonders des Lehrers, besteht darin, dem Lernenden ein Forum zu bieten, auf dem er mit Kommilitonen seine Beobachtungen und Hypothesen über Verhaltensregelmäßigkeiten, sowie seine eigenen emotionalen Reaktionen in ihrer kulturellen Bedingtheit klären und kritisch hinterfragen kann. Ein Lehrer muss feststellen, ob die Deutschlernenden bereits von ihrer Ausgangsgesellschaft her über eine plurikulturelle Erfahrung verfügen, auf die man zurückgreifen kann, wenn man ihnen den Zugang zur Kultur des deutschsprachigen Raums erleichtern will.

Das emotional positive Interesse an der Zielgesellschaft und -kultur ist für den Lernerfolg beim Fremdsprachenlernen ebenso wichtig wie die Sprachbegabung (vgl. Göhring 1980, S. 79). Es wäre daher vom Studienziel her sachlich gerechtfertigt, wenn die Institutionen, die Lerner auf die zielkulturelle Umgebung gründlich und erfolgreich vorbereiten wollen, einen - im Vergleich zu anderen Fächern – überproportionalen Teil ihres Stundenplans für eine intensive und persönliche Beratung verwenden. In der Didaktik der interkulturellen Kommunikation wird die Vermittlung kulturspezifischer Kenntnisse und Fähigkeiten in den Vordergrund gestellt. Im Rollenspiel und anderen Übungsformen wird gezielt auf die Interaktion der Aktierenden hingearbeitet.

Die Verwendung des Begriffs ”interkulturell” wird jedoch dadurch erschwert, dass interkulturelle Beziehungen mit falschen Bildern von sozialen Tatbeständen unterlegt werden, aber auch dadurch, dass sie häufig unter der Beeinflussung von politisch motivierten Medien stehen. Sie selektieren bestimmte Tatbestände und belassen andere im Hintergrund. Zwei Gesellschaften wie die iranische und die deutsche sind in ihrer gegenseitigen Beziehung besonders stark betroffen, weil sie seit Jahrzehnten hauptsächlich durch Medien Informationen empfangen haben. Es besteht kein Zweifel, dass das Gelingen interkultureller Kommunikation grundsächlich in Frage gestellt ist, wenn direkte Kontakte zwischen Vertretern zweier Gesellschaften durch Hindernisse wie politische Konflikte erschwert werden. Wenn die Politik nicht in der Lage ist, zwischenstaatliche Störungen zu überwinden, können solche politischen Konflikte in die Gesellschaften hineinwirken und sie voneinander entfernen. So können die Mitglieder einer Gesellschaft kaum die Besonderheiten und den Reichtum ihrer Kultur der anderen Gesellschaft mitteilen sowie die der fremden Kultur erfahren.

 

6. Übersicht der in der Arbeit verwendeten Transkriptionszeichen und Abkürzungen 

Akzentualisierung 
akZENT       Primär- oder Hauptakzent 
akzEnt       Sekundär- oder Nebenakzent
ak!ZENT      extra starker Akzent
ak!zEnt      extra starker Akzent Tonhöhenbewegung am Einheitsende
/            hoch steigend 
,           mittel steigend
-           gleich bleibend
;           mittel fallend
.           tief fallend
?           Frageintention
 Sonstige Konventionen 
(husten)          para- und außersprachliche Handlungen 
<hustend>   sprachbegleitende außersprachliche Handlungen
<<erstaunt>   interpretierende Kommentare
<<Was ist da?>> Übersetzung
( )   unverständliche Passage je nach Länge
(solche)   vermuteter Wortlaut
al (s) o   vermuteter Laut oder Silbe
(solche/ welche) mögliche Alternativen
Abkürzungen:
L:     Lehrer bzw. Dozenten 
KS.   Kassettenspieler
PF.   Partiturfläche
S:   Schüler bzw. Studenten
V:   Verfasser

© Mohammadreza Dousteh Zadeh (Universität Teheran, Iran)


ANMERKUNGEN

(1) Bezeichnung für alkoholfreies Bier im Iran wie in arabischen Ländern.

(2) Aus den Berichten des Goethe-Instituts vom 11. Juli 2000, Nr. 13/2000.

(3) Das Institut finanziert sich aus Mitteln des Ministeriums für Bildung und Erziehung und Beiträgen der Kursteilnehmer. Die Kursgebühren sind im Vergleich zum "Österreichischen Kulturforum" und "Deutschen Sprachinstitut" wegen der staatlichen Beteiligung relativ niedrig.

(4) Diese Gesetzgebung hat mit der Trennung von Schulen für Mädchen und Jungen angefangen und weitete sich auch in private Einrichtungen aus. Ausgenommen sind hier immer noch die Sprachinstitute, die von ausländischen Botschaften im Iran verwaltet werden.

(5) An den iranischen Grundschulen sowie Orientierungsstufen werden auch die Lehrer nach Geschlecht verteilt. Gymnasien bilden jedoch wegen Mangels an Fachkräften Ausnahmen. An Sprachinstituten werden die Lehrer aus meist sachlichen Gründen nach Geschlechtern aufgeteilt.

(6) Chalus (auf Deutsch Tschalus gesprochen) ist eine häufig besuchte Stadt in Nordiran (200 km. von Teheran entfernt), die aufgrund des milden Klimas und der baumreichen Wälder als eine touristische Attraktion im Iran gilt. Außerdem gibt es entlang der Strasse nach Chalus zahlreiche Teehäuser und Restaurants, die besonders am Wochenende ausgebucht sind.


LITERATURVERZEICHNIS

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