Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

9.5. Recycling Culture. Ancient and Sacral Texts in (Post)Modern Literature and Art
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Gabriella Hima (Budapest)

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Das Böse in der Geschichte und in der Literatur.
Archäologie und Fiktion

Gabriella Hima (Károli University of the Reformed Church, Budapest)
[BIO]

 

An Szenarios des Weltuntergangs mangelte es in der Zwischenkriegszeit nicht. Oswald Spenglers berühmtes Buch vom Untergang des Abendlandes machte die antike Großstadtzivilisation - von der griechischen polis bis zur römischen metropolis - zum Paradigma der gesamten abendländischen Kultur. Anhand der vollkommenen Auflösung der antiken Kultur antizipierte er das künftige Schicksal der zeitgenössischen. So wurde der Zerfall der Großstadtzivilisation des Altertums, vor allem der Untergang Roms, ein ewiges memento mori, der einprägendste Akt innerhalb des Stationendramas vom Untergang der Welt. In Spenglers Darstellung kulminierte ein neuer Rom-Kult, der von der letzten Jahrhundertwende bis zu unserer Jahrtausendwende reicht und eine neue Renaissance der Antike mit sich brachte. Wie frühere Wiedergeburten der antiken Tradition - Renaissance und Klassizismus - hängt auch die moderne im 20. Jahrhundert mit der Befindlichkeit und den Komplexen des aus der Gemeinschaft losgelösten Individuums zusammen: In Roms letzten Tagen erkannte es den "Präzedenzfall" eines vollzogenen Weltuntergangs, ein Lebensgefühl, das sich bis zu den apokalyptischen Visionen der 90er Jahre und an der Wende ins dritte Jahrtausend steigerte. Diese Erkenntnis liefert eine Erklärung für die erneute Popularität des Themas der untergehenden Großstadt, der gigantischen Metropole aus der römischen Kaiserzeit. Die Rom-Mode der Zwischenkriegszeit in Europa basierte auf dem "déjà vu"-Erlebnis des vergebens nach Erlösung strebenden Individuums, das aus seiner Verzweiflung eine heroische Haltung zu schmieden versuchte. Der Mensch der 20er und 30er Jahre - nach Analogien suchend - war geneigt, in dem verluderten chaotischen Stadtstaat Rom einem alten Bekannten gleichsam wieder zu begegnen, als erlebte er die Rückkehr einer vertrauten historischen Situation: Im fernen Altertum existierte eine seit langem versunkene urbane Zivilisation, die in ihren Symptomen dem Menschen "des Zeitalters der vollendeten Sündhaftigkeit" zahlreiche Analogien in Form möglicher Haltungsmuster offerierte. Im gegenwärtigen Vortrag möchte ich zeigen wie die römische metropolis des Altertums im Roman Nero, der blutige Dichter (1921) des Ungarns Kosztolányi und im Drama Caligula (1938) des Franzosen Albert Camus wiederverwertet wurde.

Mit den Tyrannengestalten traten Kosztolányi und Camus in einen Diskurs, der weder seinen Ursprung noch seinen Höhepunkt in der Literatur hat, nicht einmal in der Geschichte, sondern in deren verzerrtem Spiegel, der Geschichtsschreibung. Vor allem ist auf die historischen Quellen zurückzuführen, daß die übereinstimmenden Texte sich in der Lektüre gegenseitig kommentieren. So findet sich in der Nero-Geschichte von Kosztolányi ein Kommentar zur Caligula-Geschichte von Camus und umgekehrt, indem beide je eine hermeneutische Exegese zu den historischen Überlieferungen bieten. Anhand der Protagonisten beider Werke möchte ich jene Parallelen besprechen, die sich zwischen dem römischen Zeitalter und unserer Zivilisation ziehen lassen. An diesen Parallelen können jene diskursiven Intentionen erkannt werden, durch die sich Kosztolányi und Camus in ein uraltes und doch lebendiges kulturelles und literarisches Diskussionsfeld einmischen, und zwar derart, daß sie mit den Mitteln ihrer Kunst Meinungen vorbringen, die von der Grundrichtung dieses jahrtausende langen Macht- und Tyrannendiskurses eminent abweichen. Die Fäden dieser Diskussion führen in Caligulas und Neros Zeiten zurück.

Die Analyse beginne ich mit den herkömmlichen Nero- bzw. Caligula-Mythen.

Mit aller Wahrscheinlichkeit ist es auch die Schuld der republikanisch gesinnten Geschichtsschreiber, die die Kaiserporträts gezeichnet haben, daß die Herrscher aus dem Julisch-Claudischen Hause - Roms erster Kaiserdynastie - in den Augen der Nachwelt zu mythischen Figuren ungebändigter Willkür, blutrünstiger, irrationaler Grausamkeit, Perversität und Verderbtheit geworden sind. Diese Schuld tragen sie aber nicht allein. Die berüchtigtsten unter den Kaisern üblen Rufes, Caligula und Nero, haben selbst Anteil an ihrer Mythisierung, indem sie sich bewußt zu Hauptdarstellern grauenhafter Farcen machten. Nero nahm sich nicht umsost seinen Onkel Caligula zum Vorbild: In gewisser Hinsicht war er ihm tatsächlich ähnlich. Auch Neros Herrschaft war von einer Serie blutiger, irrsinniger, ja sogar schaudernd komischer Possen gekennzeichnet, deren Komik - und gleichzeitige Tragik - darauf beruhte, daß jeder einzelne Zuschauer jeden Augenblick eine Rolle bekommen und als Rollenspieler auch jeden Augenblick sein Leben verlieren konnte. Um die Geschichten der Hist orie noch spannender zu machen, meinten Tacitus und vor allem Sueton, die Glaubwürdigkeit unglaublicher Ereignisse durch Berichte über Tagesklatsch und Verleumdungen steigern zu können. Die von beiden Kaisern überlieferten absurden Anekdoten sind nicht nur im historischen Gedächtnis des heutigen Menschen aufbewahrt, sondern haben auch in die historischen Porträts dieser keinesfalls unvoreingenommenen Geschichtsschreiber Eingang gefunden. Neros und Caligulas Taten und Worte zitieren, parapharsieren und parodisieren einander in historischen Quellen, ihre Namen erwecken die gleichen Assoziationen: Die beiden legendären Gestalten sind - zu Recht oder Unrecht - zum Symbol der zügellos tobenden Macht geworden, die sich mit dem Wahn vereinigt hat.

Die überlieferten Schriften der antiken Philosophen, Dichter, Historiker wirkten damals aktuell, da sie in dem sich gerade auflösenden Reich ein ähnlich trostloses Bild einer sich verdunkelnden Welt reflektierten wie die Texte von nihilistischer Denker an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Werke berühmter antiker Philosophen aus dem Zeitalter der sozialen und ideologischen Krise wie Seneca und Marc Aurel - die direkt oder indirekt beide Werke beeinflussten - werfen Fragen auf, die Gegenstand einer philosophischen Abhandlung sein könnten: Fragen einer naheliegenden Verbindung zwischen Stoizismus und der Frühphase des Existentialismus. Die Berechtigung der Annahme eines solchen Zusammenhanges demonstriert gerade Kosztolányis Weltanschauung: Sein Common-Sense-Existentialismus hat offensichtlich viel der Stoa zu verdanken. Im Gedicht Marc Aurel ästhetisiert er die Attitüde des heroischen Pessimismus auf einer ähnlichen geistesgeschichtlichen Basis wie später Camus in seinem Mythos von Sisyphos. Anklänge der Philosophie der Stoa und jener der Absurdität durchziehen beide Werke.

Nicht weniger aktuell erscheinen einige Chroniken altertümlicher Geschichtsschreiber wie die Annalen des Tacitus’ oder Suetons De vita Cäsarum. Vor allem das letztere Werk, das von beiden Autoren als authentische Quelle verwendet wurde, bietet eine spannende Lektüre. Suetons Buch, besonders die Kapitel über Caligula und Nero, inkludiert eine Sammlung köstlicher absurder Spektakularitäten und acte gratuite im Sinn der avantgardistischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine Porträts von Caligula und Nero können einer modernen Interpretation unterzogen werden. Vergleiche der Protagonisten Kosztolányis und Camus’ mit den aktuellen Porträts der Cäsares zeigen eine augenfällige Ähnlichkeit, als hätten beide Autoren des 20. Jahrhunderts den reichen historischen Stoff laut ihren eigenen Konzepten bloß selektiert und arrangiert, um Caligulas und Neros Laufbahn knapper und logischer zu gestalten. In gewisser Hinsicht taten sie es tatsächlich.

Ein anschauliches Beispiel dafür, wie die antiken Chroniken Kosztolányi in die Hände arbeiteten, ist jene Szene aus Suetons Buch, in der Nero zum ersten Mal vor großer Öffentlichkeit die Bühne betritt. Die detaillierte Beschreibung von Neros Vortragskunst, vollgesprenkelt mit grotesken Übertreibungen, scheint ein typischer Kosztolányi-Kunstgriff zu sein - und ist es doch nicht. Der ungarische Schriftsteller übernahm alle Episoden - sogar die absurdesten wie das Gebären einer Zuschauerin während der Vorstellung - von Sueton. Viele ähnliche Beispiele könnten hier noch erwähnt werden, unter anderen die Serie von Neros mißlungenen Attentaten auf seine leibliche Mutter Agrippina, die bereits die Grenzen einer Posse streifen. Kein einziges Motiv stammt aber von Kosztolányi: Sueton brauchte auch in dieser Hinsicht keine Ergänzung. Nicht einmal Neros Anlaß für den Britannicus-Mord ist eine Kosztolányi-Erfindung: Auch Sueton weiß von Neros Künstler-Eifersucht (Sueton, op. cit. § 33). Neros Aufregung vor den öffentlichen Theatervorstellungen, seine verlegenen Anläufe zu seinem Auftritt findet man beinahe wortwörtlich bei Tacitus (Tacitus ung., N§16). Ohne alle Beispiele aufzuzählen, kann so gut wie sicher angenommen werden, daß sogar die wichtigsten Sujet-konstituierenden Motive des Romans auf eine der historischen Quellen zurückzuführen sind.

Kosztolányis retrospektives Geständnis, in dem er mit seiner historischen Uninformiertheit prahlt, kann daher nicht wörtlich genommen werden: Er hatte Tacitus und Suetons Werke gründlich studiert, bekam jedoch die wichtigste Inspiration nicht von der antiken römischen, sondern von der zeitgenössischen ungarischen Geschichte, den Ereignissen des Ersten Weltkriegs und der darauffolgenden Bürgerkriege. Ausschlaggebend für die Entstehung des Romans Nero, der blutige Dichter waren aber die literarischen Kämpfe in Budapest und die Vision von der Stadt als einem literarischen Caféhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn projizieren die Momente des Romans Nero die Ereignisse des Jahres 1919 auf die Fakten der 60er Jahre n. Chr. der römischen Geschichte, wodurch Kosztolányis Budapest und Suetons Rom unauffällig miteinander verschmelzen. Die Legenden von der künstlerischen Ambition des Kaisers, die Darstellungen des literarischen Lebens der Kaiserzeit boten eine einmalige Gelegenheit zur Persiflage der literarisch-künstlerischen Debatten um Endre Ady, den ungarischen Dichterfürsten und die Zeitschrift der modernen ungarischen Literatur "Nyugat" bzw. zur Persiflage der allgemeinen literarischen Atmosphäre in Ungarn am Beginn des 20. Jahrhunderts. Fiktiv ist eigentlich nur die Erfindung der beiden Dichterlinge Zodicus und Fannius, die sich zuerst in literarische Konjunkturritter, dann in politische Agitatoren verwandeln. Beide sind Produkte von Kosztolányis politischer Abneigung. Zur politischen Aktualisierung dienen die Berichte über das Aufhetzen der römischen Flotte von Misenum gegen den Staat - eine Anspielung auf den Matrosen-Aufstand in Cattaro -, jedoch ohne historische Begründung, und über die Pisonische Verschwörung, die eine offene Parodie auf die proletarische Revolution des Jahres 1919 in Ungarn darstellt.

Über Camus’ Geschichtsauffassung kann anhand seines Dramas Caligula keine so konkrete Äußerung gemacht werden, da Geschichte in diesem Werk mehr Fiktion als Inspiration ist. Besonders aufschlußreich scheint die Untersuchung, in welchem Verhältnis der Autor zu seinen historischen Quellen steht. Auch in Caligula gibt es nur wenige erfundene Elemente. Der Auftakt des Dramas basiert - wie auch das wiederkehrende Grundsymbol, der Mond - auf einer von Sueton stammenden Episode. Um acte gratuite darstellen zu können, hätte Camus keine bessere Quelle als Suetons Chronik finden können. Sein Inventar verschiedener Späße und böser Streiche wird hinsichtlich der Darstellung ihrer Originalität und ihres Witzes kaum von modernen und postmodernen Autoren der unmotivierten absurden Handlungen übertroffen.

Die Erkenntnis von Camus’ Caligula über die Wichtigkeit des Staatsbudgets und die daraus folgende Geringschätzung des menschlichen Lebens war dem historischen Caligula nicht zu eigen. Er befolgte aber instinktiv dieses Prinzip, und was die Praxis angeht, übertraf er sogar seine literarische Variante, vor allem im Erfinden schlauester Gesetzesbrüche. Die Episoden über die Schikanen gegen die Senat oren sind alle samt von den Geschichtsschreibern vorgegeben - nämlich: Sueton, Tacitus, Dio Cassius, Philon.

Auch bei Camus ist es leicht, die fiktiven Fäden in seinem Drama zu finden. Die Gestalten von Scipio und Helicon haben kein historisches Vorbild, was eine größere Verschiebung an geschichtlichen Tatsachen bedeutet als das Einführen der Figuren Zodicus und Fannius in die Nero-Geschichte, denn sowohl Scipio als auch Helicon sind mehr als nur Episodenfiguren. Fiktion ist auch die Ermordung Caesonias, als wäre Camus dazu durch die Poppea-Episode der Nero-Chronik bei Sueton verleitet worden. Auch Chereas Gestalt ist erfunden, denn nur sein Name ist mit der historischen Person identisch, nicht aber seine Charakteristika. (Der Gardetribun Cassius Chaerea, der im Drama die Männlichkeit und Tapferkeit repräsentiert, war, laut den Chroniken, als historische Person wegen seiner etwas femininen Stimme und Äußerlichkeit die ständige Zielscheibe von Caligulas Spott, bis er sich rächte.)

Ebenso scheint die Venus-Szene eine Erfindung von Camus zu sein, obwohl eine dokumentarische Vorlage nicht gänzlich auszuschließen ist. Auch der historische Caligula erhob sich häufig zum Gott. Die historischen Chroniken berichten, daß er sich oft in Götterkleidung zeigte und sich im Tempel neben die Götterstatuen stellte, um von den Einkehrenden wie ein Gott angebetet zu werden. Camus’ Caligula läßt sich aber nicht nur als Gott anbeten, sondern übt die Götterrolle auch aktiv aus: Er übernimmt die göttliche Funktion, wahllos Tod und Heimsuchungen zuzuteilen. Obwohl dieses Motiv bei Sueton fehlt, können Andeutungen in seinem Caligula-Porträt eine solche Interpretation zulassen. Auch Suetons Caligula denkt daran, anstelle des Schicksals Unglücksfälle von großer Reichweite willkürlich herbeizuführen: "Oft ließ er die Getreidelager schließen und kündigte dem Volk an: Von nun an bricht eine Hungersnot aus."(Sueton,ung.184.) In solchen Episoden steht Suetons Caligula dem von Camus am nächsten: Durch die Auslösung einer Naturkatastrophe übt auch der historische Caligula göttliche Funktion aus.

Im Roman von Kosztolányi sind weniger acte gratuite zu finden. Das Blutbad beginnt erst nach der Pisonischen Verschwörung als gerechtfertigte Vergeltung für den Putschversuch. Neros Freiheitsbewußtsein wird ähnlich ausgedrückt wie bei Camus’ Protagonisten, und auch bei ihm wie bei Camus’ Caligula ist es auf einen Satz der Cäsares zurückzuführen. Suetons Caligula erklärt sich zur Inkarnation allen Rechtes: "[...] mir ist alles erlaubt [...] und gegen alle!" (Sueton, C§29.) Auch Nero war sich laut Sueton seiner Macht durchaus bewußt, wenn er äußerte, daß "kein Fürst vor ihm gewußt habe, was er sich erlauben könne."(Sueton, N§37.) Kosztolányis Roman greift aber nicht auf Suetons Nero-Porträt zurück, sondern auf dessen Caligula-Porträt, wenn Seneca den unbeschränkten Rechtsanspruch des Kaisers Nero mit folgenden Worten legitimiert: "Es gibt kein Gesetz. Sei du das Gesetz".(KD: Nero, 286.) Der Suetonsche Prätext bezieht sich auf die Episode, in der nicht Nero, sondern Caligula seinen Rechtsgelehrten kündigt: "Ich werde es, beim Herkules, dahin bringen, daß sie keinen richterlichen Entscheid ohne mein Zutun mehr treffen können." (Sueton, C§34.)

Die erstaunlichen Ähnlichkeiten von Kosztolányis und Camus’ Protagonisten mit ihren historischen Vorlagen streifen nur die äußeren Handlungen. Der ausschlaggebende Unterschied zwischen den fiktiven und den historischen Gestalten steckt in den philosophischen Revelationen der als Ideologen auftretenden pseudohistorischen Personen. Die Integration existentialistischer Ideen in den historischen und den philosophischen Diskurs der Stoa gibt Letzterer eine neue Dimension und ermöglicht dadurch, die alten historischen Quellen in der Transformation von Kosztolányis und Camus’ Texten neu zu lesen.

Die Integration des historischen Diskurses in den philosophischen Spezialdiskurs der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Kosztolányis Roman und im Drama von Camus unterscheidet beide Werke von früheren literarischen Verarbeitungen desselben Sujets, wie z. B. Racines Britannicus. Von einem Historismus kann weder bei Camus noch bei Kosztolányi die Rede sein, nicht einmal im Sinne wie bei Racine. Das Verhältnis beider Schriftsteller zu ihren historischen Quellen ist ambivalent: einerseits treues Beachten der Fakten, andererseits Anachronismus, was deren politische Aktualisierung bzw. diskursive Vermittlung betrifft.

In den überlieferten Biographien Neros und Caligulas sind letztendlich weder Kosztolányi noch Camus auf eine zufällige historische Grundlage gestoßen. Den republikanisch gesinnten Geschichtsschreibern Tacitus, Dio Cassius, Philon und besonders Sueton ist zu verdanken, daß beide Schriftsteller die Lebensbeschreibungen der römischen Kaiser fast als Aktualität lesen konnten. Eine tiefer greifende Analyse könnte beweisen, daß sich Parallelen zwischen den beiden Schriftstellern nicht nur in der historischen Thematik, sondern auch in der Weltanschauung und vor allem in beider Geschichtsauffassung finden. In analogen Ereignissen der Antike konnten sie einen überzeugenden Beleg für ihren kulturhistorischen Pessimismus finden. In Kosztolányis und Camus’ Themenwahl steckt der ironische und bittere Hinweis, daß von Fortschritt keine Rede sein kann. Kosztolányi formuliert dies in Senecas Vermittlung mit einer Schopenhauerschen Reminiszenz: Alles auf der Erde nur Wiederholung. In diesem Sinn erweisen sich beide Werke als historisch-philosophische Parabeln, als Parabeln, die ihre ewige Gültigkeit unter jeder sozialen Konstellation behalten.

© Gabriella Hima (Károli University of the Reformed Church, Budapest)


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Gabriella Hima (Budapest): Das Böse in der Geschichte und in der Literatur. Archäologie und Fiktion. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: ../../../index.htmtrans/16Nr/09_5/hima16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 30.5.2006     INST