Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | März 2006 | |
14.2. Regionen und transnationale Prozesse |
Rose Proszowski (Or Chadasch, Wien)
[BIO]
"Wir sind alle Reformer" und "Im Judentum hat Erneuerung Tradition" wagte Prim. Dr. Much, Präsident der Reformierten Jüdischen Gemeinde in Österreich, Or Chadasch eine kühne Behauptung in der Zeitung "KESCHET" zu einer Zeit, als das reformierte Judentum auch in Österreich schon seit 13 Jahren Fuß gefasst hatte. Auch die Rabbiner Jonathan A. Romain und Walter Homolka behaupten dies in ihrem Buch "Progressives Judentum, Leben und Lehre".
Reformen im Judentum gab es zu jeder Zeit, eigentlich seit es das Judentum gibt. Denn eine einzig authentische Lehre, die von Abraham bis zum heutigen Zeitpunkt unverändert ist, kann es auf Grund der sich ständig ändernden Lebensbedingungen nicht gut geben. Reformen im Judentum sind also notwendige Selbstverständlichkeiten. Wie sich das heutige Leben im allgemeinen grundsätzlich vom Leben im Mittelalter unterscheidet, so unterscheidet sich auch das gesamte heutige Judentum in all seinen Aspekten sehr wesentlich vom Judentum im Mittelalter. Beispiele für eine Erneuerung gibt es viele.
Eine Neuerung wird schon im 5.Buch Moses beschrieben, als die Töchter des Zelofchads, deren Vater ohne männliche Erben verstorben war, von Moses das Recht auf Erbschaft forderten. Dass sie Recht bekamen, aber zugleich auch ihre Cousins heiraten mussten, ist eine andere Geschichte, die in dem zutiefst patriarchalischen Denken unserer Vorväter verwurzelt ist.
Denken wir aber auch an biblische Kapitalstrafen für bestimmte Vergehen, die Steinigung des ungehorsamen Sohnes, die Fluchwasserprobe bei dem leisen Verdacht auf Ehebruch - natürlich nur bei Frauen - die Schwagerehe, Gesetze im Zusammenhang mit Sklaverei, dem Aussetzen der Opfergesetze und anderes mehr. Diese wurden schon vor Jahrhunderten, dem Zeitgeist entsprechend von unseren Vorfahren abgeschafft. Und nicht einmal die Frömmsten der Frommen sind heute mehr in der Lage, diesen Gesetzen zu folgen.
Dennoch ließ eine echte Reformierung des Judentums lange auf sich warten. Und seine Wiege war in Deutschland in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Warum war gerade diese Zeit reif für die Reformierung des Judentums?
Europa erlebte eine Periode zahlreicher politischer Umwälzungen seit der Zeit der Französischen Revolution, die den Juden gewisse bürgerliche Rechte gab, vor allem das Recht, "pro patria morire", also das zweifelhafte Recht, fürs Vaterland zu sterben.
Die deutschen Juden blickten auf Napoleon, der für manche wie ein Befreier erschien. Und wieder manche glaubten, nach dem Fall der Ghettomauern und der damit verbundenen Infragestellung der alten Traditionen die Taufe sei ein "Eintrittsbillet" in die neu geschaffene bürgerliche Gesellschaft, wie Heinrich Heine, der Jurist Eduard Gans oder der Dichter Joel Jacob.
Gegen die Assimilation stellten sich diejenigen, die Moses Mendelsohn lasen. Der Philosoph aus Dessau, der 1743 beim Eintritt nach Berlin durch das Rosenthaler Tor, das einzige, durch das fremde Juden nach Berlin gelangen durften, wie ein Vagabund perlustriert wurde, übersetzte nicht nur Shakespeare, sondern auch die 5 Bücher Mosis und die Psalmen ins Deutsche. Deutsch war ja wie jede andere Landessprache in der Orthodoxie verboten. Mendelsohn war ein Freund Gotthold Ephraim Lessings, er ist Vorbild für seinen Nathan den Weisen. Er ist maßgeblich daran beteiligt, dass es neben der christlichen Aufklärung auch die Haskala, die jüdische Aufklärung gibt.
1802 gründete Israel Jacobson, ein westfälischer Unternehmer und Agent des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg im westfälischen Seesen eine Schule, die er "Religions- und Industrieschule für arme Kinder" nannte. Eine reine Bubenschule, die als Freischule geführt wurde, um jüdischen Buben neben den religiösen Fächern, die sie in einer Jeschiwa auch erhalten konnten, weltliches, vor allem kaufmännisches Wissen zu vermitteln. Denn Jacobson hatte am eigenen Leib erfahren, wie schwer es sich ein junger Jude tat, der nicht dem Wunsch des Vaters, Rabbiner zu werden, entsprechen wollte, aber in anderen Disziplinen nur mangelhaft unterrichtet worden war.
Eine weitere Schule in Kassel folgte 1808 und die Samson-Schule in Wolfenbüttel. Die Jacobsen-Schulen wurden Vorbild für soziale und religiöse Neuerungen in der jüdischen Lebenswelt weit über Niedersachsen hinaus. Sie wurden übrigens als Simultanschulen geführt, d.h. sie nahmen auch christliche Schüler aus armen Verhältnissen auf. Die Schulen existierten bis in die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts.
Jacobsen, der auf seinen Geschäftsreisen gesehen hatte, wie sehr das lebendige jüdische Leben zu verkümmern drohte, wandte sich der Neugestaltung der jüdischen Bildung und des Gottesdienstes zu. Zu der Schule in Kassel kam zwei Jahre später dort eine Ausbildungsstätte für Lehrer und Rabbiner.
In Seesen kam es zu der ersten Änderung der Liturgie, Lieder und Gebete wurden ins Deutsche übertragen und die Drascha, die Auslegung des Wochenabschnittes wurde auf Deutsch vorgetragen.
Napoleon Bonaparte erwies sich wirklich als Befreier der Judenschaft. 1807 wurde das Herzogtum Braunschweig in das neu geschaffene Königreich Westphalen integriert. Unter Napoleons Bruder, Jéróme schritt die bürgerliche Gleichstellung der jüdischen Untertanen weiter fort. Und das war nicht zuletzt Jacobsons Verdienst. Kritiker machten ihm natürlich den Vorwurf, dass er die Synagoge zu sehr "verchristliche", was auf die Einführung der Orgel, die den Schulchor während der Gottesdienste unterstützte, abzielte, wie auch auf die Ersetzung der Bar Mizwa durch die Konfirmation, die auch Mädchen offen stand. Im neuen Synagogengebäude von Seesen, das 1810 eröffne wurde, nahm Rabbiner Löb Berlin die erste Konfirmation vor. Und das zur Zeit des christlichen Pfingstfestes!
Zwar waren die Emanzipationsgesetze 1812 erlassen worden, nach dem Zusammenbruch des Königreiches Westfalen schritt die Reformierung dort nicht mehr weiter fort. Jacobson wandte sich nach Berlin, wo er offene Türen für seine Ideen einrannte. Die offenste Türe war aber die seines eigenen Hauses: Jacobson hielt dort die ersten reformierten Gottesdienste Berlins ab, und zwar zu Schawuot 1815. Viele Jüdinnen und Juden erschienen zu den Schabatfeiern, sodass ein zweiter Raum für die Gottesdienste gefunden werden musste. Und wieder stellte sich ein Privatmann zur Verfügung: ein Freund Jacobsons, der Bankier Jakob Herz-Beer, der ebenfalls sein Haus zur Verfügung stellte. Frauen und Männer saßen zwar noch getrennt, Frauen waren jedoch in Sichtweite.
Der bedeutendste Rabbiner dieser Zeit war David Friedländer. Sein "Geheimes Tagebuch" gibt Aufschluss über das jüdische Leben in dem von Vorurteilen und Bespitzelungen gelähmten preussischen Staat unter Friedrich II.
Schon nach 6 Monaten verbot die preussische Obrigkeit, wahrscheinlich auf Betreiben jüdischer Traditionalisten, aber auch wegen des Misstrauens gegen Neuerungen jeder Art, diese Art von Hausgottesdiensten. Weil die Berliner Synagoge gerade restauriert wurde, konnte der Schabbat aber dann doch in den Wohnungen weiter begangen werden, bis 1823 nach Wiedereröffnung der Synagoge die erste Phase der Reform durch ein königlich-preussisches Dekret ihr Ende fand. Es war verboten, Gottesdienste, die sich in Sprache, Ritual, Gebet und Gesang von den herkömmlichen unterschieden, im Beer’schen Tempel oder auch anderswo abzuhalten.
Aber in der Zwischenzeit hatten schon 36 Hamburger Bürger 1817 die Reformgesellschaft gegründet, die es sich zur Aufgabe gestellt hatte, die Reformierung des jüdischen Gottesdienstes weiter voranzutreiben. Einer der Gründer war ein Freund Israel Jacobsons, der Direktor der Hamburger Freischule, Eduard Kley. Es blieb bei der Konfirmation von Buben und Mädchen, sowie der Abhaltung des Gottesdienstes auf Deutsch. 1818 erhielt Hamburg eine eigene Synagoge. Rabbiner war Gotthold Salomon.
1838 trat eine entscheidende Person des Reformierten Judentums auf den Plan: Rabbiner Dr. Abraham Geiger. Nicht nur einer der Bahnbrecher der jüdischen Reformbewegung, sondern auch Mitbegründer der Wissenschaft des Judentums.
Im Jahre 2001 wurde in Potsdam das Abraham Geiger Kolleg eröffnet, die erste deutschsprachige Rabbinerausbildungsstätte nach der Schoah. In der Einleitung zu der Festschrift schrieben Oberrabbiner Prof.Dr. Walter Jacob als Präsident und Dr. Jan Mühlstein als Vorsitzender der Union progressiver Juden " ... führen wir ... die Aufgabe weiter, die jüdische Tradition mit den Anforderungen der Gegenwart zu verknüpfen..."
Doch die Jahre 1838 bis 1844 waren Jahre der Auseinandersetzungen in Breslau zwischen dem traditionalistischen Rabbiner Salomon A. Tiktin und Rabbiner Abraham Geiger. Geiger, der von Wiesbaden her berufen worden war, musste erst die preussische Staatsbürgerschaft annehmen. 1839 wurde er ordiniert und konnte 1844 dem verstorbenen Rabbiner Tiktin als Oberrabbiner von Breslau nachfolgen.
Die nächste große Auseinandersetzung war die um das Hamburger Tempelgebetbuch. Bekanntlich war der Hamburger Tempel eine progressive Synagoge, und als solche toleriert, doch als 1841 ein neues nur geringfügig revidierte Gebetbuch erschien, belegte es der orthodoxe Oberrabbiner, Isaac Bernays sofort mit seinem Bann. Die Probleme mit der Orthodoxie tat jedoch dem Anwachsen des progressiven Judentums in Hamburg keinen Abbruch.
Abraham Geiger war es, der zu einem koordinierten und vereinten Vorgehen nicht nur riet, sondern dieses auch initiierte. 1837 rief er zu einer Rabbinerversammlung nach Wiesbaden. Von den bereits ordinierten 25 reformierten Rabbinern folgten 14 seiner Einladung. Es wurden fundamentale Fragen behandelt, wie
Durch Dr. Abraham Geigers "Wissenschaft des Judentums" erhielten die Reformer wichtige Argumentationshilfen dafür, dass Traditionen auch Gegenstand der Erörterung und der Veränderung sein können. Damals in Wiesbaden konnten die Standpunkte über das Wesen des Judentums, über die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, auf die wir uns heute noch berufen können, festgeschrieben werden. Natürlich gab es auch kontroversielle Meinungen, wie die der Reformgesellschaft in Frankfurt, die die Abschaffung der Beschneidung und die Geltung der mündlichen Thora, forderte.
Das ging den Rabbinern eindeutig zu weit. Doch in den sechs Bereichen, die für die Reform wichtig waren, kam es zu grundsätzlicher Einigkeit:
Es war natürlich klar, dass regelmäßige Konsultationen nötig sein würden, die Arbeit der 25 progressiven Rabbiner zu koordinieren. So fand schließlich am 12.6.1844 die Rabbinerversammlung in Braunschweig statt. Nach der Bestellung verschiedener Ausschüsse, die auch ein Verdienst des überaus klug handelnden Rabbiners Geiger waren, wurde für 1845 eine zweite Rabbinerversammlung in Frankfurt einberufen. Sie tagte vom 15. bis 28. Juli. Auf dieser Versammlung wurde der Gebrauch der Orgel und der Landessprache beim Gottesdienst bestätigt. Die Thoralesung und die Hauptgebete verblieben allerdings in Hebräisch. Dafür wurden Gebetswiederholungen, Gebete für einen leibhaftigen Messias und die Vorstellung einer Rückkehr aus dem Exil eliminiert.
Es wurde der Plan gefasst, ein progressives Rabbinerseminar einzurichten.
Die dritte und letzte Rabbinerversammlung wurde vom 12. bis zum 24. Juli 1846 in Breslau abgehalten. Regelungen zur Reform der Schabbatobservanz, die Eliminierung des zweiten Feiertages bei den jüdischen Festen (außer Rosch ha-Schana) und eine Reform der Trauerriten waren die wichtigsten Ergebnisse dieser Versammlung. Eine Verlegung des Schabbats auf den Sonntag wurde allerdings abgelehnt. Und wieder war es Abraham Geigers sorgsame und vermittelnde Hand, die dafür sorgte, dass ausufernde obstruse Ideen nicht die Reformbestrebungen zunichte machten.
Am 2.4.1845 hatten Anton Bernstein und Sigismund Stern schon die "Genossenschaft zur Reform des Judentums" gegründet. 1846 erfolgte der offizielle Gründungsaufruf. Samuel Holdheim, Rabbiner aus Schwerin stellte 1847 den Antrag auf Anerkennung.
Weitere Beratungen wurden durch die Revolution von 1848 unterbrochen, sodass erst 1869 der Aufruf zu einer Synode erging, einer Versammlung von Rabbinern und Laien.
Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass die Reformbestrebungen im grossen und ganzen außerhalb Berlins eher unbedeutend waren. Der Grund lag sicher nicht zuletzt darin, dass in Berlin eine entsprechend grosse Judenschaft vorhanden war. Im neuen Gotteshaus in der Johannesstrasse wurden die Gottesdienste hauptsächlich auf Deutsch gehalten, und wenn Hebräisch gebetet wurde, dann mit der sephardischen Aussprache, die Stellung der Frauen war sehr stark. Allerdings gab es die "Confirmierung" zu Schawuoth und die Männer trugen keine Kopfbedeckung. Die Gemeinde konnte sich an einer Orgel erfreuen. Besonders wichtig für Berlin und die gesamte reformierte Judenschaft war die 1870 erfolgte Gründung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, neben dem Rabbinerseminar in Breslau die Ausbildungsstätte progressiver Rabbiner.
Außerhalb Berlins gab es Grabenkämpfe. So hatte der Rabbiner von Frankfurt am Main, Samson Raphael Hirsch, alle Juden aufgefordert, aus Gemeinden auszutreten, die progressiv dominiert waren.
Am 29. Juni 1869 bei der Synode von Leipzig waren bereits alle Länder vertreten, in denen es progressive Strömungen gab, vor allem England und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Unterbrochen durch die Frankreichfeldzüge von 1870/71 wurden die Beratungen auf einer zweiten Synode in Augsburg vom 10. bis 17.Juli 1871 fortgesetzt. Verschiedene Reformen wurden verabschiedet:
Mit den hier geschilderten Entwicklungen war die formelle Phase des progressiven Judentums abgeschlossen, das progressive Judentum ist entscheidendes Element des jüdischen Lebens in Deutschland geworden.
Ich kann aber das Kapitel Progressives Judentum in Deutschland nicht abschließen, ohne nicht zumindest ein paar Worte über Regina Jonas, die erste Rabbinerin der Welt zu sprechen.
Regina Jonas kam 1904 im Scheunenviertel in Berlin, dem damals heruntergekommenen, schmuddeligen Stadtteil Berlins hinter dem Alexanderplatz zur Welt. Ihr früh verstorbener Vater hatte bestimmt in einer der zahlreichen kleinen Privatsynagogen und Betstuben gebetet, die es hier gab, die Eltern gaben dem kleinen Mädchen den Namen Regina (Königin) ohne hebräischen Zusatznamen. Nach einer Ausbildung als Religionslehrerin studierte sie an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und habilitierte sich 1935 in der Synagoge in der Oranienburger Straße. Ihre Streitschrift trug den Titel "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" Sie kann. Und wie sie kann! Nur Regina Jonas hatte nur wenige Jahre Zeit, sich als Predigerin und Seelsorgerin zu beweisen. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.
Einflüsse des deutschen progressiven Judentums in Nordamerika
In Charleston, Carolina, war schon ein erster Versuch unternommen worden, das Judentum zu reformieren. Seit 1839 gibt es dort ohne Unterbrechung die erste progressive Gemeinde außerhalb Deutschlands. Weitere Gemeinden folgten, wie
1842 Baltimore mit Har Sinai. Diese Gemeinde hatte das umstrittene Hamburger Tempelgebetbuch übernommen,
1845 wurde in New York die große Emanu-El-Gemeinde gegründet,
1850 schloss sich Albany mir Rabbiner Isaak M. Wise an, und
1854 wurde B’nai Yeshurun in Cincinnati gegründet.
Seit 1871 existieren progressive Gemeinden in vielen amerikanischen Städten, wie Cleveland, Louiseville, Milwaukee, Richmond, St.Louis, Boston, Memphis, Nashville, Pittsburgh.
1873 wurde das Hebrew Union College in Cincinatti errichtet, das Rabbiner der progressiven Richtung ausbildete.
Der Grund für das sprunghafte Ansteigen der Anzahl progressiver Gemeinden in den USA des 19. Jahrhunderts war die Tatsache, dass viele Immigrantinnen und Immigranten aus Deutschland stammten. So bestätigte die amerikanische Reformbewegung in der Pittsburgh-Plattform von 1885 die wesentlichen Elemente klassischer Reform die wir schon aus den deutschen Entwicklungen kennen. Noch immer ist das Freehof Institute of Progressive Halakhah in Pittsburgh richtungsweisend für Studien in diesem Gebiet und gibt Essays und Responsen über "Dynamic Jewish Law", "Conversion to Judaism in Jewish Law", sogar über heikle Themen wie "Death and Euthanasia in Jewish Law" heraus.
1937 kam es zu einer Neuformulierung des progressiven Standpunktes, der zum Wendepunkt in der Geschichte des progressiven Judentums werden sollte. Eine Neupositionierung war aus verschiedenen Gründen nötig geworden: Zum einen stellte das progressive Judentum zu jenem Zeitpunkt bereits die überwiegende Mehrheit dar. Zum anderen wurden durch den Einfluss osteuropäischer Einwanderer alte Riten auch in das religiöse Leben progressiver Synagogen integriert. Dazu kam ein wachsender Antisemitismus, der die verschiedenen Richtungen innerhalb des Judentums näher zusammenrücken ließ. Außerdem setzte sich die zionistische Idee unter progressiven Denkern mehr und mehr durch.
All dies machte eine Neuformulierung des progressiven Judentums nötig. In Columbus wurde mit den "Guiding Principles" eine neue Basis geschaffen, die die Bedeutung der jüdischen Tradition in Gestalt der schriftlichen und mündlichen Thora betonte und das Konzept des "jüdischen Volkes" über die religiöse Definition hinaus unterstrich und zu einem Leben ermunterte, das von den Mizwot durchdrungen ist. Zugleich riefen die Principles zu einer Unterstützung der Wiederbesiedlung Palästinas auf. Das soziale Element der jüdischen Botschaft wurde besonders hervorgehoben.
Somit begann sich die Kluft zu schließen, die früher einmal radikale Reformer von moderaten Neuerern, wie wir ihnen in Deutschland begegnet sind, trennte. Das progressive Judentum in den USA wurde zu einer integrativen Kraft von Rückbesinnung auf die Tradition und Hinwendung zur Moderne und damit zum bestimmenden Faktor des zeitgenössischen jüdischen Lebens bis heute.
© Rose Proszowski (Or Chadasch, Wien)
LITERATUR
"Judentum wie es wirklich ist" von Theodor Much. Verlag Kremayr &Scheriau, Wien, 1997
"Progressives Judentum, Leben und Lehre" von Jonathan A.Romain/Walter Homolka. Knesebeck GmbH & Co. Verlags KG, München, 1999
"Herr Moses in Berlin. Auf den Spuren eines Menschenfreundes" von Heinz Knobloch. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1999
"Fräulein Rabbiner Jonas. Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" von Elisa Klapheck. Verlag Hentrich & Hentrich GbR, Teetz, 1999
Studies in Progressive Halakhah, edited by Walter Jacob and Moshe Zemer. Freehof Institute of Progressive Halakhah, Pittsburgh and Tel Aviv, Rodef Shalom Press, 1997
14.2. Regionen und transnationale Prozesse
Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 16 Nr.