Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
14.4. Identitätsmanagement von Minderheiten im Alpen-Donau-Adria-Raum |
Daten zum transnationaler Vergleich auf Grund einer im Sommer und Herbst 2005 durchgeführten Studie
Samo Kristen (INV, Ljubljana)
Im Rahmen des ASO-Projektes(1) über das Identitätsmanagement von Minderheiten im Alpen-Donau-Adria Raum hat unseres kleines Forschungsteam, bestehend aus dem österreichischen Projektleiter und Koordinator sowie MitarbeiterIinnen aus Serbien-Montenegro und Slowenien im Sommer und Herbst 2005 deutsche und ungarische Kulturvereine in drei Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, in Slowenien, Serbien-Montenegro und Kroatien, besucht. Aus zeitlichen Gründen haben wir uns entschieden, eine proportionierte Auswahl deutscher Vereine - je zwei in Slowenien, Kroatien und Serbien-Montenegro - zu besuchen.
In Slowenien haben wir uns, um relevante Informationen zu bekommen, an Vorstandspersonen zweier Vereine gewandt - und zwar an Veronika Haring, Leiterin des Kulturvereines deutschsprachiger Frauen Brücken in Maribor und an Primož Debenjak, der den Gottscheer Altsiedler Verein (weiter auch Altsiedlerverein) mit Sitz in Občice, dt. Krapflern, in der Nähe von Novo mesto, vertrat.
Die erste Kontaktaufnahme fand am 26. 8. 2005 im Kulturverein deutschsprachiger Frauen Brücken statt. Der Verein besteht seit Dezember 2000, zählte zur Zeit unserer Kontaktaufnahme 86 offiziell registrierte Mitglieder und hat vor kurzem mit Subventionen der Kärntner und der Steirischen Landesregierung neue Räume bezogen. Dieser Verein bemüht sich besonders um die Erhaltung, Pflege und Weitergabe der deutschen Sprache und Kultur. In diesem Sinne findet dreimal wöchentlich eine Kinderwerkstätte statt, einmal in der Woche gibt es Deutschunterricht für Erwachsene und ebenso einmal in der Woche eine Diskussionsrunde, bei der besonders Literatur und auch andere Fragen, »aber nicht Politik«, wie Frau Haring betonte, besprochen werden. Der Verein gibt regelmässig ein zweisprachiges Jahrbuch mit dem Titel »Zwischenmenschliche Bindungen - Vezi med ljudmi« heraus und zwar mit literarischen Beiträgen der eigenen Mitglieder. Ein besonderes Anliegen des Kulturvereins deutschsprachiger Frauen Brücken ist auch die Intensivierung der Kontakte zu anderen Minderheiten in Slowenien und im Ausland.
Der Kulturverein deutschsprachige Frauen Brücken hat besonders gute Beziehungen zum Verband der volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs (VLÖ) und zum Alpenländischen Kulturverein Südmark (AKVS) entwickelt , steht aber auch in einem sehr guten Verhältniss zum Gottscheer Altsiedler Verein, der wiederum Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften und der Föderalistischen Union der europäischen Volksgruppen (FUEV) ist. Der Gottscheer Altsiedler Verein wurde im Jahre 1992 in Kočevske Poljane, dt. Pöllandl, gegründet, hat ungefähr 200 Mitglieder und definiert sich selbst als Verein der Gottscheer »aus dem ehemaligen Bezirk Novo mesto/Rudolfswert, die im Jahre 1941 nicht umgesiedelt sind« und deren »Nachkommen und Freunde«.(2)
Im Juli 2005 wurde der Verband der Kulturvereine der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien registriert - als Dachverband, der zur Zeit aus den bereits oben erwähnten zwei Vereinen besteht. In den Vereinsstatuten kann man unter anderem auch diesen Satz lesen, der viel über das Selbstverständnis und die zugedachte Mittlerrolle des Dachverbandes aussagt: »Die deutschsprachigen Kulturvereine tragen in aktivem Zusammenleben mit dem Mehrheitsvolk ihren Anteil zum kulturellen Reichtum und zur Vielfältigkeit ihrer Heimat Slowenien, aber auch zur Stärkung des europäischen Geistes und der europäischen Verbindungen, vor allem mit Ländern und autonomen Gebieten mit der deutschen Amtssprache, bei.«(3)
Nach Zusicherung von Primož Debenjak, des ständigen Vertreters des Altsiedlervereins bei der FUEV, können diesem Dachverband, den August Grill - Obmann des Gottscheer Altsiedler Vereins - führt, auch andere Vereine beitreten, »sofern/sobald« sie sich »zur deutschen Volksgruppe bekennen werden«.(4)
Das Bekentnnis »zur deutschen Volksgruppe« und die damit verbundene kulturelle Tätigkeit stellt demnach die Mindestbedingung für eine eventuelle Zugehörigkeit zur Dachorganisation dar. Wie soll man eigentlich in concreto nun diese beide entscheidenden und zugleich scheidenden Kriterien im Hinblick auf ethnisches Identitätsmanagement (Giordano, 1981: 179-183; Hettlage, 1997: 7-23) hinterfragen, das, wie bekannt, auf verschiedenen Inklusions- und Exklusionstrategien und -taktiken beruht, und bei dem es besonders wichtig ist, welcher »Identitätsmanager« in letzter Instanz die Richtung für die Volksgruppe vorgibt ?
In Slowenien bestehen zur Zeit nämlich fünf Vereine, die nach Debenjaks Worten »einen Bezug zur deutschen Minderheit haben, doch haben nur drei davon auch minderheitsbezogene kulturelle Tätigkeiten und nur zwei von diesen drei bekennen sich zur deutschen Minderheit: nämlich der Gottscheer Altsiedler Verein und der Verein deutschsprachiger Frauen 'Brücken' aus Marburg/Maribor.«
Neben den zwei letzterwähnten gibt es dann auch den Slowenischen Gottscheer Verein Peter Kosler mit Sitz in Ljubljana, der zwar ohne weiteres eine »minderheitsbezogene kulturelle Tätigkeit« vorzuzeigen kann, der sich aber - wir zitieren Herrn Debenjak - »als Verein von Slowenen« deklariert »und er will mit der Minderheit nichts zu tun haben.« Weiters gibt es den Verein Freiheitsbrücke/Mostovi svobode in Maribor, den der Rechsanwalt Dušan Kolnik bereits im Jahre 1991 gegründet hat. Dieser setzt sich sogar »stark für die Minderheit« ein, entspricht also dem gefragten Bekenntnisprinzip völlig, es fehlt ihm aber die kulturelle Tätigkeit, er soll jedoch gegen »jede Zusammenarbeit mit den Altsiedlern oder den 'Frauen'« sein.
Eine ganz singuläre Position in der oben dargestellten Gliederung nimmt der Kulturverein Abstaller Feld/Apaško polje (ad Apače/Abstall siehe: Križman, 1997; Staudinger, 2002: 96-110) ein, dem schon in seiner Satzung eine gewisse Ambivalenz an- haftet. Diese soll nämlich nicht genügend eindeutig sein, denn nach Debenjaks Interpretation kommt dieser Verein zwar als ein »möglicher Beitrittskandidat« für den Dachverband in Frage, der dann »allerdings seine Satzung ändern müsste, denn derzeit deklariert er sich als 'internationaler Verein' mit dem Hinweis: 'für Deutsche und Slowenen auf der ganzen Welt’.«
Das bereits erwähnte Interview mit Primož Debenjak fand am 12. 9. 2005 statt. Er hat in unserem Gespräch die Erhaltung und Bewahrung der Identität der ethnischen Gruppe der Gottscheer (Ferenc, 2005) in Slowenien als ganz wichtiges Ziel des Vereinstätigkeit des Gottscheer Altsiedler Vereins hervorgehoben. Auf die Frage des Identitätsmanagements nach innen angesprochen, hat er angemerkt, dass schon das Bestehen des Vereines an sich als identitätsstiftend zu betrachten sei. Damit sei weiters eine politische Präzenz im Sinne der Minderheitenpolitik ausgewiesen, die sich in einem ganzen Spektrum verschiedener, auch kultureller und erinnerungsgeschichtlicher Aktivitäten äussert.
Der Altsiedlerverein, der seit 1998 über ein gut ausgebautes Kulturzentrum in Občice verfügt, ist besonders bei der Erhaltung des Gottscheerischen Kulturerbes aktiv. Bisher wurden etliche Kapellen renoviert, Friedhöfe in Stand gesetzt usw. (Ferenc, 1993). Die Erinnerungskultur wird bei diesem Verein, der in seinem Identitätsmanagement auf die mehr als sechshundertjährige Geschichte der Gottscheer Sprachinsel (Suppan, 1998; Moritsch, 2001) zurückblicken kann, wobei aber von der historischen Substanz wegen der Zerstörungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg sehr wenig übrig blieb (Karner, 1998; Nečak, 2002; Ferenc 1993, 2005), überhaupt grossgeschrieben; im Zentrum des mit Geldern der Österreichischen Bundes- sowie der Kärntner Landesregierung ausgebaut wurde, hat man dank weiterer finanzieller Hilfe der Südtiroler Landesregierung auch ein kleines Gottscheer-Heimatmuseum eingerichtet.
Im Kulturzentrum finden gesellige Treffen und ein regelmässiger Unterricht der deutschen Sprache und der gottscheerischen Mundart, und zwar nicht nur für die Gottscheer, sondern prinzipiell für alle Einwohner des Čermošniška dolina/Tschermoschnitzer Tales statt (Hermanik, 2004: 65-75). Da im Tschermoschnitzer Tal vier Dörfer keine Wasserleitung haben, versucht der Verein mit Hilfe der Südtiroler Landesregierung über Strukturfonds an die Mittel für eine Instandsetzung heran zu kommen. Der Vereinsvorsitzende August Grill, der auch Vizepräsident des Slowenischen Imkerverbandes ist, kooperiert mit den Südtirolern auch auf dem Gebiet der Imkerei und der Pflege alter Obstsorten, die im Gottscheer Gebiet noch erhalten sind.
Auf die Rolle der Jugend und Frauen in Verein angesprochen, hat Herr Debenjak beteuert, dass die Frauen im Verein ein ziemlich grosses Gewicht hätten, in der Jugendgruppe seien die Mädchen in der Mehrzahl. Es gibt weiters einen sehr aktiven Jugendchor und den Kinderchor Vleattrlitsn (im gottscheerischen Dialekt für Schmetterlinge); es werden in den Schulferien für die Jugendgruppe Workshops veranstaltet, es wird gebastelt, man erlernt spielerisch die deutsche Sprache usw. Der Verein gestaltet eine eigene Internet-Seite und gibt eine Vereinszeitung namens Bakh-Pot heraus, die zweimal jährlich in deutscher und slowenischer Sprache erscheint. Einige Beiträge werden darin auch regelmässig in der gottscheerischen Mundart verfasst. Die ständige Finanzierung der Vereinsaktivitäten hat - so Herr Debenjak - das Land Kärnten übernommen, andere Subventionen bekommt man projektbezogen. Die Finanzierung im Rahmen des Kulturabkommens zwischen der Republik Slowenien und der Republik Österreich (Nečak, 2004), wo im Artikel 15 das Bestehen der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien besonders erwähnt ist, soll aber- ich zitiere wieder Herrn Debenjak - »ziemlich geringfügig« sein.(5)
Die zweite Stufe unseres Projektes begann noch im selben Monat in der Vojvodina, wo wir in Begleitung serbischer wissenschaftlicher MitarbeiterInnen der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) mehrere deutsche und ungarische NGOs in Apatin, Novi Sad und Subotica kontaktiert haben. Als ersten haben wir am 21. 9. 2005 den Bürgerverein Adam Berenz in Apatin besucht. Dieser wurde im Jahre 2001 gegründet und zählt an die 90 Mitglieder. Nach den Worten seines Leiters, Boris Mašić, soll es in Apatin noch schätzungsweise 300 Deutsche geben; als solche bekennen sich aber nur etwa 140. Die Kolonisationswellen nach dem zweiten Weltkrieg haben das ethnische Gesicht der Stadt gründlich verändert: Vor 1941 wohnten dort fast auschliesslich Deutsche, heute ist die serbische Bevölkerung in der Mehrheit (Senz, 1966; Stefanović 1999), weiters gibt es auch Kroaten, Ungarn und Romabevölkerung. Die Deutschen, die sich nach dem II. Weltkrieg nicht getraut haben, sich als Deutsche zu bekennen, haben sich meistens als Ungarn deklariert; das war ein typischer Fall von ethnischer Mimikry, die später bei unseren Gesprächspartnern in Subotica bestätigt wurde.
Der Bürgerverein Adam Berenz hegt schon in seiner Bennenung die Erinnerung auf jenen katholischen Pfarrer, der in dreißiger Jahren ein heftiger Gegner des Nationalsozialistischen Regimes in Deutschland war und sich in der Vojvodina gegen die Erneuererbewegung stemmte und schliesslich in den Jahren der deutschen Okkupation ein bedeutender Widerstandsaktivist wurde. Der Verein versteht sich auch als Hüter und Bewahrer seines Nachlasses. Das Pfarrhaus, das zum Kulturzentrum umfunktioniert wurde, birgt auch dessen persönliche Gegenstände, Bücher und Jahrgänge der Zeitschrift Donau, die Adam Berenz herausgab. Gegenüber des Pfarrhauses steht ein grosser Kirchenbau, der gerade vor dem II. Weltkrieg von einem bekannten Wiener Architekten gebaut, aber niemals für seine sakrale Funktion geweiht wurde und der bis heute leer steht.
Dabei wäre vielleicht gut zu erwähnen, dass Berenz auch Prophet genug war, um im Jahre 1942, also erst ein Jahr nach dem Deutschen Balkanfeldzug, die Ausweisung und kollektive Vertreibung der Donauschwaben vorauszusehen und davor zu warnen. Diese Prophezeihung hat sich am Ende des blutigen Krieges leider bewahrheitet, so dass heute an das tragische Kapitel der Ermordung und Zwangsaussiedlung der dortigen Deutschen (Mirić, 2004; Stojković, 2004) nur noch die donauschwäbischen Gedenkstätten in den ehemaligen Lagern Krndija und Gakovo in der Vojvodina und Valpovo in Ostslawonien erinnern.
Die Situation des Vereines, der noch vor zwei Jahren in der Lage war, ein grosses Treffen der deutschen Apatiner aus der ganzen Welt zu organisieren, ist ziemlich diffus. Nicht nur, dass die deutschen Vereine in der Vojvodina zwischen Subotica und Novi Sad gespalten sind, soll sich nach Meinung von Mašić noch immer ein gewisser evangelisch-katholischer Gegesatz innerhalb der Minderheit bemerkbar machen. Nicht weniger unvorteilhaft ist, dass sich auch die lokalen politischen Kräfteverhältnisse nach dem Wahlsieg der serbischen nationalistischen Kräfte so umgewandelt haben, dass sich nun Herr Mašić ernsthaft um die weitere Existenz des Vereines sorgt.
Viel optimistischer hat sich Herr Rudolf Weiss, Leiter des Deutschen Volksverbandes in Subotica, geäußert und zwar aus mehreren Gründen. Hier, in Subotica (aber auch später in Osijek, bei der Volksdeutschen Gemeinschaft-Landmannschaft der Donauschwaben in Kroatien) konnten wir schon Ansätze des Identitätsmanagements im Sinne Giordanos Definition als »ein routiniertes Führungsgremium von Honoratioren« feststellen.(6) Rudolf Weiss hat uns am 28. 9. 2005 mit seinen engsten Mitarbeitern in den schönen, renovierten Räumen des Vereins empfangen und uns durch die Gebäude des Kulturzentrums geführt, das mit finanzieller Hilfe der Deutschen Bundesrepublik errichtet wurde. Das Deutsche Haus in Subotica hat, wie Weiss betonte, neben der deutschen Botschaft in Belgrad und deutschen Konsulargebäuden als einzige in Serbien-Montenegro das Recht, das deutsche Hoheitszeichen zu tragen.
Neben dem Medienbereich (der Verein hat auch eine eigene Internet-Webseite) hat Herr Weiss besonders die Wichtigkeit der Jugendarbeit hervorgehoben. Die Jugend ist in der Theatergruppe Junge Nibelungen und im Chor Lorelei aktiv, und die beiden sind trotz der eindeutigen Bennenung multiethnisch und multikonfessionäl zusammengesetzt. Auch im übrigen soll die Zusammenarbeit mit anderen Minderheiten, besonders aber mit der ungarischen Minderheit, die die grösste Minderheit in der Vojvodina stellt, sehr gut sein.
Der Deutsche Volksverband, der im Jahre 1996 gegründet wurde, hat im vergangenen Jahrzehnt eine kontinuierliche Aktivität entwickelt, die nur einmal zum Stillstand gekommen ist: Im Jahr 1999, als die Nordatlantische Allianz militärisch in Jugoslawien intervenierte. Damals haben alle übrigen Aktivitäten des Verbandes aufgehört, es wurde aber humanitäre Hilfe für die Opfer des Krieges geleistet. Der Deutsche Volksverband ist auch Mitglied des Forums für deutsch-serbischen Dialog dem auch zwei weitere NGOs aus Serbien angehören; dieser bemüht sich für beste Beziehungen mit dem serbischen Staat.
Im Jahre 2002 hat man in Subotica die Weltdachverbandssitzung der Donauschwaben organisiert und ein Jahr später hat man auch die Konferenz des Funkforums abgehalten. Der Deutsche Volksverband in Subotica ist Mitglied des Funkforums, eines sehr bedeutenden, grenzüberschreitenden Vereines deutschsprachiger Hörfunkredaktionen aus Rumänien, Ungarn, Kroatien und Serbien-Montenegro. Seit 1998 sendet Radio Subotica regelmässig jeden Freitag eine halbstündige Radiosendung in deutscher Sprache. Rudolf Weiss, der Vorsitzende des Deutschen Volksverbandes ist zugleich Vizevorsitzender der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Serbien. Er ist zudem Redakteur der Sendung Unsere Stimme. Daneben ist er seit 1990 auch Mitglied des Vereins der Deutschen und Österreicher in kroatischen Osijek, den wir in letzten Oktoberwoche besucht haben.
In der Osijeker-Baranja-Gespanschaft gibt es noch ungefähr 1000 deutsch oder österreichisch deklarierte kroatische Staatsbürger (Geiger, 1997; Geiger, 2002), ein Drittel der in der gesamten Republik Kroatien offiziell gezählten Angehörigen der deutschen und österreichischen Minderheit. Als einzige in allen drei Nachfolgestaaten, die wir in unserem Bericht eingeschlossen haben, ist diese Minderheit auch verfassungsmäßig annerkant. Herr Nikolaus Mack, der Vorsitzende des Vereins Volksdeutsche Gemeinschaft-Landsmannschaft der Donauschwaben in Kroatien mit Sitz im Osijeker Stadtzentrum, ist zugleich auch Abgeordneter der Nationalen Minderheiten der Bulgaren, Deutschen, Juden, Österreicher, Polen, Roma, Rumänen, Russen, Ruthenen, Türken, Ukrainer und Walachen in kroatischen Sabor (Parlament), also von zehn von insgesammt 22 im Minderheitengrundgesetz anerkannten Minderheiten in Kroatien, die in derartigen, nach der Größe strukturierten Selbstverwaltungseinheiten organisiert sind (Marko, 1996: 119-199).
»Wir sind ein Verein der Österreicher und Deutschen und deren Nachkommen«, hat Herr Mack, der auch einer von sechs Vizepräsidenten des Präsidiums des Weltdachverbandes der Donauschwaben ist, im Gespräch mit uns am 25. 9. 2005 ganz kurz das Identitätsverständnis der Mitgliedschaft charakterisiert. Dieser Verein zählt 800 reguläre Mitglieder. Seine Tätigkeit erstreckt sich auf mehrere Bereiche: Wissenschaftliche Tagungen kroatischer Historiker, die das deutsch-österreichische kulturelle Erbe in Kroatien erforschen, inbegriffen. Deren Beiträge sind in Jahrbüchern der Volksdeutschen Gemeinschaft gedruckt und zwar in kroatischer Sprache mit deutschen Zusammenfassungen. Auf deutsch und kroatisch erscheint viermal jährlich das Deutsche Wort - Blatt der Deutschen und Österreicher in Kroatien mit einer Auflage von 1300 Exemplaren. Es gibt weiters einen Chor, Brevis Donau genannt, und ein Laientheater, die Esseger Schulbühne. Auch der Osijeker Verein ist gleich dem in Subotica Mitglied des überregionalen Funkforums.
Sechs der deutsch-österreichischen Vereine in Kroatien sind in die »Gemeinschaft der deutschen und österreichischen Minderheitenorganisationen« eingetreten, der Osijeker Verein der Donauschwaben eingeschlossen.
Außerdem gibt es in Osijek den im Jahre 1990 gegründeten Verein der Deutschen und Österreicher in Kroatien, der außerhalb dieser Gemeinschaft geblieben ist und dabei auch in Hinsicht auf dem Weltdachverband der Donauschwaben eine andere Position bezogen hat. Dieser Verein hat sich dem Dachverband der Volksgruppe der Donauschwaben in Stuttgart angeschlossen, den im Jahre 2003 Georg Morgenthaler gegründet hat, während der oben erwähnte Verein der Donauschwaben mit dem Donauschwäbischen Weltdachverband in Sindelfingen verbunden ist.
Frau Vesna Pichler, die Leiterin des Vereines der Deutschen und Österreicher Kroatien, hat im Gespräch mit uns, das am 26. 9. 2005 in den Vereinsräumen in der Europska Avenija stattfand, als grössten Erfolg die Errichtung einer deutschen Klasse mit 120 Kindern in der Osijeker Schule Heilige Anna genannt. Der Verein hat zwei Bücher herausgegeben, man organisiert Ausstellungen und dreimal jährlich erscheint die Vereinszeitung Die Glocke. Die Chorgruppe Esseg gibt jedes Jahr zwei Konzerte, es gibt auch eine Volkstanzgruppe und eine Theatergruppe. Doch die finanzielle Unterstützung seitens des kroatischen Staates ist heuer ausgeblieben und aus Österreich bekäme der Verein, so Frau Pichler, keine finanzielle Hilfe.
Wir haben uns in Serbien-Montenegro und Kroatien vorsätzlich auf die Vojvodina und Slawonien beschränkt, also auf zwei angrenzende, multiethnische Regionen, wo die deutsche Minderheit der Donauschwaben vor dem Zweiten Weltkrieg zahlenmässig viel stärker war, wo aber kleine Überreste dieser ehemaligen Minderheit noch heute bestehen. Nach dem Zerfall Jugoslawiens, den geopolitischen Umgruppierungen in diesem Raum, der Eröffnung europäischer Integrationsperspektiven und im Zuge der allgemeinen Demokratisierungsprozesse befinden sich diese gegenwärtig in einem, von einem offensichtlichen Identitätsmanagement von aussen und innen getragenen Prozess einer ethnischen Revitalisierung. Ein ähnliches Phänomen, in bescheidenerem Rahmen, ist auch im EU-Mitgliedsstaat Slowenien (Heppner, 2002) zu beobachten.
© Samo Kristen (INV, Ljubljana)
ANMERKUNGEN
(1) Dieser Beitrag ist Teil des ASO-Projektes mit dem Titel The German and Hungarian Minorities’ Cultural Societies. Identity Management and Civil Society Structures in Slavonia/Baranya (CRO), Slovenia (SLO) and Vojvodina (SCG) . Siehe http://www.aso.zsi.at/project_1_29_2005.html
(2) http://www.gottscheer.net/slo1-nem.html
(3) Pammer/Grilj: Deutschsprachige Altösterreicher in Slowenien. Hintergrundinformation. Siehe: Emil Brix: Die Brückenfunktion von Volksgruppen bei grenzüberschreitenden Kulturkontakten. http://cms.bmaa.gv.at/up-media/1856_die_br_ckenfunktion_von_volksgruppen.pdf. Diese Satzung illustriert Ihrer Intention nach fast exemplarisch die folgenden, inspirierenden Gedanken, die sich in oben zitiertem Aufsatz Emil Brix befindet: " Volksgruppen erfüllen in mehrerlei Hinsicht eine Brückenfunktion. Sie können aufgrund ihres ‚Insiderwissens’ zwischen dem Land, in dem sie leben und dem Land, das ihre sprachliche Heimat ist, vermitteln. Sie sind aber auch eine Brücke zwischen der Geschichte und der Gegenwart. Als Inseln, die von einer geschichtlichen Entwicklung gleichsam ‚übrig’ geblieben sind, zeugen sie von der historisch tradierten Multikulturalität und stellen daher auch eine Botschaft aus einer nicht exklusiv national argumentierenden europäischen Vergangenheit dar."
(4) www.fün.org/pdfs/20050815DOKU_Bucharest.pdf
(5) Vor kurzem, am 8. Mai 2006, hat der »Verband der Kulturvereine der deutschsprachigen Volksgruppen in Slowenien« eine Art Forderungspaket an die slowenische Regierung überreicht, wo unter anderem die Anerkennung als autochthone Minderheit in der slowenischen Verfassung gefordert wird. Für den deutschen Text siehe: http://www.vlö.at/presse/berichte/2006/aus2006008.htm
(6) Zwar hat die Volkszählung im Gebiet Serbien/Vojvodina im Jahr 2002 ergeben, daß die Zahl der Deutschen in dieser Region seit 1991 von 5.172 auf 3.901 zurückgegangen ist (hiervon leben 80,85 Prozent in der Vojvodina), aber in Subotica, dt. vorher Mariatheresiopel, konnte man einen Zuwachs von 208 auf 272 Deutsche seit 1991 verbuchen. Rudolf Weiss, der Vorsitzende des Deutschen Volksverbandes, erklärt das mit der intensiven Verbandsarbeit vor Ort, d.h. die Menschen getrauen sich wieder, sich als Deutsche zu deklarieren. http://www.webarchiv-server.de/pin/archiv03/0203ob04.htm
LITERATURVERZEICHNIS
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