TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 1.2. Der Kaukasus und Europa / Caucasus and Europe
SektionsleiterInnen | Section Chairs: Mzia Galdavadze (Tbilissi), Tornike Potskhishvili (Wien), Vilayet Hajiyev (Universität Baku) und Azat Yeghiazaryan (Jerewan)

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LektorInnenfortbildung in Georgien

Eva Walcher (Universität Wien) [BIO]

Email: cupiennius@gmx.net

 

In Georgien, das als Bildungsland gilt, gilt auch der sprachliche Standard allgemein als sehr hoch. Die große Universitätsreform 2006 brachte und bringt viele Neuerungen mit sich, wie die Differenzierung einzelner Studiengänge, die Aufteilung der Philologien in einen Spracherwerbsbereich oder Deutsch als Fremdsprache- Bereich und in einen philologischen Bereich, die Etablierung einer eigenen Studienrichtung Deutsch als Fremdsprache, eigene Curricula für den Lehrberuf. Im Rahmen dieses Beitrags möchte ich näher auf die damit verbundene neu entstandene Situation von Lektorinnen und Lektoren im Spracherwerbsbereich und eines damit verbundenen Fortbildungskurses für Lehrende an der Österreich- Bibliothek eingehen.

Was bedeuten die Reformen konkret im Hinblick auf die deutsche Sprache? Dazu soll ein kleiner Exkurs in Zahlen und Fakten rund um die deutsche Sprache in Georgien folgen, in dem ich zunächst einmal auf Daten, Fakten und auf den Stellenwert der Deutschen Sprache in Georgien eingehen möchte, woraus sich in Folge die Bedeutung von Lehrendenfortbildung in Georgien ablesen lässt: Die deutsche Sprache hat in Georgien eine lange, rund 100jährige Tradition. In konkreten Zahlen bedeutet das, dass an vielen Bildungseinrichtungen die deutsche Sprache gelehrt wird. Eine Datenerhebung der StA DaF(1) aus dem Jahre 2005 zeigt die Relation der Anzahl der Deutschlernenden in Georgien nach Einwohnerzahlen(2). Im Jahre 2005 konnten in ganz Georgien 168.400(3) Deutschlernende erfasst werden, was 3,74 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Davon entfallen rund 168.000 Lernende auf den Schulbereich und rund 400 auf den Erwachsenenbildungsbereich.

Diese Erfassung von Lernenden erhebt noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weil Zahlen über Lernende noch ausständig sind, wie beispielsweise aus dem außerschulischen Bereich. Das ist in erster Linie eine Erfassung von Germanistikstudierenden, Hochschulen mit Deutsch als Fremdsprache wie Berufsakademien oder pädagogischen Hochschulen und die Erfassung jener Studierenden, die Deutsch im Rahmen von Sprachkursen innerhalb ihres Studiums lernen.

Seit der großen Hochschulreform im Jahr 2006 dürfte sich die Verteilung der Deutschlernenden abermals verändert haben. Dieses hat mehrere Gründe. Erstens gibt es im Zuge der Reformen viele Lernende an den neu gegründeten, eingangs genannten Sprachenzentren, die ihrerseits für den Spracherwerb der Studierenden zuständig sind und die ihre Angebote ausgeweitet haben, um ein größeres Zielpublikum anzuziehen. Zweitens wurden – wie zuvor genannt – in der Erhebung DaF- und Germanistikstudierende an den Universitäten noch nicht erfasst. Und drittens wurden Deutschlernende im Rahmen einer Fachsprache, wie juristisches Deutsch oder Wirtschaftsdeutsch ebenfalls noch nicht erfasst. Daraus lässt sich folgern, dass die Zahl der Deutschlernenden und Germanistikstudierenden und bald auch all jener, die Deutsch als Fremdsprache(4) mit methodisch- didaktischem Studienschwerpunkt belegen, in Wirklichkeit viel größer ist.

Wo steht Georgien damit im internationalen Vergleich? Eine Antwort auf diese Frage zeigt ebenfalls die Erhebung der StA DaF(5), in dem Georgien den achten Platz jener Länder einnimmt, in denen in Relation zu ihrer Einwohnerzahl, die meisten Deutschlernenden erhoben wurden. Im internationalen Vergleich ist damit die Zahl der Deutschlernenden sehr hoch und kann sich mit jenen Zahlen in den alten und neuen EU- Ländern messen. Eine höhere Zahl von Deutschlernenden weisen jene Länder mit geographischer Nähe zu einem deutschsprachigen Land auf, wie die Slowakei auf Platz 1, gefolgt von Ungarn, Polen, der Tschechische Republik, Dänemark und Slowenien auf den Plätzen 2 bis 6. Als nicht an den deutschsprachigen Raum angrenzendes Land und Nicht- EU- Mitglied folgt Kroatien mit Platz 7 innerhalb des Rankings. Danach kommt Georgien mit besagten 3,74 % seiner Gesamtbevölkerung auf Platz 9.

Die Motivation, sich mit der deutschen Sprache zu befassen, ist ganz generell wie auch in Georgien rückläufig. So wurde in Georgien in den Vergleichsjahren 2000 und 2005 einen Rückgang von 9.732 Lernenden verzeichnet. Diese Zahlen bedeuten nicht, dass weniger Sprachen gelernt bzw. studiert werden, sondern dass sich eine Verschiebung abzeichnet: Meistens ist Deutsch rückläufig zugunsten von Englisch.

Die Motive, Deutsch zu lernen, sind sehr vielfältig. Das Goetheinstitut hat einen Motivindex(6) über die am häufigsten genannten Beweggründe, sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen, zusammengestellt. Hier werden sehr häufig ökonomische und wissenschaftliche Gründe genannt. Die Gründe reichen von mehr Chancen im Tourismus, wobei der Kulturtourismus sicherlich in Hinblick auf ökonomische Stabilität ein sehr potentialträchtiger Zukunftsbereich in Georgien ist, bis hin zu Aussichten auf Karrierechancen in großen internationalen Unternehmen. Ein kleiner Exkurs in Zahlen und Fakten von Österreich soll das verdeutlichen: Österreich war 2006 der größte Investor in den neuen EU- Ost- Staaten, sowie in Rumänien und Bulgarien mit beispielsweise Niederlassungen der OMV, verschiedener Banken (z.B. Raika oder Erste Bank) oder etwa in der Baubranche. Die Investitionen beschränkten sich jedoch nicht nur auf Länder innerhalb der EU. Österreich ist auch in vielen Nicht –EU- Staaten der größte Investor, wie beispielsweise die Raika in Albanien oder Esso in der Türkei oder im Kosovo, was wiederum auf das Potential der deutschen Sprache verweist.

Mit dem Erwerb einer Fremdsprache, stellt sich immer auch die Frage nach deren Nutzen. Wenn bereits heute in Georgien das Interesse an Deutsch sehr groß ist, wie groß muss es erst dann sein, wenn mehr internationale Unternehmen sich dort niederlassen (wie beispielsweise der Fleischkonzern Schirnhofer), ein Tourismus etabliert ist oder im Rahmen von bilateralen Abkommen verstärkt auf kulturelle Austauschprogramme gesetzt wird. Dies stellt zusätzliche motivierende Faktoren dar und zwar auf der einen Seite für Lernende als Chance für einen Arbeitsplatz mit Zukunft und auf der anderen Seite als attraktives Kriterium für Investoren und für den Tourismus. Deshalb wird neben und innerhalb der Pflege von bilateralen Austauschprogrammen auch die Lehrendenfortbildung immer wichtiger, um diesen hohen Anforderungen, die an die Lernenden in Zukunft gestellt werden, gerecht werden zu können.

Damit stellt sich die nächste Frage, wie derzeit das Angebot aussieht. Üblicherweise besteht in Georgien die Tendenz, sich um einen Fortbildungskurs in einem der deutschsprachigen Länder zu bewerben, wobei schon bedingt durch seine Größe und Kapazitäten Deutschland weitaus populärer und präsenter ist als vergleichsweise Österreich oder die Schweiz. In Georgien selbst werden Fortbildungsangebote für Lehrende weniger von den Universitäten, sondern eher von DaF- Institutionen, wie dem Goethe- Institut in Tbilisi angeboten, was darauf hindeutet, dass ein solches Angebot zunehmend wichtiger wird.

Ein Beispiel aus Polen soll zeigen, was Lehrendenfortbildung bewirken kann: Viele Germanistik- Absolventen und DaF- Lehrende wandern in gut bezahlte Stellen ausländischer Unternehmer ab, was dort derzeit zu einem Lehrermangel führt.

Neben der Differenzierung einzelner Studiengänge zog die Reform u. a. auch die Etablierung neuer Lehrpläne oder die Umstellung auf neue Lehrwerke mit sich. Daraus kann eine gewisse Skepsis resultieren insbesondere auch, was methodische Veränderungen anbelangt. Konkret für den Spracherwerb bedeutet das eine Etablierung neuer Basislehrwerke aus der Zeit nach der kommunikativen Wende (1980), mehr Plenarunterricht und Interaktionen seitens der Lernenden, ein Schwerpunkt auf den vier Fertigkeiten Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen in einem integrierten Fremdsprachenunterricht, mehr Prozessorientiertheit und eine Betonung der kommunikativen Angemessenheit gegenüber der grammatischer Richtigkeit.

All diese Veränderungen stellen hohe Anforderungen an Lehrende, wobei immer wieder Neuerungen hinzukommen. Neues kann Reserviertheit auslösen, das ist ein ganz natürliches oder besser gesagt ein menschliches Phänomen, wie beispielsweise die derzeitige Euroskepsis im gesamten EU- Raum zeigt.

Aus der Auseinandersetzung über all diese Veränderungen resultierte die Idee, in Tbilisi einen Lehrendenfortbildungskurs mit didaktisch- methodischen Schwerpunkten neben österreichspezifischen, landeskundlichen Konzepten anzubieten. Zu Anfang erschien es eine sehr gewagte Idee in Hinblick darauf, auf welche Resonanz ein solches Angebot stoßen würde. Die Motivation zur Fortbildung zeichnet sich jedoch nicht nur in Tbilisi selbst ab, sondern ist ebenfalls in vielen kleineren Universitätsstädten in ganz Georgien gegeben.

So, wie die Frage nach dem Nutzen einer Fremdsprache gestellt wird, so wird auch die Frage nach dem Nutzen neuer Methoden im Fremdsprachenunterricht gestellt, wobei in der Antwort sich bereits die Chancen abzeichnen. Das sind neben mehr Autonomie für Lernende vor allem die Erreichung der „can do“- Beschreibungen für die vier Fertigkeiten innerhalb der sechs Niveaustufen nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen, um innerhalb der EU bzw. weltweit Sprachdiplome transparenter zu machen, was wiederum hilfreich bei der Nostrifizierung und gegenseitigen Anerkennung von Diplomen in so vielen verschiedenen Systemen ist. Der Rahmen einer Fortbildung, der neben einem plenaren Austausch auch für Reflexionen genutzt werden kann und soll, eröffnet zusätzlich die Möglichkeit, auch über jene Punkte, die mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden, zu reflektieren.

Und weil eine Sprache immer auch mit den kulturellen Aspekten des Landes verknüpft ist, kann man Lehrende auch in ihrer Rolle als kulturelle Vermittler begreifen. Hier bietet Lehrendenfortbildung auch in Hinblick auf landeskundliche Aspekte eine Basis für Austausch und Vertiefung, wobei hier kulturelle Aspekte als Basis für Austausch fungieren.

Deshalb ist ein Angebot an Lehrendenfortbildung wichtig, um einfach „am Ball“ zu bleiben. Es ist andrerseits auch eine Notwendigkeit, weil neue Curricula oder methodische Änderungen eine Seite der Medaille darstellen, zu deren anderer Seite die Ausstattung der Lehrenden mit dem nötigen Wissen zum Umgang damit ist. Deshalb ist es ausgesprochen positiv, wenn Angebote zur Lehrendenfortbildung mit so großer Offenheit und Selbstverständlichkeit aufgenommen und so zahlreich wahrgenommen werden.

Wenn also das Interesse zur Fortbildung trotz beruflicher Etabliertheit – wie es in Europa seit einigen Jahren üblich, ja sogar im Rahmen des lebenslangen Lernens gefordert wird – als progressiver Schritt in Richtung Europa betrachtet werden kann, kann darin ein entscheidender Schritt für nachhaltige methodisch-didaktische Unterrichtskonzepte gesehen werden.

 


Anmerkungen:

1 StA DaF = Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache.
2 Diese Auswertung und Berechnung erfolgte unter Einbezug von Einwohnerzahlen aus: „Datenreport der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung“ (DSW), www.weltbevoelkerung.de, © 2005 Population Reference Bureau, August 2005.
3 StA DaF: Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache: Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2005.- http://www.goethe.de/mmo/priv/1459127-STANDARD.pdf (Letzter Zugriff 11.3.2010)
4 Studienzweig in Vorbereitung
5StA DaF: Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache: Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2005.- http://www.goethe.de/mmo/priv/1459127-STANDARD.pdf (Letzter Zugriff 11.3.2010)
6 http://www.goethe.de/ins/ca/lp/prj/wlg/vrl/gbw/deindex.htm (Letzter Zugriff 11.3.2010)

1.2. Der Kaukasus und Europa / Caucasus and Europe

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For quotation purposes:
Eva Walcher: LektorInnenfortbildung in Georgien - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-2/1-2_walcher17.htm

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