TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen
Sektionsleiter | Section Chair: Csaba Földes (Veszprém / Ungarn)

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Kulturbezogene Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit und diskursive Symbole der Selbstidentifikation des Wissenschaftlers

Tatjana Yudina (Moskau) [BIO]

E-Mail: twyudina@rambler.ru

 

Vorbemerkungen

 Die Repräsentation des Wissens ist eng mit der der Rezeption der Begriffe “Wissen”, “Wissenschaft”, “Wissenschaftler” in der Öffentlichkeit, im “alltäglichen Bewusstsein” und im wissenschaftlichen Betrieb selbst verbunden. Die gängigen, im “alltäglichen Bewusstsein” vertretenen Vorstellungen sind in bestimmte assoziative Ketten integriert und kommen auch in sprachlichen Strukturen zum Ausdruck. Niklas Luhmann stellte in der modernen Gesellschaft grundsätzlich die Umstellung des Wissenschaftssystems von einem ontologischen auf ein konstruktivistisches und von einem einheitstheoretischen (prinzipientheoretischen) auf ein differenztheoretisches Selbstverständnis” fest (Luhmann 1994: 627).

Welche Parameter gehören zur Selbstidentifikation eines modernen Wissenschaftlers? Welche Identifikationsindikatoren werden dabei aktualisiert? Welche Rolle spielen die Bezüge zu einer wissenschaftlichen Schule, zu einer Institution, zu einem Professor und grundsätzlich zum eigenen Fach?

Ziel dieses Beitrages ist, die Differenzen zwischen einzelnen Wissenschaftskulturen zu zeigen. Dabei geht es grundsätzlich um ein europäisches bzw. europaorientiertes Modell der Wissenschaft, mit Berücksichtigung der regionalen Unterschiede, die sie aufweist.

 

Kommunikation in der Wissenschaft und ihre kulturelle Relevanz

Der Begriff „Kultur“ wird je nach Wissenschaft, wissenschaftlicher Schule und Theorie unterschiedlich interpretiert. Ohne auf die einzelnen Interpretationen einzugehen, wird hier von der Wahrnehmung der Kultur als eines dynamischen Prozesses ausgegangen. Wissenschaftliche Kommunikation tritt dabei als versprachlichte Form der Einstellung dem Wissen gegenüber.

Juri Lottman interpretiert die Kultur als eine Form des Kontakts zwischen den Menschen , die „nur in einer Gruppe möglich ist, in der die Menschen miteinander kommunizieren“ (Lottman 1997:1). Wissenschaftliche Kommunikation setzt den Kontakt zwischen den Menschen voraus. Sie entfaltet sich in der Regel in zwei Hauptformen: als interpersonelle Kommunikation und als institutionelle Kommunikation. Die Kultur wird von Lottman zugleich auch als Text, als ein Kulturtext bezeichnet, der einem besonderen historischen Zeitpunkt entspreche, denn jede Kultur sei ein dynamischer Prozess (Lottman 1977: 151). Dadurch sei der Text Teil eines versprachlichten modellbildenden Systems, das auf Handlung und Entscheidung beruht. Als Ziel der wissenschaftlichen Kommunikation kann man als Erstes Produktion von Wissen, Wissenssystemen, Werten und Meinungen und als Zweites – Wissenstransfer und Wissensvermittlung betrachten.

Im Hinblick auf die wissenschaftliche Kommunikation wird hier von der Prämisse ausgegangen, dass bei gleichem Untersuchungsobjekt Vertreter unterschiedlicher Kulturen von ihrem Kulturfeld einigermaßen beeinflusst werden, was in den Formulierungsmustern verifizierbar wird. Ein bedeutender Bestandteil der Kommunikation in der Wissenschaft ist die Person des Wissenschaftlers selbst, dazu gehört seine Selbstidentifiaktions- und seine Selbstdarstellungsphilosophie, die sowohl in den rein „diskursiven Praktiken“ und „gesellschaftlichen Interaktionen“ (im Sinne von M. Foucault) als auch in den komplexen medialen Darstellungstechniken zustande kommt.

 

Zum Problem diskursiver Symbole

Der Signalwechsel, der Wechsel der Symbole, die auf der diskursiven Ebene sowohl bewusst als auch unbewusst repräsentiert werden, fällt, wie die Analyse zeigt, mit den Veränderungen, mit den Transformationen der Gesellschaft. Diese Signale betreffen nicht nur die Aspekte der Interkulturalität in der wissenschaftlichen Kommunikation. Das kann auch ein gesellschaftsinternes Problem sein.

Entsprechende Signale der Selbstidentifikation eines Forschenden werden in der Regel als diskursive Merkmale manifestiert. Diskursiv kommen sie sowohl explizit als auch implizit im kulturell markierten Stil der Darbietung der Forschungsergebnisse, im wissenschaftlichen Dialog mit Kolleg(inn)en, und in persönlichen (privaten), informellen Äußerungen, die die eigene Tätigkeit betreffen.

Zu einem wichtigen diskursiven Symbol in der wissenschaftlichen Kommunikation gehört die Sprache als solche, die Wahl der Sprache und die potentielle bzw. realisierte Mehrsprachigkeit. Pflegt man im europäischen Bereich noch weitere Sprachen außer Englisch bei der Durchführung internationaler Konferenzen, so kann man das als Zeichen einer auf Mehrsprachigkeit in der wissenschaftlichen Kommunikation orientierten Einstellung interpretieren. Andererseits kann die Wahl zugunsten der englischen Sprache insbesondere unter den Naturwissenschaftlern darauf gerichtet sein, einen möglichst breiten Rezipientenkreis zu erreichen und eigene Leistungen dabei effizient zu präsentieren. Die Wahl des Kommunikationsmediums lässt sich in diesem Zusammenhang aus zwei Perspektiven betrachten: des Sprechers und des Rezipienten. Im Falle der fachlichen Wissenschaftskommunikation hat in der Regel Rezipientenperspektive Vorrang (man will ein breiteres Fachpublikum erreichen). Die Wahl der Sprache als Kommunikationsmediums (im Falle der bestehenden Alternativen) kann auch mit der rhetorischen, ästhetischen und performativen Perspektive verbunden sein. Als ein konstitutives Mittel für wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliche Argumentation ist die Sprache ein kultur- und gesellschaftsrelevantes Signal, weil Wissen sich in den diskursiven Praktiken entfaltet, die sich nach bestimmten Regeln und Konventionen ( in der Interpretation von J. Searle 1997:110) ausgebildet werden. Die Veränderungen in den diskursiven Praktiken führen auch zu den Veränderungsprozessen in den Wissenschaften selbst. Ein Beispiel dafür wäre die Situation auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion, wo in der wissenschaftlichen Sphäre öfters die drei Sprachen, die drei Kommunikationsmittel konkurrieren: Muttersprache, Russisch und Englisch, in Teilbereichen auch Deutsch, das aber eher eine periphere Funktion erfüllt. Das Verhältnis zwischen den Sprachen ist je nach Regionen/Ländern unterschiedlich. Der Unterschied ist vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen. Einen wichtigen Platz unter diesen Faktoren nimmt die sprachliche Kompetenz, das Können der jeweiligen Sprache. Sprachliche Kompetenz ist eine ohne Zweifel grundlegende Voraussetzung, um Äußerungen bzw. Texte zu produzieren, allerdings aus der Perspektive der diskursiven Symbole ist es mehr ein technisches Mittel. Wichtiger sind dabei zwei weitere Faktoren: gesellschaftliche Akzeptanz, Status und Ansehen einer Sprache sowie die Wahl, die der Wissenschaftler zugunsten des entsprechenden Kommunikationsmittel trifft. Als eine historische Parallele dazu kann man die Situation mit dem Übergang vom Lateinischen zum Deutschen im Wissenschaftsbereich nehmen. „Mit dem Übergang vom Lateinischen zum Deutschen werden nicht einfach wissenschaftliche Erkenntnisse von einer Sprache in die andere übersetzt, sondern wissenschaftliche Stile ausgetauscht...Mit dem Sprachwandel vom Lateinischen zum Deutschen geht auch ein gesellschaftlicher Funktionswandel einher“ (Schiewe 1996: 8). Sprachwechsel tritt somit als Zeichen der geisteswissenschaftlichen Veränderungen und als Signal der Selbstidentität eines Wissenschaftlers auf.

Der Sprachwechsel wird in der Regel auch mit dem Wechsel der gebrauchten Metaphern verbunden. So war im russischen wissenschaftlichen Diskurs ein deutlicher Bruch nach 1917 zu verfolgen, weil viele metaphernbildende Anspielungen mit alttestamentarischem Hintergrund oder aus der Antike verdrängt wurden. Anfangs geschah dies per Vorschriften und institutionelle Reglungen mit der Begründung, man solle nicht intellektuell zu anspruchsvolle und volksferne, für die breiten „Volksmassen“ wenig transparente Ausdrücke gebrauchen, im Weiteren kam es von selbst aus dem Gebrauch und wurde durch generell simplere Kommunikationsstile ersetzt. Diejenigen Wissenschaftler, die sich in den 20-er Jahren an die alten akademischen Traditionen hielten und einen ausgeprägt akademischen Stil pflegten, hat als etwas antiquiert aufgenommen.

Zu den diskursiven Merkmalen der Selbstpräsentation des Wissenschaftlers, die auch als wissenschaftlicher Stil bezeichnet werden können gehört der der Gebrauch der performativen Verben, der Umgang mit der. Damit ist verbunden das Verhältnis zwischen den Ich- und Wir-Formen bzw. das Auftreten von Kollektiva /Individuativa-Modellen in den Sprechhandlungen. Diese Variationen können sowohl den individuellen Stil kennzeichnen als auch auf den kulturbedingten Konventionen beruhen, wenn auch die Konventionen nicht immer konstant bleiben und einer Entwicklung unterliegen.

Die Dominanz des Individuellen oder des Gruppenbezogenen in der Darstellung/Vorstellung der Forschungsergebnisse kann wissenschaftsspezifische Unterschiede aufweisen. In vielen naturwissenschaftlichen Bereichen erleben die moderne Welt weniger einzelne Gelehrte, sondern mehr Teamforschung.

 

Selbstpräsentation des Wissenschaftlers und neue Medien

Zusätzlich zu den traditionellen Modellen der Selbstpräsentation des Wissenschaftlers, wo Schriftlichkeit und Mündlichkeit als einander ergänzende bzw. auch als konkurrierende Kommunikations- und Selbstdarstellungsformen auftraten, haben die Kapazitäten des Internets dieses Modell deutlich erweitert. Wissenschaft und somit auch die Persönlichkeit des Wissenschaftlers kommen ins Netz. Traditionelle diskursive Präsentation wird durch eine mediale erweitert.

Auch der Rezipientenkreis, die Zielgruppe wird dadurch erweitert. Textualität gewinnt neue Aspekte durch Visualität. „Webifizierung“ des Wissenschaftlers kommt manchmal auch an die Grenze einer „Werbifizierung“. Dass visuelle Medien neue Horizonte eröffnen, aber auch neue, etwas paradoxe Wahrnehmungen inspirieren können, lässt sich am Beispiel des Textes der Rede von Prof. Dr. Bodo von Dewitz, stellv. Leiter des Ludwig-Museums bei der Preisverleihung im Photowettbewerb der Universität zu Köln am 13. Juni 2007 (Quelle: www.uni-koeln.de/uni/photowettbewerb/rede/dewitz): „...denn Wissensjagd hieß das Thema, welches die Darstellung sämtlicher Wege zum Wissen umfassen konnte, alle Arten der Wissensverfolgung, Möglichkeiten der Kanalisierung von Wissen und alle Varianten der Aneignung“ . Somit tritt der Wissenschaftler in der künstlerischen Interpretation als „Wissensjäger“ und nimmt sich als solcher wahr.

Die Selbstpräsentation des Wissenschaftlers hat einen kulturellen Bezug und korreliert grundsätzlich mit dem Modell der Wissenschaft in jeweiliger Kultur, mit der Figur des Wissenschaftlers in der institutionellen und öffentlichen Kommunikation.

 

Literatur


2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen

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For quotation purposes:
Tatjana Yudina: Kulturbezogene Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit und diskursive Symbole der Selbstidentifikation des Wissenschaftlers - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-1/2-1-_yudina17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-14