TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Februar 2010

Sektion 2.9. Der neoliberale Markt-Diskurs. Zur Kulturgeschichte ökonomischer Theorien im Alltagsdiskurs
Sektionsleiter | Section Chair: Walter Ötsch (Zentrum für Soziale und Interkulturelle Kompetenz und Institut für Volkswirtschaftslehre, Johannes Kepler Universität, Linz)

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Neoklassische Sozialdemokratie und Sozialdemokratie
am
Beispiel des Hamburger Programms der SPD

Jakob Kapeller (Johannes Kepler Universität Linz) und Jakob Huber (Johannes Kepler Universität Linz)

Email: jakob.kapeller@jku.at und jakob.huber@reflex.at

 

1. Neoklassische Ökonomie

Seit der Abkehr von der keynesianischen Makroökonomie und den damit verbundenen letzten Paradigmenwandel in der economic community in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts (Backhouse 2005, Palley 2005) ist die moderne Ökonomie im Wesentlichen von der so genannten neoklassischen Theorie dominiert; wirtschaftspolitisch relevante Sachverhalte werden demnach vorwiegend mit Hilfe des neoklassischen Instrumentariums analysiert und interpretiert.

Das neoklassische Theoriegebäude ist dabei global etabliert und standardisiert: Weltweit lernen Studierende der Ökonomie, und mit ihnen angehende BetriebswirtInnen, SoziologInnen bis hin zu InformatikerInnen, aus gleichen oder ähnlichen Lehrbüchern (wie etwa Mankiw 2001, Varian 2001, Pindyk/Rubinfeld 2005, Samuelson/Nordhaus 2005) identische Inhalte. Vermittelt werden dabei die gängigen theoretischen Vorstellungen der Neoklassik. In der Produktionstheorie lernen Studierende, dass Firmen mit unfehlbarer Präzision und eiskalter Rationalität ihre Profite maximieren ohne auf irgendetwas anderes Rücksicht zu nehmen als die aktuelle Marktsituation. In der Konsumtheorie fällen die Individuen mit ebensolcher Präzision und in ebensolcher sozialer Isolation ihre auf „vollständiger Information“ basierten Urteile und maximieren so – genau analog zur Forma – ihren Nutzen. Die Neoklassik unterstellt also stark mechanische geprägte Bilder der zentralen AkteurInnen der Wirtschaft – ProduzentInnen und KonsumentInnen, Firmen und Menschen – deren Produktionsfunktion (Unternehmen) bzw. Präferenzen (Mensch) auch formal einfach darstellbar sind. (1) Auch das Marktbild der neoklassischen Theorie ist ein sehr simples, das mit Hilfe der klassischen Smith’schen unsichtbaren Hand – zumindest im „neoklassischen Normalfall“, dem der vollkommenen Konkurrenz – zu dem Ergebnis kommt, dass der Markt die denkbar effizienteste ökonomische Organisationsform darstellt, die letztlich sogar zu einer wohlfahrtsoptimalen, also gesellschaftlich gesehen idealen, Lösung kommt.

Unbestritten existieren innerhalb der neoklassischen Theorie erhebliche Variationen dieses Standardmodells, die zum Teil auch durchaus kritischere Interpretation der Funktionsweise des Marktmechanismus erlauben. Doch die zentralen pädagogischen Muster neoklassischer Ökonomie, wie sie etwa vom klassischen Angebot-Nachfrage-Diagramm vermittelt werden, oder die einprägsamen Heuristiken, wie jene von der unsichtbaren Hand oder das des Auktionators, stehen stellvertretend für die dem Markt zugeschriebene Effizienz. Das hier kommunizierte Marktbild eines effizienten und stets für alle optimal „agierenden“ Marktes stellt einen Primat dar, der auch aus Sicht von ÖkonomInnen nicht gestört werden sollte:

„Beim Studium der Volkswirtschaftslehre werden Sie begreifen, dass Preise die Instrumente sind, mit denen die unsichtbare Hand die wirtschaftliche Aktivität dirigiert. [...] Preise führen die individuellen Entscheidungsträger zu Ergebnissen, die in vielen Fällen auch die soziale Wohlfahrt maximieren [...] Wenn die Regierung die Preise daran hindert sich auf natürliche Weise an Nachfrage und Angebot anzupassen, behindert sie die Koordination der Millionen Einzelentscheidungen [...], die eine Volkswirtschaft ausmachen.“ (Mankiw 2001, S.12)

Hält man sich vor Augen, dass ein laut einer aktuellen Studie 80% der deutschen ÖkonomInnen der Meinung sind, dass „die neoklassische Theorie wichtig zur Lösung der aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme [ist]“ (Frey/Humbert/Schneider 2007, S. 362) kann man einen Eindruck davon gewinnen, welches Bild von den gesellschaftlichen ExpertInnen für die Wirtschaft, den ÖkonomInnen, kommuniziert wird.

 

2. Neoklassik und Gesellschaft

Dieses allzu euphorische Marktkonzept der Neoklassik, gewinnt auch einen immer nachhaltigeren Einfluss auf das öffentliche Bild bzw. (nach Lakoff/Johnson 2004) auf die Konstitution der gesellschaftlichen Metapher vom Markt. Ökonomie als Wissenschaft hat in diesem Kontext einen nachhaltigen Einfluss auf die Bilder des Marktes, die eine gemeinsame Basis für die gesellschaftliche Wirklichkeit darstellen. Es verwundert in diesem Kontext also keineswegs, dass VertreterInnen marktliberaler Ideologien und Ideen auch auf dieses Marktbild und die dahinter stehenden theoretischen Konzepte zurückgreifen:

„Wie der Marktmechanismus das Verhalten der Wirtschaftssubjekte auf eine optimale Lösung hinsteuert, lässt sich am Beispiel des Ausgleichs zwischen Angebot und Nachfrage über flexible Preise im neoklassischen Gütermarktmodell zeigen.“ (Wilke 2003, S. 50)

Aufmerksamen BeobachterInnen des politischen Diskurses fällt im Zeitverlauf auf, dass sich dieser Marktbegriff – trotz seiner Eigenheiten und trotz seiner umfassenden politischen Relevanz – mehr und mehr dem „neoklassischen Begriffsstandard“ annähert. Alternative Marktbegriffe, die andere Aspekte marktwirtschaftlichen (oder gar „kapitalistischen“) Wirtschaftens in den Blick nehmen (so betonen zum Beispiel marxistische Ansätze die Krisenimmanenz des Marktes, keynesianische deren Unvollkommenheiten und die Unsicherheit der MarktteilnehmerInnen etc.), sind sukzessive aus dem politischen Diskurs verschwunden. Wer den grundsätzlichen Primat des Marktes in Fragen der Effizienz in Frage stellt steht – wie etwa die „Linke“ in Deutschland (diese freilich nicht nur aus diesem Grunde) – am Rande oder gar jenseits des gesellschaftlichen Konsens.

 

3. Eine empirische Testskizze: Das Hamburger Programm

Um diese Beobachtungen um einen methodisch besser abgesichterten Referenzpunkt, der nicht durch eine Tendenz zur anecdotal evidence gekennzeichnet ist, zu erweitern, untersuchen die AutorInnen das aktuelle und erst im letzten Jahr beschlossene „Hamburger Programm“ der SPD (SPD, 2007) in einem kontrastiven Verfahren mit einigen der Standardlehrbücher der Volkswirtschaftslehre im Sinne einer Repräsentation des ökonomischen Mainstreams – der Neoklassik.

Die Sozialdemokratie stellt für die vorliegende Frage sicherlich einen adäquaten Untersuchungsgegenstand dar, da sie – als traditionelle politische Gegnerin freier Märkte – im Vergleich zu anderen Parteien überaus geeignet ist im Rahmen eines kontrastiven Verfahrens derartig evaluiert zu werden. Dabei geht es nicht um die politische Positionierung des „Hamburger Programms“, sondern vielmehr um die Frage inwiefern die vermittelten Bilder von dem/der KonsumentIn, der Firma und des Markts analog zu neoklassischen Chiffren zu verstehen sind. In Folge werden daher Auszüge aus der sozialdemokratischen Programmatik einigen zentralen Teilen des neoklassischen Begriffsinstrumentariums, entnommen aus der „ökonomischen Programmatik“ wie sie in den relevanten Lehrbüchern kodifiziert ist, gegenübergestellt. Die AutorInnen sind sich dabei bewusst, dass derartige Parteiprogramme nicht unbedingt einen Rückschluss auf die reale politische Ausrichtung ermöglichen. Das ist im vorliegenden Fall aber auch nicht das Ziel – geht es ja vielmehr darum die implizierten Metaphern und damit die latente Bedeutung von Begriffen und Konzepten herauszuarbeiten.

 

4. Der Test in der Praxis: Einige interessante Ergebnisse

Im Bereich des Konsums ist der/die autarke, sozial gänzlich isoliert agierende dafür allerdings vollständig informierte und perfekt rationale KonsumentIn, der nie einen Fehler begeht, das neoklassische role-model menschlichen Verhaltens. Diese quasi-maschinelle Nutzenmaximierung des Individuums dient dabei nicht bloß seinem eigenen Wohlbefinden (das ja ohnehin definitionsgemäß maximal unter gegebenen constraints ist), sondern auch – und zwar durch die umfassende Wirkung der unsichtbaren Hand – der Gesamtwohlfahrt. Schließlich sind rational kalkulierende KonsumentInnen nicht bloß eine axiomatische Voraussetzung der Theorie, sondern garantieren auch die Effizienz des Marktergebnisses. Im Umkehrschluss lässt sich das zuvor gerade noch postulierte rational-kalkulierende Verhalten des Individuums als mögliche Fehlerquelle im Falle nicht effizienter Marktergebnisse anführen; „Schuld“ am Versagen marktlicher Allokationsformen sind dann die „irrationalen“ MarktteilnehmerInnen, die dringend der „Schulung“ bedürfen:

„Die privaten und sozialen Kosten der Ignoranz gegenüber dem wirtschaftlichen Denken sind hoch.“ (Schlösser 1992, S. 3) „Als weitere komplementäre Maßnahme könnte daran gedacht werden, Ökonomik flächendeckend als Pflichtfach in den allgemein bildenden Schulen einzuführen. Denn eine öffentlichkeitsorientierte Politikberatung setzt mündige Bürger voraus, die ökonomische Grundkenntnisse besitzen [...].“ (Cassel 2004, S. 124)
Dieses Bild vom „Konsumenten als Souverän“, der durch sein überlegtes bzw. rationales Handeln, die Ausrichtung der (Güter-)Produktion quasidemokratisch (mit-)bestimmt taucht auch in den Überlegungen der SPD auf. So zeichnet sich der Abschnitt zu KonsumentInnen durch einen Appellcharakter, der die KonsumentInnen auffordert, ihre VerbraucherInnensouveränität auch im Sinne eines „emanzipierten“ Kaufverhaltens auszunutzen, aus. Rationaler Konsum mit einem gewissen Stil sozusagen:
„Verantwortungsbewusste Konsumentinnen und Konsumenten sind Vorreiter des nachhaltigen Fortschritts. Jeder kann Einfluss nehmen, mit jedem Kauf. Der Einzelne mag dabei schwach sein, doch die Stärke der Verbraucher nimmt zu und ihre organisierte Kraft ist ein wirksames Mittel, der wirtschaftlichen Entwicklung eine bessere, eine nachhaltige Richtung zu geben. Emanzipierte Verbraucherinnen und Verbraucher, die bereit sind, qualitativ hochwertige Ware zu kaufen, schaffen neue Märkte für innovative Produkte.“ (SPD 2007, S. 52)
„Organisiert“ werden die VerbraucherInnen in diesem Kontext nicht etwa durch eine „Organisation“ (wie es der Terminus ja eigentlich implizieren würde), sondern der Einfluss der KonsumentInnen manifestiert sich im aggregierten Marktergebnis – analog zur neoklassischen Theorie begreift die Sozialdemokratie hier den Markt als Instrument zur Interessendurchsetzung seitens der VerbraucherInnen:
„Die Marktnachfragekurve verschiebt sich nach rechts, wenn mehr Konsumenten in den Markt eintreten.“ (Pindyck/Rubinfeld 2005, S. 177)
Diese technische Aussage bedeutet übersetzt schlichtweg: Kaufen die KonsumentInnen mehr von einem Produkt vergrößert sich der Markt (=die Kurve verschiebt sich nach rechts) bzw. umgekehrt verschiebt sich die Kurve nach links (= der Markt schrumpft), wenn die KonsumentInnen weniger von einem Produkt kaufen. Die VerbraucherInnen haben es also in der Hand: Sie können Industrieprodukte und Dienstleistungen ins Leben rufen oder für immer verbannen; der/die souveräne KonsumentIn herrscht in der neoklassischen Fiktion mittels der unerbittlichen Nachfragekurve. Wesentlich direkter finden wir den hier beschriebenen Zusammenhang in einem anderen Kontext:
„Ja tatsächlich, wer regiert den Markt? Geben Großkonzerne wie Microsoft und General Motors den Ton an? Oder sollte man eher auf den Kongress und den amerikanischen Präsidenten tippen? Denkbar wären auch die Werbemogule von Madison Avenue? [...] die Antwort lautet nein. Im Grunde wird die Wirtschaft von den Kräften des Geschmacks und der Technologie beherrscht. [...| Die Konsumenten entscheiden nämlich [...] über die definitive Verwendung der Ressourcen einer Wirtschaft.“ (Samuelson/Nordhaus 2005, S. 54, Hervorhebung JH/JK)
Dass dDieses Bild des autarken und die Wirtschaft vor sich her treibenden Konsumenten ist freilich nur allzu leicht kritisieren. So sind es etwa in den meisten Fällen nicht die VerbraucherInnen, die versuchen die öffentliche Meinung mittels Marketing-Aktivitäten zu ihren Gunsten zu verändern. Umso erstaunlicher ist es, dass dieses souveräne KonsumentInnenbild Eingang in die sozialdemokratische Programmatik gefunden hat. Da die Interessen der KonsumentInnen im Bereich der Produktion nur allzu oft enttäuscht wurden, waren Forderungen nach der stärkeren Berücksichtigung der gesellschaftlichen und persönlichen Bedürfnisse stets eine zentrale Säule sozialdemokratischer Politik, sie finden sogar im aktuellen Programm – neben dem obig skizzierten Verbraucherbild – noch etwas Platz (vgl. SPD 1959, SPD 1989, SPD 2007). Auch das konstitutiv neoklassische Theorieelement der „sozialen Unabhängigkeit“ individueller Entscheidungen findet sich in der aktuellen sozialdemokratischen Programmatik wieder. In der Ökonomie ver(sch)wendet man auf die möglichen Interdependenzen zwischen den verschiedenen Individuen ohnehin keinen Gedanken: So lernen wir etwa von Mankiw (2001, S. 4-9), dass Menschen „vor abzuwägenden Alternativen“ stehen „rational“, also „in Grenzbegriffen [denken]“, „auf Anreize [reagieren]“ und die „Kosten eines Gutes“ als das beziffern „was man für den Erwerb eines Gutes aufgibt“; andere Personen hingegen haben bei „Einzelentscheidungen“ keinerlei Einfluss, da diese in einer Art sozialem Vakuum gefällt werden. In der sozialdemokratischen Perspektive hingegen haben Menschen zwar ihre soziale bzw. gemeinschaftliche Seite noch nicht zur Gänze abgelegt – die kompetitiven Elemente haben im Rahmen des individuellen Zusammenkommens aber eine gewisse, zumindest sprachlich zu konstituierende, Priorität:
„Menschen stehen nicht nur in Konkurrenz zueinander, sie brauchen einander.“ (SPD 2007, S. 19)
Zwar verweist die SPD (2007, S. 19) durchaus auf die „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“, der sie sich „widersetzt“, eine rein begriffliche Verschiebung hin zu einem nur in geringerem Maße sozial gebundenen Menschen(bild) ist aber in jedem Falle konstatierbar: So suggeriert der obige Satz, dass die Konkurrenz eine Art Normalzustand sei, der die sozialen Beziehungen zwar dominiert, diese aber „nicht nur“ aus Konkurrenz bestehen. Zum Aspekt der Produktivität muss festgehalten werden, dass die ökonomische Theorie hier die ProduzentInnen weitgehend mit der ihnen zur Verfügung stehenden Technologie identifiziert (2). Firmen werden daher auch im Rahmen der konkreten theoretischen, meist mathematisch gehaltenen, Anwendung meist als bloße „Produktionsfunktionen“, die letztlich wiederum, nur die Produktionstechnologie des Betriebs beschreiben, begriffen und dargestellt. Über den eigentlichen Produktionsprozess sagt die neoklassische Theorie daher nur wenig aus (schließlich findet kaum eine empirische Prüfung auf einem derartigen Weg entworfener Produktionsfunktionen statt), über Produktivität noch weniger. Vielmehr wird zur Erklärung von Produktivität wiederum der deus ex machina des Marktes herangezogen, der aufgrund seiner Allokationseffizienz die Optimalität der Produktion, im Sinne einer effizienten Auslastung der Produktivitätspotentiale, gleich mitliefert:
„Folglich befindet sich das Wettbewerbsgleichgewicht auf der Produktionskontraktkurve (3) und gewährleistet eine effiziente Produktion.“ (Pindyck/Rubinfeld 2005, S. 778, Hervorhebung im Original)
Der Wettbewerb führt somit zur effizienten – im Sinne einer „optimal produktiven“ – Produktion, der Markt lässt die MarktteilnehmerInnen auf der Angebotsseite sprichwörtlich bis zum Äußersten gehen:
„Produktionseffizienz: Eine Situation, in der eine Volkswirtschaft nicht mehr von einem Gut herstellen kann ohne weniger von einem anderen Gut zu produzieren; dies bedeutet, dass die Wirtschaft ihre Produktionsmöglichkeitenkurve erreicht har.“ (Samuelson/Nordhaus 2005, S. 1053)
Genau dasselbe Abstraktionsmuster – nämlich das Ausblenden des tatsächlichen Produktionsprozesses und der reflexartige Verweis auf die Lösungskompetenz des Marktes ist auch im Rahmen des Hamburger Programms zu finden. Produktivität ist letztlich auch eine Nebenfolge einer „wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft“:
„Wir setzen auf wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, Bildung und Qualifizierung, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Qualitatives Wachstum setzt eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft mit hoher Produktivität und Wertschöpfung voraus.“ (SPD 2007, S. 43, Hervorhebung JH/JK)
Nach all dem bisher Gesagten überrascht es freilich keineswegs, dass die neoklassische Standardökonomie eine bessere Allokation und Produktion als unter marktwirtschaftlichen (im Sinne weitestgehend freier Märkte) Bedingungen für grundsätzlich denkunmöglich hält.
„Das ist eine wahrhaftig erstaunliche Aussage über die Fähigkeit des Wettbewerbs erstrebenswerte Ergebnisse hervorzubringen. Sie bedeutet [...], dass nicht einmal der findigste Planer, ausgestattet mit Supercomputer oder einem genialen Reorganisationsplan, eine bessere Lösung finden könnte als jene, die durch den vollkommenen Markt herbeigeführt wird. [...] Dieses Ergebnis trifft immer zu, [...].“ (Samuelson/Nordhaus 2005, S. 407)
Hier versteckt sich neben dem nun schon des Öfteren konstatierten Wandels im Bereich des Begriffe und Metaphern, auch ein politisch überaus relevanter Paradigmenwandel der Sozialdemokratie, die Sozialdemokratie hat sozusagen ihre politischen Zielsetzungen modifiziert. Galt es die Jahrzehnte zuvor noch, „der konservativen Illusion von den Selbstheilungskräften der Marktwirtschaft eine klare Analyse der wirklichen Krisenursachen entgegenzustellen“ (SPÖ 1978, S. 42), findet man heute in diesem Punkt zumindest einen basalen Konsens; man versucht letztlich sogar eine in Deutschland relevante trademark der CDU/CSU für sich zu vereinnahmen:

„Im 20. Jahrhundert ist mit der sozialen Marktwirtschaft ein herausragendes Erfolgsmodell geschaffen worden. Sie verbindet wirtschaftliche Stärke mit Wohlstand für breite Schichten. Die soziale Marktwirtschaft, maßgeblich geprägt durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften, hat aus der Beteiligung und Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Produktivkraft gemacht und den sozialen Frieden gefördert.“ (SPD 2007, S. 43-44).

 

5. Schlussfolgerungen

Die Neoklassik nimmt auf vielerlei Arten und Weisen Einfluss auf den Politikprozess: Durch direkte Beeinflussung der Öffentlichkeit in ihrer Rolle als ExpertInnen oder gar im Rahmen strategisch und interessenspolitisch agierender think-tanks (vgl. Speth 2004 und 2006) gestalten ÖkonomInnen Politik ebenso mit wie durch a priori für die Politik erstellte Beratungsgutachten oder Kosten-Nutzen-Analysen. Hinzu kommt, dass weltweit tausende Studierende die neoklassische Theorie als einzig mögliche Form „ökonomischen Denkens“ erlernen und dieses Wissen auch im späteren Berufs- und Alltagsleben zum Einsatz bringen. Nicht zuletzt zu erwähnen sind die nur kaum zu unterschätzenden Tätigkeiten von ÖkonomInnen in öffentlichen Einrichtungen oder angesehen Wirtschaftsforschungsinstituten, ebenso wie bedeutende Stellungen im Bereich der internationalen wirtschaftspolitisch relevanten Organisationen (IMF, WTO, OECD). In diesem Kontext ist auch die „seriöse Untermalung“ interessenspolitischer Positionen eher die Regel als die Ausnahme (vgl. bespielhaft: www.insm.de).

Die hier vorliegende Untersuchung zeigt, dass die neoklassisch konnotierten Bilder der Wirtschaft den Spielraum ökonomischer Begrifflichkeiten wie Konsument, Produktion oder Markt sukzessive einengt. Wenn sogar die Sozialdemokratie, als traditionelle politische Gegnerin (allzu) freier Märkte, die Begriffskategorien der Neoklassik, zumindest latent und implizit, übernimmt legt dies Zeugnis von der hegemonialen Wirkmächtigkeit des neoklassischen Denkens und der neoklassischen Begriffe ab. Diese Wirkung auf die soziale Realität, also die Frage mit welchen Augen und aus welcher Perspektive die Menschen die Welt in der sie leben betrachten und verstehen, lässt sich nicht von den anderen genannten Faktoren isolieren. Nichtsdestotrotz ist diese Fähigkeit Begriffe zu definieren und so letztlich den öffentlich Diskurs zu reglementieren ein deutliches Signum für die allgemeinen intellektuellen Wirkungen des neoklassischen Monismus in der modernen Ökonomie.

 

Literaturverzeichnis:


Anmerkungen:
1 Dabei hält die neoklassische Theorie diese stark reduzierten Bilder des Menschen und der Firma nicht für ein Abbild der realen Verhältnisse, sondern beruft sich implizit auf das erkenntnistheoretische Konstrukt der produktiven Fiktion (Vaihinger 1919, Friedman 1953, Kapeller 2008) und verteidigt ihre Konstrukte mit dem Argument der hinreichenden Approximation.
2 Analog zu dieser Metapher findet sich, wenn auch mit anderer Intention, im Hamburger Programm: „Erfindungsreichtum, gute Ideen und die Innovationen, die daraus entstehen, sind die wichtigsten Produktivkräfte unseres Landes.“ (SPD 2007, S. 48)
3 Die Produktionskontraktkurve oder Produktionsmöglichkeitenkurve verbindet alle technisch effizienten Input-Kombinationen, auf ihr gibt also keine Input-Kombination, mit der mehr vom einem Gut hergestellt werden kann, ohne weniger von einem anderen Gut zu produzieren.

2.9. Der neoliberale Markt-Diskurs. Zur Kulturgeschichte ökonomischer Theorien im Alltagsdiskurs

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For quotation purposes:
Jakob Kapeller und Jakob Huber: Neoklassische Sozialdemokratie - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-9/2-9_kapellerHuber17.htm

Webmeister: Branko Andric     last change: 2010-03-04