TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. September 2008

Sektion 7.12.

Eliten als Orientierungsgeber oder als ‚Sozialschmarotzer’? Zur soziokulturellen Bedeutung von Elitehandeln in gesellschaftlichen Transformationsprozessen

Sektionsleiterin | Section Chair: Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und ISInova – Institut für Sozialinnovation e.V. Berlin)

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Elite – das sind die Mächtigen.

Selbstwahrnehmung deutscher Abgeordneter
als Angehörige der politischen Elite

Lars Vogel (Friedrich-Schiller-Universität Jena) [BIO]

Email: lars.vogel@uni-jena.de

 

Einleitung: Die zwei Dimensionen des Elitebegriffs: Selektion und Funktion

Die vorliegende Arbeit versucht, das in der Politik verbreitete Elitenkonzept zu untersuchen, indem Ursachen und Folgen der Selbstzuschreibung deutscher Parlamentsabgeordneter als Mitglieder der politischen Elite analysiert werden. Das Elitenkonzept wird als ein Indikator für die zentralen Leitbilder des gesellschaftlichen Sektors Politik betrachtet, wobei die Grundthese ist, dass Macht das zentrale Leistungskriterium in der Politik ist und daher auch die wesentliche Ursache für die Selbstzuschreibung als Elitenmitglied darstellt.

Zugleich soll anhand des Elitenbewusstseins gezeigt werden, dass - entgegen dem gegenwärtig meist gebrauchten Begriff der Positionseliten - Macht nicht zwingend mit einer formalen Elitenposition einhergeht. So finden sich einflussreiche Abgeordnete auch außerhalb von Spitzenpositionen und einflusslose Abgeordnete innerhalb solcher Positionen. Daher gründet auch das Selbstverständnis als Elite nicht nur auf den mit einer Position verbundenen Gestaltungsspielräumen, sondern generell auf der Fähigkeit, durch Mehrheitsbildung Entscheidungen zu beeinflussen.

In der sozialwissenschaftlichen Elitendiskussion werden vor allem drei Typen von Eliten immer wieder genannt: Wert-, Funktions- und Machtelite.(1) Das Konzept der Wertelite bezieht sich auf die Art der Elitenauswahl und zählt die Personen zur Elite, die Leitbilder einer Gesellschaft in besonders herausragender Weise verkörpern. Dieses heute weniger gebräuchliche Konzept beschreibt vor allem den Auswahlmodus in die Elite während ihre Funktion nicht ohne weitere Eingrenzungen gefasst wird.

Prominenter ist gegenwärtig der so genannte Funktionselitenansatz, der nach der oft zitierten Definition von Otto Stammer unter Eliten diejenigen Personengruppen versteht, die sich „aus den breiten Schichten der Gesellschaft und ihren größeren und kleineren Gruppen auf dem Wege der Delegation oder der Konkurrenz herauslösen, um in der sozialen und politischen Organisation des Systems eine bestimmte Funktion zu übernehmen.“(2) In diesem Ansatz ist entscheidend, Führungspositionen in den relevanten gesellschaftlichen Sektoren einzunehmen, wodurch dieser Ansatz heute eher unter der Bezeichnung Positionselite bekannt ist. Die Analyse der Funktionseliten fragt hierbei primär nach den Aufgaben der Eliten und offene Zugangskanäle werden als einzige Voraussetzung einer funktionsadäquaten Selektion der Eliten genannt.(3)  

Allerdings muss selbst unter dieser Prämisse Selektion stattfinden, da die Anzahl der Elitenpositionen notwendig geringer ist als die Anzahl an potentiellen Bewerbern. Nun stellt die Auswahl nach Leistung die einzige in einer meritokratisch orientierten Gesellschaft als legitim erachtete Selektionsform dar, wobei die Eliten, die nach einem solchen Selektionskriterium rekrutiert wurden, Leistungseliten genannt werden.

 An dieser Stelle soll nicht weiter auf die mit dem Leistungselitenkonzept verbundenen Probleme, wie die Messung und den Fremdzuschreibungscharakter von Leistung über Erfolg eingegangen werden.(4) Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass die Trennung zwischen Positions- bzw. Funktionselite und Wert- und Leistungselite problematisch ist, da die Konzepte die Elite entweder über den Aspekt des Zugangs (Wert, Leistungselite) oder über den Aspekt der Funktion (Funktions- bzw. Positionselite) versuchen zu fassen. Allerdings muss ein umfassendes Bild des sozialen Phänomens Elite beide Aspekte berücksichtigten, wodurch die Begriffe gegenseitig ergänzt werden müssen und daher an Trennschärfe verlieren.

Eine entscheidende Dimension des Elitenbegriffs, die in der Darstellung der bisherigen Konzepte noch nicht berücksichtigt wurde, ist die Machtdimension. Der Begriff der Positionselite zielt zwar bereits explizit auf Personen ab, die sich in Positionen befinden, die mit politischer und gesellschaftlicher Macht verbunden sind, jedoch blendet diese Fokussierung die Frage nach der Rekrutierung in diese Positionen zunächst aus und überlässt sie der empirischen Beantwortung. Gerade diese Beschränkung ist ja auch intendiert, um der Schwierigkeit zu entgehen, Kriterien für herausragende Leistungen zu benennen.

Aber gerade für den hier interessierenden gesellschaftlichen Sektor der Politik kann die Trennung zwischen Funktion und Selektion nicht ohne weiteres aufrechterhalten werden, denn in der Politik beruht die Macht in viel geringerem Maße allein auf den formalen Positionen.(5) Vielmehr symbolisieren diese Positionen eine erfolgreich geführte Auseinandersetzung um die Macht. D.h. um in die von dem Positionselitenansatz identifizierten Positionen zu gelangen, muss man sich bereits als einflussreich erwiesen haben bzw. Macht besitzen. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft beruht diese Macht vor allem darauf, Mehrheiten organisieren zu können und auf dieser Basis Entscheidungen oder seine eigene Wahl herbeiführen zu können. In die Elitepositionen gelangen also nur diejenigen, die in herausragender Weise Mehrheiten mobilisieren können und sollte diese Fähigkeit verloren gehen, zeigt sich auch schnell, wie wenig die formale Position an sich Einfluss verleiht, da sie einen nicht davor bewahrt bei fehlender Mehrheit abgewählt zu werden. Damit fallen die Leistungseliten in der Politik in eins mit den Machteliten – mächtig ist (Funktion), wer herausragend mächtig war (Leistung). Worauf diese Fähigkeit, Mehrheiten zu bilden, im Einzelnen beruht, spielt zunächst einmal keine Rolle, obwohl eine Vielzahl an Eigenschaften dafür infrage käme und auch diskutiert wird (pars pro toto: rhetorisches Geschick, Fachwissen, Telegenität, Verhandlungsgeschick und Integrationskompetenz usw.)

Ohne hier in eine Diskussion einsteigen zu können, welche Leistungen politische Eliten zu erbringen haben, wird aber deutlich, dass der Elitenbegriff besonders in der Politik dazu geeignet ist, zentrale Leitbilder oder Konzepte dieses Sektors deutlich machen. Denn als Elite gelten diejenigen, die in irgendeiner Weise diese zentralen Konzepte exzellent demonstrieren bzw. die dort relevante Leistung erbringen. Daher verspricht eine Analyse des Elitenbegriffs von Abgeordneten einen interessanten Erkenntnisgewinn über die innerhalb der Politik geltenden Leitbilder.

Die Analyse der Vorstellungen von politischer Elite kann aber auch der Diskussion um ein Versagen der Eliten neue Perspektiven eröffnen. Sollte es sich nämlich erweisen, dass sich die Selbstbilder der politischen Eliten dem Anspruch nach nur an den politikinternen Selektionskriterien ausrichten, also an der Frage nach der Macht, fehlt einer Diskussion um möglich andere Elitemaßstäbe wie moralischer Integrität, kultureller Bildung oder ökonomischer Sachverstand usw. der Ansprechpartner im politischen Sektor. Denn ohne eine Änderung der Rekrutierungswege, in denen die bereichsspezifisch relevanten Qualifikationen bewiesen werden müssen, erwiese sich eine solche Diskussion schlicht als Sisyphosarbeit.  

 

Untersuchungsdesign

Die vorliegende Arbeit stützt sich auf eine Befragung der deutschen Abgeordneten in fast allen deutschen Landesparlamenten, dem Bundestag und dem Europäischen Parlament. Die Befragung entstand im Kontext des Projekts „Delegationseliten nach dem Systemumbruch“ des Sonderforschungsbereichs 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“ an der Friederich-Schiller-Universität Jena. Insgesamt ist diese Befragung als Panelanalyse angelegt, während der vorliegende Beitrag auf der 2007 realisierten zweiten Welle beruht. An der telefonisch durchgeführten Befragung nahmen 1223 von 2169 Abgeordneten teil, wodurch eine Ausschöpfungsquote von 56 Prozent erreicht wurde. Hinsichtlich wichtiger Merkmale, wie Parteizugehörigkeit, Mandatsalter, Geschlecht und Herkunft ist die Stichprobe strukturtreu, sodass die Aussagen auf die Grundgesamtheit der deutschen Parlamentarier übertragen werden können.

  Das Elitenverständnis wurde dabei mit einem einzigen Indikator gemessen, nämlich der Frage, ob man sich selbst als Mitglied der politischen Elite versteht.(6) Die Analysestrategie besteht nun darin, zu untersuchen, welche Bedingungen die Selbsteinschätzung als Elitenmitglied fördern oder vermindern und welche anderen Einstellungen durch diese Selbsteinschätzung beeinflusst werden. Die Analyse verfolgt also eine indirekte Beschreibung des Eliteverständnisses unter Verweis auf dessen Ursachen und Folgen, wobei davon ausgegangen wird, dass sich verschiedene Konzeptionen von Elite in ihren Ursachen und Folgen nicht gleichen dürften.

 

Ergebnisse

Zunächst sieht sich nur eine, wenn auch erhebliche Minderheit von 37 Prozent der befragten Abgeordneten selbst als Mitglied der politischen Elite versteht. Im Vergleich zu allen Abgeordneten mag dieser Minderheitenstatus zwar plausibel sein, in Hinblick auf die deutsche Bevölkerung bildet aber auch die Gesamtheit aller Abgeordneten eine höchst selektive Auswahl. Es zeigt sich also, dass das Durchlaufen der verschiedenen Selektionsinstanzen bis zum Erreichen eines Abgeordnetenmandats noch nicht zwingend ein Elitenbewusstsein ausbildet. Auch das Charakteristikum der Abgeordneten, zumindest formal gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen mitzugestalten, kann kaum eine Rolle für das Selbstverständnis als Mitglieder der politischen Elite zu spielen, da sich nur eine Minderheit der Abgeordneten, die ja allein legitime Gesetze und Regelungen verabschieden dürfen, als Elitenmitglied versteht.

Parteizugehörigkeit

Doch was sind nun die Quellen eines solchen Elite-Selbstverständnisses? Wenn die Annahme, dass durch die Rekrutierung und die darin zu zeigenden Leistungen, die Elitemerkmale deutlich werden, müssen zunächst die Parteien als die wichtigsten bzw. de facto monopolartigen Rekrutierungsinstanzen deutscher Abgeordneter betrachtet werden. Dabei zeigen sich zunächst durchaus gewichtige Unterschiede. Innerhalb der beiden großen Volksparteien CDU und SPD sowie innerhalb der Die.Linke Fraktionen sieht sich nur jeweils rund ein Drittel der Abgeordneten als Mitglied der politischen Elite. Bei den zahlenmäßig kleineren Parteien/Fraktionen sieht sich jeweils ein deutlich höherer Anteil als Mitglied der politischen Elite. So beschreibt sich bei der FDP, also den Liberalen, ein Anteil von 47 Prozent und bei Bündnis90/Die Grünen sogar eine Mehrheit von 55 Prozent als Mitglied der politischen Elite.

Abb. 1: Elitenbewusstsein nach Fraktionen (in %)

Abb. 1: Elitenbewusstsein nach Fraktionen (in %)

Zunächst widerspricht die Verteilung der Annahme, dass Unterschiede im Elitenselbstverständnis auf unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten beruhen, da die beiden Volksparteien, die viel häufiger Regierungen tragen, höhere Werte aufweisen müssten. Hierbei scheint die Struktur der Parteien und parteispezifische Traditionen jedoch ungleich größeren Einfluss zu besitzen. So erscheint es plausibler, anzunehmen, dass innerhalb der Volksparteien der Begriff der Elite aufgrund des expliziten Anspruchs, Vertreter für alle Wahlbürger zu sein, weniger bedeutsam ist und auch in der PDS, die sich der Wahlbevölkerung als Vertretung des „kleinen Mannes“ zu etablieren sucht, der Begriff der Elite weniger gern benutzt wird. Bei Abgeordneten der kleineren Parteien ist hingegen vorstellbar, dass die Fraktionsmitglieder innerhalb der eigenen Partei ein größeres Gewicht besitzen, da ihre Parteien nicht über die mit den großen Parteien vergleichbare Infrastruktur, und Mitarbeiterstäbe verfügen und sie deshalb aufgrund ihrer Mandatstätigkeit viel besser Zugang zu Medien und Ressourcen besitzen. Dies zeigt sich auch bei der Frage, ob die Partei eher die Arbeit der Fraktion beeinflusst, oder ob es sich umgekehrt verhält. Über 90 Prozent der Abgeordneten in FDP und Bündnis90/Die Grünen sehen die Fraktion als zentralen Akteur, während dieser Wert innerhalb der anderen Fraktion um zwanzig Prozentpunkte niedriger liegt. Die geringe Größe der Fraktionen bei den kleineren Parteien bewirkt auch, dass der einzelne Abgeordnete innerhalb seiner Fraktion an Einfluss gewinnt. Daher lassen sich die Unterschiede zwischen den Parteien als unterschiedliche Einflussmöglichkeiten interpretieren. Der Horizont für die Einschätzung des eigenen Einflusses bezieht sich allerdings zunächst auf die eigene Fraktion oder Partei und nicht auf die gesamte Gesellschaft.

  Ohne diesen internen Einfluss, nützt dem einzelnen Abgeordneten auch die Regierungsbeteiligung seiner Fraktion wenig. Dem entspricht der andernfalls schwer einzuordnende Befund, dass es für die Selbsteinschätzung als Elitenmitglied in fast allen Parteien unerheblich ist, ob man sich in den Reihen der Opposition oder innerhalb der Regierungsfraktionen befindet.

Abb. 2: Richtung des gegenseitigen Einflusses von Partei/Fraktion nach Fraktionen (in %)

Abb. 2: Richtung des gegenseitigen Einflusses von Partei/Fraktion nach Fraktionen (in %)

 

Verhältnis Position zu subjektiver Wahrnehmung

Den wichtigsten Indikator für innerparteiliches bzw. innerfraktionelles Machtpotential stellen die eingenommenen Führungspositionen dar. Der Positionselitenansatz zählt daher nur diejenigen Personen zur Elite, die bestimmte institutionell definierte Positionen einnehmen. Die Auswahl der hier betrachteten Positionen folgt der Potsdamer Elitestudie.(7)

  Während sich von den Abgeordneten, die keine Führungsposition einnehmen, nur rund ein Drittel als Elitemitglied begreift, sieht sich die unter den Mandatsträgern mit einer solchen Führungsposition die Hälfte als Mitglied der politischen Elite. Eine definierte Führungsposition einzunehmen, erhöht also die Wahrscheinlichkeit, sich als Elitenmitglied zu fühlen, vermutlich begründet auf der damit einhergehenden Selbsteinschätzung, mehr Einfluss als andere Abgeordnete ausüben zu können.

Tab. 1: Verhältnis von Elitebewusstsein zu Elitepositionen nach der Potsdamer Elitestudie (Spaltenprozente)

 

Eliteposition nach PES

nein

ja

Gesamt

Elitebewusstsein

nein

70,5

49,9

62,6

ja

29,5

50,1

37,4

Die Betrachtung aller Möglichkeiten, die sich aus der Kombination von subjektiver Selbsteinschätzung und der Fremdeinschätzung durch die Beobachter aus der Wissenschaft ergeben, zeigt, dass sich die Abgeordneten selbst nicht ausschließlich durch ihre Position als Mitglied der politischen Elite definieren und andererseits, dass manche Positionen in der Sicht der Abgeordneten nicht notwendig Elitepositionen sind.

Tab. 2: Verhältnis von Elitebewusstsein zu Elitepositionen nach der Potsdamer Elitestudie (Gesamtprozente)

 

Elitenposition nach PES

nein

ja

Elitebewusstsein

nein

43,3

19,2

ja

18,2

19,3

 

 

 

Die erste Inkongruenz, d.h. die Mitgliedschaft in der politischen Elite ohne entsprechende Position wird auch von den Vertretern des Positionselitensatz gesehen, aber als Ausnahmefall der wenigen „grauen Eminenzen“ bezeichnet.(8) Dieser Ausnahmefall kommt aber nach Elitendefinition der Abgeordneten ebenso oft vor, wie der Fall, dass sich Fremd- und Selbsteinschätzung decken. D.h. dass die „grauen Eminenzen“, entweder häufiger vorkommen als angenommen oder die Abgeordneten benutzen ein anderes Kriterium für die Elitenzugehörigkeit. Nach der bisherigen Analyse käme dafür nicht der Einfluss auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen, sondern eher der Einfluss innerhalb von Fraktion bzw. Partei in Frage.

Die zweite Inkongruenz, nämlich die Fremdeinschätzung als Elite bei gleichzeitiger Zurückweisung dieser Bezeichnung stellt ein größeres Problem für den Positionselitenansatz dar, denn selbst wenn sich die Abgeordneten bei ihrer Elitendefinition nur auf den Einfluss innerhalb von Fraktion und Partei bezögen, ist dieser Einfluss ja sine qua non für den Einfluss auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen. Zudem kann gezeigt werden, dass bisher noch nicht berücksichtigte Positionen(9) keinen Beitrag zur Erklärung der Selbsteinschätzung als Elitenmitglied leisten können. Daher scheint die Selbstzuschreibung als Elitenmitglied erst ab einer bestimmten Ebene der Position auf der Position an sich zu beruhen, während außerhalb dieser Positionen noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. Daher können die Positionen, die in der Potsdamer Elitestudie benutzt wurden, auch aus der Sicht der Abgeordneten als die wichtigsten Positionen bezeichnet werden.

Wechselt man die Perspektive zeigt sich, dass durchschnittlich 19 Prozent der Abgeordneten in Elitepositionen sich nicht als Elitenmitglied fühlen. Dagegen trifft dies für mehr als die Hälfte der Mitglieder in den Fraktionsvorständen und in den Landesparteivorständen zu.

Dass die Selbsteinschätzung als Elitenmitglied keine individuelle Fehlperzeption ist, sondern tatsächlich unabhängig von der Position auf innerparteilichen bzw. innerfraktionellen Einfluss verweist, macht eine Analyse der Listenplätze deutlich, denn neben den Führungspositionen bildet die Positionierung auf der Landesliste der Partei den wichtigsten Indikator für innerparteilichen Einfluss. Hier kann aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung der Listenplätze in den Ländern und in den Parteien nur das Verhältnis der Gruppen betrachtet werden. Es zeigt sich, dass die niedrigsten Listenplätze diejenigen einnehmen, die weder nach Selbst- noch nach Fremdeinschätzung zur Elite zählen und auf den höchsten Listenplätzen die zu finden sind, die laut Fremdeinschätzung eine Eliteposition einnehmen, ungeachtet, ob sie sich zur Elite rechnen oder nicht. Zwischen diesen beiden Polen befinden sich aber die Abgeordneten, die nach ihrem Selbstverständnis zur Elite zählen, aber keine Eliteposition einnehmen. (ANOVA: p(F)<0.01) D.h. die Selbsteinschätzung als Elitenmitglied beruht nicht auf ausschließlich auf einer subjektiven Wahrnehmung, sondern findet ihren Ausdruck auch in der Positionierung auf der Liste.

  Zusammenfassend zeigt sich, dass die Position zwar ein sehr wichtiger Faktor für das Eliteselbstverständnis ist, aber der politische Einfluss nicht allein auf der Position beruht, sodass sich Abgeordnete außerhalb der Positionen auch zur Elite rechnen und Abgeordnete innerhalb der Positionen gerade nicht zur Elite rechnen.

Tab. 3: Listenplätze nach Verhältnis von Verhältnis von Elitebewusstsein zu Elitepositionen

 

arithmetisches Mittel Listenplatz

weder Position noch Elitenbewusstsein

30,65

keine Position aber Elitenbewusstsein

22,73

Position ohne Elitenbewusstsein

12,39

Position und Elitenbewusstsein

10,14

Gestaltungsspielraum

Die Parlamentarier, die zwar eine formale Elitenposition einnehmen, sich selbst jedoch nicht als Elite sehen, haben zwar die für die Selektionsprozesse in Elitepositionen notwendige Leistung erbracht, sehen sich aber nun in dieser Position eben nicht als Elite. Daher ist anzunehmen, dass das Elitebewusstsein nicht allein durch die im Rekrutierungsprozess gezeigten Leistungen, sondern auch durch die Möglichkeiten, die sich aus der aktuellen Position ergeben, beeinflusst wird. Einen weiteren Hinweis dafür liefert ein Blick auf die Einschätzung des eigenen Gestaltungsspielraums.(10)

Abb. 3: Gestaltungsspielraum nach Verhältnis von Elitebewusstsein zu Eliteposition (in %)

Abb. 3: Gestaltungsspielraum nach Verhältnis von Elitebewusstsein zu Eliteposition (in %)

 

Unter den Abgeordneten, die sehr zufrieden mit ihrem eigenen Gestaltungsspielraum sind, rechnen sich 45 Prozent zur politischen Elite. Dagegen sinkt dieser Anteil unter denjenigen, die von ihrem Gestaltungsspielraum enttäuscht sind, auf 31 Prozent. Sieht sich ein Abgeordneter also in der Position, politische Entscheidungen mitzugestalten, begreift er sich auch eher als Mitglied der politischen Elite. Dabei ist nicht die eingenommene Position qua Position allein ausschlaggebend für den Gestaltungsspielraum, denn wenn auch die Unterschiede nicht drastisch ausfallen, so sind sich doch eher die Personen ähnlich, die sich selbst zur Elite rechnen, unabhängig davon, ob sie laut Fremdeinschätzung dazu gerechnet werden. Denn diese beiden Gruppen sind tendenziell zufriedener mit ihrem Gestaltungsspielraum als ihre Kollegen, die sich unabhängig von ihrer Position nicht zur Elite zählen. Die Abgeordneten, die eine formale Eliteposition ohne dazu kongruentes Elitenbewusstsein einnehmen, haben sich sicher von der formalen Eliteposition mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhofft.

Dauer der parlamentarischen Tätigkeit

Je länger ein Abgeordneter im Parlament weilt, desto öfter hat er sich den politischen Selektionsmechanismen ausgesetzt und ist aufgrund seiner – im Sinne seines Bereich – herausragenden Leistung erneut nominiert und damit zumeist auch wieder gewählt worden. Zugleich sollte sein Gestaltungsspielraum aufgrund seiner längeren Erfahrung mit den innerparlamentarischen und –fraktionellen Mechanismen und seiner über die Legislaturperioden hinweg etablierten Netzwerke, durchaus gewachsen sein – wozu als notwendige Bedingung zunächst der Verbleib im Parlament nötig ist. Daher dürfte die Selbstbeschreibung als Elitenmitglied unabhängig von der eingenommenen Position mit steigender Dauer der Tätigkeit im Parlament wahrscheinlicher werden. Ein Blick auf die empirischen Daten bestätigt diese Vermutung. Der Anteil an Abgeordneten, die sich als Elitenmitglied verstehen, steigt kontinuierlich von 27 Prozent im ersten Mandat bis auf 53 Prozent bei Abgeordneten in ihrem fünften Mandat. Die mit steigendem Mandatsalter höheren Anteile von Abgeordneten mit Elitenbewusstsein lassen sich nur zum Teil auf den gleichzeitig steigenden Anteil an Inhabern mit Führungspositionen zurückführen, d.h. das Elitenbewusstsein und damit wohl auch der innerfraktionelle Einfluss steigt mit der Seniorität an, unabhängig davon, ob eine Elitenposition eingenommen wird.

Abb. 4: Elitebewusstsein nach Mandatsalter (in %)

Abb. 4: Elitebewusstsein nach Mandatsalter (in %)

 

Institutioneller Kontext

  Das bisher gezeichnete Bild eines Elitenbewusstseins, dass sich aus der wahrgenommenen Einflussmöglichkeit innerhalb von Partei und Fraktion und den durchlaufenen Rekrutierungsprozessen speist, beschreibt allerdings nicht alle Einflussfaktoren, da auch der institutionelle Kontext der aktuell eingenommenen Position relevant ist. So rechnet sich auf Ebene der – politisch weniger bedeutenden – Länderparlamente gerade ein Drittel der Abgeordneten zur politischen Elite, während sich dagegen 56 Prozent der Bundestagsabgeordneten selbst so sehen. Zwar fällt auch der Anteil an Personen mit formalen Elitepositionen auf der Bundesebene höher aus, jedoch lässt sich der höhere Anteil an Eliteselbstzuschreibungen nicht allein darauf zurückführen, wie das Verhältnis von Fremd- und Selbstzuschreibung zeigt. Sowohl der Anteil derjenigen, die sich ohne, aber auch derjenigen, die sich mit formaler Elitenposition den Eliten zurechnen, ist jeweils um mindestens zehn Prozentpunkte höher als unter ihren Kollegen auf Länderebene.

  Die Bundestagsabgeordneten fühlen sich also jeweils auch ohne formale Eliteposition häufiger als Elitenmitglied und diejenigen unter ihnen, die eine solche Position innehaben, sehen sich seltener als Nicht-Elite – Fremd- und Selbsteinschätzung in Elitepositionen stimmen im Bundestag also häufiger überein und zugleich fühlen sich mehr Bundestagsabgeordnete als Mitglied der politischen Elite.

  Der institutionelle Kontext bzw. die Stellung der jeweiligen Institution bzw. des Parlaments im Institutionengefüge beeinflusst also die Selbsteinschätzung als politische Elite. So müssen die Selektoren allein aufgrund des zahlenmäßig geringeren Angebots an Mandaten im nationalen Parlament mehr Wert auf herausragende Leistungen legen. Andererseits verspricht auch die Position eines Bundestagsabgeordneten ein höheres Gewicht in der Partei, wobei aber als dritter Aspekt der aufgrund der institutionellen Stellung des Bundestags und seiner umfassenderen Kompetenzen größere Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ebenso eine Rolle spielen dürfte.

  Die Selbsteinschätzung als Elite, so muss gefolgert werden, orientiert sich also nicht nur an dem wahrgenommen Einfluss innerhalb des Politikfeldes, sondern steigt auch, je eher sich dieser Einfluss auf gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen auswirken kann.

Abb. 5: Elitenbewusstsein und Eliteposition nach institutionellem Kontext  (in %)

Abb. 5: Elitenbewusstsein und Eliteposition nach institutionellem Kontext  (in %)

 

Bildung

Um die These hinreichend zu belegen, dass innerhalb des politischen Bereichs die politischen Kriterien für Leistung ausschlaggebend für das Elitebewusstsein sind, müssen natürlich auch alternative Erklärungsmöglichkeiten untersucht werden. D.h. es muss gezeigt werden, dass politikexterne Kriterien für Leistung keinen Einfluss auf das Elitenbewusstsein haben.

  Ein zentrales außerpolitisches Leistungskriterium stellt dabei der Bildungsabschluss dar. Dabei soll hier nur zwischen den Abgeordneten unterschieden werden, die einen Hochschulabschluss besitzen und denen, die keinen besitzen. Dabei zeigt sich, dass der Grad des Bildungsabschlusses einen starken Einfluss auf das Elitenbewusstsein besitzt. Während sich 44 Prozent der Abgeordneten mit Hochschulabschluss der Elite zurechnen, hält sich nur jeder Fünfte der Mandatsträger ohne Hochschulabschluss für ein Mitglied der politischen Elite. Zwar werden Elitepositionen häufiger von Abgeordneten mit Hochschulabschluss erreicht, jedoch stimmt bei den Abgeordneten mit Hochschulabschluss die formale Eliteposition häufiger mit der eigenen Einschätzung überein und von den Hochschulabsolventen sehen sich auch mehr Abgeordnete ohne Eliteposition als Mitglied der politischen Elite. Politikexterne Qualifikationen bzw. Selektionskriterien spielen also auch innerhalb der Politik eine Rolle, und zwar sowohl für den Aufstieg in Leitungspositionen, für die konkrete Ausgestaltung der Rolle innerhalb dieser Leitungsfunktionen und auch generell für die Fähigkeit, Einfluss innerhalb von Partei und Fraktion zu erlangen. Wahrscheinlich bewirkt der Hochschulabschluss eine Art Vertrauensvorschuss in die kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten seines Trägers, der die Überzeugungsarbeit zum Bilden von Mehrheiten erleichtert. Daneben erhöht ein Studium und vor allem die sich daran anschließenden Berufe den Erwerb rhetorischer Fähigkeiten und ist generell von der Art der Tätigkeit näher an der politischen Tätigkeit. Auch muss bedacht werden, dass bei einem Anteil von über 70 Prozent Hochschulabsolventen unter allen Abgeordneten der fehlende Studienabschluss angesichts der Minderheitsposition eher ein Malus ist, als dass der Hochschulabschluss einen Bonus darstellt.

Abb. 6: Elitebewusstsein nach Bildungsgrad (in %)

Abb. 6: Elitebewusstsein nach Bildungsgrad (in %)

 

Abb. 7: Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition nach Bildungsgrad (in %)

Abb. 7: Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition nach Bildungsgrad (in %)

 

Folgen des Eliteselbstverständnisses

Während bisher vor allem die Ursachen des Eliteselbstverständnisses im Mittelpunkt standen, sollen nun mögliche Folgen betrachtet werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Selbstbewusstsein als Elitenmitglied eine generalisierte Einstellung darstellt, die Auswirkungen auf das Rollenverständnis von Abgeordneten hat.

  Wie sich in den im Folgenden exemplarisch angeführten Beispielen zeigt, wirkt sich das Elitebewusstsein besonders in Kombination mit einer formalen Eliteposition am stärksten aus.

  Zunächst wurden die Abgeordneten gebeten, zu entscheiden, ob es in ihrer Arbeit eher wichtig ist, die Anregungen, die von Bürgern kommen, aufzunehmen oder ob sie das Leisten politischer Orientierung für wichtiger halten – also eine Frage nach dem Verhältnis von politischer Führung und Responsivität.(11) Zunächst bekundet ein großer Teil der Abgeordneten, diese beiden Aspekte in seiner Arbeit nicht trennen zu können.(12) Allerdings beurteilen fast 60 Prozent der Abgeordneten eine der beiden Optionen als vorrangig. Vor allem unter den Abgeordneten, bei denen Selbst- und Fremdwahrnehmung als Elitenmitglied übereinstimmen, gibt ein deutlich höherer Anteil an Abgeordneten der politischen Orientierungsleistung den Vorzug vor der Responsivität. Auch wenn die Tendenz erkennbar ist, dass sowohl eine formale Führungsposition als auch das Elitenbewusstsein allein die Betonung politischer Führung fördern, so bewirkt erst eine formale Führungsposition gemeinsam mit dem entsprechenden Elitenbewusstsein, dass der Schwerpunkt der parlamentarischen Tätigkeit auf die politische Führung gelegt wird. Politische Orientierungsleistung ist dabei als Versuch zu verstehen, Mehrheiten zu bilden, denn das bloße Aufnehmen der vielfältigen Interessen kann ohne Interessenaggregation nicht in abstimmungsfähige Entscheidungsalternativen umgesetzt werden. Dies unterstreicht einmal mehr, dass das Elitenbewusstsein wesentlich auf dem Bewusstsein, politische Macht, also die Fähigkeit der Mehrheitsbildung zu besitzen, beruht. Dass dabei Position und Elitebewusstsein gemeinsam am deutlichsten wirken, zeigt, dass eine Elitenposition allein nicht notwendig ausreicht, um eine Führungsposition auch als Führungsposition auszugestalten.

Abb. 8: Führung vs. Responsivität nach Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition

Abb. 8: Führung vs. Responsivität nach Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition

 

Abschließend soll noch etwas genauer gezeigt werden, in welchem Sinne die Fähigkeit, Machtpotential zu akkumulieren, das entscheidende Aufstiegskriterium innerhalb der Politik darstellt bzw. der zentral wirksame Faktor ist, um sich dementsprechend als Mitglied der politischen Elite zu fühlen. Dazu ist zunächst zwischen einem Fachpolitiker und einem Generalisten zu unterscheiden.(13) Der Fachpolitiker beherrscht ein bestimmtes Themengebiet in seinen fachlichen Aspekten und ist mit vielen Details vertraut. Er konzentriert seine Arbeitskraft auf dieses Thema und gilt innerhalb seiner Partei bzw. Fraktion als Experte für dieses Gebiet. Der Generalist hingegen konzentriert seine Arbeitskraft weniger auf ein Gebiet, sondern eher darauf, die großen politischen Linien themenübergreifend zu bearbeiten. Er ist eher der „Spezialist für das Allgemeine“, d.h. weniger für die fachliche, als vielmehr für die allgemein politische Arbeit. Solche Personen sind vor allem in Führungspositionen zu finden, in denen die Vielfalt der Themen in den Hintergrund und die Ausarbeitung und Repräsentation des politischen Profils einer Partei bzw. Fraktion in den Vordergrund drängt. Dementsprechend ist auch zu vermuten, dass das Elitebewusstsein, das auf die Aggregation unterschiedlicher Interessen in politische Mehrheiten, d.h. Macht, zielt, auch eher den Generalisten als den Fachpolitiker erzeugt. Die Beziehung entspricht zwar tendenziell der geschilderten Hypothese, allerdings zeigt sich, dass auch eingenommene Elitepositionen allein eher den Generalisten als den Fachpolitiker erfordern. Aber auch das Elitebewusstsein fördert die Konzentration auf die politischen Aspekte der Arbeit, wodurch erneut deutlich wird, dass politische Leistungen für die Zugehörigkeit zur politischen Elite tendenziell wichtiger als fachliche Qualifikationen sind. 

Abb. 9: Generalist vs. Fachpolitiker nach Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition

Abb. 9: Generalist vs. Fachpolitiker nach Verhältnis von Elitebewusstsein und Eliteposition

 

Resümee und Ausblick

Als zentrales Ergebnis kann die eingangs formulierte Hypothese, das Elitenbewusstsein gründete sich auf den Einfluss bzw. die Macht, die ein Abgeordneter besitzt, bestätigt werden. Dabei stellen aber nicht die gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen, sondern primär die innerparteilichen und innerfraktionellen Entscheidungen und Abläufe den Vergleichsmaßstab dar, vor dem das Elitenbewusstsein entsteht. Denkt ein Abgeordneter, die Prozesse innerhalb seiner Fraktion oder Partei zu beeinflussen, hält er sich auch eher für ein Elitenmitglied. Dabei ist zu bedenken, dass dieser interne Einfluss natürlich die conditio sine quo non ist, um gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu beeinflussen. Hingegen scheint das Kriterium, gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu treffen, kaum eine Rolle zu spielen, da sich nur eine Minderheit der Abgeordneten, die ja formal die Gesetze verabschieden, als Elitenmitglied versteht.

  Die politische Elite nimmt sich also selbst als Machtelite wahr bzw. die Abgeordneten nehmen diejenigen als Elite wahr, die über Einfluss in Partei und Fraktion verfügen. Da die Personen, die in ihrem Bereich als herausragend bewertete Leistungen erbracht haben, zur Elite gehören, zeigt sich das wenig überraschende Ergebnis, dass Macht das zentrale Leitbild in der Politik ist. Daher fällt in der Politik das Leistungskriterium mit dem Machtkriterium zusammen oder anders ausgedrückt zwischen Macht- und Leistungselite wird innerhalb der Politik nicht unterschieden.

  Von daher müssen Rufe nach einer Elite in der Politik immer ausdrücklich auf die Leistung verweisen, in der diese Elite herausragend sein soll, sonst könnten die Adressaten in der Politik evt. nicht verstehen, dass außerpolitische Kriterien gemeint sind und sich nach dem Sinn dieses Rufes fragen, frei nach der Devise „Bei uns gibt es doch schon Eliten, Machteliten.“

  Viel entscheidender ist aber, die Strukturen berücksichtigen, in denen sich die Politiker bewegen. Es werden keine ökonomisch versierten, kulturell gebildeten, moralisch integren Eliten gebildet, wenn diese Selektionskriterien keine Rolle spielen. Die zentrale Frage ist dabei, welche Eigenschaften den Politikern erlauben, Mehrheiten zu bilden.

  Dabei ist zunächst zwischen der Mehrheitsbildung innerhalb und außerhalb der Partei zu unterscheiden. Solange innerhalb der Parteien vor allem langjährige Parteisozialisation zählt, werden auch nur dazu passende Parteimitglieder ausgewählt, wobei diese lange Sozialisation auf der anderen Seite auch notwendig ist, um zentrale politische Fähigkeiten Schritt für Schritt zu erlernen. Ein dazu mögliches Korrektiv stellt die Öffentlichkeit dar. Gelingt es Politikern in der Öffentlichkeit, Mehrheiten zu bilden, besitzen sie auch in ihrer Partei einen besseren Stand. Dabei werden aber erneut Auswahlkriterien in die Elitenselektion eingeführt, die nicht zwingend sicherstellen, dass politische Elitenpositionen adäquat besetzt werden, so z.B. wenn das Kriterium der Telegenität als entscheidend dafür betrachtet wird, Mehrheiten zu bilden. Diese Diskussion kann hier nicht geführt werden, sondern soll nur exemplarisch andeuten, dass die politische Elite entlang bestimmter Auswahlkriterien gebildet wird, die sich zwar primär auf den politischen Sektor beziehen, aber aufgrund dessen Verpflichtung zur Responsivität durchaus offen für externe Einflüsse ist.  

Des Weiteren wurde deutlich, dass der Einfluss, den eine formal definierte Elitenposition verleiht, nicht allein auf der Position an sich beruht, sondern auf der Macht des Positionsinhabers, die er aber schon bei seiner erfolgreichen Wahl in diese Position unter Beweis gestellt haben muss. Eine Eliteposition symbolisiert daher, dass ein Politiker in der Auseinandersetzung um den Einfluss erfolgreicher als seine Mitbewerber war, d.h. eine im Sinne der Politik herausragende Leistung erbracht hat.

Dieser Symbolcharakter der Elitepositionen bringt es mit sich, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht immer kongruent sind. Wie sich gezeigt hat, kann die Fähigkeit, Einfluss über die Mobilisierung von Mehrheiten auszuüben auch außerhalb der in der Potsdamer Elitestudie identifizierten Elitepositionen ausgeübt werden, auch wenn die nach dem Positionselitenansatz gewählten Positionen sehr gut mit der Einschätzung der Abgeordneten übereinstimmen. Ferner zeigt sich, dass nicht jeder Abgeordnete in einer formal so bezeichneten Eliteposition einen Zuwachs an Gestaltungsspielraum erfährt bzw. sich als Elitenmitglied bezeichnet. Auch wenn einige Positionen dabei besonders hervorstechen, kann nicht nur die Rolle, die mit diesen Positionen verbunden ist, dafür verantwortlich gemacht werden, sondern weist darauf hin, dass Positionen Symbolcharakter haben und wenn die Fähigkeit, Mehrheiten zu akkumulieren nicht mehr unter Beweis gestellt wird/werden kann, hilft auch die Position selbst wenig.

Schließlich konnte gezeigt werden, dass auch der institutionelle Kontext relevant ist. Nicht jeder Einfluss, z.B. unumschränkter Alleinherrscher des Ortsvereins, wird als Kriterium der Elitenmitgliedschaft erachtet, sondern dieses Bewusstsein steigt mit der Höhe bzw. sinkenden Anzahl an Positionen.

Auch konnte der Bildungsabschluss als ein außerpolitisches Auswahlkriterium identifiziert werden. Dessen Wirkung dürfte allerdings vor allem über die Kompetenzen erklärt werden können, die im Studium und einem sich anschließenden adäquaten Beruf vermittelt und anschließend in die Politik transferiert und dort genutzt werden können.

Nicht zuletzt hat sich gezeigt, dass dieses Elitenbewusstsein zumindest auf der Ebene der Einstellungen nicht folgenlos ist. In der Spiegelung der Erfordernisse, die für die Zugehörigkeit zur politischen Elite erbracht werden müssen, sind die Folgen vor allem in unterschiedlichen Rollenakzentuierungen zu sehen. Selbst bekundete Elitenmitgliedschaft bewirkt eine stärkere Konzentration auf die Integration unterschiedlicher Interessen, auf das Herausarbeiten der großen politischen Linien gegenüber der fachlichen Detailarbeit und die tendenziell stärkere Konzentration auf gesamtgesellschaftliche Interessen über politische Führung.

 

Literatur


Fußnoten:

1 Der folgende Gedankengang stellt eine stark gekürzte und verdichtete Version einer umfangreicheren analytischen Beschäftigung mit den verschiedenen Elitenbegriffen dar, die hier zugunsten des empirischen Teils nicht aufgenommen wurde. Für die komplette Ausarbeitung verweise ich auf Vogel, Lars (2007): Elite – das sind die Mächtigen. Selbstwahrnehmung deutscher Abgeordneter als Angehörige der politischen Elite (unver. Manuskript).
2 Stammer, Otto (1951): Das Eliten Problem in der Demokratie, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, B 71, S. 521.
3 Vgl. ebd.
4 Vgl. Dreitzel, Hans P. (1962): Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse, Stuttgart, insb. S. 92ff.
5 Natürlich vermitteln diese Positionen weitere Kompetenzen und Ressourcen, die nützlich sind, um einfacher Mehrheiten bilden zu können, sonst würden sie ja auch nicht angestrebt.  
6 „Welcher Personenkreis der politischen Elite angehört, ist durchaus umstritten. Würden Sie sich selbst der politischen Elite zuordnen?“ Ja | Nein | Weiß nicht | Keine Angabe
7 Vgl. Machatzke, Jörg (1997): Die Potsdamer Elitestudie – Positionsauswahl und Ausschöpfung, in: Bürklin, Wilhelm/ Rebenstorf Hilke (Hrsg.): Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration, Opladen, S. 39f.
8 Vgl. Bürklin, Wilhelm (1997): Die Potsdamer Elitestudie von 1995: Problemstellungen und wissenschaftliches Programm, in: ders./ Rebenstorf Hilke (Hrsg.): Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration, Opladen, S. 16.
9 Dazu zählt z.B. der Ausschussvorsitz auf der Landesebene oder Führungspositionen in der Partei unter der Landesebene.
10 „Wenn Sie Ihre derzeitigen Gestaltungsmöglichkeiten als Parlamentarier mit Ihren ursprünglichen Erwartungen vergleichen: Sind Ihre Gestaltungsmöglichkeiten heute größer als erwartet, genau so wie erwartet oder geringer als erwartet? - Größer als erwartet | Genauso wie erwartet | Geringer als erwartet |  Weiß nicht | Keine Angabe
Zwar führt die Frage, die „ursprünglich einmal angenommenen Erwartungen“ als Vergleichshorizont ein, doch kann davon ausgegangen werden, dass sie tendenziell eine Einschätzung des Gestaltungsspielraums erlaubt, da die ursprünglichen Erwartungen nur sehr selektiv erinnert werden und eher die momentane Zufriedenheit die Ausprägung dieser Variable steuert.
11 „Als Abgeordneter muss man ja verschiedene Aufgaben wahrnehmen: Ist es aus Ihrer Sicht im Allgemeinen wichtiger, den Bürgern politische Orientierung zu bieten? Oder ist es wichtiger, hauptsächlich die Anregungen, die von Bürgern kommen, politisch aufzugreifen?“ politische Orientierungsleistung wichtiger - Beides gleich wichtig (nur spontan) - Anregungen aufzunehmen wichtiger - Weiß nicht - Keine Angabe
12 Diese beiden Aspekte zugleich zu erbringen wäre sicher das Ideal der Abgeordnetentätigkeit, allerdings muss es sich der einzelne Abgeordnete gar nicht so schwer machen. Vielmehr kann auch das Parlament insgesamt diese Funktion erbringen, wenn nämlich einige Abgeordnete Orientierung anbieten und andere vor allem Responsivität.
13 „Wenn Sie an Ihre eigene Tätigkeit im Parlament denken, sehen Sie sich da eher als Fachpolitiker oder sehen sich eher als Generalisten?“ Eher Fachpolitiker - Beides gleichermaßen (nur spontan) - Eher Generalist - Weiß nicht - Keine Angabe

7.12. Eliten als Orientierungsgeber oder als ‚Sozialschmarotzer’? Zur soziokulturellen Bedeutung von Elitehandeln in gesellschaftlichen Transformationsprozessen

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For quotation purposes:
Lars Vogel: Elite – das sind die Mächtigen. Selbstwahrnehmung deutscher Abgeordneter als Angehörige der politischen Elite -. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/7-12/7-12_vogel.htm

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