TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Februar 2010

Sektion 7.2. Zeit, Verlauf und Bestimmung
Sektionsleiter | Section Chair: Arnold Groh (TU Berlin, Deutschland)

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Eine kulturvergleichende Untersuchung der alltäglichen Zeiteinteilung

Arnold Groh (Technische Universität Berlin, Deutschland) [BIO]

Email: a.groh@berlin.de

 

1. Überblick

Menschliches Verhalten weist zeitliche Strukturierungen auf, die aus mehreren Faktoren resultieren. Zum einen gibt es strukturierende Faktoren der natürlichen Umwelt, wie sie etwa durch die Tag-Nacht-Zyklen vorgegeben sind, zum anderen strukturieren Menschen ihre Verhaltensmuster, wenn sie beispielsweise morgens zur Arbeit und nachmittags wieder nach Hause gehen. Hier wiederum, in der Einteilung des Alltags, gibt es Unterschiede von Kultur zu Kultur. Im folgenden soll diesen kulturspezifischen Faktoren nachgegangen werden. Es werden Ergebnisse von Befragungen in Südostasien und Westafrika vorgestellt. Besonderes Augenmerk liegt bei dieser Untersuchung auf den Zeitstrukturen indigener Kulturen einerseits und den Einflüssen der Globalkultur andererseits.

 

2. Faktoren der Zeiteinteilung

Es lassen sich kulturunabhängige und kulturabhängige Zeitgeber unterscheiden:

I. Kulturunabhängige Zeitgeber

Hinsichtlich der natürlichen Zeitgeber können wir weiter einteilen in:

  1. externe Vorgaben, wie sie insbesondere in der zirkadianen Rhythmik gegeben sind, aber auch in jahreszeitlichen Determinanten, die regional unterschiedlich ausgeprägt sein können, und
  2. interne, körperliche Determinanten. In diese Kategorie fällt in erster Linie der Schlaf-Wach-Zyklus, wie er im Zusammenspiel mit den externen Vorgaben auftritt. Bei Flugreisen über Zeitzonen hinweg kommt es beispielsweise zum „Jet-Lag“, bis man sich an die neue Rhythmik angepaßt hat. Es herrscht kein Konsens darüber, ob es ein „Zeitgeber-Organ“ gibt, da bislang kein eindeutiges physiologisches Korrelat gefunden wurde (vgl. Glasauer & Schneider, 2008).

Pöppel (1989) kam aufgrund verschiedener Laboruntersuchungen, bei denen systematische Fehler der Einschätzung zeitlicher Dauer gefunden worden waren, zu dem Schluß, es gebe “Elementary Temporal Experiences“ (S. 357f). Die Länge dieser Zeiteinheiten liegt ihm zufolge bei 2 bis 3 Sekunden.

Zu einem ähnlichen Schluß kamen Feldhütter et al. (1990), nachdem sie Filmaufnahmen verschiedener Kulturen - von Yanomami, Himba und Trobriandern - analysiert hatten. Auch hier schlossen die Autoren auf Aktionseinheiten von 2 bis 3 Sekunden Dauer.

II. Kulturabhängige Zeitgeber

Der wohl konkreteste Zeitgeber in unserer Kultur ist die Uhr. Ihre Erfindung dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß unsere Gesellschaft so funktioniert, wie sie es gegenwärtig tut. Viel allgemeiner lassen sich des weiteren die ökonomischen Zwänge benennen, aufgrund derer wir unser Verhalten zeitbezogen strukturieren. Benthaus-Apel (1995) weist auf die Zeitnot hin, die sich als paradoxer Effekt aus der stetigen Effizienzsteigerung in der Industriekultur ergibt. Ähnlich verweist Geissler (1995) auf die industriekulturellen Zwänge, die den Menschen unter Mißachtung natürlicher Rhythmen rund um die Uhr Leistungen abverlangen. Strzoda & Zinnecker (1996) konstatieren einen Mangel an Freizeit insbesondere bei jungen Müttern, Studenten und jungen Arbeitnehmern; lediglich Schüler seien hinsichtlich ihrer freien Zeit noch privilegiert. Nicht weniger kritisch benennt Birth (2007) die Effekte der Globalisierung – es sei eine “desynchronization of biological cycles, and lack of correspondence between those cycles and social life“ eingetreten, so daß sogar “pharmacological interventions to ameliorate the bodily suffering caused by desynchronization“(1) nötig seien.

 

3. kulturelle Unterschiede der Zeitstrukturierung

Wer bereits andere Kulturen kennengelernt hat, weiß möglicherweise aus Erfahrung, daß es von Gesellschaft zu Gesellschaft Unterschiede in der Einhaltung von Zeiten gibt. Dies dürfte nicht allein auf die Ungenauigkeit öffentlicher Uhren zurückzuführen sein, die Levine et al. (1980) in ihrer Studie zu Armbanduhr tragenden vs. nichttragenden Personen in den USA und in Brasilien für die Unterschiede in der Pünktlichkeit verantwortlich machten. Die bisherige Forschung liefert Hinweise auf kognitive und soziale Faktoren, die den kulturspezifischen zeitbezogenen Strukturierungen zugrunde liegen. So kam Birth (2004) bei seinen Studien in Trinidad zu dem Schluß, daß die Weise, in der sich dort Personen an der Uhrzeit orientieren, von deren sozioökonomischem Status abhänge. Boroditsky (2001) fand im Vergleich von Englisch- und Mandarin-Sprechern, daß die sprachspezifische Metaphorisierung die Visualisierung des Zeitverlaufs determiniere. Das bedeutet, daß Menschen sich den Zeitverlauf räumlich vorstellen; ob sie sich die Ereignisse oder Zeitabschnitte über- oder nebeneinander vorstellen, und in welche Richtung in ihrer Vorstellung die Zeit verläuft, ist von ihrer Sprache beeinflußt.

 

4. Methodologische Probleme

Wenn Menschen hinsichtlich zeitbezogener Phänomene oder ihrer Auffassungen von Zeit untersucht werden sollen, so gilt es, sich der Begrenztheiten der jeweiligen Erhebungsinstrumente bewußt zu sein. Einige dieser Instrumente, wie etwa Fragebögen, sind nicht kulturübergreifend einsetzbar. Denn wenn wir in eine Kultur gehen, die wirklich anders ist als unsere Globalkultur, in eine autonome indigene Kultur, so sind die dort lebenden Personen weder mit unserem Schriftsystem vertraut, noch mit den Denkwelten, auf denen die gestellten Fragen beruhen. Diese Problematik führt dazu, daß kaum Untersuchungen durchgeführt werden, in denen unsere globale Industriekultur mit anderen Kulturen verglichen wird.(2) Viele Studien, die den Anspruch erheben, kulturvergleichend zu sein, untersuchen in Wirklichkeit nur Subkulturen der Globalkultur, weil dort Fragebögen problemlos einsetzbar sind. Es können dann aber nur Aussagen getroffen werden über Gesellschaftsgruppen, die sich lediglich nuancenhaft voneinander unterscheiden. Sehr oft liegt bei den angeblich kulturvergleichenden Studien sogar eine Vorselektion der Versuchspersonen vor, da der Einfachheit halber diese Untersuchungen mit Studierenden an Universitäten durchgeführt werden. Die untersuchten Personen sind dann erst recht mit technisierten Abläufen, mit Verkehrssystemen, ökonomischen Bedingungen und weltweit standardisierten Verhaltensmustern vertraut. Was also gemessen wird, sind allenfalls die Spuren, welche die regionalen Vorgängerkulturen noch hinterlassen haben. Wenn wir aber etwas über Kultur als Einflußgröße herausfinden wollen, so macht es methodologisch Sinn, dies kontrastiv zu tun und vergleichende Untersuchungen in Kulturen durchzuführen, die möglichst wenig miteinander zu tun haben, ebenso wie ein Chemiker, der die Eigenschaften unterschiedlicher Substanzen untersucht, ja auch möglichst unverfälschte Stoffe benutzt, denn sobald sie untereinander kontaminiert sind, ist eine Untersuchung nicht mehr valide hinsichtlich des beanspruchten Vergleichs.

Ein Großteil der noch ungefähr 7.000 Kulturen(3) der Welt sind bereits von der Globalkultur beeinflußt. Dieser Einfluß ist aber von Kultur zu Kultur recht unterschiedlich. Die Globalisierung stellt einen Faktor dar, der Kulturen graduell unterschiedlich überlagert. Gegenwärtige Kulturen können also in einem Spektrum von „völlig“ zu „überhaupt nicht“ globalisiert angeordnet werden. Die Forscher selbst sind allerdings in der Globalkultur sozialisiert. Sie haben hiesige Verhaltensmuster internalisiert, so daß Probleme vorprogrammiert sind, wenn sie sich in nicht-globalisierten Kontexten bewegen. Sich selbst in eine andere Kultur mit fremden Verhaltensmustern zu integrieren ist oftmals angstbesetzt. Denn wenn einem Menschen ein Verhalten abverlangt wird, das ihm nicht vertraut ist, besteht der naheliegendste Impuls in der Verweigerung. Befindet er sich in einer dominanten Position, kann er auf den ihm vertrauten Verhaltensmustern beharren; andernfalls wird er versuchen, der Situation zu entfliehen. Sobald sich Menschen des Problems der eigenen Geprägtheit jedoch bewußt sind, können sie – wiederum bewußt – eigenem Fehlverhalten gegensteuern, wenn sie sich in anderen kulturellen Kontexten befinden. Dies hat dann den Effekt, daß bei ihnen Vertrautheit mit dem Verhalten in jenen anderen Kulturen entsteht (vgl. Taylor, 1994).

Es versteht sich von selbst, daß Forschende in anderen Kulturen stets Fehlverhalten vermeiden sollten, und zwar sowohl aus methodologischen Gründen, um verfälschende Einflüsse zu minimieren, als auch aus ethischen Gründen und Menschenrechtsaspekten.(4)

Voraussetzung für valide kulturvergleichende Studien sind deshalb

  1. die Wahl der geeigneten Erhebungsmethoden,
  2. eine Auswahl tatsächlich diskreter Kulturen und
  3. interkulturelle Kompetenz, insbesondere die Kompetenz zu minimalinvasivem, integrativem Verhalten in indigenen Kulturen.

Selbst, wenn Bedingungen (b) und (c) erfüllt sind, bleibt also die Frage nach einem Instrument, das unabhängig von der Kultur einsetzbar ist. Projektive Verfahren, bei denen Versuchspersonen etwa einen Kreis oder eine Linie zeichnen sollen, um einen Zeitbezug zu symbolisieren (Gin, 2006-2007), sind sowohl hinsichtlich Validität, als auch hinsichtlich Reliabilität begrenzt. Für die im folgenden vorgestellten Untersuchungen wurde die Befragung als Instrument gewählt. Die befragte Person kann dabei frei formulieren und das äußern, was aus ihrer Sicht relevant ist. Dies ist ein Vorteil gegenüber schematisierten Antwortmodalitäten, die eventuell gar nicht das abdecken, was die Befragten antworten möchten. Es wird zudem kein Umgang mit Stift, Papier oder anderen Hilfsmitteln abverlangt. Bei denjenigen kulturellen Kontexten, die indigen und traditionell geprägt waren war, erfolgten die Befragungen im Rahmen minimalinvasiver, integrativer Felduntersuchungen. Bei dieser Untersuchungsform bemühen sich die untersuchenden Besucher, möglichst wenig „kultureller Fremdkörper“ zu sein. Die Verhaltensweisen werden den Traditionen der Besuchten angepaßt, dementsprechend wird Kleidung abgelegt, und es wird die Untersuchungssituation nicht durch autoritäre Vorgaben artifiziell gestaltet.

 

5. Die Befragungen

Die Befragungen fanden in folgenden Orten statt:

Befragungsreihe I

 

. 

Befragungsreihe II

 

. 

Die Untersuchungen fanden auf Englisch und Französisch statt. Wo erforderlich, geschah dies unter Mithilfe von Personen aus der jeweiligen Region, die über entsprechende Fremdsprachenkenntnisse verfügten. Dies war insbesondere in den traditionell-indigenen Kontexten der Fall.

 

6. Ergebnisse

6.1 Einzelergebnisse der Befragungen zur Zeitstrukturierung

Die einzelnen Ergebnisse sind in der Reihenfolge ihrer Erhebung aufgeführt. Da die Daten in teilnehmenden, integrativen Feldbegegnungen unter Berücksichtigung der kulturspezifischen Kommunikationsgewohnheiten der Befragten erhoben wurden, liegen sie für die jeweiligen Fälle in unterschiedlichem Umfang vor. Die hier vorgestellten Ergebnisse sind in einem größeren theoretischen Rahmen bei Groh (2008) zu finden.

6.1.2 Südostasien

A: Bewohner des Dorfes Poma vom Stamm der Dani, ca. 25-30 Jahre alt:

Nach dem Aufstehen um 8 Uhr folgt der Morgenablauf. Dann geht es um 10 Uhr in den Garten (die Dani haben eine Gartenbaukultur), wo 5 Stunden gearbeitet wird. Um 15 Uhr Rückkehr zum Dorf, dann 1 Std. Essen mit Familie und Freunden, danach Freizeit und Abendablauf.

Sonntags wird der Gottesdienst besucht, der um 9-10 Uhr beginnt und 6 Std. dauert. Unregelmäßig - ca. einmal pro Woche - wird die nächste Stadt, Wamena, besucht: Zu Fuß geht es zur Ortschaft Kurima, der Rest des Weges wird mit dem Minibus zurückgelegt.

Bemerkungen: Wenngleich der Kontakt zur Zivilisation nur als niedrig bis mittel einzustufen ist, sind die Dani keine Sammler und Jäger, sondern als Gartenbaukultur per se relativ elaboriert. Die genannten Zeiten sind als ungefähre Angaben zu verstehen; Uhren sind kaum vorhanden. Die Befragung fand im Dorf Punelema mit Hilfe eines englischsprachigen Übersetzers statt. Der Befragte hat eine Frau (in dieser Kultur ist Polygamie üblich) und acht Kinder.

B: Fremdenführer in Wamena:

6 Uhr Aufstehen, 30 Min. Morgenablauf. Es folgt das Warten auf Touristen. Ist dieses erfolgreich, 5-6 Std. Fremdenführertätigkeit. Danach nach Hause, Essen, Ausruhen. Gibt es keine Touristen, kann nach erfolglosem Warten um 15-16 Uhr Gartenarbeit aufgenommen werden.

Alternativ geht es an manchen Tagen direkt morgens um 6-7 Uhr in den Garten.

Sonntags geht es zwischen 8 und 9:30 Uhr in die Kirche. Danach Ausspannen, an ungefähr der Hälfte der Sonntage Besuche bei Freunden.

Bemerkungen: Hier handelt es sich um eine Kollektivbefragung von drei Fremdenführern in Wamena, die den typischen Tagesablauf schilderten. Da die Tätigkeiten keinem festen Zeitschema folgen, sondern je nach Notwendigkeit entschieden werden, ist auch keine Regelmäßigkeit in dem uns geläufigen Sinne vorhanden. Wie lange jemand im Garten arbeitet, kann von unterschiedlichen Faktoren abhängen, etwa: Wie dringend ist das Einbringen einer Feldfrucht; gibt es andere Verabredungen etc.

Diese Fremdenführer sind noch mit ihrer indigenen Herkunftskultur vertraut; zugleich versuchen sie, im weitgehend globalisierten Kontext der Stadt Fuß zu fassen. Ihre Kenntnis der indigenen Herkunftskultur ist ihr Kapital, das ihnen den Zugang ermöglicht, wenn sie diese zusammen mit Touristen besuchen. Der Herkunftskultur gegenüber definieren sie sich als der Industriekultur zugehörig, wobei sie in dominanter und destruktiver Weise einen beanspruchten sozialen Status gegenüber den traditionell lebenden Besuchten ausspielen.

C: Büroangestellter in Sentani, 22 Jahre alt, Single:

Nach dem Aufstehen um 6:30 Uhr erfolgt der Morgenablauf (das Frühstück besteht aus zwei Glas Wasser). Um 7:05 Uhr verläßt er das Haus, zehn Minuten später beginnt seine Arbeit. Diese wird zweimal unterbrochen: 9-10 Uhr Frühstückspause, 12-13 Uhr Mittagspause. Nach Dienstschluß um ca. 15-16 Uhr hört er zuhause ca. 20 Min. lang Musik, danach schließt sich Freizeit mit unbestimmter Tätigkeit an, bis er um ca. 24 Uhr zu Bett geht.

Bemerkungen: Dieser Befragte arbeitet am Flughafen. Er gehört zur Bevölkerungsgruppe der Transmigranten, die von der indonesischen Regierung nach Neuguinea/Westpapua verbracht wurde. Sechs Tage in der Woche arbeitet er, einen Tag, manchmal auch zwei Tage in der Woche hat er frei, wobei es sich nicht immer um denselben Wochentag handelt, den er frei bekommt.

D: Höhlenbewohnende Punan, Bunaw-Gebiet, Borneo

D1: Mann: Nach dem Aufstehen um 5:30 Uhr geht es, sofern Bedarf besteht, zusammen mit anderen Männern auf die Jagd. Ist diese erfolgreich - was dann vielleicht um 9 oder 10 Uhr der Fall ist - geht es zurück zum Lager. Dort sagen sie den Frauen Bescheid, daß Wild erlegt wurde (nicht aber, wo - die Frauen findet den Weg allein dorthin, um es zu holen). Je nach Jagdergebnis wir dann von der Beute gezehrt. Erst, wenn wieder Bedarf besteht, geht es erneut auf die Jagd. Sofern erforderlich, kann diese sogar nachts bei praktisch völliger Dunkelheit erfolgen.

D.2: Frau: Nachdem sie mit den anderen Frauen zwischen 7 und 9 Uhr aufgestanden ist, geht sie mit ihnen und den Kindern Wasser holen. Für den Rückweg lassen sie sich zwei bis drei Stunden Zeit, denn es werden dabei Früchte, Gemüse und Süßkartoffeln gesammelt. Danach ist Freizeit, bis Bedarf für eine andere Tätigkeit besteht.

Bemerkungen: Handwerkliche Tätigkeiten werden ausgeführt, wenn es erforderlich erscheint. Dies kann auch nachts (bei künstlicher Beleuchtung durch einen mit heller Flamme brennenden Zweig) geschehen.

E: Punan in der Stadt:

7 Uhr Aufstehen, bis 7:30 Uhr Morgenablauf. Planloses Warten, bis vielleicht mittags jemand vorschlägt, gemeinsam auf die Jagd zu gehen. Wird dieser Plan ausgeführt, so kann die Jagd bis zu einer Woche dauern. Das Fleisch wird dann getrocknet, um dann, ebenso wie das Fett, verkauft zu werden. Der Erlös wird anschließend in der Stadt in Kleidung, Alkohol etc. umgesetzt.

Bemerkungen: Die Fallbeispiele D-E stammen von einem Fremdenführer in Tarakan, dem die Situation der Punan vertraut ist. Die Zeiten sind als ungefähre Angaben zu verstehen.

F: Hausfrau, Tarakan, verheiratet, ein Kind:

6 Uhr Aufstehen, Geschirrspülen, Sohn schulfertig machen, Wäsche waschen bis 8 Uhr. Danach fernsehen und auf Fischverkäufer warten, Fisch kaufen bis 10:30 Uhr. Freizeit bis 11 Uhr (Sohn kommt von der Schule, geht wieder spielen, kommt um 12:30 Uhr wieder). Ca. 90 Min. Essen vorbereiten. Es folgt kein gemeinsames Essen, sondern jeder nimmt sich, was er möchte (der Ehemann nimmt aufgrund unregelmäßiger Berufstätigkeit an manchen Tagen am häuslichen Leben Teil, an anderen Tagen wiederum nicht). 13-15 Uhr Nachmittagsschlaf. Von 16 Uhr bis 17:30 Uhr bereitet sie das Abendessen vor. Bis dieses dann zwischen 21 und 22 Uhr beginnt, ist Freizeit, in der man sich auch mit Freunden trifft. 23-23:30 Uhr Zubettgehen.

Bemerkungen: Morgens und vormittags erfolgt häufig der Besuch von Nachbarn und Freunden. Am Samstagabend geht die ganze Familie regelmäßig ins Restaurant. - Die Frau stammt aus der ethnischen Gruppe der Dayak und lebt nun weitgehend integriert in der Stadt.

6.1.2 Westafrika

G: Bauer, 29 J., Boukombé:

Mo-Fr 6 Uhr aufstehen, frühstücken. Um 7 Uhr bricht er zu seinem Feld auf, das er nach 1 Std. per Fahrrad erreicht. Dort arbeitet er von 8 bis 11 Uhr, dann fährt er nach Hause, um dort von 12 bis 13 Uhr sein Mittagessen einzunehmen. Anschließend fährt er wieder aufs Feld, wo er von 14 bis 17 Uhr arbeitet, um dann nach Hause zurückzukehren. Samstags und sonntags fährt er nicht zur Arbeit.

H: Hotelangestellter (gehobenes Hotel in Natitingou), 23 J.:

In dem Hotel wird in einem Zwei-Schicht-System gearbeitet, wobei die eine Schicht von 6:30 bis 15:00 Uhr und die andere von 15:00 bis ca. 24:00 Uhr dauert. Er hat keine freien Tage. Er lebt weit entfernt und ist noch ohne Familie. Bei kurzem Schichtwechsel bleibt er im Hotel.

Bemerkungen: Die Ausführungen dieses Befragten lassen sich so verstehen, daß die Schichten im Wechsel stattfinden und er dann 24 Std. frei hat.

I: Schüler, 17 J., Natitingou:

Morgens zwischen 6 und 7 Uhr anziehen, essen. Um 8 Uhr fährt er mit dem Fahrrad zur Schule. Dort ist von 12 bis 15 Uhr Pause, anschließend geht der Unterricht weiter bis 19 Uhr. In der Pause können die Schüler essen, ausruhen und Schulvorbereitungen machen. Zwischen 21 und 22 Uhr geht er zu Bett. Sonntags und am Mittwochvormittag findet keine Schule statt.

Bemerkungen: Dieser Schüler stammt aus dem ca. 40 km entfernten Boukombé. Während der Schulzeit wohnt er in Natitingou, besucht aber auch dann zwischendurch seinen Herkunftsort.

J: Schülerin, 13 J., Nadoba (Grenzmarkt):

Als ihre wesentliche Tätigkeit nennt sie die Mithilfe im Restaurant der Eltern. Morgens erfolgt zwischen 5 und 7 Uhr das Aufstehen und das Vorbereiten der Mahlzeiten. Von 7 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr ist Schule. Dazwischen ist sie zuhause, um zu helfen. Das Restaurant ist alle Tage geöffnet; mittwochs wird es auf den dann stattfindenden Markt verlagert.

Bemerkungen: Die Uhrzeiten erklären sich daraus, daß in Togo 1 Std. Zeitdifferenz zu Benin besteht. Die Grenze, wie in Afrika üblich ein koloniales Konstrukt, zerschneidet das Gebiet des Stammes, der nun zwei Namen trägt, Somba auf Beniner und Tamberma auf Togoer Seite. Man steht gleichzeitig auf, geht gleichzeitig zur Schule etc. (7 Uhr Togo-Zeit entspricht 8 Uhr Benin-Zeit). Der regelmäßig stattfindende Grenzmarkt ist ein wichtiges Element in der Verbindung beider Seiten. Auch ist zu bemerken, daß in Togo die Schule für Jungen und Mädchen kostenpflichtig ist, was sicherlich auch eine Rolle hinsichtlich der zusätzlichen Tätigkeit der Befragten (Mithilfe im elterlichen Restaurant) spielt. Samstags, sonntags und an Mittwochnachmittagen ist schulfrei.

K: Bauern, Tamberma-Gebiet:

Um 5 Uhr stehen sie auf und gehen sogleich aufs Feld zur Arbeit. Von 12 bis 13 Uhr machen sie Pause, danach arbeiten sie bis 17 Uhr weiter auf dem Feld. Um 20 Uhr gehen sie schlafen.

Bemerkungen: Es handelt sich um eine Kollektivbefragung, die Uhrzeiten sind ungefähre Angaben.

L: Taxifahrer aus Kandé, 19 J.:

Er fährt das Taxi seines Freundes bis 18/19 Uhr.

Bemerkungen: Trotz ausgiebiger Kommunikation liegen von diesem Befragten keine näheren Zeiten vor. In der Tat scheint es keine festen Termine zu geben.

M: Security Man, Ibadan, 38 J.:

Er arbeitet jeweils von 18 bis 6 Uhr als Nachtwächter, außer in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Nach dem Nachtwächterdienst geht er morgens nach Hause, ißt, wäscht sich und geht dann um 7 Uhr zur Schule (Salvation Army Primary School), wo er bis 15:30 Uhr Unterricht hat. Anschließend schläft er bis 17 Uhr, ißt etc., um dann wieder zur Arbeit zu gehen.

Bemerkungen: Dies war ein siebenwöchiges Programm, das gerade zuende gegangen war. Vier Tage später war der Schichtwechsel zum Tagdienst vorgesehen. Der Befragte gehört zur ethnischen Gruppe der Yoruba.

6.2 Ergebnistabellen

In den Tabellen sind die typischen Tagesabläufe der in 6.1 genannten Fallbeispiele dargestellt. Die Farbunterschiede in den Darstellungen der Phasen dienen der visuellen Unterscheidbarkeit derselben.

 

.Südostasien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.Westafrika

 

 

 

 

 

 

 

7. Interpretation und Ausblick

Ein interessanter Befund besteht in dem Geschlechtseffekt, wie er in besonders ausgeprägter Form bei den Sammlern und Jägern gefunden wurde. Während das Verhalten der Frauen und Kinder einen deutlichen 24-Stunden-Rhythmus aufweist, ist dies bei den Männern nicht der Fall. Das Verhalten von Ersteren ist vom Tag-Nacht-Zyklus bestimmt, das der Letzteren ist am Bedarf orientiert. Die Männer gehen auf die Jagd, wenn dies nötig ist, und sie bleiben so lange auf der Jagd, bis diese erfolgreich war; anschließend halten sie sich so lange im Lager auf, bis erneut gejagt werden muß. Ihre Anwesenheit bei Frauen und Kindern und ihre Abwesenheit von ihnen können zwischen Stunden und Tagen dauern. In diesen Kulturen greifen zwei Zeitrhythmen, der männliche und der weibliche (die Kinder sind bei den Müttern) in symbiotischer Weise ineinander. Betrachten wir den Kulturwandel, so können wir noch lange ein Fortbestehen dieses Zusammenspiels konstatieren. Auch in unserer Gesellschaft ging bis in die jüngere Vergangenheit der Mann arbeiten („jagen“), während die Frau für den Haushalt („das Lager“) zuständig war. Erst in der postmodernen Industriekultur sind diese Rollen in weiten Bereichen der Gesellschaft aufgelöst worden.

Mehr noch als an den Südostasien-Daten werden an den in Westafrika gewonnenen Ergebnissen allerdings die fatalen Folgen der Modernisierung deutlich. In den intakten Sammler- und Jäger-Kulturen ist nur ein vergleichsweise geringer Zeitaufwand nötig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. In einer Gartenbaukultur ist der tägliche Zeitaufwand bereits erhöht, auch wenn nur wenig Kontakt zur Globalkultur besteht. Aber dort, wo Ackerbau die Lebensgrundlage bildet, während die Kultur zugleich in stärkerem Maße in Kontakt zur Globalkultur steht, wird ein Großteil des Tages für die Arbeit benötigt, da zum einen keine natürliche Flora und Fauna mehr vorhanden sind und zum anderen Konsumbedürfnisse befriedigt werden wollen. Hinzu kommen die erschwerten Rahmenbedingungen. Wo das Sammeln und Jagen noch in intakten Regenwäldern stattfindet, bewegen sich die betreffenden Personen in den besten klimatischen Bedingungen, die der Planet dem menschlichen Körper zu bieten hat. Wo jedoch die Wälder gerodet und Felder angelegt wurden, brennt die Sonne unbarmherzig auf die Menschen, die zudem sehr lange Arbeitstage dort ableisten müssen. Die erwirtschafteten Feldfrüchte bieten aber nur eine weitaus geringere Vielfalt als die Nahrungspalette des Waldes. Diese Unterschiede des Zeitaufwandes und der Arbeitsbedingungen lassen sich als Kriterium hinsichtlich der jeweiligen Lebensqualität betrachten.

Es stellt sich die Frage nach dem Sinn von Eingriffen seitens der Ersten Welt, die das Ziel haben, Landwirtschaft in tropischen Regionen zu etablieren. Während in Europa die Systematisierung des Anbaus eingebunden ist in ein System, das auch soziale Sicherheiten bietet, erlangen die Betroffenen in der Dritten Welt keine derartigen Sicherheiten, auch wenn sie ein Mehrfaches an Arbeitszeit, im Vergleich zur Situation vor diesen Eingriffen, leisten müssen.

Um weiteren Einblick in die Mechanismen des Kulturwandels zu erhalten, die sich in veränderten zeitlichen Strukturen niederschlagen, wären Folgestudien nötig, die systematisch Kulturen untersuchen, die repräsentativ für die unterschiedlichen Globalisiertheitsgrade sind. Weiterführende Forschung sollte also eine hinreichend große Zahl von Fällen untersuchen, die an verschiedenen Positionen im kulturellen Kontinuum - von indigener bis zur Industriekultur - verortet sind. Es wären dafür allerdings Meßgrößen zu definieren, die eine Zuordnung zu einer solchen Position ermöglichen, um Aussagen über Zusammenhänge zwischen zeitlichen Verhaltensstrukturen, kulturellem Verlust, Befindlichkeit und weiteren Variablen treffen zu können.

Insbesondere zur individuellen Befindlichkeit liegen Hinweise in bezug auf externe, kulturunabhängige Faktoren vor, deren Einbeziehung in künftige Untersuchungen ebenfalls sinnvoll erscheint: Die Art des Tageslichts und der Verlauf der Dämmerung sind offenbar kontextspezifische Einflußgrößen, die sich – im Zusammenspiel mit internen Determinanten – im Wohlbefinden von Menschen niederschlagen (Avery et al., 2001). Je nach geophysikalischen und klimatischen Gegebenheiten variieren die Lichtbedingungen erheblich.

Schließlich ist wiederum darauf hinzuweisen, daß Störfaktoren möglichst gering zu halten sind, weshalb bei derartigen Untersuchungen die Invasivität stets so zu minimieren ist, daß die Untersuchenden sich hinsichtlich der von ihnen benutzten Kulturelemente so stark als möglich an der indigenen Tradition orientieren; dies gilt in besonderem Maße für die Erscheinungsform der Besucher, um Übertragungs- und Gegenübertragungseffekte möglichst gering zu halten.

Literatur


Anmerkungen:

1     beide Zitate: Birth, 2007, 215
2     Ein Ziel kulturvergleichender Untersuchungen ist es, kulturübergreifende, allgemein menschliche Konstanten zu finden.
3     Kriterium ist die Anzahl der Sprachen lt. aktuellem Stand des Ethnologue <ethnologue.com>.
4     Siehe die am 7. Sept. 2007 von der UN-Vollversammlung verabschiedete “Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“.

7.2. Zeit, Verlauf und Bestimmung

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For quotation purposes:
Arnold Groh: Eine kulturvergleichende Untersuchung der alltäglichen Zeiteinteilung - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/7-2/7-2_groh.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-02-01