TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 8.17. Massenmedien und sozial-geistige Ökologie unserer Gesellschaft
Sektionsleiterin | Section Chair: Maja N. Volodina (Lomonosov-Universität, Moskau)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Presselenkung im NS-Staat

Olga Kharkova (Moskauer Staatliche Lomonosov – Universität, Russland) [BIO]

Email: olga.kharkova@gmail.com

 

Die heutige Welt ist ohne schnelle und vollkommene Informationenübertragung nicht zu denken. Moderne Informationstechnologien ermöglichen es, Informationen verschiedenster Art in wenigen Minuten, ja in Sekunden in vielen Ländern der Erde zu verbreiten.

Im Informationszeitalter werden wichtige Informationen zu einer wertvollen Ware, deren Eigentümer die Möglichkeit haben, sie nach ihren Wünschen zu verbreiten und zu interpretieren. Dennoch wird der Informationsfluss immer weniger kontrollierbar. Wo das heute noch versucht wird, entsteht sofort die Gefahr, dass die Medien nicht mehr den Pluralismus der Meinungen und Interpretationen ermöglichen, sondern zum Mittel der zielgerichteten Meinungsbeeinflussung werden.

Die Weltgeschichte bringt der Menschheit ausreichend Beispiele, wenn durch die Handhabung, bewusste Verheimlichung und Dosierung von Informationen Meinungen und Handlungen nicht nur einzelner Individuen, sondern ganzer Völker manipulativ geändert wurden. Eines der markantesten Beispiele dafür ist die Informationspolitik der Nationalsozialisten im faschistischen Deutschland.

Zentrales Element dieser Politik war die Propaganda, die auf die Beeinflussung von breiten Bevölkerungsschichten gerichtet war. Zur Popularisierung nationalsozialistischer Werte, die die Machthaber als unumstritten erklärten, wurden die modernsten Medien der damaligen Zeit eingesetzt.

Dass Massenmedien die Meinungs- und Stimmungsbildung bei der Bevölkerung beeinflussen können, haben die Nationalsozialisten schon früh erkannt und haben diese Tatsache zugunsten der Entwicklung der eigenen Partei aktiv verwendet. Bereits nach der Gründung der NSDAP im Jahre 1920 haben sie sich einen Druckblatt – die Zeitung „der Völkische Beobachter“ – verschafft, das einige Jahre später zu einem der wichtigsten Propagandamittel im faschistischen Deutschland wurde.

Die eigenen Druckmedien, deren Anzahl immer stieg und vor der Machtübernahme der Nazis schon aus ca. 120 kleinen und kleinsten Tageszeitungen bestand, ermöglichten es am Anfang ihrer politischer Tätigkeit, beim breiten Publikum Popularität zu gewinnen, die nationalsozialistischen Ideen und Ideale zu verbreiten, neue Anhängerschaft zu akquirieren und ideologische Geschlossenheit der Partei zu gewährleisten.

Sofort nach der Machtergreifung 1933 haben die Nationalsozialisten im Medienbereich eine Politik begonnen, die sie selbst neutral als „Neuordnung des deutschen Pressewesens“ bezeichneten. In Wirklichkeit ging es aber um die Einführung des allgemeinen „Führerprinzips“ in sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens.

Welche Funktion die Presse in einem Staat ausführen soll, hat Hitler bereits im Jahre 1925 genau formuliert. Die Presse hatte für ihn eine „wahrhaft ungeheuere Bedeutung“ und sollte ausschließlich dem Staat und seinen Interessen dienen. In diesem Zusammenhang bezeichnete er die Presse als „die schärfste Waffe, die in den Dienst der völkischen Aufklärung restlos eingesetzt werden muss“ [zit. nach: Wendel 1981: 150] Die Wirkung der Presse auf die Gesellschaft war für ihn von großer Bedeutung, denn der weitaus stärkste und eindringlichste Presseeinfluss auf die Masse ist nicht vorübergehend, sondern kommt fortgesetzt zur Anwendung. Das Ziel der Presse sei, die öffentliche Meinung durch die Propaganda zu beeinflussen. Zu diesem Zweck nimmt sich der Staat das Recht, zu kontrollieren, ob die Presse diesen Interessen gerecht wird. Das geistige Niveau von Zeitungen und Zeitschriften sollte, wie die Propaganda der “Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten“, angepasst sein. Die Journalisten, durch ihre Zugehörigkeit zur Presse, sollten laut Hitler von der nationalsozialistischen Idee überzeugt sein müssen, um die Aufgaben innerhalb des totalitären Staates wahrnehmen zu können. Hitler setzte dies im Grunde voraus, und versuchte es durch “Säuberung” der deutschen Presse während seiner Macht durchzusetzen. Die Pressepolitik richtete sich von Beginn an nach diesem Kriterium.

Bei der Betrachtung der Problems der Medienverwaltung im nationalsozialistischen Staat kommen zwei Hauptbegriffe –  „die Lenkung“  und „die Gleichschaltung“ – zum Ausdruck. In Bezug auf die Presse werden Begriffe „die Presselenkung“ und „die Gleichschaltung der Presse“ verwendet. Dabei muss präzisiert werden, dass die Bedeutung beider Begriffe zwar sehr ähnlich, jedoch nicht gleich ist. Wenn „die Presselenkung“ den allgemeinen Prozess der Verwaltung von Printmedien im Dritten Reich, seien es politische, wirtschaftliche oder andere Maßnahmen, bezeichnet, so geht es beim Begriff „die Gleichschaltung“ eher um die Intentionen, die Absichten der Nationalisten, die gesamten Bereiche des öffentlichen Lebens, auch den Printmedienbereich, total zu kontrollieren, zu uniformieren und zentral zu steuern. Da es hier eher um die Ausführung der Printmedienverwaltung im nationalsozialistischen Staat handelt, scheint der Begriff „die Presselenkung“ inhaltlich besser zu passen.

Die Presselenkung im nationalsozialistischen Staat wurde auf drei Ebenen durchgeführt: auf der institutionellen, der wirtschaftlichen und auf der inhaltlichen Ebene [Toepser - Ziegert 1984: 23].

Die institutionelle Presselenkung beinhaltete alle Maßnahmen, die auf einer formal gesetzlichen Grundlage Institute und Institutionen zur Überwachung und Kontrolle der Presse schufen, sei es die Reglementierung des Berufszugangs durch das Schriftleitergesetz, seien es organisatorische und berufsständische Voraussetzungen für die Berufsausübung (Reichspressekammer) oder die Einrichtung eines Ministeriums „für Volksaufklärung und Propaganda“, dessen Presseabteilung (Abteilung IV) extra für sämtliche Belange des Pressewesens zuständig war [Toepser - Ziegert 1984: 24].

Die neuen Gesetze, die bereits im Frühjahr 1933 verabschiedet wurden, setzten solche Grundrechte wie das Recht auf die freie Meinungsäußerung, das Recht auf die Freiheit der Person, aber auch Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit sowie die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernsprechgeheimnisses außer Kraft. Wichtigstes Instrument der NS-Presselenkung war das Schriftleitergesetz vom 4.10.1933, mit dem die Presse-Journalisten selbst gleichgeschaltet wurden. Durch dieses Gesetz wurden die öffentlichen Aufgaben (Journalist nicht mehr dem Verleger, sondern dem Staat verantwortlich), persönliche und politische Voraussetzungen (deutsche Reichsangehörigkeit, nachweislich arische Abstammung, Eigenschaft der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit), Zulassungsbestimmungen zur Berufsausübung, die Regelungen des Verhältnisses zum Verleger, Bestimmungen über die Berufsgerichtsbarkeit festgelegt. Mit dem Schriftleitergesetz wurden Journalisten auf die politische NS-Linie des Staates verwiesen: Alles aus den Zeitungen fernhalten, was die Kraft des deutschen Reiches nach außen oder im Innern, den Gemeinschaftswillen des deutschen Volkes, die deutsche Wehrhaftigkeit, Kultur oder Wirtschaft schwächen könnte [Frind 1964].

Eine ganze Reihe von neuen Bestimmungen sollte dazu dienen, durch wirtschaftliche Maßnahmen die Pressebetriebe in den Griff zu bekommen. Mit den wirtschaftlichen Anordnungen, deren Durchführung die Reichspressekammer überwachte, wurde die Neugründung von Zeitungen, Zeitschriften und Korrespondenzbüros verhindert, um  - nach der offiziellen Begründung – die Existenz der bestehenden Unternehmen nicht zu gefährden. Offenbar ist, dass damit nicht nur die „Befriedung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ geplant war, sondern vielmehr eine Klärung der politischen und ideologischen Verhältnisse. Zum anderen konnten davon die parteieigenen Verlage gut profitieren. Der Kriegsausbruch 1939 diente den Nationalsozialisten als weiterer Anlass zur Unterdrückung und Schließung der Konkurrenzverlage. Das Papier wurde rationiert. Drei weitere „kriegsbedingte Maßnahmen“ (1941, 1943 und 1944) deklarierten Stilllegung  und Zusammenlegung von Zeitungsbetrieben und beschleunigten somit das Aussterben der privateigenen Zeitungen. [Toepser - Ziegert 1984: 26].

Genauso unauffällig für die Bevölkerung, wie die wirtschaftliche Lenkung der Presse ablief,  sollte von der Idee her die inhaltliche Presselenkung vor sich gehen. 

Im Kernpunkt des inhaltlichen Lenkungssystems der Nationalsozialisten lag die tägliche Pressekonferenz des Propagandaministeriums in Berlin. Nur eigens ausgewählte Journalisten durften daran teilnehmen. Die Anweisungen, die in den Konferenzen gegeben wurden, sollten streng geheim gehalten werden. An die Presse (und auch an den Rundfunk) ergingen jeden Mittag bis ins Detail gehende Weisungen und Verbote bezüglich der Berichterstattung, und zwar in drei verschiedenen Vertraulichkeitsstufen: einmal Mitteilungen zur wortwörtlichen Verwendung; zum zweiten vertrauliches Material zur indirekten Verwendung ohne Quellenangabe; und drittens Weisungen mit streng vertraulichem Charakter, bei denen die Verletzung der Geheimhaltungspflicht als Landesverrat schwer bestraft wurde. [Toepser - Ziegert 1984: 28]

Die inhaltliche Presselenkung war viel schwieriger zu überwachen als die institutionelle und die ökonomische, denn die inhaltliche  Kontrolle aller Zeitungen Tag für Tag nicht durchführbar war. Die Strategie, die Journalisten zu Vertrauensleuten des Staates zu machen, bewährte sich nicht, weil nicht alle Mitwisser schweigen wollten. Der Nachdruck, mit dem die Presseanweisungen eingesetzt wurden, verschärfte sich immer mehr: 1939 wurde die Militärzensur eingeführt, ein Jahr später kam es zur Einführung wörtlich fixierter „Tagesparolen“. Die Tagesparole war für die Zeitungen verbindlich. Unzählige Maßnahmen der inhaltlichen Indoktrination führten zu einem deutlichen Auflagenschwund bei der Tagespresse. Der „materielle Niedergang, verbunden mit einem qualitativen Rückgang, geistiger Uniformität und damit Sterilität von Inhalt und Form” führte zu einem deutlichen Verlust von „Glaubwürdigkeit und Zugkraft” [Abel 1968: 104] der Presse.

Die inhaltliche Presselenkung war ein außerordentlich wichtiger Element der nationalsozialistischen Propaganda. Ihr Hauptziel war, die Denkweisen und Handlungen breiter Menschenmassen manipulativ abzuändern. Die Grundregeln der nationalsozialistischen  Propaganda hat Hitler in „Mein Kampf“ genau formuliert. Die NS-Propaganda konzentrierte sich auf wenige, ständig wiederholte Schlagworte und prägnante Losungen, und sie richtete sich vornehmlich an die Menschenmassen. Laut Hitler müsse Propaganda vornehmlich auf das Gefühl gerichtet sein und nur sehr bedingt auf den so genannten Verstand; sie habe volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit der Beschränktesten der Zielwähler; mit wissenschaftlicher Belehrung habe Propaganda nichts zu tun, vielmehr müsse sie sich – aufgrund der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Massen – auf nur sehr wenige Punkte beschränken. Im Vordergrund standen also nicht Argumentationen, sondern der Appell an die Emotionen und Gefühle breiter Leserschafts- und Zuhöherkreise.

Die praktische Umsetzung nationalsozialistischer Vorstellungen über die Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten der Propaganda wurde in der Presse vor allem und in erster Linie auf dem sprachlichen Niveau durchgeführt. Dabei gingen die Nationalsozialisten von den Gegebenheiten der deutschen Sprache aus, vom allgemeinen Wortschatz, den sie mit neuen Inhalten befüllten und durch unzählige Wiederholungen in den Bewusstsein von Millionen Menschen einhämmerten. Victor Klemperer schrieb über die nationalsozialistische Sprache: „ …der Nazismus glitt in Fleisch und Blut durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr (der Masse) in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden. […] Die nazistische Sprache weist in vielem auf das Ausland zurück, übernimmt das meiste andere von vorhitlerischen Deutschen. Aber sie ändert Wortwerte und Worthäufigkeiten […] sie durchtränkt Worte und Wortgruppen und Satzformen mit ihrem Gift […] und macht die Sprache ihrem fürchterlichen System dienstbar“ [Klemperer 1990: 21]. Klemperer vergleicht Worte mit winzigen Arsendosen, die unbemerkt verschluckt werden, aber nach einiger Zeit kommt die Giftwirkung zum Ausdruck.

Die allgemein anerkannten Wortwerte zu ändern und die nationalsozialistischen Ersatzwerte zu verbreiten war eine der wichtigsten Aufgaben der nationalsozialistischen Propagandafunktionäre. Der Mechanismus der Wortwerteänderung lag in der Bildung von neuen Metaphern und Vergleichen, die nach folgendem Prinzip gebildet wurden: ein Wort aus dem allgemeinen Gebrauch wurde in neue, untypische Kontexte versetzt und in diesen Kontexten mehrfach wiederholt, bis die neue Konnotation in den Gedächtnissen festsitzen blieb. Sobald dies geschah, war die Wiederholung von ganzen Kontexten nicht mehr nötig, und das Wort übernahm die aufgezwungene Bedeutung. Als markanter Beispiel für solche manipulative Wortwerteänderung kann das Wort „Jude/jüdisch“ gelten. Permanente Verwendung des Wortes in Verbindung mit außerordentlich groben, beleidigenden Schimpfworten wie „jüdische Bestien“, „jämmerliche Lügen der jüdischen Verbrecher“, „jüdische Mädchenhändler“, „Rabbiner als Alkoholschmuggler“, „Aus einem Wiener Freudenhaus – zahlreiche Juden kompromittiert“ [VB 1926-1944] bildete Assoziationen mit personifiziertem Übel. Nach einiger Zeit war die Wiederholung in den diffamierenden Kontexten überflüssig, und das Wort wurde auch ohne Wortbegleitung im neunen Sinn verstanden und verwendet.

Ein aussagekräftiges Beispiel für die Änderung von Wortkonnotationen führt Viktor Klemperer in seinem Notizbuch [Klemperer 1990: 62-66]: das Wort „fanatisch“. Wenn im ursprünglichen Sinne dieses Wort die Charakteristik eines im ekstatischen Zustand befindlichen Menschen hatte, so übernahm es im Nationalsozialismus einen durchaus positiven Sinn und wurde als Synonym für „tapfer, hingebungsvoll, beharrlich“ verwendet: „der fanatische Glaube an den Endsieg, an den Führer, an das Volk“ oder „der Fanatismus des Volkes als eine deutsche Grundtugend“, die Kunst als eine „zum Fanatismus verpflichtete Mission“ [VB 1944]. In  der Zeitung vom November 1944 hieß es: „die Kriegslage ist  nur durch einen wilden Fanatismus“ zu retten. Der Fanatismus, die Besessenheit, dem Verbrechen und der Krankheit gleich nahe stehender Geisteszustand wurde im Dritten Reich zur höchsten Tugend gemacht.

Die weiteren wichtigsten Besonderheiten der nationalsozialistischen Pressesprache waren die folgenden: der starke Anteil umgangssprachlicher Wendungen und Jargonausdrücke, die Schimpfwortverwendung als Taktik der Diffamierung der Gegner, der Preudomonumentalstil [Frind 1964: 45] oder die „Glanz- und Gloriasprache“ [Wendel 1981: 112] mit Superlativhäufungen und stark emotionell gefärbten Ausdrücken zur Darstellung der eigenen Seite, die Anlehnung an den religiösen Sprachgebrauch, der hohe Einsatz der Wörter und Wendungen aus der Militärsprache. Der Nationalsozialismus hat sich nicht eine völlig neue Sprache geschaffen, sondern die bestehende in seine Dienste gestellt und mit ihr ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit geschaffen und den Lesern seiner Presse aufgezwungen.

Der vorschreibenden Sprachdeutung des Dritten Reiches entsprach die verbietende Sprachlenkung. Der Gebrauch einer Vielzahl von Begriffen war unerwünscht oder gar verboten. Die  „Sprachregelungen“ und später „Tagesparolen des Reichspressechefs genannten Anordnungen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda an die Chefredakteure der Massenmedien schrieben Begriffe vor und verboten sie. Hier einige Beispiele aus der Vorkriegszeit [Bergsdorf 1978: 80-88]:

Datum  Anweisung
20.2.1934 Es wird gebeten, überall das Wort „Volkstrauertag“ zu ersetzen durch das Wort „Heldengedenktag“.
22.8.1936 Auf Anordnung des Führers soll in Zukunft nicht mehr von den „Gefallenen“ der  Bewegung, sondern immer nur von den „Ermordeten“ der Bewegung gesprochen werden. Es soll damit dargetan werden, dass die nationalsozialistischen Kämpfer nicht durch einen ehrlichen Gegner gefallen sind, sondern meuchlings ermordet wurden.
28.7.1937 Es wird gebeten, das Wort „Propaganda“ nicht mehr missbräuchlich zu verwenden […] kurzum – „Propaganda“ nur dann, wenn für uns, – „Hetze“, wenn gegen uns.
11.9.1939 Das Wort „tapfer“ soll nur auf deutsche Soldaten Anwendung finden.
16.11.1939 Das Wort „Friede“ muss viel mehr als bisher aus der deutschen Presse zurückgedrängt werden.

Die Anweisungen beinhalteten also nicht nur Vorschriften zum Gebrauch einzelner Wörter, sondern auch fertige Gedankengänge und Emotionen, die von den Bevölkerungsmassen aufgenommen wurden. Durch unzählige Wiederholungen wurden diese vom Staat diktierte Ideen in verhüllter sprachlichen Form dem Volk ins Gehirn eingehämmert.

Die inhaltliche Presselenkung wurde aber nicht nur auf dem sprachlichen Niveau durchgeführt. Kontrolliert und gelenkt wurde auch die äußere Gestaltung von Zeitungen und Zeitschriften. Die Verwendung in der Presse zahlreicher Visualisierungsmittel wie Fotografie, Karikatur, grafische Symbole in Kombination mit offenbar propagandistischen Inhalten machte die Beeinflussung von Meinungen und Handlungen von breiten Leserschaftskreisen möglich und bewirkte die Herausbildung eines neuen Welt- und Wertvorstellungsbildes, das auf die Stereotypen der nationalsozialistischen Ideologie gestützt wurde. 

Eine wichtige Bedeutung bei der Visualisierung von Pressetexten im nationalsozialistischen Deutschland hatte ihre grafische Darstellung: die  Wahl der Schrift, ihre Größe und Farbe. Das Besondere bildeten auffällige, große Überschriften, die manchmal in Rot gedruckt wurden. Durch die Verwendung der roten Farbe als eines wichtigen Elemente der nationalsozialistischen Symbolik verfolgten die Nationalsozialisten gleichzeitig mehrere Ziele: zunächst lockten rot gedruckte Überschriften und Textabschnitte die Aufmerksamkeit der Stamm- und zufälliger Leserschaft an. Zum anderen wurde die rote Farbe unwillkürlich mit der Wichtigkeit der Mitteilung assoziiert, und dies zwang zur unverzüglichen Ablesung des Textes. Wenn auch der Inhalt des Artikels mit den Erwartungen der Leserschaft nicht übereinstimmte, blieb der Inhalt wegen seiner Auffälligkeit und Originalität der Darstellung im Gedächtnis hängen. Allgemein wurde Rot im Pressewesen eher sporadisch benutzt, sodass dessen Verwendung den Überraschungseffekt auf die Leser machte.

Eines der wirkungsvollsten Mittel der nationalsozialistischen Massenbeeinflussung war die Schrift selbst. Sie galt als ein durchaus wichtiger Bestandteil der nationalsozialistischen Symbolik und teilte den ideologisch geladenen Pressetexten die gestalterische und inhaltliche Abgeschlossenheit mit.

Frakturschriften
.
.

Auf den Zeitpunkt der Erlangung der Nationalsozialisten an die Macht wurden im deutschen Druckwesen hauptsächlich zwei Schriftarten benutzt. Zum einen war es die Antiqua (lat. Antiquus – alt), eine „Rundschrift“ mit gerundeten Bögen der Buchstaben, die Ende des XV. Jahrhunderts in Italien nach den Vorbildern der römischen Antike erfunden wurde. Zum anderen – die Fraktur (lat. Fraktura – Bruch), eine  gebrochene Schrift deutschen Ursprungs, bei der die Bögen der Buchstaben aus einer Schreibbewegung entstehen, in der ein oder mehrere erkennbare, abrupte Richtungswechsel in der Strichführung einen sichtbaren Knick in dem Bogen hinterlassen. Die Fraktur entwickelte sich im frühen XVI Jahrhundert aus einer anderen in Deutschland erfundener gebrochenen Schriftart, der  Schwabacher Schrift. [Luidl 2003]

Sofort nach der Machtergreifung 1933 erklärten die Nationalsozialisten die Fraktur als „arteigen“ und setzten sie überall im Presse- und Berichtserstattungswesen ein. Auch im Schriftverkehr der Behörden behielten Fraktur und deutsche Schreibschrift (Sütterlin) ihre traditionelle Stellung und fanden ihre weitere Propagierung. Fraktur wurde zum wichtigen Elementen der NS-Diktatur gemacht. Die altgewohnte als „Volkseigentum“ verkündete Schrift sollte der Entwicklung der nationalen Identität und der besseren Aneignung der NS-Ideologie beitragen. Im Rahmen einer solchen Konzeption schien die Umstellung auf eine andere Schriftart unmöglichzu sein.

Dennoch 1941 geschah das Unerwartete: alle Druckmedien Deutschlands wurden auf einmal auf Antiqua umgestellt. Die Idee dieser Umstellung stammte von Hitler selbst. Zur Verwirklichung des Vorhabens kam es bei einem Treffen Hitlers am 3.Januar 1941 mit dem Reichsleiter für die deutsche Presse Max Amann und dem Münchner Druckereibesitzer Adolf Müller, der den „Völkischen Beobachter“ druckte. Am gleichen Tag erging ein Rundschreiben an Parteidienststellen folgenden Inhalts: „… die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern […] Am heutigen Tag hat der Führer entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. […] Die Verwendung Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben.“ [zit. nach Beck 2006: 252].

Dass die im Rundschreiben erwähnte Erklärung unsinnig war, ist offenbar. Hitler und seine Propagandisten haben sich den Begriff „Schwabacher Judenlettern“ einfach ausgedacht. Aus jüdischen Druckereien konnten keine gebrochenen Schriften in Deutschland kommen, denn nur Christen mit Bürgerrecht durften im XVI. Jahrhundert eine Druckerei besitzen, als die Schwabacher Schrift erfunden und verbreitet wurde.

Der wirkliche Grund einer so unerwarteter und von der Mehrheit unverstandener Kehrtwendung war ein anderer. 1941 stand Deutschland vor dem langen Marsch nach Osten. Die gebrochenen Schriften waren ungeeignet für internationale Propaganda. Im Osten konnte man die Befehle und Dokumente in gebrochenen Schriften nicht lesen. Die Einführung der Antiqua-Schriften erleichterte wesentlich die Kommunikation auf den besetzten Gebieten, wo die Fraktur als fremd und feindlich empfunden wurde. Somit hat man auf die nationale Identität des deutschen Volkes verzichtet, denn die Eroberung der neuen Gebiete stand jetzt im Vordergrund [Schröder 2005].

Am Beispiel des Frakturverbots kann die Widersprüchlichkeit und Paradoxie der nationalsozialistischen Pressepolitik gezeigt werden. Es muss festgestellt werden, dass es keine einheitliche Strategie der Presselenkung gab. Alle Mittel waren gerecht, ob Sinnestäuschung, Tabuisierung von Problemen oder unverhüllte Lüge, um die verbrecherischen Ziele der nationalsozialistischen Propaganda zu erreichen.

Die Folgen der totalen Überwachung und Kontrolle des Printmediensystems waren erschütternd. Wenn im Jahr 1932 die Zahl der Tageszeitungen in Deutschland bei 4 700 lag, so sank sie auf rund 2 500 im Jahr 1937 bis auf nur auf 977 im Oktober 1944. In den letzten Kriegswochen kam es zu weiteren Zeitungsschließungen und -zusammenlegungen sowie Zerstörungen von Verlagen und Druckereien, bis dass die alliierten Truppen die nationalsozialistische deutsche Presse im April/Mai 1945 endgültig schlossen [Wendel 1981]. Das gedruckte Wort, das vorhin Gehör und Ansehen bei breiten Leserschaftskreisen fand, verlor an Glaubwürdigkeit und Autorität.

Doch die Folgen der allumfassenden Propaganda durch die Medien waren viel schwieriger und schmerzlicher. Denn sie betrafen die Psyche, das Leben von Millionen Menschen, aus denen Nationalsozialismus eine denklose Masse zur Ausführung der Willensäußerung einer geringen Propagandistengruppe zu bilden erzielte.

Das Pressewesenssystem des Dritten Reiches stellt ein breites Untersuchungsfeld für die Sprach- und Geschichtsforscher dar und muss gründlich erforscht werden, weil auch heutzutage in vielen Ländern und Bevölkerungsgruppen nationalistische Ideen vertreten werden, was eine Gefahr für die Erziehung zum humanistischen Bewusstsein in der modernen Gesellschaft bedeutet. Auch die Frage, inwieweit sich der Staat in das Massenmediensystem eindringen darf und ob es eine staatlich geführte Medienkontrolle geben sollte, ist auch in der heutigen Welt, die immer mehr informationenabhängig wird, sehr aktuell. Die Erforschung von geschichtlichen Gegebenheiten wie Bewusstseinsmanipulierung durch die Presselenkung im Dritten Reich ist sehr nutzvoll, um die Mechanismen der Meinungsmanipulierung zu kennen, sie rechtzeitig zu erkennen und ihnen widerstehen zu können.

 

Literaturverzeichnis

1. Quellen

2. Literatur


8.17. Massenmedien und sozial-geistige Ökologie unserer Gesellschaft

Sektionsgruppen | Section Groups| Groupes de sections


TRANS   Inhalt | Table of Contents | Contenu  17 Nr.
INST

For quotation purposes:
Olga Kharkova: Presselenkung im NS-Staat - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/8-17/8-17_kharkova17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-23