Florian Hruby | Alexander Wolodtschenko – Sektionsbericht

Nr. 18    Juni 2011 TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften


Section | Sektion: Cartographic Science as a Reflection of Knowledge Societies and Cultures | Kartographie als Reflexion von Wissensgesellschaften und Kulturen

Sektionsbericht

Florian Hruby (Wien, Österreich) [BIO] | Alexander Wolodtschenko (Dresden, Deutschland) [BIO]

Email: florian.hruby@univie.ac.at | Alexander.Wolodtschenko@mailbox.tu-dresden.de


 Konferenzdokumentation |  Conference publication


 

Mit vorliegendem Bericht versucht bereits zum dritten Mal eine kartographisch-kartosemiotische Sektion, sich im Rahmen der INST-Konferenzen (IRICS-2005, KCTOS-2007, CCKS-2010) kritisch zu reflektieren und interdisziplinär zu positionieren. Nach zwei Veranstaltungen in Wien (2005 und 2007) haben wir uns nun erstmalig für die Durchführung einer virtuellen Sektion entschieden. Es war für uns eine erste Erfahrung, eine solche Form der Sektion zu etablieren. Die sowohl virtuelle als auch reale Organisation der Konferenz spiegelt gut die pragmatischen Aspekte (z.B. Besonderheiten und Möglichkeiten) der einzelnen Sektionen wider, so dass auch eine weiterführende thematische Vereinigung einzelner Sektionen zu Sektionsgruppen sinnvoll hätte sein können; diese Möglichkeit blieb jedoch im Konzept bzw. in der Realisierung der Veranstaltung unberücksichtigt.

Den Leitthemen dieser INST-Konferenz „CCKS: Städte, Kulturen, Wissensgesellschaften“ näherte sich die Sektion aus kartographischer Sicht und aus zwei möglichen Perspektiven an, deren eine Kartographie als akademisch artikulierte und institutionalisierte Wissenskultur betrachtet, während deren andere die Kartographie bzw. kartographische Produkte als Ausdruck einer Wissensgesellschaft diskutiert. Dabei gilt es auch, die gegenseitigen Verknüpfungen dieser Perspektiven zu berücksichtigen – Verknüpfungen, die nicht zuletzt gegenwärtig deutlich werden in einer Situation, in welcher Wissenschaft im allgemeinen und Kartographie im besonderen in Frage gestellt und modifiziert werden.

 

Kartographie als Wissensgesellschaft

Eine erste Gruppe von Arbeiten beschäftigte sich mit Fragen zur Kartographie als Wissensgesellschaft und universitär organisierter Wissenskultur. Wie Ferjan Ormeling (Utrecht, Niederlande) in seinem Beitrag Directions in Cartographic Theory until Beginning 1980s zeigte, lässt sich trotz der, im Vergleich zu anderen Wissenschaften, kurzen Geschichte des Faches eine Reihe von Paradigmenwechsel ausmachen, wobei auch deutlich wird, wie Kartographie von unterschiedlichen sprachgebundenen wissenschaftlichen Schulen im deutsch- und französischsprachigen, angloamerikanischen und (sovjet-)russischen Raum geprägt und weiterentwickelt wurde. Diese enzyklopädische Zusammenfassung wurde durch Beiträge von Viktor Schewtschenko (Kyiw, Ukraine) über Kyiw – Kartographiezentrum der Ukraine und Nataliya Polyakova (Kyiw, Ukraine) zur Kartosemiotik in der Ukraine mit einem Fokus auf die Ukraine schlaglichtartig ergänzt.

Während sich die Ausführungen von Ferjan Ormeling auf die Zeit einer von analogen Techniken geprägten Kartographie konzentrieren, arbeiteten zwei weitere Beiträge ein kennzeichnendes Merkmal gegenwärtiger Wissenschaft heraus, welches auch die Kartographie betrifft, nämlich die zunehmende interdisziplinäre Öffnung traditioneller Fachgrenzen und die Entstehung multidisziplinärer Schnittstellen. Eine solche Öffnung kann sowohl auf technologischer und methodischer, als auch auf theoretischer Ebene erfolgen, wobei besonders der Beitrag von Alexander Wolodtschenko (Dresden, Deutschland) Minidisplay-Bildatlanten auf dem Handy  beispielgebend war: traditionelle Kommunikationskonzepte wie Atlanten wurden hier auf moderne mobile Visualisierungstechnologien wie Smartphones portiert, wobei über einen interdisziplinären, kartosemiotischen theoretischen Unterbau versucht wurde, einen hohen Nutzen und Erkennntisgewinn dieser Anwendung zu ermöglichen. Dass die angesprochene Öffnung nicht nur von innen, d.h. seitens der Kartographie, geschieht, sondern dass Schnittstellen ebenso von Nicht-Kartographen genutzt werden, zeigten die Ausführungen von Evgeny Shokhenmayer (Paris, Frankreich) über Cartography in onomastic research, welcher aus der Sicht eines Linguisten Kartographie und Onomastik verknüpfte. Auch im Beitrag Cartography in Linguistic Research  von Giedre Beconyte and Dovid Katz (Vilnius University, Lithuania) werden angewandte Untersuchungen zu kleinmaßstäbigen linguistischen Karten des Atlas of Northeastern Yiddish dokumentiert. Abgerundet wurde dieser Themenblock zur aktuellen kartographischen Wissensproduktion durch Andrius Balciunas’ (Vilnius, Litauen) Application of the Interactive Map for most interesting Places in Lithuania, welche zeigte, dass sich die Grenzen zwischen Kartographen und Nicht-Kartographen nicht nur auf Ebene wissenschaftlicher Disziplinen verschieben, sondern auch im Verhältnis zwischen Informationsanbietern und Informationsnutzern, welche zunehmend interaktiv in den kartographischen Kommunikationsprozess eingebunden werden.

 

Kartographie als Ausdruck von Wissensgesellschaften und -kulturen

Neben den eben genannten Beiträgen zur Kartographie als Wissenskultur beschäftigte sich eine zweite Gruppe von Arbeiten mit der einleitend erwähnten Frage, wie kartographische Darstellungen im weiteren Sinne, d.h. alle Artefakte zur Kommunikation von Rauminformation durch die jeweils dahinter stehende Gesellschaftsordnung geprägt werden.
Der eben genannten Problematik widmete sich der Sektionsbeitrag von Florian Hruby (Wien, Österreich) Vom Bild der Stadt zur Stadt in Bildern – Kartographie als Wissenskultur am Beispiel der Visualisierung von Städten, der die Entwicklung von Stadtdarstellung als Indikatoren von Wissenssgesellschaften an ausgewählten Beispielen diachron verfolgte und dabei auch zeigte, wie gegenwärtige kartographische Repräsentation von Städten zunehmend auch im virtuellen Raum erfolgt und
dort neue Probleme der Informationskultur aufwirft, die nicht mehr nur eine Datenverschleierung, sondern aufgrund der zunehmenden Informationsauflösung auch eine „Datenentblößung“ betreffen können.
Wie schon dem Einführungsbeitrag von Ormeling aus Abschnitt zwei wurde auch dieser weitgefassten Arbeit ein stärker fokussierender Beitrag zur Seite gestellt, in dem sich Irina Rotanova (Barnaul, Russland) an einem konkreten Fallbeispiel mit Maps on the history, social-economic conditions and urban environmental quality of Barnaul City beschäftigte. Anhand kartographischer Darstellungen wurde die Entwicklung städtischer Landschaften auch hinsichtlich ökologischer, demografischer, gesundheitlicher, etc. Probleme beleuchtet, welche sich besonders in  Städten artikulieren.

In einer abschließenden Arbeit In search of Lost Meaning: Semiotic Analysis of Bedolina Map in Italian Valle Camonica zeigte schließlich Federica Burini (Bergamo, Italien) am Beispiel eisenzeitlicher Felsgravuren, dass sich die Repräsentation von Raum zwar weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt, jedoch die Bedeutung solcher Darstellungen und ein Verständnis der dahinter stehenden Wissenskultur nicht immer zugänglich sind.

 

Zusammenfassung

In einer kartographisch-kartosemiotischen Sektion mit zehn Beiträgen (vier in deutscher, sechs in englischer Sprache) haben wir bewusst nur kartographisch konfigurierte Dominanten wie Wissensgesellschaft, -kultur und -dokumente ausgeprägt. Der Weg der Kartographie zur Wissensgesellschaft war im 20.Jahrhundert mit ihrer Identität und Unabhängigkeit von anderen Disziplinen untrennbar verbunden. Dementgegen verlieren die Kartographie und ihr bedeutendstes Wissensdokument, die Karte, im 21. Jahrhundert ihr Monopol räumlicher Informationenvermittlung (vgl. „Google Maps/Earth“ mit zweidimensionalen Karten und Satellitenbildern, sowie dreidimensionalen (Stadt-) Landschaften). Die Reflexion der Kartographie wird im 21. Jahrhundert also technologisch gesehen, mit geographischen Informationssystemen bzw. der digitalen Welt untrennbar verknüpft. Aber aus theoretischer Sicht wird die Kartographie von unterschiedlichen sprachgebundenen wissenschaftlichen Schulen weiter geprägt und entwickelt.

Die moderne Kommunikationsgesellschaft braucht Wege zu kontrolliertem und sicherem raumbezogenem Wissen. Die Semiotik und ihren angewandten Disziplinen (z.B. Linguistik, Atlaskartosemiotik usw.) können neue Lösungen für kompetentes Raumwissen bieten. Hierbei bringt der konzeptionell-semiotische Einfluss für die Kartographie neue Wissens- bzw. Metawissensprodukte hervor.

Die Sektion hat einen stadtbezogenen Themen- und Teilnehmerkreis dokumentiert, wenn auch exemplarisch und mit forschungsbezogenen Akzenten. Ein abschließendes virtuelles Forum der Sektion (nach Publikation bzw. Fertigstellung aller Beiträge) wird für Ende März 2011 geplant.

 


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For quotation purposes:
Florian Hruby | Alexander Wolodtschenko: Sektionsbericht: Kartographie als Reflexion von Wissensgesellschaften und Kulturen. –
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011.
WWW: http://www.inst.at/trans/18Nr/III-3/sektionsbericht_3-3.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2011-06-17