Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2. Nr. November 1997

Geschichtliche Aspekte einer Gattungstypologie
(anhand deutscher, ungarischer und russischer Oden der Aufklärungszeit)

Márta Harmat (Szeged)

Resümee

In meinem Vortrag versuche ich, anhand deutscher, ungarischer und russischer Oden der Aufklärung gattungstypologische Forschungen nicht nur unter einem zeitlich, sondern auch räumlich orientiertem geschichtlichem Aspekt durchzuführen, dadurch "nationalspezifische Subsysteme" der Gattung zu unterscheiden, ihre wesentlichen Merkmale zu erschließen und zur Erforschung einer historischen Periode als Gesamtheit sowohl gattungstheoretisch als auch geisteswissenschaftlich beizutragen. Obzwar die deutschen, ungarischen und russischen Oden auch in ihrer Form voneinander sehr markant abweichen, befasse ich mich vor allem nicht mit diesen von Zeit und Raum weniger beeinflußten Gattungselementen (wie z. B. Strophenstruktur, Rhythmik, Reimschemata), sondern mit dem "inhaltlichen" Wesen der Ode: mit ihrer erhabenen Ekstase, ihrer "heiligen Trunkenheit", ihrer "Begeisterung" und mit dem Subjekt und Objekt der Begeisterung bzw. mit ihrem gegenseitigen Verhältnis zueinander. Diese Komponenten sind nämlich historisch - nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich - sehr stark geprägt. Da die Benennung der ganzen geistesgeschichtlichen Epoche auf einer Lichtmetapher beruht (Aufklärung, Prosvešèenie, felvilágosodás), schiene es angebracht, die Interpretation der Oden auf ihre Lichtsymbolik aufzubauen. Im Rahmen dieses Vortrags soll aber anstatt ausführlicher Werkanalysen vielmehr eine synthetisierende Zusammenfassung erarbeitet werden: eine mögliche Odenlektüre, die auch selbst zeitlich und räumlich bedingt ist.

 

Mit meinem Vortrag möchte ich mich keiner der poststrukturalistischen Theorien anschließen; auch mit der Betonung des Geschichtlichkeitselements möchte ich nicht zu den gegenwärtigen New Historicism-Diskussionen deutscher Literaturwissenschaftler beitragen(1). Ich habe lediglich vor, die Aufmerksamkeit auf ganz konkrete Forschungsaspekte des Zusammenhangs zwischen Geschichtlichkeit und Gattungstypologie zu richten.

Der Anspruch auf Verknüpfung dieser beiden Elemente kam in der Praxis der Komparatistik seit der Goethe-Zeit immer wieder zum Ausdruck. Was aber die theoretische Formulierung der Problematik anbetrifft, hielt es Gerhard R. Kaiser in den 70-er Jahren merkwürdigerweise noch immer für wichtig zu betonen: "Es geht darum, das System literarischer Kommunikation und die spezifischen Subsysteme der Gattungen als geschichtlich gewordene, das heißt als veränderliche und veränderbare zu begreifen"(2). Noch merkwürdiger scheint es, daß die Aufforderung zur Historizität fast immer - bis heute - nur als zeitliche Bedingtheit der Gattungserscheinungen geschildert wird. Die räumlichen Komponenten der Veränderungen und Modifizierungen hingegen werden in den meisten theoretischen Erörterungen vernachlässigt. In der Praxis der Gattungsforschungen trifft man dagegen oft das andere Extrem des Umgangs mit der Raumbedingtheit literarischer Erscheinungen: die Überbetonung der nationalen Identitätsfrage, die In-Sich-Geschlossenheit der nationalphilologischen Forschungen. Mehrere Beiträge des Symposions "Germanistik und Komparatistik" der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1993 beschäftigen sich mit dieser noch immer aktuellen Gefahr des Außerachtlassens der Mehrdimensionalität literarischer Prozesse(3). Mit meinen Gattungsuntersuchungen möchte ich also eben die räumlichen Aspekte der Geschichtlichkeitsproblematik betonen.

Meine ziemlich evidente Ausgangsthese über Historizität versuche ich durch eine nicht zu gewöhnliche Metapher aus dem Bereich der Geometrie zu veranschaulichen. Geschichte ist nicht als linearer Fortschrittsprozeß zu betrachten, der in der Zeit von einem Anfang bis zu einem Endpunkt dauert oder in beiden Richtungen unendlich ist (vom Weltbild des Geschichtsdeuters abhängig), sondern sie kann als eine Menge von Geschehnispunkten vorgestellt werden, von unendlich vielen Geschehnispunkten, die durch zeitliche und räumliche Koordinaten bestimmt sind und miteinander mehrdimensional, vielfältig verknüpft werden können.

Selbst das "Schreiben" und das "Lesen", das heißt der literarische Text und sein Deutungsversuch sollen für solche Geschehnispunkte gehalten werden und dementsprechend die Interpretation literarischer Werke für eine Begegnung der Punkte, für einen Schnitt unter den zahlreichen Korrelationsmöglichkeiten. Die Interpretation kann also weder die "absolute Wahrheit" begreifen (innerhalb einer Menge von Punkten sind nämlich mehrere Schnitte möglich) noch "die Geschichte rekonstruieren" (da der Interpret kein allwissender Außenseiter ist, sondern ein Element desselben Systems, aber seine räumliche und zeitliche Bestimmtheit fällt mit der des Schriftwerks nicht zusammen, so wird auch das "genaue Verstehen", die "Identifikation", die "Rekonstruktion" völlig ausgeschlossen). Die Interpretation kann aber - eben infolge ihres Korrelationswesens - auf den geschichtlichen Aspekt nicht verzichten, sie hat die beiden Komponenten der Geschichte: Zeit und Raum in Betracht zu nehmen. Konkreter formuliert: Wenn auch der Leser ganz festgebundenen literaturgeschichtlichen "Punkten" begegnet, die durch herkömmliche Formen, poetische Konventionen (z. B. Gattungsregeln) eindeutig bestimmt sind (wie z. B. die Oden), findet er sich bei der Begegnung mit konkreten Odentexten aus derselben Zeit (z. B. aus dem 18. Jahrhundert), aber aus verschiedenen Nationalliteraturen (z.B. aus deutscher, russischer und ungarischer Literatur) in ähnlichen, miteinander vergleichbaren, trotzdem wesentlich unterschiedlichen "Schnitten", in verschiedenen Gedankensystemen.

In meinem Vortrag versuche ich, anhand deutscher, ungarischer und russischer Oden der Aufklärung gattungstypologische Forschungen nicht nur unter einem zeitlich, sondern auch räumlich orientiertem geschichtlichem Aspekt durchzuführen, dadurch "nationalspezifische Subsysteme" der Gattung zu unterscheiden, ihre wesentlichen Merkmale zu erschließen und zur Erforschung einer historischen Periode als Gesamtheit sowohl gattungstheoretisch als auch geisteswissenschaftlich beizutragen.

Die Ode der Aufklärung scheint mir sehr geeignet zu sein - trotz aller ihrer Bindung an geerbte, feste poetologische Regeln - als Beispiel für starke Zeit- und Raumbedingtheit literarischer Werke zu dienen. Die Ode mit ihrem begeisterten Flug von unten nach oben, aus der Gegenwart nach der Zukunft, mit ihrer inneren Bewegungsstruktur aus der konkreten Wirklichkeit in die abstrakte Idealwelt ist einerseits als adäquate lyrische Äußerung des Zeitgeistes der Aufklärung zu betrachten. Die ganze Denkweise des 18. Jahrhunderts zeichnet sich nämlich - gegenüber den deduktiv-metaphysischen Gedankensystemen des vorigen Jahrhunderts - durch eine grundsätzlich induktive Dynamik aus: sie baut ihre Theorien aufgrund der Praxis auf und glaubt an die Realisierbarkeit der Ideale, an die unendlichen Möglichkeiten des durch das Ideal bewegten menschlichen Denkens und Fühlens. (Diesen Erwartungen der Aufklärungszeit entspricht auch das Gattungswesen der Ode). Andererseits aber - was die Raumkomponente betrifft - weist die Aufklärung zahlreiche regionale Varianten auf. (Über diese Frage diskutiert man heute nicht mehr.) Die Hauptströmungen der Aufklärung, denen die ganze europäische geistige Bewegung entsprungen ist: die englische und die französische Aufklärung, haben - trotz ihrer unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen - gemeinsame Quellen und gemeinsame Bewegungsrichtungen: in beiden Varianten wird das optimistische Zukunftsbild des souveränen bürgerlichen Individuums mit praxisorientierten ökonomischen bzw. politischen Inhalten verknüpft und die Verwirklichung des Programms - wieder dank der praktischen Erfahrungen - ohne Widersprüche und Kompromisse gedacht(4).

Der deutsche, russische und ungarische Typ der Aufklärung erscheint dagegen nicht so "klar" und eindeutig. Die Aufklärung wird in diesen Ländern nicht von einem nach ökonomischer oder politischer Macht strebenden, starken und reichen Bürgertum vertreten, sondern von solchen Schichten (Klerikern, Hofleuten, provinziellen Kleinadeligen), die - von den praktischen Lebenssphären weit entfernt (überall aus verschiedenen Ursachen) - ihre Programme auf die geistigen Traditionen der Religions- und Geschichtsphilosophie oder/und auf verschiedene nationale Traumbilder gründen(5).

So bieten die deutschen, russischen und ungarischen Oden des 18. Jahrhunderts dem Leser-Interpreten neben den gattungstypischen und gesamtaufklärerischen Ähnlichkeiten zahlreiche regionalspezifische Textelemente an. In meinen Untersuchungen konzentriere ich mich eben auf diese Unterschiede, um zu beweisen, daß die deutschen, russischen und ungarischen Oden - trotz der unbestreitbaren Wirkung der deutschen Kultur sowohl auf die von Zar Peter dem Großen "geöffnete" russische als auch auf die nach bürgerlicher Emanzipation strebende ungarische Literatur - als autonome und spezifische geistige Gestaltungen zu betrachten sind.

Obwohl die Oden der verschiedenen Nationalliteraturen manchmal auch in ihrer Form voneinander sehr markant abweichen, befasse ich mich jetzt nicht mit diesen von Zeit und Raum weniger beeinflußten Gattungselementen (wie z. B. Strophenstruktur, Rhythmik, Reimschemata), sondern mit dem "inhaltlichen" Wesen der Ode: mit ihrer erhabenen Ekstase (der Pindarschen "heiligen Trunkenheit"), mit ihrer "Begeisterung"(6) und vor allem mit dem Subjekt und Objekt der Begeisterung bzw. mit ihrem gegenseitigen Verhältnis zueinander. Diese Komponenten sind nämlich historisch - nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich - besonders stark geprägt. Da die Benennung der ganzen geistesgeschichtlichen Epoche auf einer Lichtmetapher beruht (Aufklärung, Prosvešèenie, felvilágosodás), scheint es angebracht, die Interpretation der Oden auf ihre Lichtsymbolik aufzubauen. Im Rahmen dieses Beitrags möchte ich aber anstatt ausführlicher Werkanalysen vielmehr eine synthetisierende Zusammenfassung meiner Odenlektüre anbieten.

In den deutschen Oden des 18. Jahrhunderts (von Günther über Klopstock bis Hölderlin) ist das Subjekt immer mit dem individuellen Ich identisch, so bedeutet hier auch die Begeisterung das schon vorhandene oder das ersehnte Attribut des Individuums. Diese Erscheinung ist eben mit der räumlichen Komponente der Geschichtlichkeit zu erklären: mit den Autonomie- und Integritätserlebnissen des in seiner politischen (staatlichen) Einheit und ökonomischen Größe begrenzten, aber seinen Geist frei entfaltenden deutschen Individuums - bereits vom Mittelalter an. (Denken wir an die religiösen Freiheitskämpfe gegen das Papsttum, die ihren Höhepunkt in der Reformation erreichten; oder an solche geistigen Bewegungen, wie z. B. Pietismus und Freimaurerei; vor allem aber an die großen philosophischen Systeme der Deutschen!)

Nicht nur das Subjekt, sondern auch das Objekt der Begeisterung gehört in den deutschen Oden zu der individuellen Erlebnissphäre (Gottesglaube, Naturschwärmerei, Sehnsucht nach Liebe, Freundschaft, dichterischer Unsterblichkeit u. a.). Das Ebenbild des Göttlichen: das Ich - als Fokus und Quelle - strahlt das "göttliche Licht" der Freiheit, Liebe oder Freundschaft aus und beleuchtet mit seinen Strahlen die anderen Lebewesen des Weltalls, um die "Dunkelheit" des Nicht-Wissens und Nicht-Fühlens zu verjagen, zu vernichten.

Das aufklärerische Idealbild der deutschen Oden beruht also auf "Ich"-Erlebnissen und die Begeisterung des Individuums führt zu der allgemeinmenschlichen Glückseligkeit. Vom Licht des Subjekts wird das Objekt bestrahlt; aber nicht nur bestrahlt, sondern es wird im Gipfelpunkt der deutschen Ode (bei Hölderlin) - durch den "kühnen" Versuch des Ich, des "schönsten Kinds von Vater Helios und Mutter Erde" - von seiner Glut und seinem Feuer in sich selbst schon fast verschmolzen. ("Jede deutsche Ode ist ein Individuum" - hat Herr Prof. Kemper an der Tübinger Universität in einem persönlichen Gespräch betont.)

In den russischen Oden dagegen (von Trediakovskij über Lomonosov bis Derzavin) "leuchtet" eine unpersönliche, gemeinsame Freude, ein "Wir"-Erlebnis der Russen, hier singt der "Chor der Russen", des "russischen Geschlechts", verstärkt durch die Töne des alten prawoslawischen Gemeinschaftsgeistes, der "allumfassenden Liebe" ("sobornost'") und durch das zukunftsorientierte Nationalpathos des neuen, erfolgreichen Rußlands von Zar Peter dem Großen. In dieser großen zeitlichen Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. in der räumlichen Harmonie von Gott, Rußland, Russen - der Zar und der Dichter mit einbegriffen - erscheint kein individuelles Ich als Subjekt der Begeisterung ("ich" und "wir" treten hier als Synonyme auf oder das Ich bedeutet einen kleinen, organischen Teil des Ganzen), und als Objekt der Begeisterung erscheint nicht der Adressat oder die Adressatin der Ode, das heißt nicht der angeredete Herrscher (seine/ihre Person, seine/ihre Taten), sondern die Idee des guten, aufgeklärten Monarchen, das in Peter dem Großen verkörperte, idealisierte Zarenbild. In den russischen Oden ist also die Lichtquelle nicht das Subjekt (das lyrische Ich), sondern das Objekt der Begeisterung : der Zar (bzw. er soll) - als Spiegelbild Gottes - das göttliche Licht auf sein Land und seine Untertanen weiterstrahlen und durch sein Licht ein leuchtendes Rußland schaffen(7).

Die ungarische Ode der Aufklärungszeit weist große Unterschiede sowohl in ihrem Subjekt als auch in ihrem Objekt auf - im Vergleich zu den deutschen und russischen Oden. Das lyrische Ich der ungarischen Oden gleicht weder dem in seiner geistigen Sphäre frei fliegenden deutschen Individuum noch dem durch das heilige Gemeinschaftserlebnis begeisterten russischen Hofsänger, es kennt - infolge der geschichtlichen Erfahrungen Ungarns - kein zeitliches und räumliches Harmoniegefühl. Das Subjekt der ungarischen Oden kann also keine Lichtquelle sein (wie das Ich in den deutschen Oden) oder kein ernährendes und ernährtes Element des gemeinsamen Lichtes (wie der russische Odensänger): der ungarische Odenschreiber leidet an Unsicherheit, fürchtet sich vor der Dichterrolle, vor der Verachtung der Gesellschaft und der Familie(8), womit auch die häufigen "wir"- und "man"-Formen in seiner Sprache zu erklären sind. Wenn auch der Dichter seiner Berufung gewiß ist, bleibt die Ungewißheit, ob man seinen Gesang verstehen kann: unter dem fremden Joch verkrüppelt die Nation, geht ihre Sprache, ihre Kultur zugrunde. Während die "wir"-Form der russischen Oden die göttliche Harmonie zwischen Rußland, seinem Volk, Herrscher und Sänger widerspiegelt, wird aus der ungarischen "wir"-Form der fremde Imperator natürlicherweise ausgeschlossen. Selbst die Formel "wir Ungarn" ist voller Spannung: zwischen Dichter und Volk gibt es keinen Einklang; der Dichter-Prophet verwarnt und geißelt die Nation. Sogar Gott und Natur können sich über ihre Kreatur nicht freuen, sie wenden ihr leuchtendes Antlitz von Ungarn ab. Das Licht - auch wenn es in den ungarischen Oden erscheint - verschwindet wieder sehr schnell oder wird elegisch bzw. ironisch-rebellisch entfärbt. Das odische Subjekt, das keine Lichtquelle sein kann (höchstens eine selbstverzehrende Fackel), findet nur sehr selten ein solches Objekt, das seine Begeisterung hervorrufen, beleben und beleuchten könnte. Auch in den ungarischen Oden tauchen die aufklärerischen Lichtsymbole des sich verbreitenden Wissens, der allgemeinmenschlichen positiven Werte des Daseins auf und als solche begleiten sie manchmal auch die Taten der aufgeklärten Habsburger. Viel spezifischer erscheinen sie aber als beispielstrahlende Lichter der heroischen Nationalgeschichte, als leuchtende Heldentaten der alten Ungarkönige, als Antipoden der dunklen Gegenwart Ungarns.

Die ungarische Ode des 18. Jahrhunderts läßt sich also aufgrund ihrer Stimmungskomponenten (Begeisterung, "heilige Trunkenheit") sehr schwer als Ode bestimmen. Ihre Gattungszugehörigkeit kann durch ihre strenge Formgebundenheit behauptet werden. Die ungarischen Odenverse weisen aber sehr viele elegische, epigrammatische oder liedhafte Elemente auf, deshalb können sie später im 19. Jahrhundert - eben auf ihre strenge Form verzichtend (sich selbst vernichtend) - den anderen lyrischen Gattungen ihre produktive Kraft weitergeben.

Die russischen und deutschen Oden dagegen verlieren an ihrer Bedeutung durch ihre inhaltlichen Veränderungen - parallel mit der allmählichen Verdunklung des strahlenden Optimismus der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts. Während aber in den russischen Oden von Derzavin, die als Höhepunkt, gleichzeitig auch als Überwindung der Gattung gelten, die Identifikation des Subjekts mit seinem Objekt schon durch scharfe Ironie, sogar Selbstironie begleitet wird (die auf die Verstärkung des individuellen Ich-Elements hinweist) und die helle odische Begeisterung zu Oden-Satiren bzw. Oden-Elegien verdunkelt, werden die Verwandlungstendenzen in den Subjekt-Objekt-Beziehungen der deutschen Oden durch eine umgekehrte Richtungslinie geprägt. Im Gipfelpunkt der deutschen Ode, in der Ode Hölderlins, wo das Subjekt versucht hat, das Objekt, das ganze Weltall in sich selbst zu integrieren, erscheint das negative Begrenztheitserlebnis des menschlichen Daseins. Die Wahrnehmung der Grenzen bedeutet aber nicht ihre Annahme: die glühende Leidenschaft des Ich verzehrt sich selbst; mit ihrem Objekt zusammen verschwindet auch das Subjekt der Begeisterung. Wie die russische Ode nach Derzavin, so hört auch die deutsche Ode nach Hölderlin in der Lyrik des 19. Jahrhunderts auf, eine führende Rolle zu spielen.

Zusammenfassend möchte ich also noch einmal betonen: die deutschen, russischen und ungarischen Oden sind als geschichtliche Erscheinungen, als zeit- und raumbedingte Geschehnispunkte der Aufklärung zu betrachten. Ihre Bestimmtheit ist mehrdimensional: sie hängt ebenso vom Gegenwarts-, Vergangenheits- und Zukunftsbild wie von den nationalen und regionalen Bedingungen des "Schreibens", aber auch von den zeitlichen und räumlichen Komponenten des "Lesens" ab.

© Márta Harmat (Szeged)

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Anmerkungen:

(1)Vgl. Moritz Bassler: Einleitung: New Historicism - Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: Moritz Bassler (Hg.) : New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1995, S.7-28.

(2)Gerhard R. Kaiser: Zur Dynamik literarischer Gattungen. In: Horst Rüdiger (Hg.): Die Gattungen in der Vergleichenden Literaturwissenschaft. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1974. S.43-44.

(3)Vgl. Hendrik Birus (Hg.): Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993. Stuttgart/Weimar: Metzler 1995.

(4) Vgl. Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Verlag 1932; Panajotis Kandylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart: Klett-Cotta 1981; MORTIER, Roland: Az europai felvilágosodás fényei és árnyai. Válogatott tanulmányok. Budapest: Gondolat 1983.

(5)Vgl. Fritz Valjavec: Geschichte der abendländischen Aufklärung. Wien/München 1961; P.N. Berkov: Osnovnye voprosy izuèenija russkogo prosvetitel'stva. In: "Problemy russkogo Prosvešèenija v literature 18 veka". Moskva/Leningrad 1961; László Sziklay (Hg.): Aufklärung und Nationen im Osten Europas. Budapest:Corvina Kiadó 1983.

(6)Vgl. Ju. Tynjanov : Oda kak oratorskij zanr. In. "Poetika". Leningrad 1927; K. VIËTOR: Geschichte der deutschen Ode. Hildesheim 1961; J.D. Jump: The Ode. London 1974.

(7)Vgl. Die früheren Publikationen von Márta Harmat zu diesem Thema, z. B.: K svoeobraziju russkich pochval'nych od prosvetitel'skoj epochi. In: Hungaro-Slavica. Budapest: Akadémiai Kiadó 1983, S.97-102.;
Die gattungsgeschichtliche Bedeutung der Lichtmotivik in Hölderlins Lyrik. In: Antal Mádl/Hans-Werner Gottschalk (Hg.) Jahrbuch der ungarischen Germanistik. Budapest/Bonn 1992, S.81-88.;
"Die Ordnung der begeisterten Einbildungskraft" in den deutschen und russischen Oden des 18. Jahrhunderts. Vergleichende Analyse von Klopstocks und Lomonosovs Oden. In: Csaba Földes (Hg.). Germanistik und Deutschlehrerausbildung: Festschrift zum hundertsten Jahrestag der Gründung des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Szeged. Szeged/Wien 1993, S.185-197.

(8)Vgl. Márta Mezei: Felvilágosodás kori líránk Csokonai elõtt. Budapest 1974, S.83 -90.


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