Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2. Nr. November 1997

 Homo communicans in Wissenschaft und Öffentlichkeit: "Science Faction" als transdisziplinärer Ansatz der Risikoantizipation

Elke Schönberger [BIO] /Reinhold Schrappeneder [BIO] (Wien)

Wer ist homo communicans?

Es mag zunächst banal, wenn nicht redundant erscheinen, angesichts des gegenwärtigen inflationären Gebrauchs von Begriffen wie "Kommunikation", "Kommunikationstechnologien" und "Kommunikationsgesellschaft" die Bezeichnung homo communicans in die wissenschaftliche Diskussion einzuführen. Die Umsatzzahlen der boomenden Informations- und Kommunikationsbranche sprechen eine allzu deutliche Sprache, als daß man nicht irgendwann auf die Idee kommen müßte, den rezenten Menschen als homo communicans zu bezeichnen. - Bliebe es jedoch bei einer Etikettierung in diesem offensichtlichen, lediglich die gegenwärtige Wirtschaftslage nachzeichnenden Sinn, könnte diese tatsächlich unterbleiben. Aber die Verwendung des Konjunktivs verrät ja bereits die Absicht, doch nicht davon abzulassen.

Einer der Gründe liegt unter anderem darin, daß der in den letzten Jahren häufig - man ist beinahe versucht zu sagen: allzu häufig - strapazierte Begriff der "Kommunikation" offensichtlich selbst dringend einer Klärung bedarf. Der "Siegeszug der Kommunikation [ist] ein Siegeszug des Unverbindlichen", meint etwa Bernd Guggenberger. "Das gute alte Gespräch lebte von der Gemeinsamkeit des - wenn auch umstrittenen - Gegenstandes: die Kommunikation kennt nur noch die Gemeinsamkeit des Mediums." (1) Der Kontakt als solcher werde also bereits als "Kommunikation" eingestuft und erlebt.

Man könnte diese kritische Äußerung Guggenbergers nun leicht entwerten, indem man beispielsweise auf Paul Watzlawicks Axiom verweist, das praktisch jedes Verhalten als Kommunikation bezeichnet: "Man kann nicht nicht kommunizieren".(2) Nach Burkart besitzt auch tatsächlich "jedes Verhalten gewissermaßen ein ´kommunikatives Potential`", indem es Bedeutungen vermitteln könne. Besonderes Kennzeichen der spezifisch menschlichen Kommunikation sei jedoch die auf Verständigung im Sinne einer Bedeutungsvermittlung abzielende Intentionalität bei der sozialen Interaktion, weshalb er dieses Axiom letztlich doch nicht auf den Begriff Kommunikation anwenden möchte.(3)

Niklas Luhmann wiederum betont in seinen systemtheoretischen Ausführungen den prozessualen Charakter von Kommunikation. Sie sei die einzige genuin soziale Operation, könne also als Einheit keinem Einzelbewußtsein allein zugerechnet werden. Genausowenig könne jedoch vermittels Kommunikation ein gemeinsames oder kollektives Bewußtsein hergestellt werden. "Mit Verstehen bzw. Mißverstehen wird eine Kommunikationseinheit abgeschlossen ohne Rücksicht auf die prinzipiell endlose Möglichkeit, weiter zu klären, was verstanden worden ist."(4) Wie das generelle Zustandekommen einer so definierten Kommunikation zu erklären sei, beantwortet Luhmann folgendermaßen:

Lebewesen leben einzeln, leben als strukturdeterminierte Systeme. So gesehen ist es ein konstellationsbedingter Zufall, wenn das eine, obwohl es tut, was es tut, dem anderen nützen kann. [...] Vorteile können deshalb nur dadurch gewonnen werden, daß Lebewesen von einem System höherer Ordnung abhängig werden, unter dessen Bedingungen sie Kontakte miteinander wählen können, also gerade nicht voneinander abhängig werden. Für Menschen ist dies System höherer Ordnung, das selber nicht lebt, das Kommunikationssystem Gesellschaft.(5)

Einziger Zweck von Kommunikation sei somit ein evolutionärer, gekennzeichnet lediglich durch einen "Zusammenhang von Durchsetzungsstärke und zeitlicher Flüchtigkeit der Form".(6) Von einer dem Kommunikationsbegriff innewohnenden Rationalität könne daher nicht ausgegangen werden.

Mit dieser Feststellung grenzt Luhmann seine Position deutlich von jener ab, die Jürgen Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns vertritt.(7) Habermas beschreibt mit seiner "Universalpragmatik" eine genau umrissene "ideale Sprechsituation", in welcher beide Kommunikationspartner einander gleichberechtigt gegenüberstehen sollen, bevor sie überhaupt erst zu "kommunizieren" beginnen können. Dieser "Hintergrundkonsens" besteht in der reziproken Anerkennung von mindestens vier Geltungsansprüchen: der Verständlichkeit, der Wahrheit, der Richtigkeit und der Wahrhaftigkeit. Legt man daher den Habermasschen Begriff des "kommunikativen Handelns" einer Definition von Kommunikation zugrunde, dann kann eine Person in jenen Interaktionssituationen, in denen sie teleologisch, strategisch, normenreguliert oder dramaturgisch agiert, nicht als kommunikativ handelnd beschrieben werden. Mit diesem Konzept sei, so Habermas, ein Paradigmenwechsel von der kognitiv-instrumentellen zur kommunikativen Rationalität möglich geworden. "Nicht mehr Erkenntnis und Verfügbarmachung einer objektivierten Natur sind, für sich genommen, das explikationsbedürftige Phänomen, sondern die Intersubjektivität möglicher Verständigung - sowohl auf interpersonaler wie auf intrapsychischer Ebene."(8) Die der Beschreibung einer solchen "idealen Sprechsituation" innewohnende Kontrafaktizität - also deren ziemlich offensichtliche Praxisferne - sei dabei kein Indiz für die Unbrauchbarkeit dieser Beschreibung, denn es sei damit nur ein latent vorhandenes Potential freigelegt worden, das jedem kommunikativen Handeln durch den Akt selbst hindurch grundsätzlich innewohnt. Oder, wie Bernd Guggenberger pointiert formuliert: "Communico, ergo sum! Klingt das nicht unvergleichlich sympathischer als die egozentrische Selbstversicherungsformel Descartes, des Ahnvaters an der Schwelle zur Moderne, der uns barsch auf den eigenen Denkakt verwies: ´Cogito, ergo sum`- ´ich denke, also bin ich`?"(9)

 

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wo in diesem weiten Feld definitorischer Dilemmata ist nun der Begriff homo communicans anzusiedeln, und inwiefern besteht überhaupt ein Bedarf an einer solchen Begriffsbestimmung?

Wir befinden uns zur Zeit in einer brisanten Phase der menschlichen Entwicklungsgeschichte, in der ein Moment des Innehaltens dringend vonnöten scheint, falls wir unsere Geschicke nicht dem sprichwörtlichen "Lauf der Welt" überlassen wollen. Diese Konferenz selbst und die damit verbundene Intention zur Entwicklung der Kulturwissenschaften in Richtung eines andauernden internationalen, fächerübergreifenden wissenschaftlichen Diskurses sind ja Ausdruck dieses Bedürfnisses nach einer selbstreflexiven Standortbestimmung wie auch der Hoffnung auf echte, demokratische Bewältigung der anstehenden Probleme unserer aufkeimenden Weltgesellschaft.

Betrachtet man ihn in diesem Zusammenhang, verrät der Begriff homo communicans sogleich sein implizites geheimes Programm: Nicht funktionierende Systeme, seien es auch an den Menschen gemahnende systemtheoretisch bezeichnete Bewußtseinssysteme, sollen bei dieser Definition im Mittelpunkt stehen, auch nicht das kommunikativ-vernünftige Handeln per se, sondern der mit seinen spezifischen biologisch-physischen Detreminanten ausgestattete Mensch als historisch gewachsener kommunikativer Handlungsträger, der im Gesellschafts- wie im Ökologiesystem eine antizipierende, planende und aktiv verändernde Position einnimmt.

Und selbst Luhmann kann nicht umhin, im Hinblick auf die Bewältigung der gegenwärtigen Geschichtskonstellation von der Notwendigkeit einer "moralisierenden Kommunikation" zu sprechen, die "eine Art Alarmierfunktion" übernehme:

Sie kristallisiert dort, wo dringende gesellschaftliche Probleme auffallen und man nicht sieht, wie sie mit den Mitteln der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und in den entsprechenden Funktionssystemen gelöst werden könnten. Offenbar rekrutiert die Gesellschaft für gravierende Folgeprobleme ihrer eigenen Strukturen und vor allem ihrer Differenzierungsform moralische Kommunikation. Solange dies zur Rechtfertigung von Zentrum/Peripherie-Differenzierungen oder zur Rechtfertigung von Stratifikation diente, konnte man den Eindruck haben und pflegen, daß die Gesellschaft selbst in ihrem Zentrum oder an ihrer Spitze moralisch integriert sei. In der modernen Gesellschaft läßt sich diese Vorstellung nicht mehr halten. Moralische Kommunikation wird jetzt freigegeben und dorthin geleitet, wo beunruhigende Realitäten sichtbar werden: die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, die weltweit krassen Wohlstandsunterschiede und die ökologischen Probleme dieses Jahrhunderts, denen offenbar weder wirtschaftlich noch politisch beizukommen ist.(10)

Daß mit homo communicans freilich keine Einzelpersonen gemeint sein können, muß nicht erst besonders erörtert werden. Kann mit den übrigen homines-Bezeichnungen wie homo sapiens, homo faber, homo ludens, homo politicus, homo ökonomikus, homo sociologicus, homo investigans oder homo akademicus noch ansatzweise eine Einzelperson in Verbindung gebracht werden, so ist diese Assoziation bei homo communicans per definitionem auszuschließen. Das demokratie- und emanzipationsfördernde Potential, das Habermas im kommunikativen Handeln lediglich unterschwellig durchschimmern sieht, wird bei dieser Begriffsbestimmung geradezu zum gesellschaftspolitischen Auftrag, ja zum "kommunikativen Manifest".(11) (12)

  

Kommunikationsebenen

Innerhalb der Bereiche "Wissenschaft" und "Öffentlichkeit" eröffnen sich dem homo communicans offensichtlich drei verschiedene Ebenen der Kommunikation:

1. Die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft:

Ein optimales Funktionieren dieser Kommunikationsebene setzt eine Fülle von Strukturreformen im Wissenschaftsbetrieb und in der Wissenschaftskommunikation voraus, die herbeizuführen sich ja das Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse (INST) unter anderem zum Ziel gesetzt hat. Von größter Bedeutung wird dabei die Schaffung eines offenen, transparenten internationalen Kommunikationsnetzes sein, damit möglichst viele kulturell und geopolitisch unterschiedliche Sichtweisen und Interessenlagen Eingang in den Diskurs finden (Stichwort "Creative Diversitiy", wie sie der 1995 erstellte UNESCO-Report of the World Commission on Culture and Development beschrieben hat). Dabei können die neuen Medien, allen voran das Internet, gute Dienste leisten. Die "International (man ist versucht zu sagen: Internet-ional) Scientific Community" wird lernen müssen, sich dieses Instruments möglichst effektiv zu bedienen.


2. Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit:

Auch hier wird es vor allem nötig sein, angemessene Methoden zu entwickeln sowie geeignete Kanäle und Foren zu etablieren, die eine in beide Richtungen funktionierende Kommunikation gewährleisten: die Wissenschaft stellt Erkenntnisse und damit Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung, die Öffentlichkeit liefert Problemstellungen, deren Lösungen als erstrebenswert erscheinen - beide lernen voneinander. Und auch hier kann das Internet eine wichtige Rolle spielen.

 
3. Der öffentliche, gesellschaftlich-politische Diskurs:

Damit diese Kommunikationsebene eine möglichst breite Dimension annimmt und ihr damit möglichst große demokratiepolitische Relevanz zukommt, sind demokratische Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen nötig - auch und besonders auf dem Mediensektor, um einen demokratischen Zugang zu den Medien zu gewährleisten; ein hoher Bildungsstand der Bevölkerung und hohe Kompetenz in der Nutzung von alten wie neuen Medien stellen weitere wichtige Voraussetzungen dar.

 
Im folgenden soll nun hauptsächlich die zweite dieser Kommunikationsebenen behandelt werden. Dabei wird der herkömmliche Wissenschaftsbegriff hinterfragt, Verbindungen und Mischformen von Wissenschaft und Futurologie sowie Wissenschaft und Literatur sollen erörtert werden. In weiterer Folge wird dann die dritte Ebene, der öffentliche, gesellschaftlich-politische Diskurs, in den Mittelpunkt treten.

 

Was ist und was kann Science Faction?

Die Wissenschaft braucht Mediatoren, Vermittler, die imstande sind, auf verschiedenste, möglichst kreative Weise eine Brücke zu schlagen zwischen den Ergebnissen ihrer oft hochspezialisierten Forschungsdisziplinen und dem Verständnishorizont des nicht spezialisierten, aber interessierten Laien.

Diese Brücke kann, wie gesagt, auf ganz verschiedene Weise konstruiert und gebaut werden. Was etwa den höchst sensiblen Bereich der Entwicklung neuer, umwälzender Technologien betrifft - und hier wiederum ganz besonders die Frage bzw. die Entscheidung darüber, ob und wie diese angewendet werden sollen -, ist einem kompetenten, verantwortungsvollen und zugleich kreativen Wissenschaftsjournalismus sicherlich große Bedeutung zuzumessen; auch futurologisch orientierter Sachliteratur, die sich bemüht, die Möglichkeiten und Risken solch neuer Technologien auf wissenschaftlicher Grundlage abzuwägen, kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Und auch die belletristische Abteilung der Literatur kann hier ihr Schärflein beitragen. Das im hehren, "seriösen" Literaturbetrieb so oft geschmähte Genre der Science Fiction, das nichtsdestoweniger die Literatur des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt hat und deren beste Hervorbringungen den Spitzenprodukten der "Mainstream-Literatur" durchaus ebenbürtig sind, hat es immer als eine ihrer Aufgaben angesehen, sich abzeichnende oder doch zumindest erahnbare technologische wie gesellschaftliche Entwicklungen antizipierend darzustellen und gerade auch im Hinblick auf deren positive wie negative Potentiale hin zu untersuchen.

Was die Frage betrifft, wie "erfolgreich" die SF hinsichtlich tatsächlich zutreffender Antizipationen sein kann, so gehen die Meinungen der SF-Autoren ebenso wie die der wenigen sich mit SF beschäftigenden Literaturwissenschaftler stark auseinander. An dem einen Ende dieses Spektrums herrscht äußerste Skepsis; so meinte etwa ein Vertreter jener experimentellen Richtung in der SF, die als sogenannte "New Wave" eine kurze Blüte in den 70er Jahren erlebte: "Wer glaubt, Science Fiction handle von der Zukunft, ist naiv." Und in einem literaturwissenschaftlichen Standardwerk über SF heißt es dazu:

Da die Zukunftserzählung an Gegenwart und Vergangenheit gebunden ist und nur eine Pseudo-Zukunft liefern kann, vermag sie gerade auf jenem Felde am wenigsten zu leisten, in dem man zeitweise ihre besondere Stärke sehen wollte: auf dem Gebiet der ernstzunehmenden Prognose und Extrapolation.(13)

Auch Darko Suvin, Verfasser einer ausführlichen "Poetik der Science Fiction", konstatiert:

Die Zukunft ist eindeutig weder ein quantitativ meßbarer Raum, noch wird das Ensemble menschlicher Verhältnisse eine oder zwei Generationen lang stillstehen, damit ein einzelner Bestandteil (oder einige wenige Bestandteile) abgesetzt gegen ein unverändertes Milieu extrapoliert werden kann - und das ist ja die gewöhnliche brüchige Prämisse futurologischer wie auch zugegebenerweise fiktiver Extrapolation. Die Zukunft ist jedoch immer ein Knoten vielfältiger Entwicklungen und - was den Bereich menschlicher Angelegenheiten angeht - durch Absichten, Wünsche und Überzeugungen anstatt bloß durch quantitativ meßbare Tatsachen bestimmt.(14)

Etwas weiter unten macht er allerdings eine wichtige Einschränkung:

Die Extrapolation eines Merkmals oder einer Möglichkeit aus der Umwelt des Autors ist vielleicht ein legitimer literarischer Kunstgriff zur Hyperbolisierung in den Antizipationserzählungen sowie in sonstiger SF [...] oder auch in einer Anzahl anderer Gattungen, von der Satire angefangen. Jedoch liegt der Erkenntniswert jeder SF, einschließlich der Antizipationserzählungen, wohl eher im analogischen Bezug zur Gegenwart des Autors statt in vereinzelten oder globalen Voraussagen.(15) [Hervorhebungen von uns; Anm. d. Verf.]

Andererseits stellt es eine für jedermann leicht überprüfbare Tatsache dar, daß es in der SF allerdings immer wieder Vorhersagen vor allem technologischer Entwicklungen gegeben hat, die tatsächlich eingetroffen sind. Und erst jüngst hat Roland Innerhofer nachgewiesen, in welch geradezu verblüffender Detailtreue SF-Autoren schon um die Jahrhundertwende ein Phänomen beschrieben haben, das heute unter der Bezeichnung "Virtual Reality" in aller Munde ist.(16) - Der Ausgang der Kontroverse mag getrost dahingestellt bleiben, denn worauf es im Zusammenhang mit unserem Thema hauptsächlich ankommt, ist, daß die SF ebenso wie die futurologische Sachliteratur sich dazu eignet, ein öffentliches Problembewußtsein über mögliche technologische Entwicklungen zu schaffen; der Grad der "Richtigkeit" von getroffenen Voraussagen ist dabei nur von sekundärer, untergeordneter Bedeutung.

Auch die Verfasser des oben erwähnten Standardwerks sehen diese Parallele. In dem Abschnitt, in dem Science Fiction und Sachliteratur miteinander verglichen werden, führen sie über die Unterschiede zwischen den beiden Genres aus:

In einem Science-Fiction-Text wird die Sachfrage in ein sprachliches Erzählspiel umgesetzt. In einer Welt a lebt eine Person b, die das Problem x am eigenen Leibe erfährt. Dieses Verfahren hat den Vorzug, daß das Problem x von allen unerwünschten Verflechtungen mit anderen befreit und rein dargestellt werden kann. Es ist völlig konkretisiert. Während der Autor eines Sachtextes repräsentative Beispiele suchen und mit der abstrakten Darlegung verbinden muß, bewegt sich der Science-Fiction-Autor ganz im Anwendungsbereich. Die Personalisierung gibt ihm die Möglichkeit, durch den Einsatz sympathischer oder unsympathischer Figuren den Leser für oder gegen Argumente einzunehmen.(17)

Im Anschluß daran werden dann aber auch die Nachteile der "Sachdiskussion in der Form der erzählenden Fiktion [...] gegenüber der non-fiction" aufgezeigt: Deformation des Sachproblems durch das Erzählspiel, Vereinfachung, Aufspaltung in polare Gegensätze und Umwandlung genereller Probleme in individuelle werden unter anderem genannt.(18) Und die Autoren kommen zu dem Schluß:

[...] daß Science Fiction in mancher Hinsicht keine echte Konkurrenz für den Sachtext ist, der bessere Möglichkeiten der Differenzierung, der überprüfbaren und geschlossenen Argumentation und der Realitätsbezogenheit hat. Genau gesteuerte, spezifische Erkenntnisprozesse kann eine Science-Fiction-Geschichte ebensowenig bewirken, wie das Monopoly-Spiel das Immobiliengeschäft lehren kann.(19)

Aus all dem erhellt, daß eine Art Mischform aus Fact und Science Fiction, die das Beste aus diesen beiden "Welten" in sich vereinen bzw. deren jeweilige Nachteile vermeiden kann, aus dem Blickwinkel der Forderung nach öffentlichkeitswirksamer Risikoantizipation und nach einer Stärkung des Problembewußtseins hinsichtlich technologischer Entwicklungen ein echtes Desideratum darstellt. Die Verfasser der vorliegenden Abhandlung haben versucht, eine solche neue Literaturgattung zu entwickeln und in Form eines noch unveröffentlichten Manuskripts auch ein Beispiel dafür geliefert. - Im folgenden also eine erste Definition des Genres Science Faction, wie sie im "Vorwort der Herausgeber - Zweiter Teil" des erwähnten Manuskripts niedergelegt ist:

Was die Science Faction mit der Science Fiction, einem Sub-Genre der Belletristik, eng verbindet, ist nicht nur die Ähnlichkeit im Schrift- bzw. Klangbild der beiden Begriffe; denn wie der Science Fiction ist auch der Science Faction jene Grundhaltung eigentümlich, die Isaac Asimov in seiner ebenso lakonischen wie anschaulichen Definition des Genres folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: What if ...? Was wäre, wenn ...? Und ebenso wie bei der SF ist bei der SFa - im Gegensatz zur Fantasy - dabei vorausgesetzt, daß sich die jeweils zugrundeliegenden Annahmen auf solche beschränken, die mit den geltenden Naturgesetzen nicht in prinzipiellem Konflikt stehen. - Was nun die Unterschiede betrifft, so behandelt - im Gegensatz zur SF - die SFa diese Annahmen neuer wissenschaftlicher Errungenschaften (science) inklusive der daraus für die Gesellschaft wie für den einzelnen resultierenden Folgen nicht in erzählender Form (fiction), sondern in der Gestalt einer wissenschaftlichen Untersuchung, einer Studie, eines Sachbuchs also (fact) - wobei sie sich aber andererseits von eigentlicher Sachliteratur (auch solcher, die sich mit den Auswirkungen erst zu erfindender Technologien beschäftigt) durch ein eindeutig fiktionales Wesensmerkmal deutlich unterscheidet: Sie gibt vor, zu einem in der mehr oder weniger weit entfernten Zukunft liegenden Zeitpunkt zu erscheinen und untermauert dies auch unausgesprochen durch inhaltliche Implikationen, deren Voraussetzungen - seien sie wissenschaftlich-technologischer oder gesellschaftlich-politischer Natur - zum Zeitpunkt des tatsächlichen Erscheinen des Buches einfach noch nicht gegeben sind. - Was wir in dieser neuen literarischen Gattung also vor uns haben, stellt ein komplexes Konglomerat aus science, fact und fiction dar: Science Faction - eine Fiktion im Gewand einer wissenschaftlichen Untersuchung, die sich teils tatsächlich wissenschaftlicher Methoden bedient, sie zum Teil aber auch fiktional imitiert und damit also ein quasi-wissenschaftliches, sozusagen wissenschaftoides Element enthält; den Untersuchungsgegenstand der fiktionalen Studie bildet eine zukünftige wissenschaftlich-technische Errungenschaft, deren praktische Anwendung zum fiktiven Zeitpunkt des Erscheinens dieser Studie mehr oder weniger unmittelbar bevorsteht.(20)

Was nun die weiter oben aufgefächerten drei Ebenen der Kommunikation in den Bereichen "Wissenschaft" und "Öffentlichkeit" betrifft, so ist das Konzept, das der Science Faction (SFa) zugrundeliegt, unseres Erachtens geeignet, hinsichtlich aller dieser Ebenen positive, eine fruchtbare Kommunikation befördernde Impulse zu setzen: Auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation kann sie dazu beitragen, daß ein breiter internationaler Dialog entsteht, der "die engen Grenzen jeweils eigener Fachbereiche kühn überschreitet."(21) Des weiteren kann der Science Faction-Ansatz helfen, im Robert Jungkschen (22) wie auch im Feyerabendschen (23) Sinne ein engstirniges Wissenschaftsverständnis aufzuweichen und die starren Abgrenzungen zwischen Wissenschaft und Futurologie sowie zwischen Wissenschaft und Kunst zu verwischen. Was etwa den Gegensatz zwischen antizipierender Literatur und Wissenschaft betrifft, so wird der ersteren gemeinhin bloßer eskapistischer Unterhaltungs- und Zerstreuungswert zugeschrieben; erkenntnisfördernder Charakter wird ihr bestenfalls im parabelhaften Sinne zugebilligt. Dabei hat Darko Suvin im Hinblick auf die SF schon vor langem festgehalten:

Die alternative Wirklichkeit, die der erzählerische Kern des Novums notwendig macht und von dem sie ausgeht, kann nur in schwingender Rückkopplung mit der Wirklichkeit des Autors funktionieren [...], denn sie als Ganzes ist - oder einige ihrer zentralen Beziehungen sind - eine Analogie zur empirischen Wirklichkeit. Wie phantastisch (im Sinne von empirisch unverifizierbar) die beschriebenen Charaktere oder Welten auch sind, immer gilt de nobis fabula narratur.(24)

Und er schließt seine Ausführungen zur Theorie der SF mit der Feststellung,

daß die gute SF ihrer Art nach ein besonderer Umweg zur Kommentierung des kollektiven Zusammenhangs ist, in dem der Autor lebt - noch dazu häufig ein überraschend konkreter und scharfsinniger Kommentar. Selbst wo die SF - manchmal sehr deutlich - auf eine Flucht aus diesem Zusammenhang schließen läßt, handelt es sich um eine optische Täuschung und einen epistemologischen Trick. Die Flucht geht, in jeder guten SF, nur hin zu einer vorteilhaften Warte, von der aus sich die menschlichen Verhältnisse der Welt des Autors besser erkennen lassen.(25)

Eine Aussage, die für die gute SFa in vielleicht noch größerem Maße zutrifft - beleuchtet sie doch die gegenwärtige Gesellschaft aufgrund ihres transdisziplinären Charakters von den verschiedensten Blickwinkeln aus. - Und was die herkömmliche Wissenschaft betrifft, wird die Suche nach Wahrheit, das Streben nach Erkenntnis als ausschließlich ihre Domäne erachtet; eng verbunden damit ist ein weitgehend ungebrochener Fortschrittsglaube. Soweit sie sich antizipierend mit Technikfolgenabschätzung beschäftigt, werden ihre Forschungen aber oft von den wirtschaftlichen Interessen ihrer Auftraggeber geleitet, weil es sich meist um Technologien handelt, die schon mitten in der Entwicklung stecken.

Der SFa-Ansatz hingegen schafft aufgrund des (noch) imaginären Charakters der jeweils zur Debatte stehenden Technologie die Möglichkeit der Kommunikation zwischen wissenschaftlichen Fachrichtungen ohne dahinterstehenden gezielten Interessen. Zugleich wird der Blick für mögliche zukünftige Entwicklungen geschärft (was Becks berechtigte Forderung nach Risikoantizipation erfüllt (26) ) - und zwar nicht nur der Blick der Wissenschaftler, sondern, da der SFa-Ansatz einen Appell zur Entfaltung einer breiten Debatte auch in der Öffentlichkeit impliziert, auch den des interessierten Laien, der als das antizipierende, imaginierende Wesen, das der Mensch nun einmal ist, befähigt wird, mögliche zukünftige, aber eben durchaus auch gegenwärtige Entwicklungen besser einzuschätzen und damit auch selbst auf sie Einfluß zu nehmen.

Wir haben also inzwischen die zweite Ebene, die der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, überquert und sind bei der dritten angelangt: der des breiten öffentlichen, gesellschaftlich-politischen Diskurses, zu dessen Entfaltung die Science Faction ebenfalls beitragen soll. Daß sie darüber hinaus auch geeignet ist, demokratiepolitische Akzente zu setzen, indem sie auf fantasievolle Weise das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die Problematik und Brisanz demokratiepolitischer Entscheidungen schärft, soll im Anschluß an die folgende überblicksmäßige Darlegung unseres ersten Science Faction-Projekts gezeigt werden.

  

Ein erstes Beispiel für Science Faction

"To Beam or Not to Beam? Eine transdisziplinäre Untersuchung": Wie schon der Titel ankündigt, handelt es sich bei dem "Untersuchungsgegenstand" um eine Technologie, die bisher lediglich in der Science Fiction-Literatur bzw. in der SF-Fernsehserie "Star Trek" existiert: das Beamen - ein Transportmittel, das physische Raumüberbrückung nahezu ohne Zeitverlust verspricht.

Von einem Gedanken Friedrich Dürrenmatts aus den Physikern ausgehend ("Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden") haben wir Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen dazu aufgerufen, diese auf den ersten Blick äußerst vielversprechende und wünschenswerte Technologie auf ihre möglichen positiven und negativen Implikationen hin zu durchleuchten.

Dazu haben wir in einem ersten Schritt ein Informationsblatt entworfen, das eine Art groben Rahmen für das gesamte Unternehmen liefern sollte. Wir haben darin festgelegt, daß die einzelnen Untersuchungen auf der fiktionalen Ebene einer Gesellschaft um 2097 stattfinden. Diese fiktionale Gesellschaft sei aber, damit wir nicht eine völlig neue Welt konstruieren müßten und der Parabelcharakter unmittelbarer erhalten bliebe, als der unsrigen sehr ähnlich anzunehmen. Ich zitiere aus diesem Informationsblatt:

Vor kurzem tauchte erstmals das Gerücht in den Medien auf, es werde in den geheimen Laboratorien der Weltmächte an der Erfindung des "Beamens" gearbeitet. Aus zuverlässiger Quelle war zu erfahren, daß tatsächlich erste Erfolge auf dem Gebiet der "Materietransmission" erzielt wurden.

Das euphorische Rauschen im Blätterwald sowie die uneingeschränkt positiven Stellungnahmen einiger durchaus renommierter Wissenschaftler lassen die Herausgabe einer diesbezüglichen Anthologie zweckmäßig, ja notwendig erscheinen. Eine Gruppe von unabhängigen Fachleuten aus den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft soll versammelt werden, die es sich zur Aufgabe macht, diese neue Entwicklung von allen Seiten kritisch zu beleuchten. Denn es kann nicht angehen, daß die Öffentlichkeit wieder einmal - wie bisher immer anläßlich neuer Erfindungen und Entdeckungen - uninformiert und ungefragt vor vollendete Tatsachen gestellt wird und dann lediglich zu akzeptieren hat, was elitäre Kreise militärischer, wirtschaftlicher und machtpolitischer Natur in ihren - gleichwohl von der Bevölkerung finanziell getragenen - wissenschaftlichen Spielstuben ausgebrütet haben.

Was ist nun bekannt von dieser neuen Art des Transports, die Gene Roddenberry bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in seiner "Star Trek"-Serie vorausgesehen hat?

Es war nicht einfach, über dieses Projekt mit höchster Geheimhaltungsstufe überhaupt an Informationen heranzukommen, und was darüber zu erfahren war, ist dementsprechend dürftig: Wichtigste Grundvoraussetzung für das Beamen ist die Erzeugung riesiger Energiemengen, was vor einigen Jahren durch die Entdeckung eines neuen Verfahrens zur Energiegewinnung gelungen ist. Von diesem Zeitpunkt an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man daranging, diese neuen Ressourcen für eine Form des Transports zu nutzen, von der man bisher nur träumen konnte: das Beamen. Die Behäbigkeit und Schwerfälligkeit des Prototyps macht vorerst noch eine stationäre technische Apparatur erforderlich, eine kabinenartige "Take-Off-Station", mit der man das gewünschte Ziel anpeilt und den zu transportierenden Gegenstand (bzw. Körper) quasi auflädt. Der mit einer "Energiehaut" versehene Gegenstand (Körper) wird danach an den vorher festgelegten Punkt "geschleudert" (wobei jeder auf der Erdoberfläche gelegene Ort innerhalb von Sekundenbruchteilen erreichbar ist), an dem sich momentan noch eine Art "Auffangbecken" befinden muß, das den gebeamten Gegenstand (Körper) wieder in den Ruhezustand versetzt. Doch wird hier vermutlich in Zukunft mehr Flexibilität möglich sein: Angestrebt werden mobile "Beam-Ramps" sowie präzisere Peil- und Aufladegeräte, sodaß die "Auffangbecken" überflüssig werden.

Rein technisch gesehen wäre das Beamen als Massentransportmittel also eine durchaus realistische Perspektive.

Aufgabenstellung für die Projektteilnehmer:

- wissenschaftlich fundierte (bzw. vorgeblich wissenschaftlich fundierte) Überlegungen innerhalb des jeweiligen Fachbereichs über mögliche Konsequenzen der oben dargelegten Entwicklungen, seien sie positiv oder negativ

- eine historische Einordnung dieser möglichen neuen Ära, den jeweiligen Fachbereich betreffend (27)

Anders als Gene Roddenberry in seiner Fernsehserie "Star Trek", sind wir beim Beamvorgang also nicht von einem Dematerialisierungs- und Wiederzusammensetzungsvorgang ausgegangen, sondern haben stattdessen das Transportieren eines Körpers angenommen, der während des gesamten Vorgangs "intakt" bleibt.

Uns erschien der Vorgang der De- und Rematerialisation nicht überzeugend genug: Kann ein Objekt oder gar eine Person wirklich an einem Ort völlig zerlegt, also eigentlich zerstört werden, um hernach an einem anderen Ort als dieselbe Entität wieder zusammengebaut zu werden, die sie vorher war, also ohne dabei ihre Identität bzw. einmalige physisch-psychische strukturelle Eigenheit zu verlieren? Abgesehen davon würde sich sofort das Problem der Dopplung oder des Klonens stellen, was wieder ein völlig anderer, ebenfalls äußerst komplexer Problembereich wäre.

Wir konnten schließlich Beiträge aus folgenden wissenschaftlichen Disziplinen versammeln: Chemie (Christian Boser), Biologie/Ökologie (Andrea & Harald Gross), Psychologie (Sabine Kern/Werner Chromecek), Ethnologie (Erika Laubacher-Kubat), Wirtschaft (Manfred Hoschek), Rechtswissenschaft (Dessislaw Pajakoff), Theaterwissenschaft (Susanna Haunold) und Theologie (Thomas Schaffelhofer). Wir selbst verfaßten einen politik- sowie einen kommunikationswissenschaftlichen Beitrag.

Bemerkenswert ist das nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß wir den einzelnen Autoren weder eine Option auf Veröffentlichung in einem Verlag noch finanzielles Entgelt anbieten konnten. Und mehr noch: später darum befragt, ob sie prinzipiell bei einem weiteren Science Faction-Projekt wieder mitmachen würden, antworteten sie durchwegs zustimmend, obwohl manche von ihnen - pessimistischerweise - neben dem Aufzeigen von möglichen Risiken keine praktische Bedeutung dieses Ansatzes im Sinne eines Einflusses auf die weitere gesellschaftliche Entwicklung sahen. Aber sie hätten es witzig und interessant gefunden, sich einmal mit ihrem erlernten Methodeninventar einem Gegenstand zu nähern, der sich außerhalb der realen Reichweite befindet. Der Erkenntnisgewinn liege ihrer Meinung nach vor allem in einer Sichtweisenerweiterung sowie der unkonventionellen, spielerischen Herangehensweise an Zukunftsfragen in einem umfassenden, interdisziplinären Gedankenexperiment. Den besonderen Wert dieser Studie sahen sie darin, daß sie eine gute Diskussionsgrundlage für das Herangehen an neue Technologien darstelle.

Wir beließen es jedoch nicht bei der Sammlung und Aneinanderreihung der einzelnen Beiträge, sondern erarbeiteten daraus quasi als Zusammenschau einen transdisziplinären Katalog ethischer Problembereiche, die uns im Fall der tatsächlichen Erfindung einer derartigen Technologie unbedingt beachtenswert erschienen. Diese Überlegungen mündeten schließlich in die Abfassung eines expliziten Forderungskatalogs: die "10 Gebote des Beamens".

  

Die demokratiepolitische Relevanz der Science Faction

Zumindest drei dieser 10 Gebote, die praktisch die Essenz der aus der transdisziplinären Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse darstellen, beziehen sich eindeutig auf Problematiken, die im nationalen wie internationalen demokratiepolitischen Bereich angesiedelt sind. Gefordert wird:

5. Schaffung politischer Rahmenbedingungen für die größtmögliche Effizienz des Beamens als Instrument demokratischer Kontrolle.

a) Demokratische Kontrolle der Verfügungsgewalt über das Beamen.

b) Medienrechtliche Garantien hinsichtlich der Schaffung öffentlicher Räume für die Kontrolle des Beamzugangs und die Diskussion beamspezifischer Probleme.

c) Demokratische Kontrolle der Machtmittel und Befugnisse des Polizei- und Militärapparats hinsichtlich des Beamens.

6. Schaffung (verfassungs)rechtlicher Rahmenbedingungen, die ein behutsames juristisches Umgehen mit dem Widerspruch zwischen dem Recht auf persönliche Freizügigkeit und dem Recht auf Privatsphäre gewährleisten.

7. Öffentliche internationale Diskussion über die Reglementierung des Beamzugangs.

a) Ermöglichung des Zugangs zum Beamen für alle Länder.

b) Internationale Abkommen gegen den militärischen Beameinsatz.

c) Internationale Abkommen hinsichtlich der Reglementierung des Beamzugangs zum Schutz gegen irreversible Umweltschäden infolge des unkontrollierten Massenbeamtourismus bzw. gegen die Verletzung internationaler Abkommen.(28)

Schon aus dieser einfachen Auflistung wird ersichtlich, welch große Bedeutung demokratiepolitischen Problemen im Rahmen des SFa-Konzepts beigemessen wird. Im Beitrag "Die Politik in den Zeiten des Beamens" (29) ist ihnen einer der drei Hauptabschnitte, aus denen dieser Beitrag sich zusammensetzt, zur Gänze gewidmet. Nach einer Darlegung der demokratiepolitischen Entwicklung des 20. und 21. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Technologieentwicklung werden die Schlußfolgerungen für die Gegenwart (bzw. die Zukunft), also für die Situation vor der Einführung der neuen Technologie gezogen. - Im folgenden wird deren zusammenfassende Darstellung im letzten Abschnitt des Manuskripts, "Die Ethik des Beamens", zitiert:

Nach Reinhold Schrappeneder sollten die folgenden Fragestellungen im Zentrum des Interesses stehen und Gegenstand einer breiten öffentlichen Debatte sein: Wer kann, wer soll und wer wird voraussichtlich die Verfügungsgewalt über die Beameinrichtungen haben? - Schrappeneder vermutet, daß die erforderlichen hohen Initialinvestitionen nur staatlich aufgebracht werden können, wenn auch vielleicht unter Beteiligung von internationalen Großkonzernen - womit auch die zu erwartenden Einflußsphären recht deutlich abgesteckt seien. Und weiter: Wird es unter diesen Bedingungen möglich sein, das Beamen - eine potentiell durchaus demokratiefördernde Technologie - als Instrument zur Entwicklung des demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses zu nutzen, oder wird es nicht vielmehr ein noch effektiveres Mittel sein zur Festigung und zum Ausbau des Polizei- und Überwachungsstaats? Als grundlegende Aufgaben der Politik nennt Schrappeneder deshalb die Entwicklung, Festlegung und Modifizierung von Verfahrensregeln für eine größtmögliche Effizienz des Beamens als Instrument demokratischer Kontrolle sowie zur Vorbeugung gegen machtpolitischen Mißbrauch. Alle Maßnahmen, die der Verhinderung einer "Beamdiktatur" und der Förderung der "Beamokratie" dienen würden, sollten im Hinblick auf eine größtmögliche Bevölkerungsbeteiligung an der politischen Willensbildung gefördert bzw. dem Staat abgerungen werden.(30)

 

An diesem Beispiel der politikwissenschaftlichen Behandlung demokratiepolitischer Probleme sollte nur exemplarisch aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten die Science Faction bietet, auf dem Umweg über die Analyse möglicher zukünftiger Entwicklungen nicht nur ein grelles Schlaglicht auf die Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft zu werfen, sondern sich auch durchaus analytisch-fundamental damit auseinanderzusetzen. Und es sollte erkennbar geworden sein, daß sich diese Möglichkeiten aus dem Blickwinkel praktisch jeder wissenschaftlichen Disziplin bieten.

Daß bei alldem der Witz und die Satire nicht fehlt, die sich aus dem verfremdeten Blick auf die derzeitigen gesellschaftlichen Zustände fast zwangsläufig ergibt, dürfte nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken sein, daß es sich hier nicht bloß um Fact, Science oder Science Fiction handelt - sondern eben um Science Faction.

© Elke Schönberger/Reinhold Schrappeneder (Wien)

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Anmerkungen:

(1) Bernd Guggenberger: Vom drohenden Verfall der Urteilskraft. Kulturgesellschaft und Medienkultur. In: Publizistik, 38.Jg., 3, 1993, S. 280-291.

(2) Watzlawick, zit. n. Roland Burkart: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 2. erw. Auflage.- Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 1995, S. 22.

(3) Ebenda.

(4) Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft.- Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 83.

(5) Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 193f.

(6) Ebenda, S. 200.

(7) Jürgen Habermas : Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. 3. Aufl.- Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1985.

(8) Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 525.

(9) Ebenda, S. 282.

(10) Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 404.

(11) Elke Schönberger: Gegenwärtige (kommunikations)technologische Entwicklungstendenzen und ihre möglichen Konsequenzen für die Gesellschaft. Eine dialogische Abhandlung. - Wien: Diss. 1996, S. 148 u. 210.

(12) Die detaillierte Entwicklung des Begriffs homo communicans findet sich ebenfalls in: Elke Schönberger: Gegenwärtige ..., s. Anm. 11.

(13) Ulrich Suerbaum/ Ulrich Broich / Raimund Borgmeier: Science Fiction. Theorie und Geschichte, Themen und Typen, Form und Weltbild. - Stuttgart: Reclam 1981, S. 21.

(14) Darko Suvin: Poetik der Science Fiction. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung. - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 108.

(15) Ebenda, S. 109.

(16) Roland Innerhofer: Literarische Antizipationen der Virtualität um die Jahrhundertwende. In: Flessner, Bernd (Hg.): Die Welt im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualität. - Freiburg im Breisgau: Rombach Verlag 1997.

(17) Suerbaum et al.: Science Fiction, S. 28.

(18) Ebenda, S. 28f.

(19) Ebenda, S. 29.

(20) Elke Schönberger /Reinhold Schrappeneder (Hrsg.): To Beam or Not to Beam? Eine transdisziplinäre Untersuchung. - Unveröff. Manuskript 1997, S. 22f.

(21) Ebenda, S. 25.

(22) Robert Jungk: Zukunft zwischen Angst und Hoffnung. Ein Plädoyer für die politische Phantasie. - München: Wilhelm Heyne 1990.

(23) Paul Feyerabend : Wider den Methodenzwang. (1. Aufl. 1976). - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983.

(24) Darko Suvin, a.a.O., S. 106.

(25) Ebenda, S. 115f.

(26) Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.- Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.

(27) Schönberger/Schrappeneder: To Beam or Not to Beam?, S. 29ff.

(28) Schönberger/Schrappeneder: To Beam or Not to Beam?, S. 257.

(29) Reinhold Schrappeneder: Die Politik in den Zeiten des Beamens. In: Schönberger/Schrappeneder: To Beam or Not to Beam?, S. 35-82.

(30) Schönberger/Schrappeneder: To Beam or Not to Beam?, S. 250f.


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