Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 3. Nr. März 1998

Zu Fragen der universitären Forschung.
Mit Blick auf den philologischen Bereich an rumänischen Hochschulen

George Gutu (Bukarest)

Mit dem Anbruch einer historisch, also politisch, kulturell-geistig, vor allem aber ökonomisch andersgearteten Zeit in den ost- und südosteuropäischen Ländern macht sich auch ein Wandel im Denken der öffentlichen und privaten Verantwortungsträger im Bereich des Bildungswesens bemerkbar. Diese inzwischen nicht nur berühmte, sondern auch schon berüchtigte Übergangszeit macht tiefergehende Überlegungen über die neuen, ja erst neu zu definierenden Aufgaben und über die entsprechenden, also angemessenen Methoden der Bildungsträger und der Bildungsnutznießer unerläßlich.

Überlegungen zu Fragen der rumänischen universitären institutionellen Organisation und Forschung anzustellen, lohnt sich allerdings nur vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über Funktion, Organisation und Rolle in der gegenwärtigen Gesellschaft. Einige der wichtigsten Kraftlinien dieser stellenweise direkt heftigen Diskussion sollen - freilich skizzenhaft - als Prämissen weiterer, gegenstandsgebundener Gedankengänge sichtbar gemacht werden.

Überlegungen dieser Art haben natürlich auch in unserem - osteuropäischen - Fall auszugehen von einer Grundfrage, die den gegenwärtigen Debatten über Aufgaben und Rolle der Hochschuleinrichtungen in der heutigen Gesellschaft zugrundeliegt. Denn schließlich muß - zumindest von Zeit zu Zeit, um so mehr in einer Übergangs- oder Krisenzeit - jene Institution / Organisation, die Hochschule, "der gesellschaftlich zuerkannt wird" - wie Pierre Bourdieu es einmal (in Homo academicus, 1992) auf eine kurze Formel brachte -, "eine den Anspruch auf Objektivität und Universalität erhebende Objektivierung durchzuführen"(1), auf ihre soziale und bildungsgerechte Wirksamkeit hin geprüft werden. Die vorher genannte Frage ist vor nicht langer Zeit, nämlich 1994, von dem scheidenden Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Gustav Dieckheuer auf folgende Art und Weise artikuliert worden:

"Stehen sich tatsächlich Wissenschaft, Forschung und Lehre in der Universität und ökonomisches Denken auf der einen Seite oder stehen sich die Ideen von Humboldt und (Adam) Smith auf der anderen Seite antagonistisch gegenüber?"(2)

Auf diese von ihm selbst formulierte Frage gab derselbe Rektor eine entschiedene Antwort: "Meine Antwort ist nein!" (ebd.)

Denn sowohl Humboldts als auch Adam Smiths Vorstellungen, die sicherlich bestimmten Aufgaben ihrer Zeit entsprangen, berühren sich - seiner Meinung nach - im Wesentlichen in dem Gedanken von der Einheit der Wissenschaften, die den Idealen der Aufklärung und des Liberalismus entsprechen und dienen sollte. Dies bedeutete sowohl Bildung durch Wissenschaft, Autonomie und Einheit der Wissenschaften sowie Einheit von Lehre und Forschung, nicht zuletzt jedoch auch Bewegung in Richtung auf Interdisziplinarität und fächerübergreifendes Denken. Das staatliche Regulativ, das von Smith für erforderlich gehalten wurde, damit dem Allgemeinwohl dienende soziale und kulturelle Leistungen bereitgestellt werden können, hatte Humboldt in der Pflicht erblickt, Lehre und Forschung im Hinblick auf übergeordnete Ziele des Gemeinwesens zu beaufsichtigen. Denn - so Gustav Dieckheuer in Hochschulreform und Ökonomie - Abschied vom Leitbild der Humboldtschen Universität, 1995, weiter - "es galt und gilt damals wie heute, Balance zu halten zwischen staatlichem Einfluß einerseits und absoluter freiheitlich-individueller Entfaltung andererseits."(3)

Daß es mit dieser Balance, mit diesem Gleichgewicht nicht immer klappt, stellten und stellen wir im Osten wie im Westen gleichermaßen immer wieder fest. Denn es gilt auch heute der Umstand, daß der Mangel an Zielerfüllung, der überall zur Sprache gebracht wird, auf eine "offenkundige Diskrepanz zwischen universitärer Wirklichkeit und gesellschaftlichem Anspruch"(4) zurückzuführen ist. In dieser weniger erfreulichen Bilanz sind im Grunde genommen wesentliche Aspekte der universitären Tätigkeit anvisiert wie etwa:

- praxisferne Studieninhalte und Studienstrukturen, die den modernen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht entsprechen;
- schlechte Qualität der Lehrer;
- zu wenig anwendungsorientierte Forschung, die im internationalen Vergleich deutliche Leistungsdefizite erkennen läßt;
- ineffiziente und deshalb zu teuere Wissenschaftsorganisation und Hochschulverwaltung(5)

Das oben erwähnte Gleichgewicht meint hier den möglichst gleichmäßig zu haltenden Einfluß der sogenannten intrinsischen Motivation (d.h. des Pflichtbewußtseins eines freien Geistes im Sinne der Kantschen Vernunftsphilosophie) und der extrinsischen Leistungsanreize (d.h. der Anreize, die meist von den Markt- und Wettbewerbsmechanismen herrühren).

Andererseits stellen gute Beobachter der deutschen Hochschulszenerie auch in diesem Land - ebenso wie Pierre Bourdieu vorher in Frankreich - eine tiefere, regelrechte "Modernisierungskrise" fest, da die Universität "hartnäckig an ihrer idealistischen Theorie" festhalte. In einem stark polemisch angelegten, ja zum Nachdenken geradezu beschwörenden Buch über die Unzeitgemäße Universität, 1994, sagt Jürgen Mittelstraß, daß zu der erwähnten "Modernisierungskrise" auch "die Idee einer Einheit von Forschung und Lehre" sowie "die Ideen einer Bildung durch Wissenschaft und einer Forschung in Einsamkeit gehören", wobei sich die Hochschule immer unfähiger zeige, zeitgemäß zu sein, d.h. in ihrer "institutionellen Einheit von Wissenschaftssystem und Bildungssystem" der modernen Gesellschaft zu entsprechen(6). Abgesehen davon, daß Mittelstraß hier der Meinung von Niklas Luhman etwa in dem Beitrag Die Universität als organisierte Institution, 1992(7), widerspricht, auf die wir später eingehen wollen, nämlich daß - so Mittelstraß - die Universität eher eine Institution als eine Organisation sei, ist die Analyse von Jürgen Mittelstraß sehr radikal-kritisch und konstruktiv zugleich.

Noch Anfang der 60er Jahre schien die theoretische Diskussion um die Reformierung der Hochschulen in Deutschland "in ein praktisch folgenreiches Stadium getreten zu sein" - wie es Henning Müller und Peter Schneider in ihrem Vorwort zu dem Band Die Einheit von Forschung und Lehre als Problem der modernen Hochschule sahen. Die Änderungen waren bedingt durch eine Entwicklung, die schon damals zwei Tendenzen sichtbar werden ließ:

a. "der quantitativ rasch wachsende Bedarf der technisierten und bürokratisierten Gesellschaft an hochschulmäßig ausgebildeten Fachkräften"und
b. "die qualitative Differenzierung der einzelnen Wissenschaften".

Dabei sah man die Garantie für die Beibehaltung der universitären Einheit in der "Lehrer-Forscher-Persönlichkeit".(8) Allerdings machte Theodor W. Adorno im Aufsatz Die Einheit von Forschung und Lehre unter den gesellschaftlichen Bedingungen des 19. und 20. Jahrhunderts noch in jenen Jahren darauf aufmerksam, daß "eine explizite Theorie über die Einheit von Forschung und Lehre /bei W. v. Humboldt/ offenbar nicht vorliegt", daß diese Einheit sich "eigentlich mit dem Begriff der Bildung deckt" in einer "zirkulären Konzeption der Wirklichkeit", in der "unter dem autonomen Subjekt nicht mehr bloß das transzendentale Subjekt verstanden wird, sondern die Gesellschaft, die sich selbst ihre Grenzen gibt."(9) Aus der Sicht der höchsten Wissenschaft zu Zeiten Humboldts, der Philosophie, sei "die Universität schon damals ein Versuch gewesen, die Differenz zwischen dem, was wir, naturrechtlich formuliert, als 'Menschen' sind, und unserer sozialen Funktion zu überbrücken, indem man sich an jene Gruppe junger Menschen wandte, deren beruflich noch nicht fixierte Stellung ihnen im Konflikt zwischen Existenz und Rolle eine Art Atempause gewährt, und die zugleich ihrer geistig-seelischen Entwicklung nach dem Fachmenschen noch fern stehen." Die Einheit von Lehre und Forschung sei nach Humboldt nur "innerhalb des Bildungswesens selbst" zu verwirklichen, also nicht in der Gesamtgesellschaft. Dabei ist der Trend dem völlig unförderlich, denn "mit steigender Differenzierung einer Disziplin entwickeln sich Lehre und Forschung notwendig auseinander, wobei die Lehre der Forschung meist nachhinkt" - so Adorno weiter.(10) Die genannte Differenzierung, die Besinnung einer jeden Wissenschaft auf ihre eigene Spezifizität habe zur "Aufgabe der Einheit im Bildungsbegriff" geführt, so daß "viele Einzelwissenschaften, vor allem Geisteswissenschaften, sich selbst Endzweck geworden" seien und "verkümmern". Es blühen nur die Disziplinen, mit denen der Weltgeist /verbunden/ ist, d.h. die Naturwissenschaften und diejenigen, die technologisch verwertbar sind. Viele Geisteswissenschaften haben vor sich selber gar keine andere raison d'être als die, Wissenschaft zu sein. Im tiefsten wissen sie um diese ihre Insuffizienz und ziehen daraus ein Ressentiment, das sie um die eigentliche Produktivität bringt."(11) Diese hier von Adorno postulierte "Insuffizienz" dürfte auch uns im Rahmen dieser Tagung bewußt werden und dazu anregen, zu ihrer Klärung beizutragen.

Nun, daß - notwendige - Diskussionen sich - leider nicht immer produktiv und der Sache dienlich - viel zu sehr in die Länge ziehen, hat auch die von Immanuel Kant in seiner Schrift Streit der Fakultäten aus dem Jahre 1798 ausgelöste Debatte über die Notwendigkeit der Reform der Universität gezeigt, die durch die inzwischen berühmten und immer wieder herangezogenen Stellungnahmen von Fichte und Schleiermacher zwischen 1802 und 1816 heftig geführt wurde, wie in dem 1990 bei Reclam in Leipzig erschienenen Band Gelegentliche Gedanken über Universitäten von Engel, Erhard, Wolf, Fichte, Schleiermacher, Savigny, von Humboldt, Hegel dokumentiert wird.(12) Schon damals haben sich die Geister geschieden: die konservativen Lehrkräfte lehnten jegliche Neuerungen entschieden ab. Und so geschah es, daß "Schleiermachers Halbheiten ... über Humboldts und Fichtes Visionen" siegten.(13)

Einen ähnlichen Widerstand gegen Erneuerung und Anpassung an die neuen, gegenwärtigen, komplizierten, dem wissenschaftlichen Zeitalter angemessenen Bedingungen und Anforderungen stellen klarsichtige Analytiker immer wieder fest. Das Festhalten an alten, oft wegen ihrer Bequemlichkeit vorgezogenen Bildungsmustern trägt wesentlich dazu bei, daß Schwierigkeiten und Krise der Universitäten noch gravierender, also noch unlösbarer, ja von manchen bewußt auf die lange Bank geschoben werden.

Diesen Umstand erschwert die bereits von Adorno ins Argumentationsfeld geführte erdrückende Zunahme der Anzahl der Studierenden, also der Bildungsnachfrager, die zusammen mit den intrinsischen Faktoren zur gegenwärtigen allgemeinen Situation geführt hat. Diese Situation faßte Jürgen Mittelstraß wie folgt zusammen: "Die Universitäten sind aus einer kurzen Humboldtschen Idylle, zu der nicht nur die Einheit von Forschung und Lehre, sondern auch Bildung durch Wissenschaft und Forschen in Einsamkeit und Freiheit gehörten, in das schwere Wetter eines Bildungssystems geraten, das in aufgezwungener und eigener Maßlosigkeit alles, was sich einmal mit ihrer (idealistischen) Idee verband, zu verschlingen droht und in dem ein Denken in Quantitäten alle Maßstäbe, auch die strukturellen, besetzte."(14) Die Folge liege auf der Hand: "Die Universitäten" - so Mittelstraß weiter - "geraten immer tiefer in eine institutionelle Krise, und ein neuer Humboldt ist nicht in Sicht", wobei "Asymmetrien zwischen Lehrbelastung und Forschungsgebot" entstünden. Die dabei zustandegekommenen Ein-Fach-Fakultäten nennt Jürgen Mittelstraß "die McDonalds der neuen Hochschulstruktur".(15) Die Schwierigkeiten einer Reform von Lehre und Forschung rührten nach ihm daher, daß oft die Lehre der Wissenschaft vorgezogen werde. Da die Universitäten "wissenschaftliche Hochschulen" seien, sind Forschungsleistungen unerläßlich, wenn die Universität vermeiden will, auf die tiefer liegende Stufe einer Fachhochschule hinzusinken. Dabei würde eine Entwissenschaftlichung und Verschulung des Studiums geschehen, der als Wissenschaftler agierende Hochschullehrer geriete dann in die Rolle eines Studienrates im Hochschuldienst.(16) Man müsse - so Mittelstraß weiter - am wissenschaftlichen Charakter der Universität um jeden Preis festhalten, denn "die Zukunft einer disziplinär und, bezogen auf die Lösung von Problemen, die uns wie Umwelt, Energie und Gesundheit auf den Nägeln brennen, transdisziplinär organisierten Forschung sind noch immer die Universitäten ..." Dies gelte um so mehr, da es Versuche gibt, die Wissenschaft von der Bildung zu entkoppeln, was dem von Leibniz postulierten Stichwort "theoria cum praxi" widerspräche, da Wissenschaft nützlich zu sein habe und sich deshalb das Wissen mit der Praxis verbinden müsse. Mittelstraß faßt die Problematik treffend zusammen: "Gewiß, wir leben in den Universitäten nicht mehr in einer Humboldt- oder Fichte-Welt; aber bedeutet das auch, daß Bildung durch Wissenschaft und Wissenschaft als Lebensform keinen Platz mehr in der Universität, und das heißt auch: in einem modernen Bildungssystem, haben? Wenn Modernisierung der Universität sich im Zeichen von Verschulung und Entwissenschaftlichung mit Schleiermacher verbinden sollte und mit der Verächtlichmachung einer Theorie der Universität und der Bildung auch eine Marginalisierung der Geisteswissenschaften, d.h. der Wissenschaften von der Kulturform der Welt, zum Ziele hat, dann ist es angezeigt, sich in unzeitgemäßem Geiste gegen diese Form der Modernisierung zu wenden."(17) Denn die wissenschaftliche Hochschule Universität müsse auf die "Außerordentliche Leistung" achten, um sich dem Schleiermacherschen Durschnittlichen zu entziehen.

Leider stehen die universitären Einrichtungen unter den denkbar ungünstigen Vorzeichen eines "Gespensterdreiecks, de(s) Dreieck(s) von Bildungskatastrophe, Massenhochschule und einem 'Auswandern' der Forschung in universitätsferne Bereiche": "Aus der göttlichen Allmutter (alma mater; G.G.), deren Urahnin die kleinasiatische Kybelle, Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit, war, ist eine mißlungene und mühsam ernährte, gleichwohl ungesund wachsende, sehr weltliche Institution geworden."(18) In welcher Welt agiert eigentlich die Universität heute? In einer anderen freilich als jener, in der die Humboldtschen Überlegenungen zustandekamen. Mittelstraß nennt diese neue Welt von heute die Leonardo-Welt. Nachdem die Menschen in der Kolumbus-Welt sich als Entdecker hervortaten und in der Leibniz-Welt als Deuter am Werk waren, sei die moderne Welt die Welt des homo faber, "die sich Wissenschaft und Technik verdankt und die doch gleichzeitig beginnt, sich an die Stelle des Menschen zu setzen." Das ist also die Leonardo-Welt.(19) In dieser Welt lebe und arbeite der wissenschaftlich forschende akademische Benediktiner: "Wissenschaft ist ... nicht Theorie und Prognose der Zukunft der Wissenschaft, sondern die Arbeit der stillen Leidenschaftlichen (selten der Melancholiker) unter den Wissenschaftlern, der Entsagungsvollen ..., der Hartnäckigen und Vernarrten, die um jeden Preis ein Experiment 'zum Laufen' bringen, einen Beweis führen, einem Gedanken zur Klarheit verhelfen wollen. Diese Arbeit ist es, die den Forschungsprozeß Wissenschaft weitertreibt, die den Keim der Zukunft, auch den einer besseren Leonardo-Welt, in sich trägt und die die ewige Jugend des wissenschaftlichen Geistes ausmacht."(20) Mittelstraß formuliert hier - sehr attraktiv - eine Wunschvorstellung, die unter "den Bedingungen von Massenuniversitäten" auch "zu einem Mythos zu werden droht", wobei die Rettung in der Transdisziplinarität, in der Elitenbildung und in den "jungen" Universitäten erblickt wird.(21)

 

Die Auffassung vom universitären Bildungsbetrieb als einem Marktmechanismus vertritt - wie von Dieckheuer angedeutet - die ökonomisch geprägte Ausrichtung, in dem "sich das Angebot des Gutes Bildung und die Nachfrage nach dem Gut Bildung gegenüberstehen".(22) Darin übe der Staat seine regulierende Funktion aus dadurch, daß:

a) das Bildungsangebot quantitativ und strukturell fixiert wird;
b) die Finanzierung dieses Angebots weitgehend unabhängig von Leistungskriterien erfolgt;
c) durch den Numerus clausus der Bildungsnachfrage generelle oder örtlichen Beschränkungen auferlegt werden;
d) eine Marktmacht der Bildungsnachfrage durch die Art der staatlichen Bildungsfinanzierung vollständig ausgeschaltet wird.(23)

Angestrebt werde bei der Suche nach neuen Formen und Inhalten des universitären Betriebs eine Marktregulierung, die einem konkurrentiellen Bildungssystem das Wort reden soll. Konkurrentiell meint hier zweierlei Möglichkeiten:

Ob damit Konkurrenz im Sinne marktwirtschaftlicher Ansprüche zustande kommen kann, soll abschließend am Falle Rumänien kurz dargestellt werden. Angestrebt war und ist weiterhin eine Marktregulierung bei der Zielerfüllung durch die Universitäten:

a) stattfinden soll dabei ein Wettbewerb der Universitäten und einzelner Fachbereiche um die Nachfrager nach Bildung;
b) die Präferenzen der Bildungsnachfrager müssen besser berücksichtigt werden, der systemimmanente Zwang soll aufgelockert, ja beseitigt werden;
c) neue, wirksamere Mechanismen sollen geschaffen werden, die eine bessere Qualität der Lehre, der Forschung und der Förderung des wissenschaftlich-akademischen Nachwuchses gewährleisten.

 

Zum Abschluß dieser panoramahaften, themabezogenen Überlegungen zum gegenwärtigen und künftigen Status der Universität als sozial bedeutender, wenn nicht gar entscheidender Einrichtung muß auch die systemtheoretische Sicht eines bekannten Soziologen, der von innerhalb des universitären Betriebs her die Lage der "organisierten Institution" Universität untersuchte, nämlich von Niklas Luhmann, ins Blickfeld geführt werden.

In einer Welt "opportunistisch flukturierender Werteverwirklichung", in einer Welt also, in der sich "systemerhaltende oder problemlösende Funktionen" angeben lassen, seien "Änderungen möglich, aber schwierig"(25). Die Schwierigkeiten sind nicht zuletzt auf die Vorherrschaft systemerhaltender, sich allerdings liberal gebärdender Praktiken zurückzuführen, die Luhmann mit dem Begriff "Wabuwabu" umschreibt: "Wabuwabu ist legitime, durch Binnenmoral gestützte Praxis, sofern es an den Grenzen der eigenen Gruppe geübt wird und diese eigene Gruppe nicht zu sehr belastet." "Domestikation" und "Binnenloyalität in den Gruppen" sind weitere Faktoren dieses Trägheitsphänomens, das sich auf die gesamte gesellschaftliche Entwicklung verheerend auswirken kann. Denn im Sinne seiner Systemtheorie sieht Luhmann - so im Beitrag Wabuwabu in der Universität, 1975 - die Zusammenhänge besonders deutlich: Im Erziehungssystem müsse "die Gesellschaft im ganzen und in all ihren Funktionssystemen reproduziert werden ..., so daß hier über die Komplexität der Zukunft entschieden wird." ... "Andererseits ist und bleibt das Erziehungssystem nur ein Teilsystem der Gesellschaft - funktional spezialisiert auf Erziehung für alles. Die Engpässe dieses Teilsystems definieren Restriktionen künftigen Kommunikationspotentiale, künftiger Gesellschaft. Und es könnte sein, das hier kritische Engpässe für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung liegen, so daß sich über kurz oder lang von hier aus entscheidet, was politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich usw. ermöglicht werden soll."(26) Die gesellschaftliche Steuerfunktion der Universität könnte sonst kaum besser definiert werden, als es hier Luhmann gelingt!

Wesentlich scheint uns Luhmanns Analyse über die Zwei Quellen der Bürokratisierung in Hochschulen aus dem Jahre 1981. Bei den zwei Quellen handelt es sich paradoxerweise "um Faktoren, die sich allgemeiner Wertschätzung erfreuen und die zunächst außer Verdacht sind, nämlich um die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse und um die Autonomie der Lehre und Forschung."(27) Die vielgepriesene Demokratisierung bringe eine "Multiplikation der Entscheidungslast", also eine zuletzt unerträgliche Hinausschiebung wichtiger Entscheidungen mit sich. Durch die Autonomie von Lehre und Forschung werde bewirkt, daß "über die Leistung selbst ... in den Zentralen nicht, ja nicht annäherungsweise disponiert werden /kann/. Die Leitung präsidiert, um die Formulierung eines amerikanischen Universitätspräsidenten aufzugreifen, über einer organisierten Anarchie."(28) Und um dies plastisch vor die Augen des Lesers zu führen, gibt Luhmann ein einleuchtendes Beispiel von der eigenuniversitären "Demobürokratisierung"(29): "Die Ministerien sind mitbeteiligt, zum Teil aus den gleichen Gründen, die in den Hochschulen bürokratiefördernd wirken. Wenn aber in meiner Fakultät bei der Bewilligung der Mittel für eine studentische Hilfskraft für ein paar Monate drei verschiedene Kommissionen über den Antrag beraten müssen und ein entsprechend dreistufiger Dienstweg einzuhalten ist, Termine verpaßt werden können, Mitteilungen zu spät eintreffen, rechtzeitiges Einreichen der Anträge angemahnt werden muß, also Zuständigkeiten für dieses Anmahnen des rechtzeitigen Einreichens der Anträge bereitgehalten werden müssen, daß solche Anträge bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einzureichen sind, und in ihren Sekretariaten diese Mitteilungen abheften lassen, dann hat niemand, auch kein Ministerium, dies gewollt. Man will nur die Ursachen dieser Effekte: demokratische Beratung aller Entscheidungen und Autonomie von Lehre und Forschung." Dabei seien Teams in der wissenschaftlichen Forschung in den Universitäten "unverantwortlich" und "Träger" von Illusionen.(30)

Luhmann ist nicht nur Kritiker und Analytiker des bestehenden Hochschulsystems in Deutschland und an und für sich, sondern bietet auch eigene, recht reizvolle Perspektiven für Hochschulpolitik. In dem gleichnamigen Beitrag aus dem Jahre 1983 regte er an: "Die Forschung selbst sollte pädagogisch wirken", denn "die Humboldtsche Universitätsidee war von einem Bildungsgedanken ausgegangen, der heute nicht mehr aktualisiert werden kann."(31)

Für die Gesundung des Hochschulsystems schlägt Luhmann die Einführung von "offengehaltenen Wahlmöglichkeiten", damit "ein Übergang aus der einen in die andere Studienrichtung ermöglicht werden" könne.(32)

Als Beispiel für die Trägheit selbst neu eingerichteter Universitäten führt der deutsche Soziologe Luhmann das Beispiel der Universität Bielefeld an, die nach Helmut Schelskys Denkschrift Grundzüge einer neuen Universität wie folgt hätte aussehen müssen: "Als institutionelle Grundlage moderner Forschung ist, auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften, das betriebsförmig organisierte Forschungsinstitut anzuerkennen. Es ist die Kernzelle einer Universität, die sich auf der Grundlage der Forschung aufbaut."(33) Dabei spielte der Humboldtsche Gedanke von der Einheit von Lehre und Forschung mit eine Rolle: "Dabei war jedoch" - erläutert Luhmann, der selbst an der Universität Bielefeld unterrichtet hat - "zunächst an eine thematische, weniger an eine organisatorische Einheit gedacht." So daß "aus der Institution ... nichts geworden" sei: "Vielmehr hat sich die Logik der Organisation durchgesetzt." Und was birgt eine Organisation dieser Art in sich? Luhmann erklärt in seinem bereits erwähnten Beitrag Die Universität als organisierte Institution: "Wie der Begriff im System Hegels, so regiert Organisation heimlich immer schon die Geschichte der Veränderungen. Was bei allseits gutem Willen möglich ist, wird durch ein Netzwerk der Organisationen, also nirgendwo, entschieden. Die Realität ergibt sich aus einer osmotischen Beziehung der Organisationen, die folglich immer in der Lage sind, das, was zu entscheiden ist, als schon entschieden darzustellen."(34) Diese organisationsgünstig angelegte Entwicklung von ursprünglich angestrebter "Emanzipation" zur heutigen Form der "Partizipation" (also Mitbeteiligung, Mitbestimmung) kreierte eine eigenartige Semantik. Luhmann urteilt unerbittlich: "Die Vergangenheit wurde unter dem Modell der Universitätssklaverei rekonstruiert und die Ideologie der Emanzipation wurde in Sprecherrollen und Gruppenversammlungen artikuliert, deren Existenz und Kommunikationsfähigkeit der Organisation zu verdanken war."(35) Denn "das Soziotop Universität hat gegen Institution und für Organisation optiert. Man richtet sich in den dadurch gegebenen Bedingungen ein, und das scheint ein irreversibler Prozeß zu sein."(36) Diese organisationsmäßige Faktizität führe - sagt Luhmann in einem längeren Interview - zu einer "kaum überschaubaren Vermischung von politisch gesetzten Entscheidungsprämissen und Desideraten, die sich aus Lehre und der Forschung ergeben. Das liegt einfach daran, daß die Organisation, wenn man so sagen darf, eine Hypertrophie von Entscheidungsmöglichkeiten erzeugt und damit Parasiten anlockt."(37)

Da uns die Voraussetzungen und Bedingungen interessieren, unter denen Forschung an den Universitäten (noch) möglich sind, führen wir auch das Ergebnis der langwierigen Beobachtungen Luhmanns zu diesem Thema an, weil sie nicht zuletzt auch auf den gegenwärtigen Stand der rumänischen universitären Forschung zutrifft: "Gravierender ist, daß das Verhältnis von Forschung und Lehre ... gestört, nämlich zu Gunsten der letzteren disbalanciert wird. Lehre ist im Unterschied zur Forschung anhand von Stundendeputaten und Zeitplänen kontrollierbar. Wer nicht lehrt, fällt auf. Wer nicht forscht, verzichtet allenfalls auf etwas, was mehr und mehr als Privatgenuß eigener Aktivität erscheint."(38) Die offizielle Förderung der Forschung erfolgt auf schwierigsten, hinderlichen Wegen: "Die zeitliche Begrenzung der Forschungsförderung führt zur Episodenhaftigkeit der Forschung, zur Aufgliederung in 'Projekte', die mit Ergebnissen abgeschlossen und immer neu beantragt werden müssen. Ein beträchtlicher Zeitaufwand geht deshalb in das laufende Projektieren von Projekten."(39)

Die "Demobürokratisierung" und die Durchorganisierung der Universität sollten durch ein kreatives Chaos ersetzt werden - meint Luhmann -, "denn nach neueren systemtheoretischen Vorstellungen bietet das Chaos immer gute Möglichkeiten der Selbstorganisation. Schließlich trete Luhmann - im Unterschied zur Auffassung von Talcott Parsons über die Universalisierung des Zugangs zur Hochschulerziehung - für "die Idee funktionaler Differenzierung"(40) ein, die sowohl in der Benotung als auch in der Förderung des Nachwuchses zur Geltung gelangen müsse.

 

Diese hier etwas schematisch präsentierten Erkenntnisse wirken sich recht ernüchternd auf die "Errungenschaften" in den osteuropäischen Ländern, wo die Einführung pluraler Wissenschaftsverhältnisse und der Autonomie der Forschung regelrecht gefeiert werden. Ob die Chance struktureller und inhaltlicher Änderungen in diesen Ländern genutzt worden ist? Die Antwort auf diese Frage muß die eigenspezifischen Entwicklungen eines jeden dieser Länder berücksichtigen. Doch schon jetzt kann pauschal behauptet werden, daß die erwünschten Reformen nur langsam, behutsam, ja mit der unausweichlichen "organisatorischen" Trägheit professoraler Gruppeninteressen vorankommen. Und am schwierigsten erweisen sich die Umwandlungen im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, wie die Erfahrung in den neuen Bundesländern auf eine gravierend-deutliche Art und Weise gezeigt hat. Denn "der Wiederaufbau dieses Bereichs ist schwierig, zumal sich in ihm nicht nur der wissenschaftliche und der wissenschaftspolitzische Sachverstand ... zur Geltung bringen, sondern sich auch viele Amateure, selbsternannte (zuvor eher unsichtbare) Reformer und auf das Eigenwohl Bedachte tummeln."(41)

Überraschenderweise werden die Mahnungen von Seiten der Soziologen und Denkern vom Schlage eines Bourdieu oder Luhmann weitestgehend mißachtet. In den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Jahre 1993-1996 (Perspektiven der Forschung und ihrer Förderung. Aufgaben und Finanzierung) wird die Forschungsfreudigkeit der Hochschulen, "das Interesse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, innovative und kreative Forschung auf international konkurrenzfähigem, teilweise auch führendem Niveau zu betreiben", bekundet und dabei festgestellt: "Das Strukturprinzip der Verknüpfung von Lehre und Forschung an den Hochschulen scheint eine überrraschende Bestätigung zu erfahren: Der Antragszuwachs bei der DFG ist vermutlich auch auf die steigenden Studentenzahlen zurückzuführen."(42) Was Luhmann also als "beträchtliche(n) Zeitaufwand", als ein "laufende(s) Projektieren von Projekten" gebrandmarkt hatte, wird nun durch forschungsfördernde Einrichtungen als "organisatorisch" waltendes Prinzip erneut statuiert.

Dies geschieht nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in Rumänien, wo man im Zuge der universitären Autonomie voll im Begriff ist, eigene Regelungen und Bestimmungen, also jenes Knäuel von "organisatorischen" und "demobürokratischen" Hebeln zu schaffen, um die Forschungsarbeit zu fördern.

Das ist angesichts des Erbes ein notwendiger Schritt. Ob jedoch die angestrebten Ziele auch durch die angemessensten Mittel und Bestimmungen erreicht werden sollen, sei vorläufig dahingestellt.

In den Universitäten war die Situation vor der Wende besonders schwierig, "denn Konformismusdruck, internationale Isolierung vieler Gruppen und materielle Not haben ... die Spitzenforschung außerordentlich erschwert und weite Teile der Forschung auf systematische Bemühung im Rahmen einer herrschenden Meinung eingeschränkt ... In dieselbe Richtung hat die auch im Hochschulbereich stark spürbare Bevorzugung angewandter, oft auf die Lösung spezifischer Einzelprobleme gerichteter Forschung gewirkt.(43) Der gesamte "wirtschaftliche und in seinem Gefolge auch der weltanschauliche Zusammenbruch des Real-Sozialismus" war "so radikal, wie sich dies kein Mitlebender jeweils hatte vorstellen können" - bemerkte 1993 der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Wolfgang Frühwald(44), was prinzipiell auch auf die Lage in Rumänien zutrifft.

Doch so paradox dies klingen mag, sah in Rumänien die Situation in den Literatur- und Sprachwissenschaften, vor allem in den Philologien der Fremdsprachenfakultät, trotz restriktiver Rahmenbedingungen recht erfreulich aus.

Vor der Wende war die Forschung Bestandteil des Deputats einer jeden Lehrkraft. Dies machte etwa ein Drittel des Deputats aus. Im Rahmen von - in der germanistischen Forschung recht selbständig - vorherbestimmten, oft ideologieneutralen Forschungszielstellungen hatte man am Ende eines jeden kalendaristischen Jahres das Ergebnis der individuell oder in einem Team vorgenommenen Forschung vorzulegen. Dies geschah entweder in Form einer Untersuchung, in Form von Konspekten oder von Teilen einer größeren Untersuchung. Der Leistungsdruck wirkte sich recht produktiv aus, auch wenn nicht immer auf Qualität geachtet wurde, sondern auf eine formelle Evaluierung der geleisteten Forschungsarbeit. Immerhin konnte man sich anstrengen und individuell oder gemeinsam besondere Leistungen vollbringen, die in der Regel in der Druckerei der Universität oder in anderen Verlagen herausgegeben werden konnten. Meistens war dies Teil eigener Weiterbildung bzw. der Promotion.

Bevorzugter Gegenstand in der Literaturwissenschaft waren literaturhistorische oder rezeptionsgeschichtliche thematische Schwerpunkte oder interreferenzielle Erscheinungen des geistigen Lebens. Auch die Diskussion literaturtheoretischer Konzepte sowie ausgreifendender interdisziplinärer sowie interkultureller Fragestellungen stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rumänischer Akademiker.

Selbst unter materiell schwierigen Bedingungen waren die Leistungen der jeweiligen Forschung individuell unterschiedlich, ohne daß dies zu einer Sonderstellung im universitären Betrieb berechtigt hätte. Dennoch spielten die Forschungsergebnisse bei der jährlichen persönlichen Evaluation durch Verwaltungsverantwortliche mit eine wesentliche Rolle.

Diese Strukturen der Universität, die in den letzten Jahren vor der Wende mit Strukturen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen verflochten waren, brachen nach 1989 völlig zusammen, so daß sich bis heute an den rumänischen Universitäten noch kein System universitärer Forschung etabliert hat. Ansätze sind gemacht und manche Voraussetzungen geschaffen worden. Doch die Verwirklichung von Forschungsvorhaben ist den von Luhmann so krass deutlich gemachten parasitären und forschungshindernden strukturellen und konzeptionellen Schwierigkeiten ausgesetzt.

Ein diesbezügliches Beispiel liefern die jüngsten Bestimmungen der Bukarester Universität über die Möglichkeiten der Forschung an dieser traditionsreichen Hochschule Rumäniens.(45)

Darin werden "die Prinzipien der universitären Autonomie und der akademischen Freiheit als grundlegende Bestandteile der Hochschulreform in Rumänien" angeführt. Außerdem wird der "gleichberechtigte, undiskriminierende Zugang zu den Ressourcen" bei gleichzeitiger Anerkennung und Förderung des Wettbewerbs postuliert. Weiter heißt es im Art 1.3.: "Die Universität Bukarest unterstützt verwaltungsmäßig die Bildung von Teams sowie eigener oder in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen zustandegekommener Einheiten sowie deren Forschungsprogramme". Obwohl durch die Anerkennung der Teams die Luhmannsche Kritik hier Anwendung finden kann, so wird gleich anschließend im Art. 1.4. eine wichtige Aussage gemacht: "Die Universität Bukarest erkennt die volle Entscheidungs- und Durchführungsfähigkeit der Leiter von Forschungsprojekten voll an", was also mit einer genauen Verantwortungsträgerschaft verbunden ist.

All diese Bestimmungen stehen im Einklang mit dem Bildungsgesetz 84/1995 sowie mit der Charta der Universität Bukarest. Unterstützt werden sollen "die Forschungs- und Entwicklungsprogramme, die in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Forschung und Technologie, dem Bildungsministerium und der Rumänischen Akademie der Wissenschaften entstanden sind"; "die in internationaler Zusammenarbeit durchzuführenden Projekte": "die Forschungs- und Entwicklungsprogramme der intrinsischen Einrichtungen"; "die für dritte durchgeführten Dienstleistungen"; "die im Rahmen des Doktorats notwendigen Forschungen aufgrund des Regierungsbeschlusses 301/1996". Obwohl die Leiter der Projekte als "Direktoren" volle Freiheit genießen, koordiniert ein Prorektor die gesamte Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Universität - was eigentlich praktisch unmöglich ist. Die besonderen Forschungsleistungen führen zu einer differenzierenden Förderung in der akademischen Laufbahn. Denn der gesamten Tätigkeit der Universität lägen die "Kriterien wirtschaftlicher Effizienz und wissenschaftlicher Höchstleistung" zugrunde. Interessanterweise verweist Art. 5.8. auf die Humboldtsche Idee, wenn es dort heißt: "Die Forschungstätigkeit ist Bestandteil der Tätigkeit der Universität Bukarest", was mit anderen Worten bedeutet, daß am Prinzip der Einheit von Lehre/Bildung und Forschung im wesentlichen festgehalten wird, auch wenn da Wirtschaftlichkeit und konkurrentielle Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle spielen sollten.

"Die Ergebnisse der Forschungstätigkeit" - lautet Art. 9.1. - "stellen ein bedeutendes Kriterium der Evaluation der beruflichen Fähigkeiten im Falle der

- Einstellung und Förderung
- Ernennung in höhere hierarchische Stufen
- Verteilung der für die Forschung bestimmten Mittel" etc.

Diese Bestimmungen wurden auf der Sitzung des Senats der Bukarester Universität vom 27. März 1997 angenommen. Es bleibt abzuwarten, um im Laufe der nächsten Jahre zu sehen, ob diese Beschlüsse auch nennenswerte Forschungsergebnisse zeitigen werden.

Diese Bestimmungen müßten eigentlich auch für die privaten Universitäten Gültigkeit besitzen. Doch diese Einrichtungen sind mehr nach ökonomischen, gewinnbringenden Kriterien organisiert, so daß die Forschungstätigkeit an diesen von der Marktwirtschaft kreierten Einrichtungen sich sehr, sehr langsam entwickeln wird - es sei denn, es gibt Investoren, die die Tragweite einer zukunftsträchtigen Forschungstätigkeit erkannt haben. Dies bleibt aber vorläufig ein schöner Traum.

Von den Grundsätzen her versuchen Bestimmungen wie die bereits erwähnten - ebenso wie das gesamte Bildungsgesetz in Rumänien - Prämissen einer möglichst regen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu schaffen. Doch die Dürftigkeit der zur Verfügung stehenden finanziellen und materiellen Mittel wird sich mit Gewißheit recht hinderlich auswirken. Auch die bereits genannten parasitär geschwollenen Auswirkungen der Demokratisierung, der Autonomie, der organisationsmäßigen Regulative, ja der "Demobürokratisierung" im von Luhmann bestimmten Sinn werden ihre hinderliche Rolle voll zur Geltung bringen.

 

Die internationale Erfahrung in der universitären Forschungstätigkeit zeigt, daß "die Unternehmung 'Universität'" - wie Gustav Dieckheuer erläuterte - "ein komplexes soziales System" sei, "in dem Wissensgewinnung und Wissensvermittlung ein hohes Maß an Individualität und freiem individuellen Ermessen erfordert und in dem das Denken und Handeln maßgeblich durch die historisch gewachsenen Werte, Konventionen und informellen Normen bestimmt wird." Dabei erweise sich die Humboldtsche Idee - eigentlich unter anderen Bedingungen - als immer noch tragfähig: "So ist beispielsweise das Leitbild der Humboldtschen Universität" - führt Dieckheuer weiter aus - "nach wie vor eine wichtige Grundlage dieser Werte und Normen, wobei es weniger auf die unveränderte Gültigkeit der originären Ideen Humboldts als vielmehr auf den im Laufe der Zeit entwickelten und jetzt aktuellen Sinngehalt dieses Leitbildes ankommt." Die Leonardo-Welt eines Mittelstraß entspricht der von Dieckheuer postulierten mentalen Welt: "Diese mentale Welt, die Gesamtheit der Werte, Konventionen und informellen Normen wird mit dem Begriff der Unternehmenskultur erfaßt... Auch für eine Universität gilt, daß sie im Hinblick auf bildungspolitische Ziele letztlich nur erfolgreich sein kann, wenn sie eine starke Unternehmenskultur besitzt."

Dieses Desiderat müßten die Reformer universitärer Tätigkeiten stets vor Augen halten. Der Abschied von der Humboldtschen Universität erfolgt - wie Dieckheuer abschließend ausführt - "durch die Wiederbelebung und vor allem moderne Weiterentwicklung des Leitbildes der Humboldtschen Universität."(46)

© George Gutu (Bukarest)

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Anmerkungen

(1) Pierre Bourdieu: Homo academicus. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1992, S.11.

(2) In: Gustav Dieckheuer: Hochschulreform und Ökonomie - Abschied vom Leitbild der Humboldtschen Universität. Vortrag anläßlich der Rektoratsübergabe am 5. Oktober 1994. Verlag Regensberg: Münster 1995,  S.1.

(3) Ebd.: S.4.

(4) Ebd.: S.5.

(5) Ebd.

(6) Jürgen Mittelstraß: Die unzeitgemäße Universität. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1994.

(7) Niklas Luhmann: Universität als Milieu. Kleine Schriften. hg. v. André Kieserling: Haux: Bielefeld 1992, S.90-99.

(8) Henning Müller/ Peter Schneider: Vorwort zu: Die Einheit von Forschung und Lehre als Problem der modernen Hochschule. Zwei Vorträge und vier Vortragsprotokolle, zusammengefaßt von Erhard Denninger, Günter Eifler und Gerd Roellecke, S.3.

(9) Theodor W. Adorno: Die Einheit von Forschung und Lehre unter den gesellschaftlichen Bedingungen des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Müller / Schneider, S.5.

(10) Ebd.: S.8.

(11) Ebd.: S.9.

(12) Siehe: Gelegentliche Gedanken über Universitäten von Engel, Erhard, Wolf, Fichte, Schleiermacher, Savigny, von Humboldt, Hegel. Reclam: Leipzig 1990.

(13) Jürgen Mittelstraß: Die unzeitgemäße Universität. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994, S.23.

(14) Ebd.: S13.

(15) Ebd.: S.14.

(16)  Ebd.: S.16f.

(17) Ebd.: S.25f.

(18) Ebd.: S.30f.

(19) Ebd.: S.32f.

(20) Ebd.: S.35.

(21) Ebd.: S.49ff.

(22) Gustav Dieckheuer: Hochschulreform und Ökonomie - Abschied vom Leitbild der Humboldtschen Universität. Vortrag anläßlich der Rektoratsübergabe am 5. Oktober 1994. Verlag Regensberg: Münster 1995,  S.6.

(23) Ebd.: S.7.

(24) Pierre Bourdieu: Homo academicus. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1992, S.18 ff.

(25) Niklas Luhmann: Universität als Milieu. Kleine Schriften. hg. v. André Kieserling: Haux. Bielefeld 1992, S.19, 22f.

(26) Ebd.: S.48.

(27) Ebd.: S.75.

(28) Ebd.:  S.76.

(29) Ebd.: S.110.

(30) Ebd.: S.76f.

(31) Ebd.: S.82.

(32) Ebd.: S.84.

(33) Apud  ebd.: S.91.

(34) Ebd.: S.94f.

(35) Ebd.: S.96.

(36) Ebd.: S.98.

(37) Ebd.: S.110.

(38) Ebd.: S.97.

(39) Ebd.: S.98.

(40) Ebd.: S.123.

(41) Jürgen Mittelstraß: Die unzeitgemäße Universität. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994, S.124.

(42) Aufgaben, Verfahren und Finanzierung. In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Perspektiven der Forschung und Förderung. Aufgaben und Finanzierung 1993-1996. Bonn: VCH 1993, S.3.

(43) Ebd.: S.4.

(44) Wolfgang Frühwald: Forschungsförderung in den neuen Bundesländern. Feierstunde anläßlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. Hans-Jürgen Zobel. 24. Mai 1993. Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald 1993, S.16.

(45) Universitatea din Bucuresti: Regulamentul privind organizarea si desfasurarea cercetarii stiintifice (Verordnung über die Organisation und Durchführung der wissenschaftlichen Forschung). Bukarest 1997.

(46) Gustav Dieckheuer: Hochschulreform und Ökonomie - Abschied vom Leitbild der Humboldtschen Universität. Vortrag anläßlich der Rektoratsübergabe am 5. Oktober 1994. Verlag Regensberg: Münster 1995, S.18 bzw. 21.


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