ABSTRACT:
An Szenarios des Weltuntergangs mangelte es in der Zwischenkriegszeit nicht. Oswald Spenglers berühmtes Buch vom Untergang des Abendlandes machte die antike Großstadtzivilisation - von der griechischen polis bis zur römischen metropolis - zum Paradigma der gesamten abendländischen Kultur. Anhand der vollkommenen Auflösung der antiken Kultur, antizipierte er das künftige Schicksal der zeitgenössischen. So wurde der Zerfall der Großstadtzivilisation des Altertums, vor allem der Untergang Roms, ein ewiges memento mori, der einprägendste Akt innerhalb des Stationendramas vom Untergang der Welt. In Spenglers Darstellung kulminierte ein neuer Rom-Kult, der von der letzten Jahrhundertwende bis zu unserer Jahrtausendwende reicht und eine neue Renaissance der Antike mit sich brachte. Wie frühere Wiedergeburten der antiken Tradition - Renaissance und Klassizismus - hängt auch die moderne im 20. Jahrhundert mit der Befindlichkeit und den Komplexen des aus der Gemeinschaft losgelösten Individuums zusammen: In Roms letzten Tagen erkannte es den "Präzedenzfall" eines vollzogenen Weltuntergangs, ein Lebensgefühl, das sich bis zu den apokalyptischen Visionen der 90er Jahre und an der Wende ins dritte Jahrtausend steigerte. Diese Erkenntnis liefert eine Erklärung für die erneute Popularität des Themas der untergehenden Großstadt, der gigantischen Metropole aus der römischen Kaiserzeit. Die Rom-Mode der Zwischenkriegszeit in Europa basierte auf dem "déjà vu"-Erlebnis des vergebens nach Erlösung strebenden Individuums, das aus seiner Verzweiflung eine heroische Haltung zu schmieden versuchte. Der Mensch der 20er und 30er Jahre, nach Analogien suchend, war geneigt, in dem verluderten chaotischen Stadtstaat Rom einem alten Bekannten gleichsam wieder zu begegnen, als erlebte er die Rückkehr einer vertrauten historischen Situation: Im fernen Altertum existierte eine seit langem versunkene urbane Zivilisation, die in ihren Symptomen dem Menschen "des Zeitalters der vollendeten Sündhaftigkeit" zahlreiche Analogien in Form möglicher Haltungsmuster offerierte. Der Vortrag vergleicht den Roman Nero, der blutige Dichter (1921) des Ungarns Kosztolányi und das Drama Caligula (1938) des Franzosen Albert Camus miteinander und mit ihren historischen Vorlagen.