ABSTRACT:
Bei der Rekonstruktion des reifen philosophischen Diskurses von Hermann Broch müssen wir die drei wichtigsten Ebenen klar voneinander unterscheiden. Genuin und in einem kaum doktrinalen, um so stärker intellektuellen Sinne hegelisch ist sein Denken insofern, als seine Argumentationen sowohl nach "oben" wie auch nach "unten" stets und bewusst durch eine Reihe von Vermittlungen durch eine vermittelnde "mittlere" Ebene führen. Es ist um so wichtiger, weil hier sich die Sachkomplexe artikulieren, die sich um die Kategorisierungen von sinnlichen oder anderswie der Erfahrung zugänglichen Materialien geht. Von Hegel gesehen ist es die Ebene des Besonderen, vom Positivismus gesehen aber ist dieselbe Ebene der Kategorisierung und der möglichen Wissenschaft, die des im breiten Sinne verstandenen Positivismus also. Sachkomplexe und ihre Kategorisierungen werden aber auch bei Broch (und bei ihm auf eine ungewohnt strenge Weise) wissenschaftslogisch begründet. Dadurch entsteht eine weitere Ebene. Neben den Schichten der Begründung und der Kategorisierung, bzw. Vermittlung (neben einer ersten und zweiten Ebene also) ersteht bei Broch aber auch eine dritte Ebene, wo versucht werden kann, ein Ganzes auch zu konzeptualisieren. Somit wird uns ein spezifischer Zug des Brochschen philosophischen Diskurses schon an dieser Stelle klar. Es ist das ausgeglichene und das kritisch-systematische Interesse für alle drei Ebenen (wissenschaftslogische Begründung, bzw. dynamische Beschreibung von Sachkomplexen, die ständig in Funktion gesetzte dynamische Vermittlungskette, sowie die ständige Konzipierung, bzw. Thematisierung des Universalen).
Hermann Brochs philosophisches Lebenswerk lässt sich gewiss auch noch in anderen Zusammenhängen rekonstruieren. Bleibt man aber bei dieser Rekonstruktion und deren Logik, so wird es auf einen Schlag klar, wie komplex diese Philosophie in bezug auf ihre offenen, bzw. geschlossenen Dimensionen ist. Es ist nämlich einsichtig, dass alle drei genannten großen Komponenten in strengerer philosophischer Sicht schon in sich gleich "offen" und "geschlossen" sind. Daraus wird es klar, dass eine direkte Stellung der Frage nach dem offenen und/oder geschlossenen Charakter der Brochschen Philosophie zur Beschreibung des Wesens dieser Denkweise hinführen kann.
Der Vortrag nimmt diese Komplexität nicht als nur eine Eigenschaft von Brochs Denken. Er betrachtet dieses Denken als Vertreter eines neuen philosophischen Modells, das vor Broch vor allem in Max Schelers Philosophie artikuliert wurde. In diesem Kontext untersucht der Vortrag auch die vielfache Komplexität Brochs in Hinsicht auf Offenheit und/oder Geschlossenheit der Philosophie.
Als spezifischen Zug dieses mit Scheler angedeuteten Modells erblicken wir in der Sonderstellung in Schelers vielschichtige und multiperspektivistische Kritik am Positivismus. Im Vortrag wird diese Sonderstellung einerseits detailliert erschlossen und andererseits ihre allerwichtigsten Eigenschaften in Brochs Denken ausgewiesen und verifiziert.