Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
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Hermann Brochs Wertetheorie im Kontext der kulturellen Wende

Wolfgang Müller-Funk (Institut für Germanistik - Universität Wien)

 

ABSTRACT:

Bekanntlich durchzieht die Diagnose des Wertverlustes das gesamte Oeuvre von Hermann Broch. Es ließe sich sogar behaupten, dass Broch die Moderne durch ein dramatisches Wertevakuum charakterisiert sieht, wie er das in der Schlafwandler- Trilogie anhand einer zeitverschobenen Typologie demonstriert, als dezentrierte >Romantik< eines Militärs, des Inbegriffs der alten Ordnung, als Anarchie eines sozial deklassierten Handlungsangestellten sowie als radikalen Amoralismus - "neue Sachlichkeit"- eines zwielichtigen Projektemachers. Der Terminus des Schlafwandelns verweist dabei auf einen Tatbestand, der in den heutigen Kulturwissenschaften unter Verwendung anderer Begrifflichkeiten höchst aktuell ist: die kulturelle Formung von Lebensweisen, latenten Dispositionen und körperlich eingeschriebenen Modi (Habitus). Der von Broch verwendete Wertbegriff, der nicht zufällig mit jenem von Rickert und Simmel korrespondiert, ist zum einen ein analytischer, zum anderen aber ein normativer Begriff. In seiner späten Massenwahntheorie sieht Broch im Wertevakuum die entscheiden Ursache für jenen Massenwahn, der den autoritären Bewegungen in den 1920 und 1930er Jahren zum Durchbruch verholfen hat. Broch konnte sich nicht vorstellen, dass Gesellschaften ohne hinreichende verbindliche Symbolbestände (Wertesysteme) auf Dauer überlebensfähig sind. Ebenso wenig bedachte er die Möglichkeit, dass moderne Gesellschaften neue symbolische Formen hervorbringen können. Broch eigene Versuche zum "Irdisch Absoluten" stellen indes den versuch dar, der modernen säkularen Welt eine theoretische Unterlegung zu geben.

Der Beitrag untersucht die theoretischen Grundlagen von Brochs Philosophie und stellt sie kritisch in den Kontext der heutigen Diskussionen. Er analysiert Brochs Wertetheorie unter kulturwissenschaftlichen Prämissen und begreift zugleich Brochs Werk als eine Kulturanalyse im Medium des Literarischen.

Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9. - 11. december 2005

H O M E
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