ABSTRACT:
Auf den ersten Blick mag es scheinen, daß Brochs Werttheorie in ihrem Binarismus geschlossener und offener Systeme selbst in einem performativen Widerspruch gefangen ist: Das nämlich, was Broch geschlossenen Systemen vorwirft, die >Verwechslung des Endlichen mit dem Unendlichen< (6: 346), praktiziert er metatheoretisch, indem er den Begriff des Systems zu einer Differenz verendlicht, die er dann als unendliche setzt, um sie zuletzt noch durch den zweiten Binarismus von >gut< (offene Systeme) und >böse< (geschlossene Systeme) zu totalisieren. Mit einer äußerst pathetisierenden Systembildung scheint also Broch pathetisierende Systeme zu verurteilen. Indes griffe eine solche nur auf Definitionsschärfe bedachte Kritik Brochs nicht allein darum fehl, da dieser davon ausgeht, daß "alles Philosophieren [...] ein Jonglieren mit Wolken" (6: 295) ist. Schwerer wiegt das Argument Brochs, daß pathetisierende Systeme die Tatsache des Todes ausblenden. Broch hingegen zeichnet sich nicht nur in ethischer Hinsicht aus, das "Antlitz des Todes" als "der große Erwecker" (6: 316) zu verstehen. Vielmehr erhält seine philosophische Differenz der Systeme erst durch eine Literatur, die sich auf den Tod bezieht, ihren eigentümlichen Sinn: Was nämlich dem Kitsch als sich unendlich setzendem endlichem System "fehlt, ist jene Sinngebung durch das syntaktische System, die das eigentliche Kunstwerk ausmacht." (6: 347). Ausgehend von dieser These Brochs wird der Beitrag anhand Der Tod des Vergil die erkenntnistheoretische Relevanz einer Dichtung im Kontext des Systembegriffs herauszuarbeiten versuchen: Sind nach Broch nur diejenigen literarischen Werke >gut< zu nennen, die nicht psychologisch sondern erkenntnistheoretisch motiviert sind (8: 23), so liegt die spezifisch epistemische Leistung der Dichtung im Rückgang auf ein präreflexives Wissen, zu dem in Der Tod des Vergil nicht allein durch eine Todeskonfrontation als irrationalem Extrem zu gelangen versucht wird vgl. 1: 150). Spezifisch wird die Differenz zwischen den Systemen wie die zwischen dem Kitsch, der sich gerade aus "das Gefühl und das Irrationale" (6: 347) beruft, und Dichtung durch eine Syntax, die nicht bloßes Instrument offener Systembildung ist, sondern die offene Systeme erst generiert und verbürgt.