ABSTRACT:
Die Epoche des Traianischen Prinzipats (98-117 n. Chr.) gehört zu den bekanntesten und am meisten geforschten Perioden der römischen Kaiserzeit. Aber der Beginn der Epoche, die Zeitspanne der Nervaischen Adoption (97 n. Chr.), dieses staatsrechtlichen Aktes, durch die Traian zur Macht gekommen konnte, bietet immer noch zahlreiche offene Fragen für die Forschung. Die eine der Fragen, die in der modernen Forschung zum Teil immer noch zu beantwortend geblieben ist, wäre der - eigenhändige - Privatbrief, den der alte Kaiser, der zufolge dem Aufstand der Prätorianer in aussichtslose Lage geratende Nerva, seinem designiertem Nachfolger, Traian, der sich damals in Obergermanien als kaiserlicher Statthalter betätigte, zugesendet hatte. In diesem Brief des alten Kaisers, der durch das Auftreten der Prätorianer auch in seiner Kaiserwürde tief demütigt wurde, rief mit einer Zeile von Homer zitierend den damaligen Legat Obergermaniens, Traian auf, seinen Thron zu verteidigen und ihn zu rächen. (Die wichtige Grenzprovinz, Germania Superior galt um die Zeit als eine politisch-militärische Schlüsselposition, und ihre Statthalter gehörten zu den wichtigsten viri militares innerhalb des Imperiums.)
Dieser Vortrag strebt - im zeitlich gegebenen Rahmen - an, nachzuweisen, daß hier nicht nur bloß eine »Recycling« des oben genannten Homerzitats in Frage kommen könnte. Im Gegenteil: Das ganze Geschehnis wäre Wiederholung einer früheren Geschichte im groß angelegten Stil. Nach der Version der Flavischen Propaganda (die durch der Zwang der späteren Ergebnissen auch zur Legitimation des Kaisertums Titus berufen worden war), Kaiser Galba, der wie später Nerva, bejahrt und innenpolitisch gleicherweise bedroht war, forderte Titus, den älteren Sohn Vespasians, der damals, im Sommer des Jahres 69 n. Chr., mit seinem Vater auch im Osten verweilte, angeblich auf, seinen Thron und seine Macht zu schützen. Der Fall war für die Ulpier bekannt. Vor allem durch den älteren M. Ulpius Traianus. Traians Vater war damals, während des jüdischen Aufstandes - und auch später im Laufe des Bürgerkriegs - nicht nur einer der Legaten, sondern auch ein Vertrauter des zukünftigen Kaisers Vespasian, der zu jener Zeit noch an die Macht strebte. Das »Recycling« des Textes, der in dem früheren Kaiserbrief beinhaltet war, wäre - im Dienste ähnlicher propagandistischen Ziele - mit großer Wahrscheinlichkeit eine Idee des älteren Traians. Die ideologische Begründung des Traianischen Prizipats hat viel der Flavier zu verdanken - sowohl in der Auswahl ihrer Vorbilder als auch im Laufe diejenigen Adaptation. Um die wahren Umstände seines Wegs zum Kaisertum zu verhüllen, hatte der Erbfolge Nervas die Vespasianischen Vorlagen verfolgt. (Später, als Alleinherrscher, stützte sich Traian vor allem auf jene Elementen der Prinzipatsideologie, welche einst von dem "pessimus princeps" - Kaiser Domitian - bevorzugt worden waren.) |