Die gestellte Frage in der Überschrift hat einen Bezug auf die Erscheinungsformen der Kartosemiotik im europäischen Raum. In diesem Raum verläuft die Entwicklung der Kartosemiotik in den letzten 30-35 Jahren und reflektiert damit auch neue Tendenzen in der europäischen theoretischen Kartographie.
Zu den wichtigsten Erscheinungsformen der heutigen Kartosemiotik gehören Forschungsrichtungen, Lehrdisziplin, internationale Seminare und Heftreihen, welche ihre wissenschaftlich-orientierten, konzeptionellen und lehrbezogenen Aufgaben sowie institutionellen und nichtinstitutionellen Aktivitäten charakterisieren.
Ab Mitte der 1990er zeichnet sich in der Forschung eine klare Abgrenzung der allgemeinen (theoretischen) und angewandten Kartosemiotik ab. Dabei orientiert sich die angewandte Kartosemiotik an der Entwicklung kartosemiotischer Forschungsmethoden und der Gewinnung neuen raumbezogenen Wissens von verschiedenen kartosemiotischen Modellen (Karten, Atlanten, Globen, Anamorphoten, kartographischen Animationen usw.) in elektronischer Form.
Die Kartosemiotik ist eine neue Disziplin zwischen der Kartographie und Semiotik. Sie hat europäische Wurzeln. Sie hat auch ein sehr großes Potential kommunikativen, multimedialen und synergetischen Charakters, das bei der raumbezogenen Erkenntnisgewinnung mittels Kartensprache realisiert werden kann. Die Kartensprache als Phänomen ist noch unzureichend anerkannt, erforscht und gesellschaftlich gefordert; sie ist ein wesentliches Element der räumlichen Kommunikation in der modernen Informationsgesellschaft. Wo lernt man die Kartensprache bzw. die Sprachen der kartosemiotischen Modelle? Was ist eine kartosemiotische Ausbildung?
Die Bildung der universitären Kartosemiotik ist ein wichtiges Ereignis in den 1990er Jahren. Gute Voraussetzungen für die Herausbildung der europäischen universitären Kartosemiotik hat die Akkumulation kartosemiotischer Wissens geschaffen. Die Kartosemiotik wird in europäischen Universitäten (Universität Genf, TU Dresden, Moskauer Lomonossow Universität usw.) mit Lehr- und Forschungsaufgaben für Kartographie- und Geographie-Studenten realisiert. Man könnte sich vorstellen, dass irgendwo in Europa (nicht unbedingt in Deutschland) die Bildung eines Lehrstuhls oder An-Instituts für Kartosemiotik in den nächsten zehn Jahren Realität wird. Dabei können auch perspektivisch themen-orientierte Zentren für Management kartosemiotischen Wissens eine wichtige Rolle spielen.
Kartosemiotik für die Schulen. Die Fragestellung ist Neuland in Europa und wahrscheinlich in der Welt. Doch es ist wichtig sie zu diskutieren.
Die Revitalisierung von Ideen und Konzeptionen der Kartosemiotik der 90er Jahre begann mit der Herausgabe der zweisprachigen (deutsch und russisch) Heftreihe "Kartosemiotik/ Kartosemiotika" im Jahr 1991. In der Zeit 1991-1995 wurden sechs Hefte herausgegeben. Seit 1998 wurde in Dresden die Heftreihe mit neuem Titel "Diskussionsbeiträge zur Kartosemiotik und zur Theorie der Kartographie" (Hrsg. H.Schlichtmann und A.Wolodtschenko) in drei Sprachen - Deutsch, Englisch und Russisch weitergeführt. Die Heftreihe ist eine Sammlung von kartosemiotischen Gedanken, Erfahrungen, Diskussionen usw. mit kartographischen und außerkartographischen Traditionen, vornehmlich mit dem Ziel, die fachliche Kommunikation auf diesem interdisziplinären Gebiet attraktiver zu gestalten. Sie soll als ein Informations- und Diskussionsforum zur Förderung der informellen wissenschaftlichen Zusammenarbeit weiter wirken.
Hinsichtlich der Aktivitäten der Kartosemiotik im Rahmen der Internationalen Kartographischen Vereinigung (IKV/ICA) lässt sich feststellen, das eine wachsende Bedeutung der Kartosemiotik sowohl für die theoretische Kartographie, als auch für die technologische Kartographie signifikant ist. Auch die positive Rolle der IKV als vereinigte Kraft für alle Kartosemiotiker der Welt verdient sehr hohe Wertschätzung. Als ein Highlight der Institutionalisierung der Kartosemiotik in Europa wäre die Herausbildung einer Internationalen Kartosemiotischen Vereinigung durchaus realisierbar. Dafür sind in der europäischen Kommunikationsgesellschaft eigentlich gute Voraussetzungen und günstige Bedingungen vorhanden.