Analysiert werden sollen die Auseinandersetzungen um die beiden Pseudokategorien
innerhalb des Wissenschaftssystems Orientalismus und Okzidentalismus
am Beispiel der globalen Reaktionen auf die Papstrede. In einer Weise,
welche die Tradition der orientalistischen Repräsentation des Orients
als essentiell religiös (Islamisch) und irrational (selbst Allah
sei an Vernunft nicht gebunden) perpetuiert, hat der Papst in seiner
Regensburger Rede Bemerkungen über den Islam fallen lassen, die
weltweit Reaktionen von Akademikern und öffentlichen Intellektuellen
provoziert haben. Eigentlich ging es dem Papst aber um eine Kritik der
wissenschaftlichen Vernunft, um die Notwendigkeit ihrer ‚Ergänzung’
(oder Korruption) durch ‚religiöse Vernunft’ und um
die Stellung von Theologie im universitären Fächerkanon. Damit
ist ein Anlass gegeben, über die Reaktionen auf die Papstrede vor
allem aus der außereuropäischen Welt etwas über die
Haltungen nicht-europäischer Wissenschaftler zum Status von Wissenschaft,
Vernunft, Religion und der Frage ihrer (wahren oder vermeintlichen)
‚Westlichkeit’ zu erfahren. Erst unlängst hat Amartya
Sen in seinem Buch ‚Identity and Violence’ auf die Gefahr
hingewiesen, die eine Perzeption von Wissenschaft als vornehmlich ‚westlich’
in der außereuropäischen Welt habe. Damit verbunden sei auch
die Gefahr der Okzidentalisierung von Demokratie, Menschenrechten, Moderne,
etc. und die Suche nach nicht-westlichen Modellen der Demokratie, nach
nicht-westlichen Menschenrechten und nach nicht-westlichen, multiplen
Modernen. Dieser Tendenz steht der noch junge Versuch gegenüber,
global verbindende, kosmopolitische Orientierungen stark zu machen,
welche die als unüberwindbar vorgestellte Differenz zwischen dem
Orient und dem Okzident unterlaufen. Diese kosmopolitische Vernunft
wurde lange von der Wissenschaft mit verkörpert. Versuche, Wissenschaft
zu parochialisieren, greifen diese in ihrem Kernanspruch, allgemeinverbindliche
Geltungsansprüche zu verfechten an und machen sie zum Spielball
politischer Ambitionen. Damit ist ein Feld umrissen, in dem der Frage
nach der Fähigkeit der Wissenschaft, sich gegen Übergriffe
aus den Sphären der Politik und der Religion zu behaupten nachgegangen
werden kann.